Der Schrecken kommt ganz langsam

Interview: „Der Schrecken kommt an einen heran, ganz langsam“

Maria Lassnig über Zwan-gskunst und Farbgebung

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profil: In Ihren Tagebüchern haben Sie an die Malerei folgenden Anspruch gestellt: „Die Bilder sollen lieber penetrant als elegant sein.“
Lassnig: Mir wurde vor Jahren einmal gesagt, dass ich nicht sehr elegant sei. Ich habe das gleich auf meine Bilder bezogen – und da stimmt es eben auch. In Amerika gibt es gegenwärtig Malerinnen, die richtig elegant arbeiten, Elizabeth Peyton etwa, deren gesamte Arbeit so fein hingeschmissen aussieht. Meine Bilder dagegen werden irgendwie immer bäuerlicher, geradezu plump manchmal.
profil: Ihre Arbeitsgrundlage ist das Gefühl.
Lassnig: Gefühle zu ergründen ist in den positivistischen Philosophien ja ganz unmodern geworden. Man wird schon wieder erkennen, dass man zuerst die Psyche ergründen muss, wenn man nicht draufgehen will.
profil: Ist die Assoziation nicht überhaupt ein Motor Ihrer Malerei? Oft geben Sie Ihren Bildern ja seltsam paradoxe Titel.
Lassnig: Da geht es mir meist um komische Wirkungen, um Ironie.
profil: Gehen Sie manchmal auch von einem Titel aus, bevor Sie sich ans Malen machen?
Lassnig: Nein, nie, um Gottes willen! Die Absicht ist für mich das Böseste überhaupt.
profil: Ist eine Idee nicht auch schon eine Absicht?
Lassnig: Ja, schon. Natürlich ist es nicht möglich, ganz absichtslos zu malen; deshalb versuche ich in letzter Zeit auch verstärkt, mich auf das Optische zu beschränken.
profil: Sie haben eine ganz eigene Formensprache und Farbigkeit entwickelt. Ein Lassnig-Gemälde ist auf einen Blick zu identifizieren. Ist Ihnen das recht?
Lassnig: Manchmal frage ich mich schon, ob ich eigentlich genug Neues geschaffen habe. Ich selbst bin ja nicht so zufrieden mit meiner Arbeit wie andere. Die Expressionisten haben die reine Farbe verwendet, weil sie dieses bestimmte Rot liebten, mit dem sie dann ihre Wut ausdrücken konnten. Bei mir aber ist alles nur Tradition. Schrecklich eigentlich. Und ich kann bei schlechtem Licht nicht malen. Da sieht man nur Grau in Grau, die Farben verschwimmen ineinander. Früher, zu Beginn meiner Karriere, habe ich gemalt wie ein Zigeuner: irgendwie halt, möglichst farbig, wie die Kärntner Koloristen. Das wurde mir aber bald zu wenig, so habe ich angefangen, Farben genau zu definieren. Ich wollte diejenige sein, die einen bestimmten Farbton angibt, wollte mir das von der Farbe nicht vorschreiben lassen. Mir würde es beispielsweise nie einfallen, eine Rose zu malen. Ich habe das probiert – und gehasst, denn eine Rose ist so rot, dass ich selbst nichts mehr dazu tun kann.
profil: Das Rot müssten Sie direkt aus der Tube nehmen.
Lassnig: Ja, und das mag ich nicht. Ich will bestimmen, was eine Farbe in meinen Bildern ist. Ich mag schwer zu definierende Farben – und ich liebe es, Farben umzudrehen: Gesichter grün zu malen etwa. Ich will eine Subjektivität erreichen, die nicht mehr zu erhöhen ist.
profil: Sie suchen das Unnatürliche.
Lassnig: Ja. Und das Gegenteil des Fotografischen. Ich bin eben eine, die gegen den Strom schwimmt.
profil: In Ihrem Musiktrickfilm „Kantate“ von 1992 haben Sie eine erste Lebensbilanz gezogen, allerdings sehr ironisch.
Lassnig: Wahrscheinlich. Sonst wär’s zu traurig. Meine Jugend war schon sehr trist. Als kleines Kind lebte ich bei meiner Großmutter, einer bitterarmen Bäuerin. Später hat mich meine Mutter dann weg in die Stadt genommen, in die Ursulinenklosterschule. Die anderen Schülerinnen haben sich alle von mir weggesetzt. Wahrscheinlich, weil ich nach Petroleum gestunken habe, denn am Land hatten ja alle Kinder Läuse damals. So ging es weiter: Meine Mutter heiratete einen Mann, mit dem sie nur Ehekrach hatte. Und meine erste starke Erinnerung ist ein Selbstmordversuch meiner Mutter; so etwas prägt ein Kind.
profil: Hatte Ihre unglückliche Kindheit mit dem Wunsch, Künstlerin zu werden, unmittelbar zu tun?
Lassnig: Nein, nein. Ich wusste doch lange Zeit nicht einmal, was Kunst überhaupt sein sollte. In der Klosterschule war Kunst absolut kein Thema. Als Schülerinnen mussten wir beten, immer nur beten. Diesen Zwang habe ich gehasst. Dabei war ich als kleines Kind durchaus fromm.
profil: Wann haben Sie denn begonnen, sich als Künstlerin zu definieren?
Lassnig: Erst mit 21 eigentlich, mit meiner Aufnahme an der Akademie in Wien.
profil: Wie gehen Sie nach so vielen Jahren der Ablehnung und des Unverständnisses mit Ihrem internationalen Ruhm um?
Lassnig: Ich denke halt, das liegt auch daran, dass ich schon bald ins Gras beißen werde. Dass manche Leute nun noch schnell Bilder von mir erwerben, ehe sie noch teurer werden. Jetzt bin ich in Österreich anerkannt, aber mich würde ja viel mehr interessieren, was internationale Kollegen von meiner Arbeit denken. Was hält der Baselitz von mir, was der Richter? Was denkt Lucian Freud über meine Arbeit?
profil: Sie erhalten kein Feedback, wenn Sie große Ausstellungen in London oder New York haben?
Lassnig: Nein, leider. Nur in Amerika, als ich unlängst meine Fußballbilder ausstellte, gab es eine Kritik, die mich stolz gemacht hat: Roberta Smith hat in der „New York Times“ geschrieben, da sei nur die Spitze des Eisbergs zu sehen, man müsse mehr davon sehen – und dass ich an die großen deutschen Maler heranreiche.
profil: Sie meinten einmal, dass mit Ihnen vielleicht auch die Malerei selbst sterben werde. War das Koketterie?
Lassnig: Das war übertrieben, natürlich. Aber die Malerei hat heute nicht mehr die Bedeutung, die sie einmal hatte. Sie ist verwässert worden. Auch und vor allem durch die Fotografie. Heute werden Fotos einfach überzeichnet oder abgepaust. Es tut mir leid, dass Künstler solche Hilfen brauchen. Aber das wird als Malerei präsentiert. Das ist ein Problem.
profil: Existiert für Sie so etwas wie Schönheit in der Malerei? Oder muss man sich als Künstlerin dagegen eher wehren?
Lassnig: Das ist überhaupt kein Begriff für mich. Interessant muss es sein, nicht schön. Der Lampersberg, den Thomas Bernhard literarisch verewigt hat, sagte eines Tages zu mir: „Maria, bitt schön, mal schönere Bilder!“ Er fand, was ich male, so grässlich. Aber man kann nicht verlangen, dass das verstanden wird.
profil: Im ORF wurde ein Beitrag über Sie unlängst mit Bildern illustriert, die Sie im Dirndl in Ihrer Kärntner Heimat zeigen.
Lassnig: Entsetzlich, ja. Das erinnert mich zu sehr an die Kärntner Politik, deshalb mag ich das alles nicht mehr. Aber ich hab ja als junges Mädchen, als Pfadfinderin, in den dreißiger Jahren schon Dirndl getragen. Dabei ist das Dirndl ganz unpraktisch eigentlich: Oben schnürt’s einen ein, und unten, wo man’s warm haben will, ist es ganz weit.
profil: Ist Ihnen Kärnten durch die Politik verleidet?
Lassnig: Ja. Das ist scheußlich. Als ich unlängst so krank war, hat man begonnen, mir all diese Kärntner Schlösser anzubieten – als mögliche Lassnig-Museen. Allerdings haben sie gesagt, dass man dazu auch mit den Politikern reden müsse, weil die ja das Geld bereitstellen müssten. Da hab ich dann auf diese Schlösser verzichtet. Ich leide sehr unter der dort herrschenden Politik, ich mag gar nicht mehr nach Kärnten fahren, andererseits tut mir die frische Luft dort so gut.
profil: Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn nun das „Gedankenjahr“ gefeiert wird? Sie waren Kunststudentin im nationalsozialistischen Wien.
Lassnig: Ich habe das schon auch zu spüren gekriegt, obwohl ich noch sehr kindlich war damals. Einmal wurde ich sogar vors Studentengericht gezerrt, weil ich mich über eine Kollegin lustig gemacht hatte, die als Wehrmachtshelferin tätig war. Aber es ging glimpflich aus. Und dann war ich mit einem französischen Fremdarbeiter liiert, was sehr gefährlich war. Ein Klagenfurter Mädchen, das ich kannte, kam wegen desselben Vergehens ins KZ.
profil: In Ihrer „Kantate“ heißt es: „Kunstfaschismus überall.“ Was verstehen Sie darunter?
Lassnig: In meinen Pariser Jahren habe ich all diese intoleranten Kunstmoden erlebt. Erst gab es den Surrealismus, dann den Automatismus, später gab’s die Pop-Art: Wenn man die nicht mitmachte, galt man nichts. Die Zwangskunst heute ist wahrscheinlich die Videokunst.
profil: Der Tod scheint eine Rolle in Ihren neueren Arbeiten zu spielen.
Lassnig: Natürlich. Aber eher altmodisch: mit einem Totenkopf im Bild etwa. Der Tod kommt an einen heran, den kann man nicht verdrängen. Er kommt. Zuerst braucht man Brillen, dann kriegt man Schmerzen und dritte Zähne. Der Schrecken kommt an einen heran, ganz langsam.

Interview: Stefan Grissemann