Im Königreich der Hohlköpfe

Coen-Brüder mit 'Burn After Reading'

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Die demonstrative Langeweile, mit der Joel und Ethan Coen Interviews zu absolvieren pflegen, steht in markantem Gegensatz zur erfreulichen Natur ihrer Filme. Im Medienkontakt geben sich die Coens einsilbig und betont uninspiriert: Zwei freudlose Komödianten erfüllen eine Klausel in ihren Verträgen. Das ist das Weißclown-Syndrom: Wer hauptberuflich Possen reißt, läuft unweigerlich Gefahr, privat zum Spielverderber zu verkommen. Unter den zahllosen Fragen, auf die das Brüderpaar inzwischen nur noch mit leisem Ächzen reagiert, kommt jener nach dem Wesen der geschwisterlichen Zusammenarbeit der unangefochtene Spitzenplatz zu. Was sie tun, erscheint ihnen selbstverständlich: Wozu darüber reden? Die Coen-Maschine läuft seit einem Vierteljahrhundert wie geschmiert, ohne Ego-Ausfälle und Lagerkoller, so reibungslos wie die Inszenierungen, die der doppelköpfige Regiebetrieb vom Drehbuch bis zum Feinschnitt erarbeitet. Joel und Ethan Coen, 53 und 51 Jahre alt, schreiben, drehen und produzieren seit 1984 ihre Filme gemeinsam (auch wenn der jüngere der Brüder seine Rolle als Co-Regisseur erst seit 2004 offiziell vermerkt). Nun liegt eine neue Arbeit, ihre dreizehnte, vor: „Burn After Reading“, eine sarkastische Variation des alten Spionagethriller-Genres.

Wie genau sie wissen, dass sie mit ihrem neuen Film nichts mehr beweisen müssen, ist diesem anzusehen: So spielerisch wie in „Burn After Reading“ waren die Coens seit ihrer Bowling-Comedy „The Big Lebowski“ vor zehn Jahren nicht mehr. Die Verleihung jener vier Oscars, die dem Serienkiller-Western „No Country for Old Men“ (2007) vor wenigen Monaten zugesprochen wurden, war nur der überfällige letzte Akt in der Historisierung der Coen-Brüder. Das liegt nicht so sehr daran, dass sie tatsächlich ein Faible für die Filmgeschichte haben – schon ihr selbstfinanziertes Debüt, „Blood Simple“ (1984), war eine texanische Relektüre des Film noir –, als vielmehr daran, dass sie sich so fundamental von ihren Zeitgenossen unterscheiden. Der Stil, den die Coens pflegen, ist nicht zu imitieren, und die Nische, die sie besetzen, obskur: Die extravagante Idiotie ist ihre Domäne, und der Respekt, den sie genießen, erwächst aus ihrer standhaften Verweigerung einer „ernsthaften“ filmischen Laufbahn.

Präzisionsarbeit. Die aus einem Akademikerhaushalt im suburbanen Minneapolis stammenden Coen-Brüder fassen ihre Inszenierungen mit zur Zwanghaftigkeit neigender Akribie ins Auge: Die Präzision ihrer komischen Choreografien und raffinierten Dialoge ist die Grundlage jenes höheren Unsinns, für den sie berühmt sind. Improvisation am Set wird nicht geduldet, die Drehbücher und Storyboards werden wie vorgeschrieben exekutiert. Das macht das Coen-Kino so unverwechselbar wie artifiziell. Der Zynismus ist Joel und Ethan Coen zur zweiten Natur geworden. Es wirkt symptomatisch, dass überall dort, wo ihre Filme noch Anstoß erregen, vor allem moralisch argumentiert wird: Die „New York Times“ etwa hat „Burn After Reading“ unlängst „herzlos“ und „sadistisch“ gescholten. Das ist nicht ganz falsch – „herzlich“ sind die Filme der Coens beileibe nicht –, zielt aber am Kern dieses Kinos vorbei: Die Coen-Brüder, als Filmemacher sozialisiert in den frühen achtziger Jahren, sind kaltschnäuzige Postmodernisten, die sich aus allen Schubladen bedienen und in allen Genres daheim fühlen – im Gangsterfilm („Miller’s Crossing“, 1990) ebenso wie in der Screwball-Comedy („Intolerable Cruelty“, 2003) und im Film noir („The Man Who Wasn’t There“, 2001).

Vor allem aber sind sie brillante Selbstvermarkter: Ihre Filme sind, bei allem Eigensinn, stets als High-Concept-Produkte angelegt, industriell bestens eingepasst; sie sind in zwei Sätzen erklärbar, ohne sich darin schon zu erschöpfen. Wenn man weiß, dass „Burn After Reading“ eine CIA-Thrillerpersiflage mit den Superstars George Clooney und Brad Pitt in Deppenrollen ist, genügt das eben schon, um eine weltweite Klientel zu mobilisieren. Die Arbeit mit grotesken Gegensätzen stellt die Prägnanz der Coen-Filme sicher: Die brutalste Figur wird mit der dämlichsten Frisur bedacht („No Country for Old Men“), ein Hippie-Lustspiel in die Halbwelt der Bowling-Spelunken verlegt („The Big Lebowski“, 1998) und die Tragikomödie einer Drehbuch-Schreibblockade ausgerechnet in einem billigen Hollywood-Hotel virulent („Barton Fink“, 1991).

Brad Pitt ist nur der jüngste Neuzugang in der Coen’schen Galerie krimineller Einfaltspinsel; freundliche Dummköpfe sind die alte Spezialität der Brüder: von dem lästigen Amateurverbrecherpaar (Steve Buscemi und Peter Stormare), das in „Fargo“ sehenden Auges in seinen Untergang schlittert, über den von Jeff Bridges so entspannt dargestellten Dude in „The Big Lebowski“ bis zu dem hinterwäldlerischen Cowboy und Millionendieb (John Brolin) in „No Country for Old Men“. Ob man ihre Art des doppelbödigen Wahnwitzes nun zu schätzen weiß oder nicht: Joel und Ethan Coen sind im Gegenwartskino ein Phänomen – und ebendort unverzichtbar. Im tiefen Tal des Unterhaltungsfilms steht der Geistreichtum unter strengstem Artenschutz.

Von Stefan Grissemann