Interview

Interview: „Die Kontinuität ist wesentlich“

„Die Kontinuität ist wesentlich“

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profil: Ab wann darf man ein Kind guten Gewissens in außerfamiliäre Betreuung geben?
Friedrich: Das ist die Gretchenfrage. Es kommt ganz auf die Bedingungen an. Voraussetzung ist, dass die ausgewählte Betreuungsperson kontinuierlich dieselbe bleibt. Es ist ein großes Problem für Kinder, wenn die Betreuungspersonen wechseln, besonders in den ersten drei Lebensjahren. Wenn man es sich leisten kann, sind Kinderfrauen, die nach Hause kommen, natürlich die
beste Lösung, weil sie ein Kontinuum darstellen. Auch Tagesmütter sind zu empfehlen, wenn sie nicht zu viele Kinder gleichzeitig betreuen und über zwei oder drei Jahre für das Kind da sind. Wenn das gewährleistet ist, kann man es auch vertreten, dass ein Kind bereits sehr früh, mit drei, vier Monaten, außerfamiliär betreut wird. Aber die Kontinuität muss gegeben sein.
profil: Ein deutscher Kinderpsychiater fordert, dass man Kinder bis zum vollendeten dritten Lebensjahr ausschließlich im engsten Familienkreis betreut. Was halten Sie davon?
Friedrich: Das ist ein Unsinn. Lieb gemeinte, undurchführbare Phantasmen.
profil: Frühe außerfamiliäre Betreuung hat also Ihrer Meinung nach keine schädliche Auswirkung auf die Gehirnentwicklung?
Friedrich: Nein. Aber wenn die Mutter dann das Kind am Abend wieder übernimmt, sollte sie genügend Zeit haben, um sich wirklich mit dem Kind beschäftigen zu können. Deshalb sind Halbtags- oder Dreiviertellösungen am
besten. Zum Beispiel haben meine Mutter und auch meine Schwiegermutter jeweils nach der Geburt gleich wieder gearbeitet. Auch meine Frau
hat mit vier Kindern jeweils nach dem Mutterschutz wieder ihre Arbeit aufgenommen. Wir hatten eine Kinderfrau, und zwischen der und meiner Frau hat es nie eine Konkurrenz gegeben. Die eine war die Mami, die andere war die Tante Fritzi und aus.
profil: In anderen europäischen Ländern wie Finnland, England oder Frankreich ist es üblich, dass die Frauen wieder arbeiten, wenn die Kinder erst ein paar Monate alt sind. Könnte das am Ende negative Auswirkungen auf die Gesellschaft haben?
Friedrich: Nein. Ich hab gerade einen finnischen Kollegen getroffen, der erzählte, dass es in Finnland völlig normal ist, dass jede Frau arbeitet, die arbeitsfähig und nicht krank ist. Und „Tagesmutter“ ist dort ein erlernter Beruf.
profil: Natürlich gibt es jede Menge glücklicher Vollzeitmütter. Aber was ist besser für ein Kind, falls eine Mutter vom Hausfrauendasein genervt ist? Trotzdem daheim bleiben oder arbeiten gehen?
Friedrich: Also mir ist eine arbeitende Frau, die am Abend nach Hause kommt und sich wirklich auf ihre Kinder freut, lieber als eine genervte, frustrierte Mutter, die den ganzen Tag zu Hause ist. Bei uns zu Hause haben wir es so geregelt, dass meine Frau am Abend dann nicht mit dem Besen durch die Wohnung wedeln musste, sondern sich mit den Kindern beschäftigen konnte. Das kostet natürlich, aber wir haben uns das geleistet. Und auch ich habe Aufgaben übernommen, zugegebenermaßen nicht halbe-halbe.
profil: Überhaupt: Was ist mit den
Vätern?
Friedrich: Das ist ein interessanter Aspekt: Es gibt heutzutage viele Väter, die sagen: Ich mach ja eh bei allem mit! Aber wenn man dann ganz genau hinschaut, machen die Väter nur die lustvollen Sachen, kochen ein bisschen und machen den Lustig-Papa am Wochenende. Die unangenehmen Sachen und die Hauptverantwortung übernehmen fast immer die Mütter.