Industrie: Vorwärts in die Vergangenheit

Porsche-Piëch als größter Einzelaktionär bei VW

Drucken

Schriftgröße

Am Ende kommt zusammen, was irgendwie schon immer zusammengehört hat: Als Ferdinand Anton Ernst Porsche, für Familie und Freunde kurz „Ferry“, nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Prototyp der Serie 356 das erste Fahrzeug entwickelte, das den Markennamen Porsche tragen sollte, ließ er dem Wagen einen längst erprobten Motor unter die Aluminium-Karosserie schrauben – 1086 Kubikzentimeter, vier Zylinder, luftgekühlt: die Maschine des VW-Käfer, von Familienoberhaupt Ferdinand Porsche noch für die Nazis entwickelt, vom Sohnemann auf durchaus beachtliche 40 PS hochfrisiert, die eine Höchstgeschwindigkeit von 140 km/h erlaubten.

Die Produktionshalle von Porsche befand sich damals recht unprätentiös in einer alten Sägemühle im kärntnerischen Gmünd. Die VW-Werke in Wolfsburg standen unter britischer Kuratel. Und der alte Professor Porsche saß noch in französischer Gefangenschaft.

Als er heimkam, überflog er das Design des Wagens und befand: „Das gefällt mir.“ Genau so hätte auch er ihn gebaut, beschied der Professor der Überlieferung nach seinem Sohn.
Der erste Porsche war also ein halber Volkswagen.

Am Mittwoch vergangener Woche, 57 Jahre danach, erwarb die von Ferry Porsche gegründete Stuttgarter Dr. Ing. h. c. Porsche AG 10,26 Prozent der Stammaktien der Volkswagen AG. In den kommenden Wochen sollen weitere zehn Prozent in das Eigentum des Sportwagenherstellers übergehen. Porsche wird damit noch vor dem Land Niedersachsen der größte Einzelaktionär von VW.

Porsche muss für den Deal tief ins Handschuhfach greifen: Der Erwerb der Beteiligten an VW kostet die Kleinigkeit von rund drei Milliarden Euro. Viel Geld für einen Anteil an einem Konzern, der zuletzt nicht eben zu den profitabelsten seiner Branche gehörte.

Der von Bernd Pischetsrieder geführte VW-Konzern erzielte 2004 aus einem Umsatz von 89 Milliarden Euro lediglich einen Gewinn nach Steuern von 716 Millionen Euro. Die Porsche AG, deren Umsatz bloß sieben Prozent der Verkaufserlöse von VW beträgt, kam auf 612 Millionen.

Strategien. Aufregung an den Börsen: Noch am Tag der Bekanntgabe des Deals rasselte der Kurs der Porsche-Aktie zeitweilig um bis zu zwölf Prozent nach unten. Da nutzte es auch wenig, dass alle Beteiligten die strategischen Vorzüge der Transaktion in höchsten Tönen priesen.

Wahr ist, dass die EU-Kommission das protektionistische VW-Gesetz zu Fall bringen will, das den Konzern bislang von Staats wegen vor feindlichen Übernahmen bewahren sollte (siehe Kasten „Hindernisparcours VW-Gesetz“).

Wahr ist auch, dass Volkswagen für Porsche unter anderem die Karosserie des Geländewagens Cayenne fertigt und auch die Sportlimousine Panamera gemeinsam mit den Stuttgartern entwickelt. Der Einstieg eines fremden Investors hätte diese langfristige Kooperation gefährden können.

Wahr ist aber schließlich auch, dass sich die österreichische Industriellenfamilie Porsche-Piëch, in deren Einflussbereich Porsche steht, damit holt, was dem Selbstverständnis nach eigentlich schon immer zu ihr gehört hat.

Volkswagen, das war ursprünglich der VW-Käfer. Und der VW-Käfer war die Schöpfung von Ferry Porsches Vater Ferdinand (siehe Kasten „Der Diktator und sein Konstrukteur“). Jahrzehntelang kassierte die Dynastie nach dem Zweiten Weltkrieg für jeden verkauften Käfer fünf Mark an Lizenzgebühren. Machte bei mehr als 21 Millionen Stück, die bis zum Jahr 2003 vom Band liefen, über die Jahre immerhin umgerechnet 50 Millionen Euro. Gleichzeitig fungieren die Porsches heute in mehreren EU-Staaten, darunter Österreich, Frankreich, die Niederlande, Tschechien und Ungarn, als VW-Generalimporteur. Und schließlich schaffte es ein Spross der Familie bis an die Spitze des Volkswagen-Konzerns: Ferdinand Piëch, von 1993 bis 2003 Vorstandsvorsitzender und seitdem Aufsichtsratspräsident.

Allerdings: Sowohl Piëch als auch zuvor schon Großvater Ferdinand Porsche waren bei VW immer nur – wenngleich wohlbestallte – Angestellte.

Nennenswerte Anteile an der Volkswagen AG haben die Porsches nie gehalten.
Das ändert sich jetzt. Und damit gerät auch die um Diskretion bemühte Doppeldynastie Porsche-Piëch mit einem Mal ins Scheinwerferlicht: die Salzburger Piëchs, die von Ferdinand Porsches Tochter Louise abstammen, und die heute in Süddeutschland ansässigen Porsches, deren Oberhaupt Sohn Ferry war.

Familiengesetze. Als der alte Ferdinand 1951 starb, verfügten die Porsches über zwei Standbeine. Ferry führte in Stuttgart die Sportwagenschmiede, Louise mithilfe ihres Gatten Anton Piëch in Österreich ein Autohandelshaus. Das Vermögen wurde nach dem Tod des Vaters nicht aufgeteilt, was dazu führte, dass beide Unternehmen bis heute engstens verwoben sind. Die acht Enkel – vier Porsches, vier Piëchs – bestimmen sowohl über die Stuttgarter Porsche AG als auch über die Salzburger Porsche Holding GmbH.

Die Holding ist mit einem Jahresumsatz von zuletzt 6,3 Milliarden Euro eines der größten Autohandelshäuser Europas, die Porsche AG (Umsatz: 6,4 Milliarden Euro) einer der profitabelsten Automobilhersteller der Welt.

Dennoch funktionieren beide Unternehmen auch 2005 nach traditionell gewachsenen, fast verschroben wirkenden Familiengesetzen.

* Regel 1: Mit der Öffentlichkeit wird nur so viel gesprochen wie unbedingt notwendig. Also im Grunde gar nicht.

* Regel 2: Bei Porsche gibt es vorderhand keine Mehrheiten. Beide Clans kontrollieren beide Unternehmen zu jeweils 50 Prozent. Im so genannten Familienausschuss, dem höchsten Gremium, haben die acht Erben der dritten Familiengeneration, allesamt Cousins und Cousinen, je eine Stimme. Parität auch im Aufsichtsrat der Porsche AG: Dort sitzen Ferdinand und Bruder Hans Michel Piëch auf der einen Seite, Wolfgang Porsche und dessen Neffe Ferdinand Oliver auf der anderen.

* Regel 3: Alles bleibt in der Familie: Unternehmensanteile können nur innerhalb des jeweiligen Clans übertragen werden. Der letzte Versuch eines Familienmitglieds, seine Aktien an Dritte abzugeben, endete in einem mittelgroßen Skandal. 1983 hatte sich Louise Piëchs erster Sohn Ernst mit Immobilien am Neusiedler See verspekuliert und seine Aktien klammheimlich an einen Scheich verramscht. Die Dynastie startete eine kostspielige Rückholaktion. Um wieder an die Aktien heranzukommen, musste die Porsche AG mit stimmrechtslosen Anteilen an die Börse gebracht werden. Ernst fiel in Ungnade.

* Regel 4: Kein Porsche oder Piëch darf in den Unternehmen operativ mitreden. Sowohl der deutsche Automobilhersteller als auch das österreichische Handelshaus werden seit Jahrzehnten von Managern ohne Familienanbindung geführt. Anfang der siebziger Jahre war es immer häufiger zu Auseinandersetzungen innerhalb der Familien um die Zukunft der Unternehmensgruppe gekommen. Alt gegen Jung, Porsche gegen Piëch. Was den 1998 verstorbenen Clanvater Ferry Porsche dazu bewog, die Familienmitglieder mit 1. März 1972 aus allen geschäftsführenden Funktionen zu verbannen.

Die Quasi-Entmachtung hatte auch ihre Schattenseiten. Die Familien widmeten sich mit wenigen Ausnahmen fortan ihren privaten Pläsierchen: Man designte Brillen und Haushaltsgeräte, frönte der Landschaftsmalerei, der Viehzucht, dem Rennsport und der Reproduktion. Letzteres mit Erfolg: Der Kreis der Porsche-Piëch-Erben umfasst heute mehr als 60 Personen.

Das Porsche-Management konnte mehr oder weniger schalten, wie es wollte. Und fuhr den Sportwagenhersteller Anfang der neunziger Jahre beinahe an die Wand. Um das stotternde deutsche Unternehmen zu retten, musste die Dynastie insgesamt 70 Millionen Euro aus ihrem Privatvermögen einschießen. Der einzige Vollprofi in der Familie, Ferdinand Piëch, hätte das Steuer zwar vermutlich herumreißen können – war aber verhindert: einerseits durch das strikte Familienreglement und andererseits durch die Tatsache, dass er am Höhepunkt der Porsche-Krise als Chef der VW-Tochter Audi ohnehin alle Hände voll zu tun hatte.

Das Salzburger Autohaus hat die damaligen Turbulenzen weit gehend unbeschadet überstanden. Wohl nicht zuletzt deshalb, weil es auf den Handel mit VW-Marken spezialisiert war und ist. Ferdinand Piëch musste sich in diesem Zusammenhang nicht nur einmal vorwerfen lassen, er habe im Tagesgeschäft – erst als Audi- und später als VW-Boss – ausgerechnet jenen Händler bevorzugt, an dem er und seine Familie privat beteiligt sind. Der gebürtige Wiener hat das stets nonchalant zurückgewiesen.

Aus der Krise. Die Wende bei Porsche in Stuttgart brachte erst das Engagement von Wendelin Wiedeking. Der bullige Westfale schaffte es seit 1995, die Produktion zu vervierfachen und Porsche in die schwarzen Zahlen zurückzupilotieren. Sowohl das Porsche-Modell Boxster als auch der 2002 eingeführte Cayenne gehen auf sein Konto. Im abgelaufenen Wirtschaftsjahr 2003/2004 verkaufte Porsche weltweit insgesamt 76.800 Fahrzeuge – mehr als je zuvor. Davon entfielen mit 52.900 Stück mehr als zwei Drittel auf die beiden Wiedeking’schen Kreationen. Daneben schaffte er das kleine Kunststück, die Clans auf eine Linie einzuschwören und wieder für das Autogeschäft zu begeistern. Oder, wie es das renommierte deutsche „manager magazin“ jüngst formulierte: „Wie kein Stuttgarter Manager vor ihm versteht es Wiedeking, beide Familienstämme hinter sich zu bringen und die Kontakte zu seinem Aufsichtsrat zu monopolisieren.“

Der Lohn für die Mühe: Dem Vernehmen nach kassiert Wiedeking ein Jahressalär von stattlichen 15 Millionen Euro. Er selbst hat das obszöne Ansinnen nach einer Offenlegung seiner Bezüge wiederholt brüsk zurückgewiesen: „Das ist doch reiner Sozialismus.“

Eine Aussage, die man am Familiensitz der Dynastie, dem Schüttgut im salzburgischen Zell am See, wohl durchaus zu goutieren weiß. Die Porsches und Piëchs haben Geld, und sie reden nicht darüber. Der Wert ihrer Beteiligungen an der Porsche AG und dem Handelshaus Porsche Holding wird auf schlanke zehn Milliarden Euro taxiert.

Wenn es dem Geschäft dient, können sie sich aber durchaus auch mit Sozialdemokraten anfreunden. Als Gerhard Schröder noch Ministerpräsident Niedersachsens und VW-Eigentümervertreter war, ließ Ferdinand Piëch ihn und seine damalige Gattin Hillu zum Wiener Opernball einfliegen – in zwei separaten Privatjets. Schröder musste sich darauf prompt als „Genosse der Bosse“ abkanzeln lassen.

Auch die Bestellung eines gewissen Viktor Klima zum VW-Chef in Argentinien geht auf Piëchs Initiative zurück. Da mag eine gewisse Verbundenheit zur SPÖ eine Rolle gespielt haben. Immerhin: Ferdinand Piëch war in der Ära Franz Vranitzky einer der wirtschaftspolitischen Berater des Kanzlers.

Piëch hat die zarten politischen Bande nach links damals nicht im Auftrag seiner Familie geknüpft, sondern in seiner offiziellen Funktion als Vorstandsvorsitzender von Volkswagen.
Aber das macht mittlerweile ja keinen Unterschied mehr.

Von Michael Nikbakhsh und Martin Staudinger