Infektionen: Auf Herz und Viren

Infektionen: Auf Herz und Viren

Die WHO warnt seit Jahren vor einem Supervirus

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Der Wiener Pharmazeut Kurt Vymazal übt sich in blankem Zynismus: „Die Grippe ist für die Kasse die billigste Krankheit, weil so viele daran sterben.“ Zehn Jahre lang hat Vymazal als Sprecher der ARGE Influenza für die Grippeimpfung getrommelt und unermüdlich darauf hingewiesen, dass eine Grippewelle in Österreich jährlich tausende Todesopfer fordert. Durch vermehrte Impfungen ließen sich nicht nur viele Menschenleben retten, sondern auch hunderte Millionen Euro an volkswirtschaftlichen Kosten ersparen, weil es weniger oder kürzere Krankenstände und weniger Folgeerkrankungen gäbe.

Wiederholt hatte sich Vymazal dafür ausgesprochen, dass die Kasse die Kosten der Impfung übernimmt. Das Serum kostet zwischen zehn und 15 Euro – zu teuer für die finanzschwache Kasse. Heute, ein Jahr nachdem die ARGE Influenza ihre Aktivitäten eingestellt hat, sagt Vymazal resigniert: „Wir regen uns furchtbar darüber auf, dass es in Österreich im Straßenverkehr jährlich 900 Tote gibt, aber wenn an der Grippe nachweislich bis zu 6000 Österreicher im Jahr sterben, kräht kein Hahn danach.“

Impfmuffel. Jetzt tritt eine neue Organisation an die Stelle der ARGE Influenza: Die Initiative gegen Grippe, eine Gruppe von Sozialmedizinern, Impfexperten, Politikern und Prominenten, firmiert als Trägerin einer bundesweiten Aufklärungskampagne über die Grippe, vor allem mit dem Ziel, dass weit mehr Österreicher als bisher von der Schutzimpfung Gebrauch machen. Denn diese sind hartnäckige Impfmuffel. Nur knapp zehn Prozent kommen alljährlich zur Influenza-Impfung in die Arztpraxen oder nehmen die zumeist gratis angebotenen Impfaktionen in ihren Betrieben in Anspruch.

Hinter der Aktion stehen der Impfstoffhersteller Chiron, der auch die Millionen für die erstmaligen einschlägigen Fernsehspots lockermacht, sowie die Impfstoffvertreiber Grünenthal und Novartis. Das Marketing besorgt die Wiener Communicative Public Relations GmbH, die strikt darauf achtet, dass die Werbeaussagen allgemein und frei von Produktwerbung gehalten werden. „Ich habe mich gerne für die gute Sache einspannen lassen“, sagt der Wiener Sozialmediziner Michael Kunze, neben ÖVP-Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat oder SPÖ-Pensionistenobmann Karl Blecha einer der Proponenten der Aktion.

In der Tat ist Aufklärung über die manchmal tödlich verlaufende Influenza und über die Möglichkeit der Schutzimpfung zwar wichtig, aber nicht so einfach, wie es scheint. Denn die Grippetoten sind im Gegensatz zu den Verkehrstoten nicht sichtbar, weil „Virusgrippe“ oder „Influenza“ auf keinem Totenschein steht. Stattdessen werden dort als Todesursache Herz-Kreislauf- oder Lungenversagen, Pneumonie (Lungenentzündung), Enzephalitis (Gehirnentzündung) oder eine sonstige, durch die virale Grippe hervorgerufene Folgeerkrankung vermerkt.

Übersterblichkeit. Die Statistik liefert auch keine genauen Zahlen. Laut Vymazals jahrelangen Beobachtungen schwankt die jährliche Todesrate zwischen 1500 und maximal 6000, die es zuletzt 1998 gegeben habe. Doch wie lässt sich die Gripperate überhaupt beziffern, wenn es darüber keine gesicherte Statistik gibt und wenn die Virusgrippe nicht als Todesursache im Totenschein steht? Eigentlich nur indirekt durch die so genannte „Übersterblichkeit“, jene Anzahl von Todesfällen, die in der Grippezeit die langjährige durchschnittliche Todesrate übersteigt.

Wenn es beispielsweise in einem durchschnittlichen Monat in Österreich pro Woche 1500 Todesfälle gibt und die Anzahl Ende Jänner, am Höhepunkt der Grippewelle, auf 3000 pro Woche ansteigt, dann schreiben die Experten diese „Übersterblichkeit“ von 1500 der Grippe zu. Betroffen sind zumeist ältere Personen, die bereits an einer bestimmten Grundkrankheit laborieren oder deren Immunsystem geschwächt ist. Nur in Einzelfällen sind unter den Grippetoten auch Kinder.

Laut Initiative gegen Grippe erkrankten in der Saison 2003/04 in Österreich etwa 380.000 Personen an der Virusgrippe. Die Krankheit ist hoch ansteckend und auch für junge Menschen nicht ungefährlich. Das Virus ist äußerst aggressiv, es wird durch Tröpfcheninfektion, also durch Husten, Niesen, Gähnen, ja sogar durch Lachen, über die Atemluft oder auch über einen Händedruck übertragen. Es dringt über die Schleimhäute und die Atemwege in die Blutbahn ein und befällt mit seinen an die Oberfläche der menschlichen Zellen angepassten, stachelförmigen Oberflächenproteinen die Körperzellen. Diese bilden als Wirtszellen den Ort, an dem sich die Viren massenhaft vermehren – „replizieren“ – können. Im Zuge dieses auch „Virämie“ genannten Vorgangs wird der gesamte Blutkreislauf und mit ihm der ganze Körper mit Viren überschwemmt.

Je nachdem, wie stark sich das Immunsystem gegen die Eindringlinge wehrt, dauert die Inkubationszeit von wenigen Stunden bis zu zwei, drei Tagen. Wenn die eigene Immunabwehr geschwächt ist, kann es passieren, dass man am Vormittag in der U-Bahn oder an sonstigen, stark frequentierten Plätzen die Viren einatmet und am Nachmittag mit Fieber im Bett liegt. Sobald jemand Virenträger ist, kann er andere Personen anstecken und zwar so lange, bis sich das Fieber legt und die Virämie vorbei ist, also die Viren von der körpereigenen Immunabwehr niedergerungen und damit aus dem Körper verschwunden sind.

Dass die Virusgrippe noch immer unterschätzt wird, liegt auch am allgemeinen Sprachgebrauch, der auch mindere Erkältungskrankheiten wie den grippalen Infekt als „Grippe“ bezeichnet. Doch im Vergleich zur viralen Grippe ist der grippale Infekt eine harmlose Erkrankung. Die Ansteckung erfolgt durch eine Reihe alltäglicher Viren wie Rhinoviren oder Adenoviren, sie kündigt sich zumeist durch Halsschmerzen an, gefolgt von Husten und Schnupfen und möglicherweise erhöhte Temperatur. Aber diese Symptome klingen in den meisten Fällen schon nach wenigen Tagen wieder ab.

Eine Virusgrippe hingegen ist eine durch einen einzelnen Virentyp hervorgerufene schwere Erkrankung, die mitunter mehrere Wochen andauert. Sie ist immer durch hohes Fieber, Frösteln, Gliederschmerzen und völlige Kraftlosigkeit gekennzeichnet. Die Körpertemperatur kann mitunter auf über 40 Grad ansteigen. Die möglichen Folgeschäden sind viel zu wenig bekannt. Kreislaufversagen und Entzündungen von Herz, Rippenfell, Nieren, Stirn- und Nebenhöhlen, Mittelohr und Gehirn können bei älteren und geschwächten Personen zum Tod führen.

Manchmal tragen auch jüngere Menschen bleibende Schäden davon, wie etwa eine Myokarditis, eine Herzmuskelentzündung, die durch eine übergangene oder nicht restlos auskurierte Influenza, also durch zu frühes Aufstehen, entstehen kann. Sie ist im Elektrokardiogramm (EKG), das die Herztätigkeit aufzeichnet, oft nur schwach erkennbar. „Wir haben bei Herztransplantationen einige Patienten, deren Herzmuskelschaden auf eine übergangene Influenza zurückzuführen ist“, berichtet beispielsweise der Grazer Mikrobiologe Egon Marth, Vorstand des Hygiene-Instituts an der Karl-Franzens- Universität.

Kinder impfen. Auch aus diesem Grund gilt die alte Formel, vor allem Menschen in einem Alter ab 60 Jahren sollten sich impfen lassen, längst nicht mehr. „Diese Formel stammt noch aus einer Zeit der Impfstoffknappheit“, erklärt Sozialmediziner Kunze. Heute plädieren Experten unisono dafür, auch Kinder impfen zu lassen, schon deshalb, weil sie die Krankheit häufig im Kindergarten oder in der Schule aufschnappen und dann in die Familie tragen. Die Impfung muss jährlich wiederholt werden, weil der Impfstoff dem jeweils aktuellen Virustyp angepasst werden muss.

Von den drei bekannten Virustypen A, B und C sind nur die Typen A und B klinisch relevant, der harmlosere Influenza-Typ C tritt in unseren Breiten zumeist nur im Sommer auf, nach ein, zwei Tagen Fieber sind die Symptome wieder abgeklungen. Der bei uns am häufigsten vorkommende Typ A trägt je nach Beschaffenheit seiner Oberflächenproteine Unterbezeichnungen wie etwa „H3N2“. Der Buchstabe H steht für Hämagglutinine, der Buchstabe N für Neuraminidase, die als eine Art Schlüsselprotein dafür verantwortlich ist, dass das Virus in die menschliche Körperzelle eindringen kann.

Je nachdem, welcher Typ im Frühjahr in Südostasien und in den Gebieten weiter südlich bis Australien verbreitet ist, wird die jährliche Impfstoffrezeptur entweder beibehalten oder geringfügig verändert. Zu diesem Zweck treffen sich jeweils im März die Experten der Weltgesundheitsorganisation in Genf, um die aktuelle Mixtur festzulegen. Im Allgemeinen deckt die von der WHO festgelegte Impfstoffkomposition die Palette der anrückenden Viren ab, nur im vergangenen Winter war auch ein Fujan-Virus darunter, für das der Impfstoff nicht präpariert war. Daher erkrankten vereinzelt auch geimpfte Personen. Aber in der Regel schützt die Impfung vor der Erkrankung.

Das Ausgangsmaterial zur Herstellung des Serums wird aus embryonierten, von Spezialfirmen hergestellten Hühnereiern gewonnen. Die etwa fünf Tage alten Embryos werden mit dem jeweiligen Stamm des Influenzavirus infiziert, worauf diese große Virenmengen produzieren. Weil dieses Verfahren aufwändig und von der Verfügbarkeit großer Mengen embryonierter Hühnereier abhängig ist, hat das Wiener Impfstoffunternehmen Baxter dazu eine Alternative auf Basis von Zellkulturen entwickelt, die im Fall einer Grippepandemie den enormen Vorteil hätte, dass sich sehr rasch ein geeigneter Impfstoff herstellen ließe. Die Weltgesundheitsorganisation WHO warnt seit Jahren vor der möglichen Entstehung eines Supervirus, denn nach bisheriger Statistik tritt so ein Pandemie-Virus etwa alle 25 Jahre auf und wäre längst überfällig. Seit dem heurigen Sommer hat die WHO-Warnung neues Gewicht, nachdem in chinesischen Hausschweinen das Vogelgrippevirus entdeckt wurde. Da das Schwein auch Träger humaner Grippeviren ist, könnte es zum Mischgefäß für das Supervirus werden.

Erst seit relativ kurzer Zeit sind auch so genannte Neuraminidasehemmer wie etwa das Medikament Tamiflu zur Grippebehandlung auf dem Markt. Sie verhindern gewissermaßen, dass der Schlüssel auf der Oberfläche des Grippevirus ins Schloss der Körperzelle passt. Vor allem bei Anwendung in der Frühphase der Erkrankung können diese Medikamente den Krankheitsverlauf abkürzen, die Symptome mildern und vor allem Todesfälle verhindern.