Ramsch-Statusmeldungen

Eurokrise. Ratingagenturen und Finazmärkte treiben die immer ohnmächtigere Politik vor sich her

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Prozentpunkte und Fieberkurven sind das Erste, was der Bundeskanzler morgens zu sehen bekommt. Ganz oben auf dem Schreibtisch von Werner Faymann landen täglich Berichte über die jüngste Entwicklung der so genannten „Spreads“, jener Zinssätze, die Österreich im Vergleich mit anderen Staaten für seine Schulden zu bezahlen hat.

Solche Lektüre war bis vor Kurzem ein Fall für Feinspitze des Finanzsektors. Mittlerweile ist sie in den Zentren der Politik angekommen. Als vor drei Jahren die Pleite der Investmentbank Lehman Brothers die Weltwirtschaft in die Krise riss, wurde quer über den Globus das Comeback des Staates besungen. Statt Aktienkursen und Bankern regierten wieder Kanzler, Minister und Präsidenten. Sie retteten Finanzinstitute, die kleinlaut um Staatshilfe bettelten, sie schnürten Konjunkturpakete und dämmten die Krise ein. Die Politik schien ihr Primat über die Ökonomie wieder­gewonnen zu haben. Aber nur kurz. Denn dem Sekundentriumph folgt nun der Katzenjammer: Ratingagenturen und Finanzmärkte treiben die Politiker vor sich her und zwingen sie zu immer hektischerem Handeln – oder gar zum Abdanken. EU-Gipfel werden nach den Öffnungszeiten der Börsen angesetzt, Schuldenbremsen verkündet, um Ratingagenturen milde zu stimmen. Von Wien bis Brüssel haben die Regierenden das Heft des Handelns aus der Hand gegeben und der Macht von Spreads wenig entgegenzusetzen. Ihnen droht die Abstufung auf Ramsch-Niveau.

Man muss kein „Occupy Wall Street“- Aktivist sein, um die Ohnmacht der Politik bedrohlich zu finden. „Entmachtet den Markt“ forderte kürzlich der Finanzkolumnist der deutschen „Financial Times“, alles andere als das Zentralorgan der Kapitalismuskritik. „Den Regierenden kommt unglaublich viel an Gestaltungsautonomie abhanden. Die nicht demokratisch legitimierten Interessen des Finanz- und Kapitalsektors bestimmen maßgeblich politische Entscheidungen“, seufzt der Politologe Fritz Plasser. Der Altstar der heimischen Politikanalyse ist ein nüchterner Intellektueller und seit Jahrzehnten darin geübt, die Muster politischer Entscheidungen zu sezieren. Nur: Die Modelle der politischen Kompromisssuche versagen in der Eurokrise, sagt Plasser: „Wir haben es mit Akteuren zu tun, die nicht mehr greifbar sind. Mit anonymen Finanzmärkten kann kein Politiker in Verhandlungen treten.“

Mit Ratingagenturen auch nicht. Sie geben als einzig halbwegs greifbare Instanz ein praktisches Feindbild ab und haben sich in erstaunlichem Tempo von ihrer Niederlage während der Finanzkrise erholt. Damals war ihr Ruf mehr als ramponiert, weil sie die Hypothekarkredite völlig falsch eingeschätzt und Lehman Brothers bis kurz vor dem Zusammenbruch Bestnoten ausgestellt hatten. Nun spielen sie wieder Staatenversenken.
Vor ihrem Urteil zittern alle Kanzler, schließlich geht es um die Kreditwürdigkeit eines Landes. Dabei ist ihr Gewerbe nahe der Wahrsagerei angesiedelt. Das gibt selbst der Wiener Günther Stur, einst ein Chefanalyst bei Moody’s, zu: „Das Rating eines Landes ist letztlich nur eine Meinungsäußerung“.

Dennoch fiebern alle vor der Notenvergabe, zuletzt auch Österreich – als Moody’s zur Prüfung anrückte, die Koalition hektisch eine Schuldenbremse verkündete und sich widerspruchslos Spartipps geben ließ (siehe „Tagebuch der Krise“). Nun wartet die Regierung bang, ob Moody’s Österreich das Triple-A entzieht. Die Bewertung durch die Agenturen lässt sich die Republik übrigens rund 600.000 Euro pro Jahr kosten.

„Die Macht der Ratingagenturen ist sehr groß geworden. Die Politik hat ein Vakuum aufgemacht, in das die Agenturen stoßen“, sagt Peter Mooslechner, Chefökonom der Oesterreichischen Nationalbank. Er erwartet sich wenig von dem Versuch, die Dominanz der großen drei – Moody’s, Standard & Poor’s und Fitch – durch eine eigene europäische Ratingagentur zu schwächen: „Das würde rund 400 Millionen Euro kosten. Außerdem müsste sich eine derartige Agentur erst am Markt beweisen. Das dauert Jahre und hilft bei der unmittelbaren Bewältigung der Eurokrise gar nichts.“

Von Finanzministerin Maria Fekter bis zu Deutschlands Altkanzler Helmut Schmidt rufen Politiker dazu auf, die Macht der Ratingagenturen einzubremsen. Zu mehr als Appellen konnten sich die Amtsträger bisher nicht aufraffen. Die oft angekündigte Zähmung der Schiedsrichter über die Bonität eines Landes lässt auf sich warten. EU-Kommissar Michel Barnier legte vergangene Woche zwar Vorschläge wie jenen vor, dass die Agenturen bei schweren Fehlern für die Schäden von Investoren haften müssen. Darüber wird nun in Ruhe in 27 Mitgliedsstaaten und im EU-Parlament diskutiert – und das kann dauern.

Einstweilen zementieren Europas Politiker den Einfluss der Ratingagenturen ein, den sie gerne beklagen. Selbst die Europäische Zentralbank verlangt von Banken im Gegenzug für Kredite Sicherheiten mit dem Gütesiegel zumindest einer Ratingagentur. Und auch für viele Pensionsfonds schreiben Staaten die Bewertung durch eine Ratingagentur vor.

Es mag für Kanzler und Minister manchmal eine hochwillkommene Ausrede sein, sich bei unangenehmen Sparpaketen auf den Druck der Ratingagenturen berufen zu können. Diese sind zwar nicht verantwortlich dafür, dass seit Jahrzehnten die Schuldengrenzen das Papier nicht wert sind, auf dem sie festgeschrieben wurden. Doch ein Außenfeind schadet selten, vor allem dann nicht, wenn Politiker hilflos zusehen, wie ein Staat nach dem anderen immer tiefer in den Strudel der Finanzkrise gerät.
Vergangenen Donnerstag erwischte es Ungarn und Portugal: Die Ratingagenturen Moody’s und Fitch senkten die Kreditwürdigkeit der beiden Länder dramatisch auf Ramsch-Niveau. Derartiges Downgrading kann schwerwiegende Konsequenzen für die Regierenden haben: Die Eurokrise fegte, von Irland über Slowenien, Griechenland und Italien bis Spanien, schon mehrere Regierungen aus dem Amt.

Die Abstufung wirkt teils wie eine Selffulfilling Prophecy: Es ist mittlerweile unbestritten, dass das Wechselspiel aus Abwertung, höheren Zinsen für Schulden und strengen Sparpaketen klamme Staaten immer tiefer in die Malaise bringt. Doch außer immer noch größere Rettungspakete zu schnüren, die kaum noch Wirkung zeitigen, fällt den europäischen Politikern kein Rezept ein.

Ferdinand Lacina hat 16 Jahre nach seinem Rücktritt als Finanzminister die nötige Abgeklärtheit, um die Macht der Märkte und Agenturen „eher für Symptome als das Problem“ zu halten: „Die Politik muss den Finanzmärkten endlich etwas entgegensetzen. Sie ist an ihrem Bedeutungsverlust auch selbst schuld. Es ist hoch an der Zeit, Standpunkte zu beziehen.“ Lacina teilt die Besorgnis vieler Ökonomen, dass Europa im Begriff ist, sich in eine Rezession hineinzusparen, weil von Helsinki bis Madrid die Ausgaben radikal gekappt werden. Ihn ärgert, dass Politiker die Paradigmen der Finanzmärkte übernehmen: „Das einzige politisch relevante Thema scheint die Schuldenentwicklung zu sein. Wann spricht endlich jemand über Arbeitslosigkeit?“

In 18 von 27 EU-Staaten liegt die Jugendarbeitslosigkeit über 25 Prozent, in Griechenland und Spanien ist überhaupt bald jeder zweite Jugendliche ohne Job und Perspektive. Das spielt in der Debatte aber kaum eine Rolle.
„Embedded Capitalism“ nennt der deutsche Denker Jürgen Habermas das Abtreten der Diskurshegemonie an Finanzinter­essen. Seinen Zorn darüber hat der 82-Jährige, eigentlich ein Vertreter der raren Spezies der unerschütterlichen Optimisten, in dem Buch „Zur Verfassung Europas“ niedergeschrieben. Seit Wochen wettert Habermas gegen die „von den Märkten kujonierte politische Klasse, die an den Drähten des verwilderten Finanzkapitalismus zappelt“, und plädiert quer durch das deutsche Feuilleton wortgewaltig für die „Rettung der Würde der Demokratie“.
Noch vor einem Jahrhundert hatte der deutsche Soziologe Max Weber einen starken Kapitalmarkt als das Instrument zur Sicherung des „Primats der Politik über die Ökonomie“ betrachtet. Mittlerweile sehen Wirtschaftswissenschafter wie Markus Marterbauer es umgekehrt: „Die Finanzmärkte sind uns völlig über den Kopf gewachsen. Die Staaten haben gerade die Märkte gerettet, jetzt lassen sie sich von ihnen auf der Nase herumtanzen. Das Finanzsystem muss kleiner werden.“

Die oft dämonisch als „die Märkte“ beschriebenen Finanzakteure sind schwer zu fassen: Sie bestehen aus Mini-Spielern wie kleinen Aktien- und Pensionsfondsbesitzern und Schwergewichten wie Großbanken. Die Lust zum Spekulieren ist jedenfalls ungleich verteilt: In Österreich halten im obersten Zehntel der Haushalte 82 Prozent risikoreiche Anleihen – quer durch alle Einkommensschichten sind es nur 16 Prozent. Auch der Staat fördert Zocken, etwa durch die kräftige Subventionierung der privaten Pensionsvorsorge.

Vorschläge, die Macht der Finanzakteure zu beschneiden, gibt es viele, sie reichen von der Finanztransaktionssteuer über schärfere Regeln für Finanzgeschäfte, wie sie bis in die neunziger Jahre üblich waren, bis zur Trennung von Kredit­instituten in solide Geschäftsbanken, die im Ernstfall vom Staat geschützt werden, und Investmentbanken, die riskante Geschäfte eingehen – aber nicht auf Hilfe der Steuerzahler rechnen können. Der Ökonom Stefan Schulmeister wirbt für einen europäischen Währungsfonds, der Staaten bei der Kreditaufnahme unabhängig von den Märkten macht.

Umgesetzt werden diese Ideen zögerlich bis gar nicht, wie sich am Beispiel der Diskussion um die „Eurobonds“, die gemeinsamen Anleihen aller Eurostaaten, gut studieren lässt. Seit Monaten werden Eurobonds als Heilmittel debattiert – und seit Monaten blockiert Deutschland, Kanzlerin Angela Merkel ­zuletzt vergangenen Donnerstag.

Sie tat das bei einem Mittagessen mit Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy in Straßburg, bei dem ausnahmsweise auch Italiens Mario Monti dabei sein durfte. Im Normalfall kungeln „Merkozy“ zu zweit. Der Rest der 25 Staatschefs der EU darf dann nur mehr abnicken, was die beiden vereinbaren. „Es geht nicht, dass die beiden ganz Europa sagen, wo es langgeht“, kam kürzlich sogar der überaus ruhige Vizekanzler Michael Spindelegger für seine Verhältnisse nahe an einen Wutausbruch heran. Selbst Sarkozy tönte nach dem jüngsten EU-Gipfel in einem seiner raren Momente der Selbstkritik: „Wir müssen Verantwortung tragen für Länder, für die wir nicht gewählt worden sind.“

Angesichts dieses Demokratiedefizits ist es kein Wunder, dass Philosoph Habermas die „Entmündigung der europäischen Bürger“ kritisiert. Als der mittlerweile aus dem Amt gejagte griechische Präsident Giorgos Andrea Papandreou es kurz wagte, mit einer Beteiligung des Volks zu liebäugeln, sackten die Aktienkurse ab. Auf Druck von „Merkozy“ wurde die Volksabstimmung prompt ad acta gelegt. „Sieht man denn nicht, dass wir Ratingagenturen, Analysten oder irgendwelchen Bankenverbänden die Bewertung demokratischer Prozesse überlassen? Im Machtkampf zwischen dem Primat des Ökonomischen und des Politischen verlor das Politische massiv an Bedeutung“, beklagte darauf Frank Schirrmacher, Mitherausgeber der konservativen deutschen „FAZ“, empört den Kurssturz des Republikanischen.

Im Grunde erlebt die Politik nun ein Phänomen, das die Ökonomie schon lange kennt: Globalisierung. Einzelne Staaten und Kanzler werden machtloser. Selbst wenn Faymann und Spindelegger das unerwartete Kunststück eines brillanten Sparpakets gelingen sollte, wird über Österreichs Zukunft auch in Budapest und Rom entschieden.
„Das Spiel zwischen Ökonomie und Politik hat unfaire Dimensionen angenommen“, analysiert der Politologe Anton ­Pelinka. Und: „Eingesperrt in nationale Grenzen, wird Politik immer aktions- und handlungsunfähiger und zum Objekt von ökonomischen Mechanismen.“ Pelinkas Rezept dagegen lautet: mehr gemeinsame europäische Wirtschaftspolitik. Aber das will, nicht nur in Österreich, derzeit niemand. Kein Wunder: Es wäre ein offenes Eingeständnis, allein ohnmächtig zu sein.
Und das gibt niemand gern zu.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin