„New York ist kein guter Ort, um nüchtern zu sein”

Moby: „New York ist kein guter Ort, um nüchtern zu sein”

Interview. US-Musiker Moby über Alkohol, Autonomie und David Lynch

Drucken

Schriftgröße

Interview: Philip Dulle

profil online: Auf „Innocents“, Ihrem aktuellen Album, arbeiten Sie mit sehr unterschiedlichen Künstlern zusammen: von den kanadischem Songwritern Cold Specks bis zur Grunge-Ikone Mark Lanegan. Wie entstanden diese Kollaborationen?
Moby: Ich liebe es zwar, alleine an meinen Songs zu arbeiten, aber ich lasse gern auch die Ideen anderer Künstler einfließen. Solo arbeite ich seit gut 25 Jahren, da kann es recht einsam werden.

profil online: Lanegan ist für seine schwierige, unkontrollierbare Art bekannt. Hatten Sie keine Angst?
Moby: Ich spielte Anfang der 1980er-Jahre in einer Hardcore-Punkband namens Vatican Commandos. Das Metier ist mir nicht fremd. Als ich Lanegan fragte, ob er einen Song mit mir einspielen möchte, hatte ich wirklich Angst, er würde mir ins Gesicht schlagen – oder noch schlimmer: mich einfach ignorieren.

profil online: Und was ist passiert?
Moby: Es stellte sich heraus, dass dieser latent grimmige Musiker eigentlich sehr schüchtern und freundlich ist – und sich gefreut hat, mit mir zu arbeiten.

profil online: Ihr Album klingt entspannter, weniger gezwungen als frühere Werke.
Moby: Ich bin älter geworden, das lässt alles ein wenig entspannter erscheinen. Aber auch das Musikbusiness hat sich im letzten Jahrzehnt verändert. „Innocents“ ist mein elftes oder zwölftes Album, ich weiß das gar nicht genau. Auch mein Umzug in das allzeit warme Los Angeles hat die Musik, die ich mache, verändert. Das Leben ist einfach zu kurz, um es an den Winter zu verschwenden. Aber in Österreich wissen Sie ja, was ich meine.

profil online: Eigentlich wirken Sie wie der Prototyp eines New Yorkers. Sie in Los Angeles? Schwer vorstellbar.
Moby: Mag sein. Und ich gebe Ihnen Recht, Los Angeles ist ein komischer Ort, an vielen Stellen sehr heruntergekommen. Trotz allem fühlt sich gesunder an, hier zu leben.

profil online: Sie genießen die scheinbar unendliche Weiten von Los Angeles?
Moby: L.A.-County ist so groß wie Belgien und bietet einfach Platz, alles zu tun, was man will. Außerdem ist es eine junge Stadt, die noch immer nicht fertig gebaut ist. Wenn ich in Rom, Paris oder Istanbul bin, bewundere ich zwar Geschichte und Architektur, aber es fühlt sich an, als wären das nicht meine Städte, es sind Orte aus einer anderen Zeit. Los Angeles erscheint, als wäre es von uns selbst gebaut worden.

profil online: War es nicht schwer für Sie, New York zu verlassen?
Moby: Ich wurde in Harlem geboren und hatte damit gerechnet, mein ganzes Leben in New York City zu verbringen. Vor ein paar Jahren habe ich aber aufgehört, Alkohol zu trinken. Es ging nicht mehr so weiter. New York ist der beste Platz der Welt, um Alkoholiker zu sein. Überall sind Bars, Kneipen, Konzerte. Um nüchtern zu sein, ist es der falsche Ort.

profil online: Die Musikszene an der Ostküste hat sich letzthin stark verändert. Gitarrenbands aus Brooklyn regieren die Hipster-Charts der Welt. Haben Sie sich in dieser Welt noch wohl gefühlt?
Moby: Um ehrlich zu sein, ich war gelangweilt von der Musikszene. Als ich aufwuchs, war New York voller Künstler, Musiker und Schriftsteller. Aber dann musste ein großer Teil der Szene den enormen Lebenskosten weichen. Viele gingen nach Berlin, Argentinien, Los Angeles. New York ist immer noch eine großartige Stadt, aber heute lebt die Kunst eben auch anderswo.

profil online: Von der Musikszene in Brooklyn halten Sie wenig?
Moby: Gute Bands und Musiker kommen aus Brooklyn. Ich habe selbst mit Yeasayer gearbeitet. Aber Brooklyn ist in den letzten Jahren unerschwinglich geworden. Ein großer Teil der jungen Künstler und Musiker kann nur dort leben, weil die Eltern noch immer die Miete zahlen. Das führt zu der skurrilen Situation, dass dort viele Menschen, die sich als Künstler bezeichnen, noch nie selbst gearbeitet haben und sich eigentlich nur betrinken wollen.

profil online: Finden Sie das verwerflich?
Moby: Nein, eine schlechte Art zu leben ist das nicht. Aber die Kunst wird dadurch nicht besser.

profil online:
„Innocents“ ist das dritte Album, das Sie auf Little Idiot, Ihrem eigenen Label veröffentlichen. Ist Ihnen kreative Freiheit wichtiger als finanzielle Sicherheit?
Moby: Mit meinem eigenen Label kann ich veröffentlichen, was auch immer mir in den Sinn kommt. Vor gut vier Jahren erschien der Song „Shot in the Back of the Head“: eine Single, ohne Gesang, nicht mal besonders gut und mit einem verwirrenden Musikvideo von David Lynch. Stellen Sie sich das mal auf einem großen Label vor! Unmöglich.

profil online: Wie kann man heute noch von der Musik leben?
Moby: Ich führe ein einfaches Leben – und bin in der glücklichen Position, Musik machen zu können, weil ich es will. Ich muss meine Songs nicht an große Auto-Unternehmen verkaufen oder ewig auf Tournee gehen. Aber ich denke, dass die große Musikkrise vorbei ist. Man kann noch immer CDs verkaufen, es gibt mp3s und Streaming-Dienste wie Spotify.

profil online: An Tonträger glauben Sie aber nicht mehr so recht?
Moby: Es ist romantisch zu glauben, dass Menschen ein Album von Anfang bis Ende hören. 99 Prozent haben nur einen Song davon in ihrer iPod-Playlist, vielleicht stoßen sie auch nur auf YouTube auf ihn. Aber das ist okay für mich. Ich habe ohnehin nie damit gerechnet, so eine Karriere zu haben. Es gibt so viele gute Künstler auf dieser Welt, so viele Songs.

profil online: Als Jugendlicher waren Sie Atheist, später Agnostiker, dann Christ. Hat der Titel Ihres Albums – „Die Unschuldigen“ – mit Religion zu tun?
Moby: Als ich auf der Universität war, verbrachte ich viel Zeit in Philosophiekursen. In den letzten Jahren habe ich mich wieder damit auseinandergesetzt – vor allem mit der Philosophie von René Descartes. Er konnte das Universum rund um ihn nicht fassen. Er wusste nur, dass er da ist, weil er die Fähigkeit zu reflektieren besitzt. Als Mensch ist man nur einen kurzen Augenblick lang auf dieser Welt, wir werden alt, krank und können auch nicht fassen, dass wir nicht ewig leben. Das stiftet Verwirrung. Aber die Menschen bleiben ein Leben lang unschuldig. Auch wenn sie furchtbare Sachen tun, steckt in ihnen noch immer diese Unschuld, nur weil wir Menschen sind. Daher rührt der Titel meines Albums.

profil online: Sind Sie noch religiös?
Moby: Ich bin vieles zugleich: Christ, Buddhist, Agnostiker und Punkrock-Fan.

profil online: Ihr Freund David Lynch hat kürzlich sein zweites Album veröffentlicht. Es klingt wie der perfekte Soundtrack für Ihre gemeinsame Stadt. Fahren Sie nachts gelegentlich zusammen durch Los Angeles und spielen sich Ihre jeweils neuen Songs vor?
Moby: David verlässt sein Haus in Los Angeles kaum. Wenn man mit ihm herumhängen will, muss man zu ihm gehen. Aber er schmeißt gelegentlich kleine Hauspartys.

profil online: Sie sind Veganer, haben ein Buch zu diesem Thema veröffentlicht. Hat sich Ihr Leben ohne Fleisch verändert?
Moby: Ich verzichte bereits seit 25 Jahren auf tierische Produkte. In den USA aufzuwachsen bedeutet, dass man sich praktisch nur von McDonald’s und anderem Junkfood ernährt. Schon als Teenager hat mir diese Ernährung nicht gut getan. Ich war leicht übergewichtig, auch depressiv.

profil online:
Aber Sie sind kein Veggie-Missionar?
Moby: Viele meiner Freunde essen Fleisch und ich verurteile Sie nicht. Aber ich mag Tiere, außerdem tut es meiner Gesundheit, der Umwelt und dem Klima gut.

profil online: Lebt es sich in den USA als Veganer heute einfacher als noch vor 25 Jahren?
Moby: In den späten 1980er-Jahren gab es in New York eine furchtbare Crack-Epidemie. Jeder rauchte das Zeug. Die Menschen waren krank und ausgezehrt – sie sahen aus, als würden sie jeden Moment sterben. Erst als man sehen konnte, wie schlecht es den Menschen ging, war die Crack-Epidemie einzudämmen. Mit Junkfood ist das ähnlich.