Anselm Kiefer im profil-Interview

„Ihr wart ja auch beim Holocaust dabei!“

„Ihr wart ja auch beim Holocaust dabei!“

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profil: Sie sind seit ein paar Tagen in Salzburg. Hat Sunnyi Melles schon ein Autogramm von Ihnen bekommen?
Kiefer: Ich möchte nicht ungebildet erscheinen, aber wer ist Sunnyi Melles?
profil: Sie ist Schauspielerin, ein Darling des Salzburger Festspielpublikums und hat unlängst behauptet, sie bitte alle Künstler in der Stadt um Autogramme, denn sie liebe Autogramme.
Kiefer: Ich verstehe Autogramme nicht.
profil: Aber Sie geben sicher öfter welche …
Kiefer: Manchmal lässt sich das nicht vermeiden. Leider hält man das Drumherum für wichtiger als das Werk.
profil: Das wäre die perfekte Definition der Salzburger Festspiele, wo die Premiere oder die Vernissage oft nur als Vorwand für die darauf folgende Prominentenparty erscheint.
Kiefer: Ich bin absichtlich erst nach der Eröffnung der Festspiele hierher gekommen.
profil: Trotzdem folgte auch auf die Eröffnung Ihrer Ausstellung ein Empfang mit Maximilian Schell und Bianca Jagger. Lässt sich da das Künstlerimage des Mythomanen noch aufrechterhalten, der zurückgezogen irgendwo im Odenwald oder in der Provence germanischen Sagen, dem Werk Richard Wagners und der NS-Geschichte nachspürt?
Kiefer: Für mich ist das ganz einfach. Ich lebe und arbeite dort. Meine Ateliers, in denen ich, soweit es meine Arbeitssituation erlaubt, gerne mit jedem rede, sind Werkstätten, Arbeits- und Wohnräume, in denen ich Eindrücke – oft Schocks – ruhen lasse und dann in Bilder umsetze.
profil: Ihre Kunst – erd- und rostfarbene Leinwände, Materialobjekte mit viel Blei und Sand, fackelbeleuchtete Rauminstallationen – gibt sich sehr hermetisch, als eine Art gegenständlicher Minimalismus mit Titeln wie „Rheintöchter“, „Runengespinst“ oder „Unternehmen Seelöwe“. Geht es Ihnen eher um Verrätselung als um Aufklärung?
Kiefer: Die Rätsel suche ich ja nicht, die sind da. Die ganze Welt ist ein Rätsel, in dem wir nur Trümmer erkennen.
profil: Sie wurden 1945 selbst in Trümmern geboren, knapp vor Kriegsende.
Kiefer: Das hat seine Vorteile. An Trümmern erkennt man, dass etwas zu Ende geht und etwas Neues entsteht. Ich hätte ja alle diese Kriegszeugnisse stehen gelassen, die Bunker zum Beispiel, damit man sich an jene Tage erinnert.
profil: Wir haben die Flaktürme in Wien.
Kiefer: Aber nur, weil Sie sie nicht wegbringen. Gott sei Dank! Ich hätte auch die Mauer in Berlin erhalten.
profil: Können Sie hier im prächtigen, barocken Salzburg auf Verständnis für Ihre Trümmerwelt hoffen?
Kiefer: Ich brauche kein Verständnis, ich brauche Reaktion.
profil: Die heftigsten und negativsten Reaktionen gab es bei Ihrem ersten großen internationalen Auftritt, der Biennale von Venedig 1980. Damals sprach die Kritik von einer „Überdosis an Teutschem“.
Kiefer: Die deutsche Kritik war ohne Ausnahme gegen mich. Positiv war die Reaktion aus Amerika, vor allem von amerikanischen Juden. Das war bei mir immer so. Ich habe stets Zustimmung von den Opfern des Holocaust bekommen. Meine Examensarbeit bestand aus Bildern, die auf Fotografien beruhen, auf denen ich in verschiedenen Ländern die Hand zum Hitlergruß erhebe. Das gab einen Aufstand im Senat der Schule, und nur einer hat mich verteidigt: ein Künstler, der im Konzentrationslager war. Er hat die Arbeit verstanden, sonst wäre ich bei der Prüfung durchgefallen.
profil: Welche Bedeutung hatte 1968 für Sie?
Kiefer: Auch ich bin durch die Hörsäle gerannt und habe gerufen: Hört auf zu malen! Das ist wichtig, immer wieder einmal aufzuhören. Nur so kommt man weiter.
profil: Sie haben dann aber, um 1980, umso heftiger an der Rückkehr der Malerei mitgearbeitet. Erst kürzlich haben Sie behauptet, dass Sie „erkennen, um zu malen, und malen, um zu erkennen“. Wie ist das zu verstehen?
Kiefer: Zum einen: Ich bin ja kein eigentlicher Maler. Ich schaffe keine Illusionen, ich verwende keine wirklichen Farben. Zum anderen: Am Beginn jeder Produktion steht der Schock, später klären sich die Dinge. Als ich damals diese Hitlergruß-Arbeiten gemacht habe, wusste ich ja nicht, wohin das führen sollte.
profil: Sind Sie auch bei Ihrer aktuellen Ausstellung hier in der Galerie Ropac unsicher?
Kiefer: Dafür habe ich vor Längerem schon in der Nähe von Bad Ischl Schneefelder fotografiert. Dort standen Strünke von Mais. Das sah wunderbar aus, wies hin auf den Kreislauf der Natur, den Kreislauf überhaupt – das frappierte mich. Aus den Fotos von den Schneefeldern sind dann die Bilder entstanden. Und plötzlich haben mich diese Strünke an Runen erinnert. Dann ist mir eingefallen, dass Paul Celan ein Gedicht mit dem Titel „Des Herbstes Runengespinst“ geschrieben hat. So ergab es sich, dass ich eine Ausstellung über Celan gemacht habe – mit dem ich mich schon früher beschäftigt habe.
profil: Sie sprechen davon, dass ein Schock den Anstoß gibt, Kunst zu produzieren. Ein solcher ist auch, wie Sie vor Kurzem sagten, der Verlust von Gott. Der Kunsttheoretiker Bazon Brock hat die Künstler, die das Absolute suchen, einmal als „Gottsucherbande“ bezeichnet. Finden Sie sich da wieder?
Kiefer: „Gottsucherbande“ klingt natürlich gut, ist jedoch ein hohler Begriff. Ich bin zwar streng katholisch erzogen worden, aber mir kam diese Religion immer sehr einseitig vor. In Jerusalem habe ich die Kabbala studiert: Da gibt es einen viel weiteren Begriff des Göttlichen. Die christliche Theologie krankt daran, dass sie das Böse in der Welt nicht erklären kann. Die jüdische Mystik dagegen sagt, dass sich Gott zurückgezogen hat, damit sich die Welt bildet – er hat ein Vakuum hinterlassen. Das ist doch viel smarter! Das Christentum ist eine politische Religion – die Ecclesia triumphans.
profil: Und sie wird, wie auch der Islam, instrumentalisiert.
Kiefer: George W. Bush und Osama Bin Laden sind ja Kollegen, sie begründen sich gegenseitig. Ich fahre gar nicht mehr nach Amerika. Seit dem Fall des Kommunismus drehen die Amerikaner durch, sie denken, der Kapitalismus habe gesiegt. Das stimmt aber nicht: Er wird nur später untergehen als der Kommunismus. Ich will nicht politisch tätig sein – überhaupt nicht. Aber in Amerika ertrage ich die Atmosphäre nicht, auch physisch: Da muss man bei der Einreise seine Fingerabdrücke abgeben!
profil: Auf Ihrem Gemälde „Deutschlands Geisteshelden“ finden sich auch die Namen der Österreicher Robert Musil und Adalbert Stifter. Halten Sie das Deutsche und das Österreichische für austauschbar?
Kiefer: Dieselbe Frage hat mir eine österreichische Journalistin bereits anlässlich meiner Biennale-Teilnahme gestellt; sie war dann ziemlich sauer, als ich gesagt habe: Ihr wart ja auch beim Holocaust dabei! Jedenfalls müsste das Bild korrekt heißen: „Helden im deutschsprachigen Raum“. Ich sehe das als kulturelle Einheit, wobei ich die österreichische Kultur, was die Literatur angeht, als die viel höher Stehende betrachte. Robert Musil etwa war weitaus wichtiger als Thomas Mann. Den „Mann ohne Eigenschaften“ habe ich viermal gelesen.
profil: Tatsächlich? Wenige nur haben es einmal zu Ende gelesen.
Kiefer: Das liest sich doch leicht. Und Ingeborg Bachmann ist die wichtigste Dichterin überhaupt. Wenn ein so großes Reich, eine Monarchie und damit eine materielle Voraussetzung untergeht, dann entsteht das Geistige.
profil: In diese Situation wurde 1920 Paul Celan geboren. Seine Gedichte, etwa die berühmte „Todesfuge“, beschwören die Realität des Holocaust. Glauben Sie, dass eine Gesellschaft aus Ihrer Geschichte lernt?
Kiefer: Nicht sehr. Was im Dritten Reich passiert ist, wird häufig verdrängt. Bis zu einem gewissen Grad muss das aber auch so sein.
profil: In Ihrer Kunst stellen Sie immer wieder Bücher als Material dar. Die Nazis haben Bücher unliebsamer Autoren öffentlich verbrannt, auch hier in Salzburg. Ist das für Sie präsent?
Kiefer: Salzburg ist so eine schöne, intakte Stadt, so sauber, dass man darunter immer etwas vermuten muss.
profil: Angeblich plant der Sammler Hans Grothe in Berlin ein Kiefer-Museum. Was halten Sie davon?
Kiefer: Ich bin schon gegen das Wort Museum. Ich empfinde mich nicht als museal. Ich bin eher für das Wandern der Kunst: In London habe ich gerade ein Haus in einem Park bauen lassen, das reist jetzt in verschiedene Städte. Das ist besser als ein stationäres Museum. Aber wenn jemand Bilder von mir hat und sie ausstellen möchte, was soll ich dagegen sagen? Nur bin ich dagegen, dass Bilder in Wohnungen hängen.
profil: Wieso?
Kiefer: Man kann ein Bild vernichten, zwischen all den Einrichtungsgegenständen kann es nicht mehr wirken.
profil: Für Kunst soll also eine bestimmte Aura geschaffen werden.
Kiefer: Nein, es geht nicht um die Aura, es handelt sich eher um einen Schutz, eine Schwelle. Daher baue ich in der Provence ganze Häuser für meine Arbeiten. Auch im Furtwängler-Park in Salzburg steht ein Pavillon aus dem Jahr 2002 von mir.
profil: Der Theaterkritiker Peter Iden hat diese Arbeit in ihrer Hermetik tatsächlich mit dem Theater verglichen, hat in Zusammenhang damit von „Inszenierungen“ gesprochen.
Kiefer: Natürlich ist es eine Inszenierung.
profil: Dann passt es ja wieder zu Salzburg.
Kiefer: So ist es. Ich bin ja gern hier. Ich habe mir unlängst sogar ein Haus am Attersee gemietet.
profil: Das ist allerdings schon wieder weit weg von Salzburg.
Kiefer: Ja – und außerdem hoch oben am Berg.

Interview: Horst Christoph, Nina Schedlmayer