G. Lehner:

Interview: „Das ist der Preis der Solidarität“

„Das ist der Preis der Solidarität“

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profil: Der angeblich größten Steuerreform aller Zeiten fehlt jede Systemänderung. Kann man da von einem großen Wurf sprechen?
Lehner: Gemessen am Volumen – über drei Milliarden Euro – ist es ein sehr großer Schritt. Systemumstellung ist es allerdings keine. Die einzige Neuerung findet sich in der Gestaltung des Tarifs, vom derzeitigen Grenzsteuersatz hin zum Durchschnittssteuertarif.
profil: Die Entlastung des Faktors Arbeit sucht man ebenfalls vergeblich.
Lehner: Aufgrund der Größenordnung der Entlastung für die Unternehmer war nur ein Entweder-oder möglich: Entweder die Senkung der Körperschaftsteuer oder der Lohnnebenkosten. Der internationale Wettlauf um die KöSt hat auch in Österreich Druck erzeugt.
profil: Wird die Bedeutung der KöSt für Betriebsansiedelungen nicht überschätzt? Spielt das niedrige Lohnniveau der EU-Beitrittsländer nicht eine höhere Rolle?
Lehner: Das Lohnniveau, die Arbeitskosten, aber auch andere Faktoren, etwa die Ausbildung, die hierzulande hoch entwickelte Rechtskultur oder die Infrastruktur, wiegen mindestens genauso schwer wie die Besteuerung.
profil: Wohin führt das Steuerdumping, wenn sich alle Länder gegenseitig hinunterlizitieren?
Lehner: Irgendwann wird sich die EU überlegen müssen, wohin sie will: zu einem noch schärferen Steuerwettbewerb oder zu einer Harmonisierung der nationalen Steuersätze. Ich bin allerdings skeptisch, ob wir uns eine Harmonisierung wirklich wünschen sollen. Unser kontinentaleuropäisches Staatsverständnis, das dem Sozialstaat einen hohen Stellenwert einräumt, kollidiert massiv mit der angelsächsischen Philosophie, in erster Linie die Staatsquote niedrig zu halten. Dem hängt auch die EU-Kommission an.
profil: Im Einkommensteuerbereich bekommen die Bestverdiener jetzt nur einen Bruchteil dessen zurück, was ihnen die kalte Progression seit 1989 genommen hat, nämlich hochgerechnete 3250 Euro. Wo bleibt da die große Entlastung?
Lehner: Ich bin unglücklich, dass Kollegen von mir als Ausgangsjahr ihrer Berechnung 1989 herangezogen haben, das Jahr der letzten großen Tarifreform für die Bestverdiener. Damals war die Entlastung für hohe Einkommen so hoch, dass die kalte Progression erst 1992 wieder eingesetzt hat.
profil: Gut, dann nehmen wir die letzten elf Jahre her. Seither wurde das Geld nicht mehr zurückgegeben.
Lehner: Gut, dann sind Sie der große Verteidiger der Reichen.
profil: Nicht wirklich, aber ist das nicht leistungsfeindlich?
Lehner: Die Steuerprogression war immer auch ein Mittel zur Umverteilung: Es entsprach immer dem gesunden Menschenverstand zu sagen, der Leistungsfähigere soll mehr zur Finanzierung der öffentlichen Aufgaben beitragen – zugunsten der weniger Leistungsfähigen. Das ist der Preis der Demokratie und der Solidarität.
profil: Aber genau das passiert jetzt nicht. Denn das unterste Einkommenssegment wird gar nicht entlastet, etwa durch eine Erhöhung der Negativsteuer.
Lehner: Ich war nie ein Freund der Negativsteuer. Dort ist es besser, sich über Sozialtransfers zu behelfen.
profil: 2007 soll es wieder ein Nulldefizit geben. Halten Sie das für realistisch?
Lehner: Der größte Teil der Rechnung kommt erst 2006 auf den Finanzminister zu und wird ab dann die größeren budgetären Gegenmaßnahmen erfordern. 2005 hingegen wird das Defizit geringer sein als die vorgesehenen 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Es gibt eine zeitliche Verschiebung von 2005 auf 2006.
profil: Wer zahlt dann am Schluss die Rechnung?
Lehner: Das hängt von der Konjunktur ab, aber nicht einmal zum größten Teil. Man wird bei den Ausgaben sehr sparsam sein müssen. Wenn der Österreich-Konvent ein Erfolg werden soll, dann müssen Mehrgleisigkeiten zwischen Bund und Ländern beseitigt werden. Da sind 1,5 Milliarden Euro rauszuzwicken. Sicher ist: Die Budgetverhandlungen für die kommenden Jahre werden für Herrn Grasser beinhart.