Interview: "Die Eliten werden nervös"

Interview: "Die Eliten werden nervös"

Naomi Klein über Erfolge der Kapitalismusgegner

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profil: Vor wenigen Tagen wurde Al Gore für seinen Kampf gegen den Klimawandel mit dem Friedensnobelpreis bedacht. Sie müssen es wissen: Hat Gore die Welt verbessert?

Klein: Nun ja. International gesehen halte ich es für sehr viel bedeutsamer, dass neben Gore auch der UN-Klimabeirat den Preis erhält. Es wurde in letzter Zeit so viel Energie dafür aufgewendet, den Klimawandel herunterzuspielen, es gab ideologisch gefärbte Studien, die von großen Energiekonzernen gesponsert wurden. Das wird in Zukunft viel schwieriger werden. Aber der Klimaschutz braucht auch ein bekanntes Gesicht. Und Al Gore verdient Respekt für seine Bemühungen.

profil: Nicht nur Al Gore setzt sich für das Wohl der Menschheit ein. Bill Gates und Warren Buffett haben Milliarden für wohltätige Zwecke gestiftet. Sind berühmte, reiche Männer besser darin, die Welt zu retten, als der gemeine Aktivist auf der Straße?

Klein: Das sind zwei grundverschiedene Dinge. Durch den Neoliberalismus kam es zu einem extremen Ungleichgewicht in der Verteilung des Wohlstands und zu ungeheuerlichen Profiten für eine kleine Elite. Ich denke, dass diese Elite nervös wird. Die Besorgnis über die Ungleichheit auf der Welt steigt, und diese Leute fürchten um die Stabilität in den USA, in China, Russland. Auch das spielt bei ihrem Engagement eine Rolle.

profil: Dabei argumentieren Sie in Ihrem Buch doch gerade, dass Instabilität gut für das Geschäft sei.

Klein: Es gibt in dieser Frage nicht „das Geschäft“. Unsicherheit hilft einem ganz bestimmten Sektor der Wirtschaft, der politisch sehr einflussreich ist und den ich Katastrophen-Kapitalismus-Komplex nenne: Waffen, Sicherheit, Wiederaufbau und Energie. Diese Branchen wachsen im Krisenfall. Anderen Branchen schaden solche Krisen. Aber für den Bereich, den ich beschreibe, gilt die Faustregel: je instabiler, desto profitabler.

profil: Sie schreiben, dass die Herrschaft des neoliberalen Kapitalismus als Monopolideologie erstaunlich kurz gedauert habe – nämlich vom Zerfall der Sowjetunion 1991 bis zu den Protesten von Seattle 1999. Überschätzen Sie damit nicht die Bedeutung der Globalisierungsgegner?

Klein: Ich habe es anders formuliert. Mir ging es um die triumphale, unangefochtene Phase des Kapitalismus, die tatsächlich nur sehr kurz war. Ich behaupte auch nicht, dass der Siegeszug des Kapitalismus zu Ende ist. Nach wie vor existiert kein wirkliches Gegengewicht. Aber der Neoliberalismus behauptet sich nicht mehr aus eigener Kraft, sondern kommt verkleidet daher, etwa als „Krieg gegen den Terror“.

profil: Warum hat es die Antiglobalisierungsbewegung nicht geschafft, ein solches Gegengewicht zu bilden? Die Bewegung scheint inzwischen mehr mit sich selbst beschäftigt zu sein als mit der Rettung der Welt.

Klein: Ich glaube nicht, dass das stimmt. In Lateinamerika ist der Widerstand gegen den Neoliberalismus nach wie vor sehr massiv, in vielen Ländern sitzt er sogar an der Macht. Schauen Sie sich Evo Morales in Bolivien an, Rafael Correa in Ecuador. Das sind Politiker, die nichts mit der politischen Kaste ihres Landes zu tun haben und ihre Macht ausschließlich den sozialen Bewegungen verdanken.

profil: Außerhalb Lateinamerikas ist davon aber nur wenig zu bemerken.

Klein: In Europa und den USA ging die Energie der Antiglobalisierungsbewegung zuletzt in die Antikriegsbewegung ein. Die ökonomische Analyse ist dabei auf der Strecke geblieben. Deshalb versuche ich in meinem Buch auch, ökonomische Analyse und Antikriegsstimmung zu vereinen. Es ist wichtig, auch die Hintergründe des Kriegs im Irak zu verstehen und ganz klar zu sagen, dass sich nicht viel ändern wird, wenn George W. Bush und Dick Cheney nicht mehr im Amt sind. Aber wir dürfen das nicht generalisieren. Die Bewegung hat sich einfach verändert. Die Welt hat sich verändert. Die Opposition gegen den Neoliberalismus, die 1999 auf den Straßen von Seattle aufbrach, ist heute stärker als je zuvor: Die World Trade Organization steckt in der Krise, der Internationale Währungsfonds genauso.

profil: Sie denken, dass das ein direkter Effekt der Protestbewegung ist?

Klein: Es war nie nur eine Protestbewegung. Der offenkundige Protest hat bloß eine tiefere, weiter reichende Unzufriedenheit ausgedrückt. In den Medien wurde die Bewegung immer nur als ein Haufen randalierender Kinder beschrieben. Aber davon abgesehen: Natürlich! Noch im Jahr 2001 einigten sich 34 Regierungschefs in Québec auf eine amerikanische Freihandelszone von Alaska bis Chile. Heute liegt dieses Projekt auf Eis. Kein vernünftiger Regierungschef wagt es, eine solche Forderung zu unterstützen, weil die Opposition gegen diese Politik so stark geworden ist – sogar in den USA.

profil: Ihr neues Buch wurde in den vermeintlich neoliberalen USA weitgehend positiv aufgenommen, während es ausgerechnet in Europa mit seiner starken wohlfahrtsstaatlichen Tradition Kritik hagelte. Wie erklären Sie sich das?

Klein: Ganz so ist es nicht: In Spanien habe ich großartige Rezensionen bekommen, auch die Italiener und Holländer lieben mein Buch. Aber es stimmt, dass die Kritik im deutschsprachigen Raum sehr deutlich war, aus Gründen, die ich bislang nicht wirklich verstanden habe. Die Reaktionen in Nordamerika waren auch keineswegs unkritisch. Das sollen sie auch gar nicht sein. Es ist ein kontroverses Buch. Mein Ziel war es, eine Debatte auszulösen. In Deutschland war die Reaktion leider sehr einseitig, weshalb auch keine Diskussion zustande gekommen ist. Es kam ständig dieselbe Kritik, man warf mir stets vor, eine Verschwörungstheoretikerin zu sein. Tatsächlich sind aber gerade die Verschwörungstheoretiker sauer auf mich, weil ich mich von ihnen so deutlich distanziere.

profil: Man warf Ihnen vor, dass Sie unfair berichten. Tatsächlich verschweigen Sie die positiven Aspekte der Globalisierung.

Klein: Ich bin nicht angetreten, um ein lückenloses Bild des Neoliberalismus zu zeichnen. Es gibt genügend Kapitalismus-Cheerleader da draußen, die uns all die wunderbaren Effekte der Globalisierung ausführlich erläutert haben. Mein Buch soll ein Korrektiv darstellen. Ich wollte eine alternative Geschichte darüber erzählen, wie der Neoliberalismus in bestimmten historischen Situationen triumphieren konnte. Die offizielle Geschichtsschreibung verschweigt die Alternativen, und sie behauptet, dass sich der Neoliberalismus friedlich und demokratisch durchgesetzt hat. Was nicht stimmt. Aber es wird heute immer schwerer, ein Neoliberaler zu sein. Selbst die „New York Times“ bezeichnet die US-Wirtschaft mittlerweile als Plutokratie.

profil: Ganz zu schweigen vom Leitmedium des freien Marktes, dem britischen „Economist“, der sich in jüngster Zeit viele Gedanken über die Ungerechtigkeit in der Welt macht.

Klein: Sogar Alan Greenspan (der ehemalige Vorsitzende der US-Notenbank, Anm.) sagt das. Neoliberalismus funktioniert eben nur als Versprechen wirklich effektiv: Wenn wir dieses und jenes Freihandelsabkommen bekommen, dann wird es Wachstum und Wohlstand für alle geben. Wenn man sich die Dinge hinterher genauer anschaut, stößt man aber schnell auf die weniger angenehme Wahrheit. Das bringt die Ideologen zunehmend in Erklärungsnotstand und eröffnet einen Raum für das, was ich versuche: eine vollständigere Version der Geschichte. Jahrelang wurde diese Geschichte ausschließlich von Alan Greenspan erzählt.

profil: Und von dem im Vorjahr verstorbenen Wirtschaftswissenschafter und Nobelpreisträger Milton Friedman, den Sie als regelrechtes Monster hinstellen.

Klein: Ich halte ihn nicht für ein Monster. Ich finde ihn eher langweilig.

profil: Genau deswegen verwundert es, dass sie ihn für die Schandtaten von Augusto Pinochet und anderen lateinamerikanischen Diktatoren verantwortlich machen. Friedman hat doch bloß den ökonomischen Hintergrund geliefert, vor dem deren gewaltsame „Reformen“ abliefen.

Klein: Ich halte es für verwerflich, 1975 in ein Land wie Chile zu fahren, das weltweit für die Brutalität seines Regimes bekannt ist, und dort wirtschaftliche Schocktherapien vorzuschlagen. Das zeugt von einer Bereitschaft, großes Leid in Kauf zu nehmen. Damals wurde Friedman dafür auch zur Verantwortung gezogen. Er wurde in den Medien heftig kritisiert für das Leid, das seine Reformvorschläge auslösten.

profil: Von dieser Kritik ist nicht viel übrig geblieben. Friedman gilt als einer der wichtigsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts.

Klein: Der Umschwung kam mit seinem Nobelpreis 1976. Dadurch wurde er unangreifbar – und seine Ideologie mit ihm. Ich behaupte aber nicht, dass Friedman ein böser Mensch war. Die US-Außenpolitik und die großen Konzerne bedienten sich seiner als Mittel zum Zweck. Dieser Zweck war ein Klassenkampf, den die Eliten vom Zaun brachen, weil sie es leid waren, Steuern zu zahlen. Die US-Regierung wiederum war besorgt darüber, dass Lateinamerika nach links rücken könnte – und sie bediente sich ziemlich geschickt seiner Theorien, um das zu verhindern.

profil: Weniger Geschick bewies die aktuelle Regierung im Umgang mit der Flutkatastrophe in New Orleans. Sie waren im September 2005 selbst vor Ort. Ihr Bericht legt nahe, dass damals mehr im Spiel war als reine Unfähigkeit. Wurde das Chaos von der Regierung wissentlich verschärft?

Klein: Die Katastrophe von New Orleans wurde natürlich nicht mit Absicht herbeigeführt, aber sie war eine Folge eines ideologischen Projekts. Die staatlichen Einrichtungen waren in einem Zustand völliger Auflösung: Die Infrastruktur funktionierte nicht, das Transportsystem funktionierte nicht, und die Regierung war unfähig, den Menschen auch nur die notwendigste Hilfe zukommen zu lassen. All das sind Resultate der Privatisierung und der Aushöhlung der Verwaltung. Andererseits hat die Katastrophe einigen Unternehmern auch tatsächlich geholfen: Sie machte Platz für neue Immobilienprojekte. Und wenn es darum geht, eine Katastrophe auszunützen, gibt es keine Schlamperei. Dann wird sehr professionell und sehr schnell gehandelt.

profil: Kann diese Aushöhlung des Staates von einem neuen, möglicherweise demokratischen US-Präsidenten rückgängig gemacht werden?

Klein: Ich bin nicht sicher, ob die Demokraten das überhaupt wollen. Derzeit sprechen sie bloß davon, private Auftragnehmer besser zu kontrollieren und Korruption einzudämmen. Es könnte gelingen, aber es wäre aufgrund der Parteien- und Wahlkampffinanzierung in den USA enorm schwierig. Auch Hillary Clinton bekommt sehr viel Geld von der Sicherheitsindustrie.

profil: Im Moment gibt es einen gewissen Trend, sich durch bewussten Konsum für eine bessere Welt einzusetzen. Nur bei ethisch korrekten Unternehmen einzukaufen und damit die Gesetze des Marktes zur Weltverbesserung einzusetzen: Kann das funktionieren?

Klein: Erstens bin ich mir nicht ganz sicher, ob es diesen Trend überhaupt gibt oder ob er nicht vielmehr eine Erfindung der Medien ist. Ich kenne niemanden, der wirklich daran glaubt, dass dadurch etwas verändert werden kann. Viele Unternehmen fürchten sich ganz einfach vor stärkeren Regulierungen. Deshalb setzen sie sich freiwillig für den Klimaschutz ein – um schärfere Gesetze zu vermeiden. Es läuft immer nach demselben Schema: Die erste Stufe ist Leugnung, die zweite ist leere Rhetorik, die dritte freiwillige Selbstbeschränkung. Eigentlich fürchten sich die globalen Multis nur vor echten, gesetzlich verankerten Regulierungen. Aber die Leute sind nicht dumm. Sie merken, dass das nur Scheinlösungen sind.

Interview: Sebastian Hofer