Imperium Europa

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Herzlich willkommen in Europa“, sagte ich – die Zukunft antizipierend – zum türkischen Gemüsehändler am Wiener Naschmarkt. In Brüssel war gerade beschlossen worden, demnächst Beitrittsverhandlungen mit Ankara zu beginnen. Der Standler war verblüfft und erfreut. Eine derartige politische Freundlichkeit hatte er kaum noch erfahren.

Aus der Diskussion der vergangenen Wochen konnte er nur den Eindruck gewinnen: Man mag in Österreich die Türken nicht. Und er hat ja Recht. Österreich ist unter den 25 EU-Ländern absolute Spitze, wenn es darum geht, den Türken die Perspektive einer EU-Mitgliedschaft verwehren zu wollen. Das zeigen die vergleichenden Umfragen.

Nicht nur das Volk blickt ganz besonders mieselsüchtig in Richtung Bosporus. Auch in unseren politischen Eliten läuft die Diskussionen über den Türkei-Beitritt anders ab als in den meisten europäischen Ländern. Dort gibt es Parteien, die klar eine Türkei-Mitgliedschaft für eine gute Sache halten, und solche, die dezidiert dagegen sind. Da werden gute oder weniger gute Argumente pro und kontra ausgetauscht. Bei uns gibt es nur Gegner. Oder besser gesagt: Absolut keine politische Partei setzte sich für die Türken und ihre europäischen Ambitionen ein.

Wolfgang Schüssel gerierte sich als Hauptsprecher der europäisch-christlichen Abwehrfront. Die Freiheitlichen wettern wie gehabt gegen die Gefahr der Überfremdung. Die Grünen können sich nicht wirklich entscheiden. Und die große Oppositionspartei, die SPÖ, wetteifert populistisch mit Schwarz-Blau darum, wie man den Türken – mittels absurder Volksabstimmungspläne in ferner Zukunft – doch noch die europäische Tür vor der Nase zuschlagen kann. Es ist erbärmlich.

Die EU-Regierungschefs in Brüssel und die große Mehrheit der Europa-Abgeordneten in Straßburg sprachen sich für die Aufnahme von Verhandlungen aus. Fast die gesamte europäische Linke sagt Ja zu einem Türkei-Beitritt. Bei uns aber sind es nur individuelle politische Ausreißer: der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider – mit treffenden Argumenten, aber mit Motiven, an deren Lauterkeit zu zweifeln nicht abwegig erscheint; die Sozialdemokraten Hannes Swoboda, der als EU-Abgeordneter weiß, wie in Europa der Hase läuft, und Michael Häupl, der als Wiener Bürgermeister klug auf die türkischstämmigen Wähler in seiner Stadt schaut. Beide haben für ihre Position aber nicht wirklich gekämpft. Zu sehr exponieren will sich da offenbar keiner. Als Kommentator fühlt man sich auch recht einsam, wenn man für die Integration der Türkei in Europa plädiert.

Zu den Türkei-Skeptikern unter den Kolumnisten zählt auch Hans Rauscher vom „Standard“. Er hat freilich erkannt, dass die Debatte, ob sich Europa weiter nach Osten bis an die Grenze zu Syrien, Irak und Iran ausdehnen soll oder nicht, die europäische Zukunftsdebatte schlechthin darstellt. So polemisierte er kürzlich gegen eine Äußerung des türkischen Premiers Erdogan, der meinte, die EU könne nur durch die Türkei zu einem internationalen Machtfaktor werden. Erdogan hatte auf die große Armee hingewiesen, die von seinem Land in die Union eingebracht werde.

„Irgendwas klingt hier arg martialisch-gestrig“, moniert Rauscher und geht ins Prinzipielle. Zwar werde die Europäische Union „eines Tages halbwegs schlagkräftige Truppen haben“, die Stärke der EU liege aber keineswegs im Militärischen, sondern in ihrer „soft power“, „im Verhandeln, im Kompromiss, in den materiellen Anreizen und vor allem in der Anziehungskraft des eigenen Modells als Zone des Friedens, des Wohlstandes und des Rechts“.

Da kann man Rauscher nur zustimmen. Während allerorten über das „amerikanische Imperium“ gesprochen wird, das sich mit seiner gewaltigen militärischen Übermacht angeblich die ganze Welt untertan machen will, gleichzeitig aber die USA fast überall dort scheitern, wo sie „nation building“ betreiben und Einflusssphären zu stabilisieren suchen, hat sich die EU in der vergangenen Dekade ruhig und ohne einen einzigen Soldaten zu schicken um einen halben Kontinent vergrößert. So sieht es inzwischen auch Robert Kagan, ein amerikanischer Neokonservativer, der noch vor zwei Jahren anlässlich des transatlantischen Streits um den Irakkrieg die Europäer als Weicheier verhöhnte, die vom ewigen Frieden träumen. Kagan bewundernd: „Europa ist ein gigantischer politischer und ökonomischer Magnet für seine Anrainerstaaten geworden, ein liberales, demokratisches und auf Freiwilligkeit basierendes Imperium, das kontinuierlich expandiert.“

Das stimmt alles: Bloß hat die Kraft der Verführung durch Frieden und Freiheit, Reichtum und Recht ihre Grenzen. Die „soft power“ reichte nicht aus, den Balkan zu pazifizieren. Da bedurfte es der amerikanischen Militärintervention. Auch konnte sich die durch und durch vernünftige Position des „alten Europa“ in der Irak-Frage nicht zuletzt deswegen nicht durchsetzen, weil die Alternative zum Krieg, die weitere Eindämmung der irakischen Diktatur, jenes militärische Drohpotenzial gebraucht hätte, das die Amerikaner besaßen, die Europäer aber nicht.

„Wenn man, wie die EU, in einer globalisierten Welt zählen will, ist es von Bedeutung, ein beträchtliches Gewicht in den Bereichen Bevölkerung, Militär- und Wirtschaftsleistung zu haben. Die Türkei wird zu dieser politischen Macht, die wir werden müssen, beitragen.“ Das ist kein Erdogan-Zitat. So sprach vielmehr der niederländische Außenminister Ben Bot, der jüngst als amtierender EU-Ratspräsident aufs schärfste die österreichischen (und auch französischen) Pläne für eine Volksabstimmung über einen EU-Beitritt der Türkei kritisierte.