„Ja, wenn Sie mir sagen, wer das zahlt?“

Edmund Stoiber: „Ja, wenn Sie mir sagen, wer das zahlt?“

Interview. Bayerns Ex-Ministerpräsident Edmund Stoiber über seine späte Liebe zum Euro

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Interview: Robert Treichler

profil: Die EU-Krise kennt viele Verlierer. Ökonomisch ist Griechenland am schlimmsten dran, aber Deutschland hat einen enormen Imageverlust erlitten. Ihr Land gilt als Bremser. Warum ist das so?
Stoiber: Das Image, von dem Sie sprechen, ist zu einem großen Teil von der veröf­fentlichten Meinung geprägt. Was die Berlusconi-Presse in Italien macht, wie sie Deutschland, die Kanzlerin und die deutsche Politik darstellt, ist ein Skandal. Ich denke, die große Mehrheit weiß, wer unter anderem Schuld an dem Schlamassel trägt: die Ex-Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi in Italien, José Sócrates in Portugal und José Luis Rodriguez Zapatero in Spanien. Diese Länder leben weit über ihre Verhältnisse und haben ein Defizit angehäuft, sodass sie fast keine leistbaren Kredite mehr bekommen.

profil: Auch wenn die ursächlichen Fehler in den betroffenen Ländern liegen, so ist das kein Grund dafür, dass Deutschland bei jeder neuen Hilfsmaßnahme zunächst einmal abwinkt, ehe es dann meist nach langem Hin und Her doch mitmacht. So war das bei der Griechenland-Hilfe, beim Schutzschirm, bei der Erweiterung des Schutzschirms …
Stoiber: Schritt für Schritt! Man darf nicht vergessen, dass die europäischen Verträge ein No-Bail-out festlegen. Kein Staat, auch nicht die Gesamtheit der Staaten, haftet für den anderen. Das wird durch die Rettungsmechanismen wie den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) verändert, und das ist den Menschen schwer zu erklären. Deutschland ist in einer speziellen Situation, in der es bisher nie war. Zurzeit kommt es sehr auf Deutschland an. Wir waren früher schon das größte Land und die größte Volkswirtschaft. Heute sind wir wider Willen die Leading Nation.

profil: Das spürt man sehr deutlich. Als die Europäische Zentralbank beschlossen hat, in bestimmten Fällen unbegrenzt Staatsanleihen zu kaufen, stimmten alle dafür – mit Ausnahme des deutschen Vertreters, Bundesbankchef Jens Weidmann. Und immer wieder kommen aus Deutschland Scharfmacher-Töne, gerade aus Ihrer Partei, der CSU.
Stoiber: Im Gegensatz zu anderen europäischen Staaten gibt es in Deutschland keine relevante europafeindliche Rechtspartei.

profil: Das ist richtig. Die Gegner der Regierungspolitik sitzen in den eigenen Reihen. Etwa der CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt, der kürzlich sagte, dass er Griechenland kommendes Jahr außerhalb der Eurozone sehe. Oder der CSU-Abgeordnete Peter Gauweiler, der versucht, jeden neuen Rettungsansatz mit juristischen Mitteln zu Fall zu bringen.
Stoiber: In der Bevölkerung gibt es große Ängste. Schlagen Sie nur die Leserbriefseiten in den Zeitungen auf. Die Bevölkerung ist gegenüber den Hilfen für Griechenland sehr skeptisch. Die Politik trägt eine riesige Verantwortung, nicht zuletzt für das Erbe von Adenauer, Schumann und de Gasperi. Das steht jetzt auf dem Prüfstand. Wenn die Politik der Eurogegner Erfolg hätte, würde das ein ökonomisches Desaster bedeuten – auch für Deutschland. Aber man muss denen, die nur aufs Geld schauen und rufen „Nicht noch ein Hilfspaket!“ oder „Bloß kein Bail-out!“, entgegentreten und sagen: Es geht auch noch um Größeres, es geht um unsere europäischen Werte!

profil: Können Sie diesen Zusammenhang erklären?
Stoiber: Natürlich! Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Im kleinen Kreis, bei einem Treffen des Advisory Board der Münchener Sicherheitskonferenz, argumentiert der chinesische Außenminister in etwa so: „Ihr Europäer kümmert euch ständig um Menschenrechte. Kümmert euch doch besser um eure eigenen Probleme! Ihr, Europa und die USA, seid die Quelle des wirtschaftlichen Chaos. Die Demokratie, was ist das für eine komische Staatsform, bei der derjenige an die Macht kommt, der am meisten verspricht, und weil das Geld dafür nicht reicht, macht ihr dauernd noch mehr Schulden? China macht keine Schulden dieser Größenordnung, wir finanzieren euren Traum, und da wollt ihr uns sagen, eure Staatsform ist die beste?“

profil: Was antworten Sie darauf?
Stoiber: Ich weise das natürlich zurück. Aber das ist eine intellektuelle und politische Herausforderung! Wir müssen unser Problem lösen, davon hängt unsere Glaubwürdigkeit ab. Das sind die Fakten: Etwa sieben Prozent der Weltbevölkerung sind Europäer. Diese erwirtschaften rund ein Viertel des Weltwirtschaftsprodukts. Der europäische Anteil an allen weltweit erbrachten Sozialleistungen beträgt jedoch 50 Prozent! Wir Europäer werden weniger, die Welt wächst, und wir wollen unser Modell eines demokratischen Sozialstaats ­verteidigen und in der Welt attraktiv halten. Das ist der Hintergrund, vor dem wir die Eurokrise und die Versuche, sie zu bewältigen, betrachten müssen.

profil: Das sagt einer der vormals schärfsten Kritiker des Euro.
Stoiber: Ja. Ich war in den 1990er-Jahren heftig dagegen, mit Italien und Spanien eine europäische Währungsunion zu machen. Mein Argument war: Mit dem „Club Med“ geht es nicht, weil die Lira-Mentalität eine andere ist als die Hartwährungspolitik der D-Mark oder auch des Schillings in Österreich. Am Ende war es ein politisches Projekt, dem ich mich nicht länger entgegenstellen konnte, nachdem auch die Deutsche Bundesbank grünes Licht gegeben hatte.

profil: Wieso denken Sie heute anders?
Stoiber: Ich sage: Wenn ich einen Reset-Knopf hätte, würde ich ihn drücken. Wieder zurück im Jahr 1996, würde ich noch vehementer für eine kleinere Währungsunion eintreten, und dafür, dass Lira, Drachme und Peseta bestehen bleiben. Dann hätten wir die aktuellen Probleme nicht. Nur: Seit der Entscheidung von damals sind 16 Jahre ins Land gegangen, eine unendliche Vernetzung hat stattgefunden, und den Reset-Knopf gibt es nicht. Laut Klaus Regling, dem Chef des ESM, würde ein Zusammenbruch des Euro in Deutschland einen Rückgang des Wachstums um bis zu 15 Prozentpunkte bedeuten. Das darf nie passieren!

profil: Worauf gründet Ihre Hoffnung, dass sich alles letztlich zum Guten wenden wird?
Stoiber: Im Vertrag von Maastricht waren die richtigen Kriterien enthalten, nur wurden sie missachtet. Fast alle Länder, auch Deutschland, verschuldeten sich entgegen den Abmachungen. Jetzt gibt es den Fiskalpakt.

profil: Sie glauben, dass der eingehalten wird?
Stoiber: Er wird in den einzelnen Staaten zu nationalem Gesetz und kommt sogar in die Verfassung. Bisher hat sich niemand geweigert.

profil: Griechenland wird die ihm gesteckten Ziele wieder einmal nicht erreichen. Viele sagen jetzt schon, man muss der griechischen Regierung mehr Zeit einräumen. Wer ist wieder einmal dagegen? Deutschland.
Stoiber: Ja, wenn Sie mir sagen, wer das zahlt? So etwas kostet wieder 20, 30 Milliarden Euro!

profil: Was schlagen Sie vor?
Stoiber: Athen muss erst einmal die Reichen zur Kasse bitten. Die schaffen Milliardenbeträge ins Ausland, legen sie in London in Immobilien an oder zahlen sie in der Sparkasse von Wiesbaden ein. Griechenland ist, verglichen mit Deutschland oder Österreich, ein Entwicklungsland. Es hätte dem Euro nie beitreten dürfen. Zum Glück hat die derzeitige Regierung Samaras den Ernst erkannt. Ob sie die notwendigen Maßnahmen auch durchsetzen kann, werden wir sehen.

profil: Haben Sie nicht eben dafür plädiert, die großen Fragen über den unmittelbaren Ärger wegen zusätzlicher Finanzhilfe zu stellen? Würde das nicht dafür sprechen, die Ressourcen in Europa zu bündeln und auch die Schulden gemeinsam abzubauen?
Stoiber: Das halte ich für völlig falsch. Die einzelnen Staaten müssen die Voraussetzung für ihre Sanierung selbst schaffen. In den vergangenen zehn Jahren sind die Lohnstückkosten in Italien um 30 Prozent gestiegen – ähnlich in Spanien und Portugal. In Deutschland sind sie im selben Zeitraum stagniert, weil wir harte Reformen durchgeführt haben. Das war sehr schmerzvoll für viele Menschen. Mein ­großer Kontrahent, Ex-Kanzler Gerhard Schröder, hat durch die Kürzung der Sozialleistungen – die Hartz-IV-Gesetze – letztlich seine Partei halbiert. Es war aber für unser Land richtig. Und wie sollen wir jetzt jemandem, der durch das Tal der Hartz-IV-Gesetzgebung gegangen ist, klarmachen, dass er für die katastrophale Politik etwa eines Silvio Berlusconi geradestehen soll? Deutschland hat das soziale Leistungsniveau des Staates abgesenkt, den Niedriglohnsektor ausgedehnt, während Italiens Bunga-Bunga-Politik dafür gesorgt hat, dass die Leute viel zu früh in Rente gehen. Wenn ich einen Sozialstaat mit einem hohen finanziellen Ausgleich haben will, muss ich ihn mir leisten können. Ich kann doch nicht sagen: Wir gehen ab 60 in Rente, aber zahlen sollen es unter anderem die Deutschen! Sehen Sie sich an, wie viele Italiener im Arbeitsprozess sind: 37 Prozent! In Deutschland sind es 47 Prozent. Die Fiskalunion herzustellen heißt, Strukturen zu schaffen, damit die Politiken zueinanderpassen. Wenn man das nicht will, wird Europa in der Welt nur ein Spielball sein.

profil: Wird der kommende Wahlkampf in Deutschland ein Euro-Wahlkampf sein?
Stoiber: Der Euro ist das Thema, das die Bürger am meisten bewegt. Darüber ­diskutieren zu Hause am Sonntagmittag Großvater, Tochter und Enkel: „Menschenskind, ob die 50.000 Euro, die ich für meine Rente zusammengespart habe, wohl auch sicher sind?“ Die Angst vor der Inflation geht um.

profil: Ist es nicht gefährlich, im Wahlkampf solche Ängste auch noch zu schüren?
Stoiber: Das Vertrauen, das Angela Merkel in Deutschland und auch in Europa genießt, ist ihr größtes Kapital. Es wird bestimmt ein emotionalerer Wahlkampf werden als 2009. Das liegt auch am SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück, der ein sehr eloquenter, scharfzüngiger und leidenschaftlicher Politiker ist. Da werden die Positionen aufeinanderprallen.

profil: Sie warnen in Ihrem Buch vor einem SPD-Sieg und prophezeien, die Sozialdemokraten würden „die deutschen Interessen vergessen“. Sind das schon Wahlkampftöne?
Stoiber: Nein. Die SPD will de facto Eurobonds, und die sind vielleicht aus der Perspektive der USA und Japans das Allerbeste, aber nicht für Deutschland. Steinbrück ist für eine Übernahme der Haftungen, für einen europäischen Schuldentilgungsfonds. Ich lehne all das ab. Aber gegenwärtig kommt ohnehin kein Herausforderer an Merkels Zustimmungswerte heran.

profil: Kann man die Hilfe für die südlichen Krisenländer nicht mit der Situation der Wiedervereinigung vergleichen? Damals hat die Bundesrepublik den neuen Bundesländern ermöglicht, den Lebensstandard anzugleichen, anstatt darauf hinzuweisen, dass der Osten nicht wettbewerbsfähig war.
Stoiber: Klar, das war das eigene Land, die eigene Sprache, das eigene Volk.

profil: Wäre es nicht sinnvoll, auch innerhalb Europas so zu denken zu beginnen?
Stoiber: Wir tragen aber nicht die Schuld an dem Debakel der Südländer.

profil: War Westdeutschland schuld am Debakel der DDR?
Stoiber: Deutschland hatte mit Adolf Hitler die Ursache zu verantworten, die Teilung Deutschlands war die Folge eines verbrecherischen Kriegs.

profil: Sie sind für eine weitere – rasante – Integration der Europäischen Union.
Stoiber: Ja, aber für mich heißt ein Mehr an Europa nicht mehr Kompetenzen. Es geht um die Kontrolle beim Budget.

Stoiber lässt sich von seinem Büroleiter sein Smartphone reichen und ruft eine aktuelle Meldung auf. Er strahlt.

Stoiber: Finanzminister Wolfgang Schäuble fordert, dass der EU-Währungskommissar ein Vetorecht bei nationalen Budgets hat. Das habe ich immer gefordert! Die Verträge müssen eingehalten werden. Aber die 17 Regierungschefs der Eurozone können die Einhaltung nicht überwachen. Das funktioniert nur mit europäischer Kontrolle durch einen Kommissar. Das ist die Konsequenz des Fiskalpakts.

profil: Das schafft neue bürokratische Strukturen, wo Sie doch Beauftragter für Bürokratie-Abbau sind.
Stoiber: Auf anderen Gebieten hat die EU sich viel zu viele Kompetenzen angeeignet. Ich bin seit 2008 Beauftragter für ­Bürokratie-Abbau der EU, mein Mandat wurde eben bis Oktober 2014 verlängert, und ich frage in Brüssel oft: Warum regelt ihr so viele Dinge? Wozu brauchen wir eine Seilbahnverordnung, die auch in Mecklenburg-Vorpommern umgesetzt werden muss – die haben da nicht mal ­einen Berg?! Die Mecklenburger sagen: Die EU hat einen Vogel! Das muss nicht sein.

Fotos: Michael Rausch-Schott für profil