Interview

Interview: „Das Gegenteil von konservativ“

„Das Gegenteil von konservativ“

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profil: Folgt Kunststaatssekretär Franz Morak einem bürgerlich-konservativen Kulturverständnis?
Liessmann: Es gibt gegenwärtig weder das Bildungsbürgertum als soziale Klasse im strengen Sinn, noch gibt es einen Konsens darüber, was ein bürgerlicher Kulturbegriff oder bürgerliche Kultur heute überhaupt sein kann. Der Unternehmer, der eine humanistische Bildung durchlaufen hat und ein Abo der Wiener Philharmoniker weitervererbt, existiert ja nur noch als Karikatur. Für wen also sollte Morak bürgerliche Kulturpolitik betreiben? Und was wäre die Alternative? Eine proletarische Kulturpolitik?
profil: Institutionen wie die Salzburger Festspiele dienen dem Bürgertum nicht länger als Identifikationsfläche?
Liessmann: Die Festspiele konfigurieren nicht das ästhetische Selbstbewusstsein eines wie auch immer gearteten Bürgertums. Von den Festspielen wird seitens der Politik zwar erwartet, repräsentativ für den Staat und das österreichische Selbstverständnis als Kulturnation zu sein. Doch dass die Festspiele das österreichische Kunstverständnis am Höhepunkt seiner Zeit repräsentieren, würde wohl nicht einmal mehr Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler behaupten, obwohl man dort noch immer tolle Aufführungen erleben kann.
profil: Erfüllt Franz Morak die Kriterien eines konservativen Kulturpolitikers?
Liessmann: Der Begriff „konservativ“ im unmittelbaren Sinn bedeutet: bewahrend. Doch augenblicklich sprechen gerade die so genannten konservativen Parteien nur von Veränderung, Flexibilisierung, Mobilisierung, Liquidierung und Zerschlagung. Das ist eigentlich das Gegenteil von konservativ.
profil: Welcher Ideologie folgt Moraks Kulturpolitik?
Liessmann: Manche Schlagworte wie Sponsorships, Ausgliederung, Creative Industries, Kreativwirtschaft oder Publikumsmaximierung entsprechen am ehesten der Vorstellung von Kunst als Ware. Andererseits gibt es auch den Einsatz für die Buchpreisbindung. Dennoch erleben wir eine zunehmende Merkantilisierung der Kultur. Der Widerspruch der gegenwärtigen Kulturpolitik besteht darin, dass sie Kultur ökonomisiert und damit gerade in einem konservativen Sinn die Kunst dessen beraubt, weshalb sie das Bürgertum einst geliebt hatte: als Ort der Muse. Der Wiener Musikverein oder die Staatsoper waren im 19. Jahrhundert genau jene Orte gewesen, wo das Geschäft zu schweigen hatte.
profil: Was sind die Folgen dieser Ökonomisierung?
Liessmann: Sie verstärkt den Trend zur Oberfläche, zur Kommerzialisierung und zur Unterhaltung, den Trend zur Konsumierbarkeit von Kunst. Das ist allerdings kein spezifisches Konzept der ÖVP. Konsum als Ideologie ist längst parteiübergreifend wirksam geworden – was mir nicht behagt, weil ich immer noch mit dem Anspruch Theodor W. Adornos kokettiere, dass Kunst etwas mit Wahrheit oder Wahrhaftigkeit zu tun hat. Die kann aber in einem Betrieb nicht spürbar sein, in dem alles ein Event sein muss, um wahrgenommen zu werden.
profil: Die Avantgarde wird auf Österreichs Theater- und Opernbühnen immer weiter zurückgedrängt. Erleben wir ein konservatives Jahrzehnt?
Liessmann: Die Avantgarde wird nicht zurückgedrängt, sondern sie ist in die Jahre gekommen. Ich würde nicht von einem konservativen Jahrzehnt sprechen, sondern von einem Jahrzehnt, in dem die Ansprüche an die Kunst zurückgeschraubt werden. Im Grunde glauben wir nicht mehr daran, dass Kunst etwas verändert, dass das Theater eine moralische Anstalt ist oder dass man in einer Opernaufführung Ekstasen erlebt. Das mag man schon bedauern.