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Innovationsprozesse: Der Zwang zur Idee

Der Zwang zur Idee

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Anfang der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts sah sich Josef Fischer mit einer ökonomischen Bredouille konfrontiert. Bis dahin hatte der Wagnermeister aus dem oberösterreichischen Städtchen Ried mit der Produktion von Holzwagen sein einigermaßen gedeihliches Auskommen gefunden. Doch allmählich nahm der Absatz ab, und Fischer musste nach Alternativen Ausschau halten.

Irgendwann stieß er auf eine Produktnovität aus Skandinavien: den Ski. 1924 gründete Fischer ein Unternehmen, und ab 1925 begann er sich neben der Fertigung von Leiterwagen und Rodeln auch auf die Herstellung von Holzskiern zu spezialisieren – immerhin kannte er sich mit dem Material bestens aus.

Im Verlauf der 79-jährigen Unternehmensgeschichte stand die Fischer GmbH, die heute mit mehr als 620 Mitarbeitern einen Jahresumsatz von 120 Millionen Euro erwirtschaftet, immer wieder vor der Situation, aus ökonomischen Gründen gewissermaßen zur Innovation gezwungen zu sein. Neben den jährlich produzierten 1,3 Millionen Paar Alpin- und Langlaufskiern und der Fertigung von Bindungen, Schuhen und Tennisschlägern ist das Unternehmen, teils mit spezialisierten Tochtergesellschaften, heute auch in der Herstellung von Komponenten für die Flugzeug- und Automobilindustrie aktiv. „Wir sind getrieben zu innovieren“, sagt Gregor Dietachmayr, der heutige Geschäftsführer, „das ist Teil unseres Geschäfts.“ Diese Philosophie wird auch auf der Homepage hervorgestrichen: „Enjoy innovation“, lautet der Slogan.

Problemlösung. „Innovation ist die Lösung bestehender Probleme“, verweist der Innovationsexperte Hannes Leo vom Wiener Wirtschaftsforschungsinstitut auf eines der Schlagworte in diesem Zusammenhang. Nikolaus Franke, Professor für Entrepreneurship und Innovation an der Wirtschaftsuniversität Wien, verweist auf ein anderes: „Ohne Innovationen kann heute kein Großunternehmen mehr bestehen.“ Immer wieder stehen Unternehmen vor ähnlichen Herausforderungen: Die Nachfrage nach einem bestimmten Produkt stagniert, ineffiziente oder veraltete Produktionsmethoden hemmen die Wettbewerbsfähigkeit, ganze Branchen werden durch modernere Technologien verdrängt.

Mitunter ist es auch eine Art höhere Gewalt, die zur unternehmerischen Neuorientierung zwingt. So war die 1988 in Graz gegründete Hämosan Life Science Services GmbH ursprünglich auf die Herstellung von Produkten aus Rinderblut spezialisiert – bis die BSE-Krise den Markt zerstörte. Das heute in Wien ansässige Unternehmen schaffte es jedoch, aus der Not gewissermaßen eine Tugend zu machen: Hämosan verlegte sich auf die Entwicklung von BSE-Tests, gilt heute als Pionier im Bereich der Inaktivierung von Prionen, den Erregern des Rinderwahnsinns, und bietet fachliche Beratung in diesem Spezialsegment an.

„Innovation ist kein Luxus, auf den Betriebe verzichten können, wenn der Gürtel enger geschnallt werden muss“, konstatiert Forscher Franke. „Innovationen sind Investitionen in die Zukunft.“

In diesem Sinne hat die Fischer GmbH immer wieder in die Zukunft investiert. 1934 entstand die erste Ski-Serienproduktion mit selbst entwickelten Maschinen. „Damals startete eine Entwicklung, die auch heute noch nicht abgeschlossen ist“, sagt Fischer-Geschäftsführer Dietachmayr. „Es geht stets darum, Prozesse zu verbessern, den Automatisationsgrad zu erhöhen und die Effizienz zu steigern.“ Mitte der sechziger Jahre wurden in so genannter Sandwich-Bauweise traditionelle Materialien mit Glasfasern kombiniert, Anfang der achtziger Jahre Leichtbaukerne aus Kunststoff kreiert.

Ende der achtziger Jahre, als der Skiabsatz erstmals empfindlichen Einbrüchen unterworfen war, geriet – so wie der Rest der Branche – auch Fischer gehörig unter Druck. Im Rahmen eines von der Hausbank Creditanstalt verordneten harten Sanierungsprogramms erwies es sich für Fischer als Vorteil, schon zuvor ein weiteres unternehmerisches Standbein geschaffen zu haben – die Herstellung von Komponenten für die Flugzeugindustrie. Weil der damalige Entwicklungsleiter ein Faible für die Fliegerei hatte, hatte er sich mit seinem Team mit der Frage zu befassen begonnen, wie jene Technologien, die bei den Sportgeräten bereits zum Einsatz kamen, auch für Materialinnovationen im Flugzeugbau genutzt werden könnten.

Damals wurden diese Aktivitäten in eine eigene Tochtergesellschaft namens Fischer Advanced Composite Components GmbH (FACC) ausgelagert. Das mittlerweile in eine Aktiengesellschaft umgewandelte Unternehmen befasst sich mit der Entwicklung, Produktion und Wartung von Bauteilen für die Luftfahrt. FACC produziert Flugzeugteile aus Karbon oder Glasfieberbaustoffen, die Gewicht sparen und bessere Materialeigenschaften aufweisen als der vormals übliche Werkstoff Aluminium. Der unternehmerische Schwenk sei dabei zur rechten Zeit erfolgt, wie Dietachmayr meint: „Das hat schließlich ordentlich Geld gekostet.“

Strategische Innovation. Heute befindet sich das Unternehmen erneut in einer Phase zielgerichteter Innovation. Zurzeit konzentriert sich das etwa 60-köpfige Fischer-Entwicklungsteam auf den Know-how-Transfer in Richtung Automobilindustrie. So werden für die Karosserie des neuen Porsche Carrera GT leichte und zugleich äußerst feste Verbundbauteile produziert. „Es ist ein strategischer Prozess im Haus, dass wir das Kerngeschäft erweitern, aber auch Überlegungen anstellen, wie wir das Unternehmen auf neuen Märkten etablieren können“, erklärt Dietachmayr. „Wir innovieren mit Methode.“

Dies gelte nach wie vor auch für das Stammgeschäft. „Durch den intensiven Konzentrationsprozess, der in der Skibranche stattgefunden hat“, so Dietachmayr, „ist der einzige Weg, am Markt zu überleben, sich entweder über den Preis oder durch Innovation von der Konkurrenz zu unterscheiden.“

Praktisch zur Innovation gezwungen sah sich auch die oberösterreichische Fronius International GmbH. Das 1945 in Wels gegründete Unternehmen hatte sich auf den Bereich Schweißtechnik sowie die Reparatur von Batterieladegeräten spezialisiert. In den siebziger Jahren drohte Fronius jedoch zunehmend ins Hintertreffen zu geraten. „Die Wettbewerber waren innovativ und außerdem größer als Fronius“, analysiert ein im Vorjahr erschienenes Fachbuch über österreichische Innovationen1). Es sei deshalb „ein gewisser Druck entstanden, maßgebliche Innovationen voranzutreiben“.

„Das Unternehmen Fronius war eines unter vielen“, erklärt auch Heinz Hackl, der heute die Forschungsabteilung bei Fronius leitet, die damalige Situation. Als Anstoß für die folgenden Innovationsprozesse dienten japanische Transistorradios, die klein und trotzdem leistungsfähig waren. Unternehmer Günter Fronius stellte sich und seinen Mitarbeitern die Aufgabe, eine Schweißmaschine zu entwickeln, die ebenfalls kleiner und gleichzeitig leistungsfähiger sein sollte.

Forschungsarbeit. Daraufhin begannen sich einige Entwickler mit der Inverter-Technologie zu befassen – einem Prinzip der Stromumwandlung mithilfe eines Wechselrichters. Letztlich gelang es den Ingenieuren, ein völlig neuartiges Schweißgerät zu konstruieren – mit geringerem Gewicht, verringerter Größe und reduziertem Energieverbrauch. „Wir haben in relativ kurzer Zeit ein Produkt gehabt, und alle Großen haben nur so geschaut“, berichtet Hackl.

Heute ist Fronius eigenen Angaben zufolge europäischer Marktführer im Bereich der so genannten Lichtbogen-Schweißtechnik. Etwa 40 Prozent des Umsatzes von rund 120 Millionen Euro erzielt das Unternehmen, das 1200 Mitarbeiter beschäftigt, mit Produkten, die jünger als drei Jahre sind, und verfügt über rund 200 Patente. In einer von der Innsbrucker Patentanwaltskanzlei Torggler & Hofinger erstellten Rangliste belegt Fronius in Bezug auf die Patentzahl den vierten Platz in Österreich.

Den einmal beschrittenen Weg, sich mit strategischer Innovation gegen internationale Konkurrenz zu behaupten, versucht Fronius auch weiterhin zu verfolgen: Neben der Produktion volldigitalisierter Schweißbrenner und moderner Batterieladesysteme hat das Unternehmen mittlerweile weitere Geschäftsfelder eröffnet – und ist beispielsweise in den Bereichen Solarelektronik und Plasmatechnik aktiv.

Kontinuierliche Innovationsprozesse, die stets an sich wandelnden Marktbedingungen orientiert waren, hat auch die Wiener Austria Card Plastikkarten und Ausweissysteme GmbH durchlaufen. Vom einstigen Geschäftszweck des als Eberle Druck im achten Wiener Gemeindebezirk gegründeten Unternehmens ist bei der heutigen Tochtergesellschaft der Oesterreichischen Nationalbank nicht mehr viel übrig geblieben.

Die Druckerei war ursprünglich auf die Produktion von Eurocheques und das Bedrucken zugekaufter Eurocheque-Plastikkarten spezialisiert – ein Segment freilich, das sich durch technologische Entwicklungen im bargeldlosen Zahlungsverkehr als zusehends unbedeutender erweisen sollte. „Obwohl wir 1984 begonnen haben, Plastikkarten mit einer ersten Eigenentwicklung selbst zu produzieren“, sagt Friedrich Tupy, Geschäftsführer von Austria Card, „wäre diese Innovation nie ausreichend gewesen, um unser Überleben zu sichern.“

1993 sattelte das Unternehmen von der Magnet- auf die Chipkarte um – eine kluge Entscheidung hinsichtlich zahlreicher weiterer Anwendungsfelder, die sich dadurch eröffnen sollten. Mittlerweile gilt Austria Card als Spezialist im Hinblick auf eine Vielzahl chipbasierter Applikationen. Dazu zählen der elektronische Zahlungsverkehr, Identifikationssysteme, SIM-Karten für den Mobilfunk sowie Software für Chipkartenbetriebssysteme und Personalisierungsanlagen. Außerdem ist das Wiener Unternehmen, das rund 300 Mitarbeiter beschäftigt und einen Jahresumsatz von 60 Millionen Euro erwirtschaftet, im Bereich des Hochsicherheitsdrucks aktiv. 70 Prozent der rund 50 Millionen jährlich von Austria Card erzeugten Karten werden exportiert.

Neuorientierung. Die Erschließung neuer Tätigkeitsfelder außerhalb des ursprünglichen Kerngeschäfts hielt auch die niederösterreichische Hirtenberger AG für angebracht. „Munition ist in Österreich nicht opportun“, meint Manfred Fischer, Vorstand der Hirtenberger AG. „Es gibt Exportrestriktionen und Auflagen seitens der Politik. Auf Dauer kann man nicht überleben in einem Geschäft, das derart fremdbestimmt ist.“ So musste Ende des Vorjahrs die Produktion von Kleinkalibermunition aufgrund der schlechten Verkaufsergebnisse überhaupt eingestellt werden.

1993 gründete Hirtenberger zwei Tochtergesellschaften, mit denen durchaus ureigenstes Know-how in neuen Sparten angeboten werden sollte. Zum einen ist dies die Hirtenberger Präzisionstechnik GmbH, welche auf die Herstellung von Präzisions-, Stanz- und Biegeteilen für Branchen wie Messtechnik und Unterhaltungselektronik spezialisiert ist.

Zum anderen widmet sich Hirtenberger im Rahmen der Automotive Safety GmbH der Entwicklung spezieller Komponenten für die Automobilindustrie. Dass es sich dabei um Pyrotechnik handelt, lässt zu Unrecht auf destruktives Potenzial schließen: Denn tatsächlich handelt es sich um Sicherheitssysteme. Hirtenberger fertigt so genannte Mikro-Gasgeneratoren für Gurtstraffer und Airbags.

An die 70 Prozent des Gruppenumsatzes werden mittlerweile mit diesen Komponenten erwirtschaftet. 25 Mitarbeiter sind zur Weiterentwicklung der Sicherheitsanwendungen abgestellt, wofür jährlich rund zwei Millionen Euro aufgewendet werden. Ein künftiger Schwerpunkt liegt auf Innovationen wie der Entwicklung von Außenairbags zum Schutz von Fußgängern bei Unfällen – eine Komponente, welche die EU vermutlich bereits in wenigen Jahren von den Autoherstellern als Standardausführung einfordern wird.

Kompletter Wandel. Der Wiener Unternehmer Hermann Futter schuf gleich ein ganzes Geflecht neuer Anwendungen, die auf dem ursprünglichen Kerngeschäft basieren. Futter ist Geschäftsführer des Compass-Verlages, eines 1867 gegründeten Unternehmens, welches alljährlich eine Reihe gedruckter Nachschlagewerke produzierte – darunter den mehr als ein Jahrhundert lange in praktisch allen Anwaltskanzleien und vielen Unternehmen nahezu unersetzlichen „Industrie-Compass“. Auch heute noch ist der Verkauf von Informationen über die in Österreich registrierten Unternehmen Futters wichtigste Geschäftsgrundlage – bloß hat sich der Compass-Verlag über die Jahre zu einem modernen Internet- und EDV-Dienstleister gewandelt.

Schon in den achtziger Jahren begann man, neben der Produktion von gedruckten Almanachen in akribischer Kleinstarbeit die 200.000 Datensätze des damals noch Handelsregister genannten Firmenbuchs, des offiziellen, bei den Handelsgerichten geführten österreichischen Unternehmensregisters, elektronisch aufzubereiten. Ursprünglich wurden die Daten mittels des längst selig entschlafenen BTX-Systems der Post angeboten, doch Mitte der neunziger Jahre gab es ein neues Medium: das Internet. „Mit dem Internet hat der Verkauf der Informationen in gedruckter Form für uns allmählich seine ursprüngliche Bedeutung verloren“, sagt Futter. „Das war damals eine totale Umorientierung.“

1995 gab es die erste Version des elektronischen Firmenbuches, 1997 übertraf die Internet-Nutzung bereits jene der gedruckten Folianten, und im Jahr 2002 wurde die Buchversion endgültig eingestellt. „Heute machen wir unseren Umsatz zu 100 Prozent mit Produkten, die wir vor acht Jahren noch nicht einmal gekannt haben“, so Futter.

Und Futter begann darüber nachzudenken, was sich aus all den digitalisierten Daten und dem Medium Internet noch an Geschäftsmodellen kreieren ließe. In der Folge schuf er eine Website nach der anderen, teils im Abstand weniger Monate. Insgesamt gibt es heute acht Homepages mit Bezeichnungen wie Markt.at, Plan.at oder Auskunft.at, und das Unternehmen erwirtschaftet damit einen Gesamtumsatz von acht Millionen Euro im Jahr. „Hätten wir die technische Entwicklung nicht von Anfang an mitgemacht, gäbe es uns heute nicht mehr“, resümiert Futter. „Die einzige Chance ist es, zu hundert Prozent flexibel zu bleiben.“