Hartmann: „Ich beneide jeden Schreiner“

„Ich beneide jeden Schreiner“: Der neue Burgtheaterdirektor im Interview

Der neue Burgtheater Direktor im Interview

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Interview: Peter Schneeberger

profil: Es heißt, die Burg sei das wichtigste Haus der Branche, sein Chef der mächtigste aller Direktoren und das Budget so groß wie nirgendwo sonst. Welches dieser Klischees stört Sie am meisten?
Hartmann: Keines davon, denn bei Klischees ging es noch nie darum, ob sie tatsächlich stimmen. Dass dieses Haus eine solitäre Stellung hat, verdankt es nicht dem Direktor, sondern der Art und Weise, wie die Politik mit dem Theater in der Vergangenheit umgegangen ist, und der gesellschaftlichen Rolle, die ihm die Bevölkerung zuspricht.

profil: Warum wollten Sie Burgtheaterdirektor werden?
Hartmann: Um Theater zu machen. Ich bin mit der gleichen Leidenschaft nach Wien gekommen wie zuvor nach Bochum oder nach Zürich. In allen drei Fällen war es nicht zuletzt das Gebäude selbst, das mich gereizt hat.

profil: Dabei gibt es kaum ein Theater, das eine ähnlich schlechte Akustik hat wie die Burg.
Hartmann: Die Akustik ist nicht einfach, es gibt Plätze, auf denen man schlecht hört. Dennoch ist dieses Haus für seine Größe verhältnismäßig intim. Außerdem gehören zum Burgtheater ja drei Häuser. Das Akademietheater ist grandios, und aus dem Kasino will ich ein Haus machen, das auf Augenhöhe mit den beiden anderen Häusern agiert.

profil: Sie sagten einmal, Kunst sei ein Krankheitsbild. Ein weiteres Klischee?
Hartmann: Für mich war das eine späte Erkenntnis. Wenn man künstlerisch arbeitet, wird man dafür von der Gesellschaft für gewöhnlich bewundert und gelobt. Dabei ist das Künstlertum nicht unbedingt ein erstrebenswertes Lebensziel, sondern etwas, das man sich nicht aussuchen kann.

profil: Was ist an dem Beruf so schrecklich?
Hartmann: Es ist begrüßenswert, dass Kranke in der Kunst ein Ventil finden, denn dieser Sublimierungsvorgang hilft, mit der Krankheit umzugehen. Ansonsten würde vermutlich viel Schlimmeres geschehen. Aber man sollte niemanden darum beneiden, dass er kreativ arbeitet. Das geht an der Sache vorbei. Vielmehr beneide ich jeden Schreiner, der ausgesöhnt mit seiner Existenz in seinem Beruf arbeitet.

profil: Was sublimieren Sie?
Hartmann: Ich selber bin ein Wanderer zwischen zwei Welten. Theater ist mein Leben. Um mit meinem Leben zurechtzukommen, habe ich mir eine bürgerliche Existenz mit drei Kindern aufgebaut. Nur wenige meiner Freunde sind Künstler, einen Großteil meiner Freizeit verbringe ich mit Bankern oder Ärzten und Schreinern.

profil: Ein Burgtheaterdirektor steht im Zentrum der bürgerlichen Aufmerksamkeit. Versöhnt Sie das mit Ihrem Künstlertum?
Hartmann: Ich bin nur insofern ein guter Direktor, als ich die Prozesse durchschaue, die an einem Theater gelten. Ich bin sehr früh ans Theater gekommen und seitdem immer da geblieben. Ich kann Probleme von Bagatellen unterscheiden, bewege mich im Theaterbetrieb sehr sicher – und das qualifiziert mich als Direktor. Ebenso wie mein guter Instinkt. Außerdem schaffe ich es – um mich weiter zu loben –, viele gute Menschen in der Arbeit um mich zu versammeln.

profil: Genießen Sie die öffentliche Aufmerksamkeit?
Hartmann: Ich setze diese Aufmerksamkeit, die mich zugleich verblüfft und erfreut, nicht so sehr mit meiner Person gleich, sondern mit dem Theater selbst. Ich habe schon Leute gekannt, die nach derartiger Aufmerksamkeit süchtig geworden sind und nachher nicht gewusst haben, wie sie anders leben sollen. Hoffentlich passiert mir das nicht.

profil: Welche gesellschaftspolitischen Verpflichtungen bringt der Beruf des Burgchefs mit sich?
Hartmann: Das Feld ist weit, denn anders als in anderen Städten sprechen die Menschen hier dem Burgdirektor eine gesellschaftliche Verantwortung zu. Das bedeutet nicht, dass man sofort eine Pressekonferenz einberufen muss, wenn irgendwo auf der Welt Krieg ausbricht, um zu sagen, dass man ebenfalls dagegen sei. Es bedeutet auch nicht, dass man möglichst viel Feuer rund ums Burgtheater entfacht, um darauf hinzuweisen, dass es drinnen vielleicht auch warm sein könnte. Es bedeutet, dass die großen Probleme unserer Zeit gespiegelt werden müssen.

profil: Als Deutscher haben Sie den Blick von außen: Wie stellt sich Österreich im deutschsprachigen Ausland dar?
Hartmann: Es überrascht mich, wie unverhohlen hierzulande rechts gewählt wird. Für das Image Österreichs im Ausland ist diese Tendenz, ins extrem rechte Eck zu gehen, sicher nicht unproblematisch.

profil: Während des jüngsten EU-Wahlkampfs hatten Sie bereits in Wien eine ­Wohnung. Wie ausländerfeindlich ist das gesellschaftspolitische Klima in der Stadt?
Hartmann: Das FPÖ-Plakat mit dem Motto „Abendland in Christenhand“ war schockierend. Ich kann mich noch erinnern, dass ich am Morgen in die Stadt fuhr und vor Fassungslosigkeit mit dem Taxifahrer darüber sprechen musste. Ich komme aus einem linksliberalen Haushalt. Es gab kaum eine Fahrt in den Urlaub, wo meine Mutter nicht ausstieg, um uns Kindern NS-Vergangenheit anhand von Gedenkstätten und Mahnmalen zu zeigen. Insofern gibt es in meiner Familie eine große Sensibilität dafür. Niemand leugnet, dass die aktuelle Wirtschaftskrise die Zahl der Wirtschaftsflüchtlinge verstärken wird. Aber auf eine derart unverhohlene Art Fremdenhatz zu betreiben ist degoutant und löst kein Problem.

profil: Erschreckt es Sie, dass die österreichische Innenpolitik eng mit der „Kronen Zeitung“ verwoben ist?
Hartmann: Schlussendlich hat die „Bild“-Zeitung im Verein mit dem „Spiegel“ dem deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder das Kreuz gebrochen. Am schlimmsten sind die Verschränkungen in Italien: Berlusconi gehören die Medien sogar. Damit will ich nicht verkleinern, was in Österreich geschieht, aber dass Politiker versuchen, sich der Massenmedien zu befleißigen – das ist heute überall die Plattform, auf der sie spielen. Die Politik und die Medien haben inhaltliche Positionen gegen Zielgruppenanalysen eingetauscht.

profil: Wie stark kann Theater auf politische Wirklichkeiten reagieren?
Hartmann: Es ist eine maßgebliche Aufgabe des Theaters, darauf zu reagieren. Freilich nicht, indem es mit erhobenem Zeigefinger proklamiert, was schlecht und was gut ist, wie dies in den achtziger und neunziger Jahren gemacht worden ist. Man muss Theater vielmehr als Diskussionsforum begreifen, schließlich ist es von den Griechen als solches gegründet worden. Ich habe es satt gehabt, dass mir in Zürich Wirtschaftsbosse unentwegt erzählt haben, ich sei derjenige, der in einer fiktiven Welt lebe. Wie sich her­ausgestellt hat, war genau das Gegenteil der Fall. Ich habe mit Wirklichkeiten gespielt, während Banker verlogene Luftschlösser bauten.

profil: Sie haben viele Regisseure nach Wien eingeladen, mit denen Sie bereits in Zürich gearbeitet haben. Lässt sich Theater so leicht von A nach B transferieren?
Hartmann: Zunächst achte ich weniger darauf, was in einer Stadt geht, sondern suche meine Produktionen danach aus, ob sie künstlerisch wertvolle Arbeiten werden können. Natürlich muss man sich um die Tradition des österreichischen Theaters kümmern. Dieses Jahr fehlen die großen Nationaldichter noch, aber die zweite Spielzeit wird mit Franz Grillparzers „Die Jüdin von Toledo“ in der Regie von Stephan Kimmig beginnen.

profil: Was ist mit Johann Nestroy? Haben seine Volksstücke am Burgtheater Platz?
Hartmann: Das ist für uns Piefke noch mal ein eigenes Fach. Es wird unter Todesstrafe gestellt, wenn sich unsereins daran vergreift, und doppelt belohnt, wenn es gelingt. Aber ich verspüre Lust, mich als Regisseur diesem Feld zu nähern. Grundsätzlich gilt: Es gibt nichts, was an der Burg keinen Platz hätte.

profil: Welches künstlerische Profil soll das Burgtheater entwickeln?
Hartmann: Das Burgtheater ist viel zu groß, um ihm ein Logo aufzudrücken. Ich fände es vollkommen uninteressant, wenn hier
nur Dekonstruktivisten oder penible Text­exegeten arbeiten würden. Dafür ist meine Begeisterungsfähigkeit viel zu groß und weitläufig. Ich misstraue dem Begriff der Profilierung grundsätzlich. Er ist durch die Marketingabteilungen von Unternehmen und politischen Parteien vollständig absorbiert worden.

profil: Neu für Wien ist etwa der Regisseur David Bösch. Warum holen Sie ihn an die Burg?
Hartmann: Das ist einer, der sich vor allem noch für die Liebe interessiert. Er ist ein Romantiker, in dem noch die letzten Wehen der Pubertät zucken. Es rührt mich sehr, dass er Theater als Sehnsuchtstraum definiert.

profil: Was interessiert Sie am Gegenwartstheater am meisten?
Hartmann: Die Theaterleute haben in den vergangenen Jahren ihre Zeit damit verbracht, die imaginäre vierte Wand zum Publikum niederreißen zu wollen. Sie wollten mehr Authentizität erreichen. Beispielsweise wurden Statisten im Zuschauerraum platziert, um das Publikum zu einem Teil des Bühnengeschehens zu machen. Diese Versuche sind allesamt gescheitert, aber das Anliegen war wichtig, denn es wurde ein anderes Bewusstsein fürs Theater geschaffen. Man kann wieder Geschichten erzählen, muss aber nicht so tun, als wären die Menschen auf der Bühne keine Schauspieler.

profil: Wie würden Sie sich selber als Regisseur beschreiben?
Hartmann: Ich bin ein schizophrener Regisseur, denn ich arbeite mit zwei sehr unterschiedlichen Stilen. Bei Texten von Kleist oder Fosse, sprachlich perfekt gebauten Stücken wie „Warten auf Godot“ oder „Faust I“ setze ich die Textvorlage relativ genau um, fühle mich eher als Dirigent, der die Partitur transparent macht. In letzter Zeit interessiert es mich aber zunehmend, Projekte auf der Bühne zu realisieren, die sich im eigentlichen Sinne dafür nicht eignen – also eine eigene Bühnensprache zu entwickeln.

profil: Die Eröffnungspremiere Ihrer Intendanz, Goethes gesamtes „Faust“-Drama, inszenieren Sie selbst. Warum setzen Sie sich gleich zu Beginn der Gefahr aus, als Regisseur und Intendant zu scheitern?
Hartmann: Warum sollte ich kein Risiko eingehen? Wer nix wagt, kann nix gewinnen. Ich habe zweimal in meinem Leben versucht, mich gegen Risiko abzusichern. Einmal mit Horváths „Kasimir und Karoline“ hier in Wien, denn ich dachte, ich wüsste genau, wie’s geht. Ein anderes Mal mit ­„Richard III.“ in München. Es waren meine größten Flops. Aber wenn ich wirklich rausgetakelt bin und keine Ahnung hatte, wie ich die Produktion bewältigen soll, sind oft ganz gute Dinge daraus geworden. Diesmal weiß ich noch nichts.

profil: Was macht Ihnen dieses Mal Angst?
Hartmann: Das schiere Volumen von Goethes „Faust“. Das ist in der Probenzeit, die wir haben, nicht zu bewältigen – was zumindest eine gute Voraussetzung dafür ist, weiterzuarbeiten.

profil: Sie halten es wie Goethe, der in „Faust“ schrieb: „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen.“
Hartmann: Ganz sicher nicht. Schon am Ende von „Faust I“ gibt es monströse Kollateralschäden: ein totes Gretchen, ein ertränktes Kind, eine vergiftete Mutter und einen erstochenen Bruder. Darüber geht Goethe locker hinweg. Zu Beginn von „Faust II“ werden Faust die Erinnerungen gelöscht, und er kann so weitermachen wie gehabt. Faust ist dann nicht einmal mehr im Widerstreit mit seinem Alter Ego Mephisto. Mephisto wird zum reinen Exekutor von Fausts Allmachtsstreben. Seine Opfer sind nun ganze Landstriche und ihre Bewohner. Und am Ende erhält er die Absolution, weil ja jeder, der sich strebend bemühe, erlöst werden könne. Das ist – gelinde gesagt – eine Sauerei.

profil: Sie hätten Faust zum Teufel gejagt?
Hartmann: Aber ganz sicher.

profil: Wären Sie wie Faust durch den Teufel verführbar?
Hartmann: Das sind wir alle.

profil: Was wäre Ihr Preis?
Hartmann: Wenn man sich mit einer Sauferei im Auersbachkeller zufrieden gäbe, würde man es dem Teufel zu leicht machen. Deswegen wird Mephisto von Goethe auf einen besonders harten Parcours geschickt: Faust muss sich mit dem Leben aussöhnen und sagen können: „Augenblick verweile doch, du bist so schön.“ Zu welchem Augenblick man das sagen kann, ist höchst individuell. Die meisten Menschen beispielsweise, die im Lotto gewonnen haben, sind todunglücklich geworden. Wir brauchen unerfüllte Sehnsüchte. Insofern glaube ich nicht an Glück.

profil: Gar nicht?
Hartmann: Ich kann Glück empfinden, wenn ich meine Kinder sehe, weil sie mich im tiefsten Innern berühren. Auch ein Orgasmus ist ein riesengroßes Glück. Aber Lebenszufriedenheit kenne ich nicht. Fausts Ungeduld und Unzufriedenheit sind mir vertraut.

profil: Was macht Faust für Gretchen so unwiderstehlich?
Hartmann: Gretchen ist eine junge Näherin, die sich durch großzügige Geschenke verführen lässt. Eines schönen Tages fährt Tom Cruise in einem Lamborghini vor, sagt lässig „Hallo“, und Gretchen steigt ein. Das ist zwar ein Klischee, aber so hat Goethe die Szene geschrieben. Unsere Auffassung von romantischer Liebe, wie sie entstehen soll, wird in keiner Weise genährt.

profil: Warum interessiert sich Gretchen dann so sehr für Fausts Religiosität?
Hartmann: Sie macht etwas, was viele Frauen tun, wenn’s wirklich heiß wird: Sie möchte einfach wissen, was das für ein Typ ist. Sie will wissen, ob er ein verlässlicher Kerl ist.

profil: Wie halten Sie es mit der Religion?
Hartmann: Ich bin mit einer sehr religiösen Mutter aufgewachsen, halte es aber wie Faust: Wer darf sagen, es gäbe Gott? Wer darf sagen, es gäbe ihn nicht? Paradoxerweise erziehe ich meine Kinder trotzdem religiös. Wir beten abends. Die Kirche hat gesellschaftliche Rituale zur Verfügung gestellt, die unsere Lebensformen ermöglicht haben. Ich habe kirchlich geheiratet und bin für diese gesellschaftlichen Rituale dankbar.

profil: Wie viel Irrationalität steckt in der Kunst?
Hartmann: Ohne Transzendenz gibt es kein künstlerisches Arbeiten. Wenn mir als Regisseur wirklich etwas gelungen ist, habe ich nie den Eindruck, ich hätte das gemacht. Ich war eine Antenne, die etwas übermittelt hat, was über mir steht.

profil: Das ist eine sehr romantische Definition von Künstlertum.
Hartmann: Kunst ist ein ständiger Annäherungsvorgang. Das perfekte Kunstwerk gibt es nicht.

profil: Haben Sie Angst, diesen Kontakt zu verlieren?
Hartmann: Natürlich, das ist das Risiko. Dann werde ich Schreiner.

Foto: Peter Rigaud