Alles gut, Herr Kürz

Reportage. Ein Spaziergang mit Sebastian Kurz am Hannovermarkt in Wien-Brigittenau

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Er ist überpünktlich, obwohl es in Strömen regnet. Er will loslegen, bevor die Fotografin noch ihr Objektiv aufgeschraubt hat. Sebastian Kurz ist tatendurstig.

Kaum ein besserer Ort für Taten eines Integrationsstaatssekretärs als der Hannovermarkt im 20. Wiener Gemeindebezirk, wo Türken "steirische Hendln“, Kebab und Caj feilbieten, Kroaten das Schweinerne und Inder das Freizeit-Outfit in Vollplastik.

Sebastian Kurz
, Ende August wird er 25, macht sich über sie her wie ein Vollblut: "Grüß Gott“, lächelt er in jeden Laden. In dem mit den Oliven und den gefüllten Weinblättern wundert sich die Verkäuferin sichtlich über den properen jungen Herrn, der viel freundlicher ist als die meisten anderen Österreicher, die in ihr Geschäft kommen. Aber ein Unbekannter ist der seit 100 Tagen amtierende Staatssekretär hier nicht: Gut jeder dritte Standler am Multikulti-Markt in der Brigittenau erkennt ihn. Viele Türken würden ihn "Kürz“ nennen, erzählt der junge Staatssekretär und erschrickt selbst, weil das jetzt vielleicht geringschätzig klang.

Denn Sebastian Kurz ist vorsichtig geworden. Die gewaltige Portion an Vorschussmisstrauen, die ihm gleich nach Amtsantritt entgegengeschwappt war, hat ihn überrascht. Sogar eine Facebook-Gruppe "Ich mach den Integrationsstaatssekretär bei Humboldt“ hatte sich gegründet und auf Anhieb 5000 Mitglieder im Netz versammelt. In den ersten Meinungsumfragen rangierte der Jusstudent im Innenministerium am Ende des Felds.

Nach seinen ersten, durchaus gelungenen TV-Auftritten - sogar gegenüber dem gestrengen Armin Wolf hatte sich Kurz unerschrocken gezeigt - rappelte sich der Neuling zusehends ins Mittelfeld der Beliebtheitsskalen. Heute liegt er in der neunköpfigen ÖVP-Riege laut APA/OGM-Vertrauensindex immerhin schon auf Platz fünf.

Einer, der Sebastian Kurz sofort erkennt, ist Herr Metin. Er kam 1983 aus der Türkei, begann mit einem Obststand am Markt, eröffnete dann einen Kebab-Imbiss und schließlich ein kleines Marktrestaurant. Herr Metin ist ganz nach dem Geschmack des Integrationsstaatssekretärs: "Unter den Zuwanderern gibt es ja viele, die sich etwas aufgebaut haben, die etwas leisten wollen.“

Leistung
- das ist das Schlüsselwort für den Sohn einer Gymnasiallehrerin und eines Technikers, aufgewachsen im Schönbrunn-nahen Teil des Vorstadtbezirks Meidling, wo nur wenige Immigranten Quartier nehmen, aber Leistung als Wert hochgehalten wird.

Sebastian Kurz ärgert sich deshalb über die unlängst in einem Boulevardblatt erschienene Story mit dem Titel "Österreichs schlechtester Schüler“ - ein 16-jähriger Verweigerer mit neun Fünfern: "Das findet man offenbar cool.“ Solches Denken schade dem Land. "Es ist in Österreich ja schon fast ein wenig anrüchig, wenn man etwas erreicht.“ Er hält "das Anspruchsdenken gegenüber dem Staat“ für schädlich und die Steuern für Unternehmen "wirklich ausreichend hoch“.

Kurz hatte es ja gleich nach Amtsantritt gesagt: Die ÖVP müsse nur "zu ihren alten Werten stehen“, dann werde es schon einmal wieder bergauf gehen.

Zuwanderern rät er:
"Es ist sinnvoll und richtig, sich anzustrengen.“ Eine seiner ersten Aktionen war ein Zusammentreffen mit begabten Schülern aus Immigrantenfamilien.

Ist dieser ernste junge Mann tatsächlich derselbe Sebastian Kurz, der vor Jahresfrist im Wiener Wahlkampf mit einem schwarzen "Geil-o-Mobil“ durch die Straßen kurvte; der ein "Geil-o-Mat“-App anpries, mit dem man seinen persönlichen "Geilheitsgrad“ messen konnte? Der im Szenetreff "Moulin Rouge“ hübsche Mädels schwarze Kondome ("Geilmacher-Gummis“) verteilen ließ? Derselbe Hallodri, der eben noch vergnügt das Kampagnencredo ("Schwarz macht geile Politik. Schwarz macht Wien geil“) gepredigt hatte, das halt so gar nicht zur schlaffen Wiener ÖVP passen wollte?

Das war gestern.

Als das neue ÖVP-Regierungsteam seinen Start bei einem Clubbing feierte, musste sich Kurz lange vor Ende der Sause verabschieden: "Glaubt nicht, dass ich eine Spaßbremse geworden bin, aber ich muss morgen um 5.30 Uhr aufstehen.“

Seither muss er eine Spaßbremse sein.
Denn dass sich ein 24-Jähriger im Miesepeterklima der österreichischen Innenpolitik nicht seinem Alter gemäß verhalten darf - das war die erste Lektion im neuen Leben des Sebastian Kurz gewesen.

"Er funktioniert mit 24 Jahren wie andere erst mit 52. Er ist das größte politische Talent der ÖVP und der Prototyp des modernen Parteifunktionärs der Zukunft“, befundete Peter Michael Lingens unmittelbar nach der Bestellung von Kurz in profil. "In keinem seiner Interviews hat sich Kurz die geringste Blöße gegeben - er spricht längst perfektes Teflon.“

In der Sprache des Staatssekretärs finden einander Subjekt und Prädikat mühelos (keine Selbstverständlichkeit in der Politik), und sie ist geschmeidig genug, um allen Klippen auszuweichen. Die FPÖ? Ihre Wahlkämpfe "bringen uns nicht weiter“, aber "mit Sachinformation“ könne man auch potenzielle FPÖ-Wähler überzeugen. H. C. Strache? "Die Distanz, die es in der Politik zwischen den einzelnen Politikern gibt, die gibt es bei mir schon wegen des Alters nicht.“ Norwegen? "Eine Partei oder eine politische Gesinnung würde ich da nicht verantwortlich machen. Das ist ein irrer Attentäter.“

Als man ihn vor seinem Karrieresprung einmal fragte, was er denn nach der Politik vorhabe, meinte Kurz, Anwalt oder Lokalbesitzer wäre etwas für ihn. Jetzt will er einmal "für zehn Jahre oder so“ Politik machen.

Es ist noch alles möglich im Leben des Sebastian Kurz.


Sebastian Kurz, 24

Das war wirklich eine Blitzkarriere: Mit 17 trat der Sohn einer Lehrerin und eines Technikers der Jungen ÖVP bei, mit 21 war er deren Wiener Landesobmann, mit 23 Bundesobmann und ein Jahr später Regierungsmitglied. Inzwischen hat er ein Maßnahmenpaket mit 20 Punkten vorgelegt - darunter ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr für Kinder mit Sprachdefiziten -, das allerdings noch Financiers sucht.

Fotos: Monika Saulich für profil