A. Hennig v. Lange im Interview:

Interview: „Das Interessante ist nicht der Akt“

„Das Interessante ist nicht der Akt“

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profil: Müssen Sie oft die Frage nach Ihrem ersten Mal beantworten?
Alexa Hennig von Lange: Konkret nach meinem ersten Mal werde ich nicht gefragt, hintenrum schon eher – nämlich, wie autobiografisch meine Bücher sind. Meine Standardantwort: Gehen Sie nicht davon aus, dass ich meine Jugend genauso durchlebt habe. Mein erstes Mal behalte ich sicher für mich, allein zum Schutz der beteiligten Person.
profil: Ein junger Mensch hat zum ersten Mal Sex. Das bedeutet: Zeit der Aufregung und Aufwallung.
Hennig von Lange: Es ist absolut gerechtfertigt, dabei vollends aus dem Häuschen zu geraten, steuert man doch lange Zeit auf diese Erfahrung hin. Man erlebt zum ersten Mal, was es bedeutet, erwachsen zu werden, Verantwortung zu übernehmen und mit einem anderen Menschen bewusst zärtlich umzugehen. Ein großes, weites Feld liegt vor einem, und man weiß nicht, wohin die Reise geht. Natürlich spielt dabei Sexualität eine große Rolle; die setzt sich aber zusammen aus Neugier, Sehnsucht nach Geborgenheit und Liebe, nach dem Eintritt in die Erwachsenenwelt.
profil: In dem gerade angelaufenen Kinofilm „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“ wird für Jungs wieder einmal die alte Regel aufgestellt: das erste Mal mit einer Prostituierten.
Hennig von Lange: Mir ist noch niemand begegnet, der so in das Mannsein eingeführt wurde. Das gibt es bestimmt, irgendwo. Gängiger ist, dass Jungs mit einer Frau oder einem älteren Mädchen zum ersten Mal Sex haben – oft übrigens in den Ferien beim Camping, in irgendwelchen kleinen Iglu-Zelten in Südfrankreich oder am Strand.
profil: Von Musils Monumentalroman „Der Mann ohne Eigenschaften“ bis zur Endlosserie „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“: Das erste Mal scheint in der sekundären Bearbeitung keine Genregrenzen zu kennen.
Hennig von Lange: „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ behandelt dieses Thema rein oberflächlich: Jeder von uns hat das erste Mal erlebt oder wird es noch erleben, also werden damit auch die meisten angesprochen. In der Literatur geht es darum, und das gilt auch für meine Bücher: Das Interessante ist nicht der vollzogene Akt, sondern der psychische Zustand. Man befindet sich in der Zone zwischen Kindheit und Erwachsensein, zwischen Elternhaus und dem Eintritt in die Erwachsenenwelt, die noch eine riesengroße leere Blase ist, die man erst füllen muss. Das erste Mal ist ein fühlbares Symbol für diesen Eintritt.
profil: Wo wird dieses Erlebnis später abgelegt? Im Anekdotenschatz? Als prägend für die Entwicklung der Persönlichkeit?
Hennig von Lange: Nach einiger Zeit, wenn man schon den einen oder anderen Partner hatte, schüttelt man sich, wenn man über das erste Mal nachdenkt: Oh, war das schrecklich! Irgendwann sieht man aber auch mit einem milden Lächeln auf das Ganze, wenn man sich überhaupt noch daran erinnern mag. Dann sagt man, das war doch eigentlich ganz in Ordnung.
profil: Gehen die Jugendlichen von heute mit dem ersten Mal anders um?
Hennig von Lange: Ich glaube nicht. Das erste Mal heißt ja nicht umsonst „das erste Mal“. Erst danach hat man eben eine Ahnung, wie es geht, wie es sich anfühlt. Darum ist und bleibt dieser Moment spannend. Das eigene Empfinden kann dennoch durch äußere Einflüsse und Vorgaben manipuliert werden. Wird es nur schön, wenn ich auf den Badenwannenrand Kerzen klebe, dazu schmusige Klaviermusik? Solchen äußeren Zwängen unterlagen wir jedenfalls zu meiner Zeit. Keine Ahnung, was heute wichtig ist. Irritierender ist aber, wie in Talkshows mit Themen wie Beziehung oder Vertrauen jongliert wird. Da kann man als Jugendlicher ins Grübeln geraten: Ist Liebe so schnell an- und abstellbar, wie es mir von diesen Leuten vermittelt wird?