Homo-Debatte: „Es ist nicht gerecht“

Interview: „Es ist nicht gerecht“

Alfred Gusenbauer für parteiübergreifende Allianz

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profil: Würden Sie einem schwulen Genossen raten, sich zu outen – als politischen Akt, sozusagen.
Gusenbauer: Es kann niemand dazu gezwungen werden, das ist seine persönliche Angelegenheit. Aber da es eine akzeptierte, selbstverständliche Form des Zusammenlebens ist, finde ich überhaupt nichts dabei, wenn sich ein Politiker dazu bekennt.
profil: Woran, glauben Sie, liegt es, dass es in Österreich kaum homosexuelle Politiker gibt?
Gusenbauer: Das kann ich nicht beurteilen. Bei uns ist jedenfalls Günter Tolar Mitglied des SPÖ-Parteivorstandes, der sich offen zu seiner Homosexualität bekennt.
profil: Haben Sie Homosexuelle in Ihrem Bekanntenkreis?
Gusenbauer: Jede Menge. Einer meiner besten Freunde ist Alfons Haider, zum Beispiel.
profil: Und was halten die Betroffenen von der derzeitigen Debatte?
Gusenbauer: Sie sehen eine Chance, dass jetzt tatsächlich jene rechtlichen Veränderungen eingeleitet werden, die Österreich in dieser Frage auf ein – ich würde sagen – europäisches Zivilisationsniveau heben.
profil: Das heißt?
Gusenbauer: Die auf dem Standesamt eingetragene Partnerschaft soll weitestgehend, bis auf die Frage der Kinder und die Frage der Adoption, eine rechtliche Gleichstellung mit der Ehe bringen.
profil: Die Vorstellungen der Grünen sind in dieser Frage von jenen der SPÖ nicht so weit entfernt. Aber auch bei der ÖVP und der FPÖ gibt es Politiker, die aktuell über rechtliche Verbesserungen für homosexuelle Lebensgemeinschaften nachdenken. Lässt sich daraus eine parteiübergreifende Allianz bilden?
Gusenbauer: Wenn das eine Möglichkeit wäre, die Fronten zu entkrampfen, stehen wir zur Verfügung. Wenn sich die ÖVP dazu entschließen könnte, den Klubzwang aufzuheben, könnten wir im Parlament auch zu einer Mehrheit kommen. Mein persönlicher Eindruck ist allerdings, dass die ÖVP das zu einer grundsätzlichen Wertefrage macht.
profil: Die Meinung einzelner ÖVP-Politiker ist von jener der Kirche nicht so weit entfernt. Sie sind bekennender Katholik. Was halten Sie als Katholik von der Haltung der katholischen Kirche zur Sexualität?
Gusenbauer: Diese Haltung ist überaus inakzeptabel, und ich glaube, dass sich die Kirche in dieser Frage bewegen muss. Ich habe Verständnis dafür, dass die Kirche vom Schöpfungsgedanken her den zentralen Zusammenhang von Ehe und Fortpflanzung sieht. Aber ich glaube, dass sich die Kirche mit diesem dogmatischen Standpunkt enorm schadet, wo doch die gesamte Öffentlichkeit zumindest in regelmäßigen Abständen zur Kenntnis nimmt, dass Homosexualität auch in der Kirche Realität ist.
profil: Die Debatte über die Homosexuellen hat die Gesundheitsreform und die Pensionsharmonisierung in den Hintergrund gerückt. Nüchtern gesehen, scheinen die Abstände zwischen den einzelnen Reformen im Sozialsystem immer kürzer zu werden. Kann es sein, dass unser beitragsfinanziertes System, das auf kontinuierlichen Erwerbsverläufen aufbaut, der modernen Erwerbsgesellschaft nicht mehr gerecht wird?
Gusenbauer: Das System ist ja nicht ausschließlich von den Beiträgen aus dem Arbeitseinkommen abhängig. Das Pensionssystem etwa finanziert sich aus Beiträgen und staatlichen Zuschüssen, also Steuergeldern. Der staatliche Anteil hat in erster Linie die Funktion, Versorgungslücken auszugleichen, etwa für jene, die nicht genügend Versicherungszeiten haben, um zu einem Mindesteinkommen zu kommen. Im Prinzip hat das Umlageverfahren den großen Vorteil, den man nicht geringschätzen darf: die Schicksalsgemeinschaft von Beschäftigten und Pensionisten. Alle Pensionisten müssen ein Interesse an einer guten Beschäftigungssituation haben, weil nur dies ihre Pensionen absichert.
profil: Es zeigt sich, dass immer weniger Menschen von dem leben können, was sie verdienen. Die Zahl der so genannten „working poor“ nimmt stetig zu. Beim Parteitag der Demokraten in Boston, den Sie ja vor Ort verfolgt haben, war das ein ganz großes Thema. In Österreich scheint dieses Problembewusstsein gering.
Gusenbauer: Ich persönlich halte die Entwicklung der atypischen Beschäftigungsverhältnisse für die größte gesellschaftspolitische Herausforderung. Schätzungen zufolge bestehen bereits 500.000 derartige Arbeitsverträge in Österreich. Diese führen zu niedrigerem persönlichem Einkommen, aber auch zu geringeren Einnahmen im Sozialsystem und im Steuerhaushalt. Damit wird die gesamte Finanzierung des Sozial- und Staatshaushalts infrage gestellt. Daher brauchen wir eine neue Regelung. Mir ist bewusst, dass unter den 500.000 auch viele darunter sind, die eine Kombination von Ausbildung oder Studium und Erwerb versuchen. Aber es ist inakzeptabel, dass sich Unternehmer in zunehmender Zahl billige Beschäftigung organisieren.
profil: Es gibt laufend Debatten um die Lohnnebenkosten, die ja als wesentlicher Faktor im Standortwettbewerb angeführt werden. Die Beitragsparität – also die gleiche Beitragshöhe für Arbeitgeber und
-nehmer – ist schon seit langem aufgehoben. Wäre es nicht zu überlegen, die Sozialbeiträge aufzugeben und auf ein steuerfinanziertes Sozialsystem wie in den Niederlanden umzusteigen?
Gusenbauer: Das ist eine überlegenswerte Idee. Nur muss man schon feststellen: Die politischen Moden wechseln dauernd. Einmal wollen die Unternehmen Lohnnebenkostensenkungen, dann wollen sie niedrigere Steuern. Das Ziel ist im Prinzip immer das gleiche: Sie wollen ihre Kosten senken. Ich halte die Systemdebatte nicht für relevant. Im internationalen Wettbewerb ist entscheidend, zu welchen Gesamtkonditionen Produkte verkauft werden. Was die Lohnstückkosten betrifft, hat sich die österreichische Volkswirtschaft absolut wettbewerbsfähig entwickelt. Österreichs Exportrekorde sprechen dafür.
profil: Nun könnte man ja auch auf dem Standpunkt stehen, das beitragsfinanzierte System ist nicht gerecht, weil es immer wieder Beitragsobergrenzen gibt.
Gusenbauer: Wenn man die Beitragsobergrenzen aufmacht, resultieren daraus höhere Pensionsleistungen.
profil: Im steuerfinanzierten System wäre dies zu umschiffen.
Gusenbauer: Stimmt. Man könnte hergehen und höhere Steuern einführen. Das wäre aber ein zu radikaler Umverteilungsplan, den ich ehrlich gesagt für nicht erforderlich halte. Was ich sehr wohl für nötig halte, und dafür plädiere ich auch, ist, im Gesundheitssystem die Höchstbeitragsgrundlage anzuheben. Das Ziel muss eine gänzliche Aufhebung sein. Es ist nicht einsichtig und gerecht, dass jemand, der im Monat 10.000 Euro brutto verdient, de facto einen geringeren Beitrag zur Krankenversicherung leistet als jemand, der zum Beispiel 3000 Euro brutto im Monat verdient.
profil: Das birgt allerdings die Gefahr, dass Besser- und Bestverdiener aus dem System aussteigen.
Gusenbauer: Mit welcher Begründung?
profil: Mit dem Argument, dass sie sich bei den hohen Beiträgen, die sie ins öffentliche System pulvern, gleich privat versichern können.
Gusenbauer: Es kann mir niemand erklären, die derzeitige Höchstbemessungsgrundlage in der Krankenversicherung sei gerecht; und dass deren Abschaffung zur Folge hat, dass ich aus dem System austrete. Ich sehe diese Gefahr nicht. Es gibt in Österreich einen breiten Konsens, die Versorgung nicht nur zu stabilisieren, sondern weiter zu verbessern. Jedes Wiener Gemeindespital ist von der medizinischen Versorgungsqualität her mit Privatkliniken absolut konkurrenzfähig. Denn wenn in Privatkliniken Probleme auftauchen, werden die Patienten in öffentliche Spitäler verlegt.
profil: Laut Umfragen geht es der SPÖ ausgezeichnet, aber ihr Vorsitzender kommt nicht vom Fleck. Ihre Persönlichkeitswerte sind nach wie vor schwach.
Gusenbauer: Ich hab heute in der Zeitung gelesen, dass Wolfgang Schüssels Persönlichkeitswerte 1999 bei zwölf Prozent lagen, da war er Vizekanzler und schon seit zehn Jahren in der Spitzenpolitik. Heute liegt sein Wert trotz Kanzlerbonus laut profil-OGM-Umfrage bei 31 Prozent, meiner bei 21 Prozent. Ich traute mir da als Kanzler mehr zu.
profil: Es gibt offenbar Strömungen in der SPÖ, die gerne Gerhard Zeiler als Kanzlerkandidat sehen wollen. Seine Persönlichkeitswerte sind, gemessen daran, dass er die letzten Jahre nicht in Österreich war, ausgezeichnet. Spricht das für Zeiler oder gegen Sie?
Gusenbauer: Politologen sagen, jeder, der neu einsteigt, hat von vorneherein einen Bonus, der sich dann nach unten relativiert. Das sind Momentaufnahmen, die mit der Bewertung der politischen Arbeit relativ wenig zu tun haben. Ich bin mit der Entwicklung der letzten vier Jahren zufrieden. Die große Entscheidung wird bei der Nationalratswahl 2006 fallen.
profil: Sie waren 2000 der kleinste gemeinsame Nenner als Parteivorsitzender, um die Partei ohne Spaltung in die Opposition zu führen. Macht Sie das automatisch zum geeigneten Kanzlerkandidaten?
Gusenbauer: Ich bin davon überzeugt, dass ich ein bedeutend besserer Bundeskanzler sein werde als Wolfgang Schüssel.
profil: Würden Sie, wenn es der SPÖ nützt, auf die Spitzenkandidatur verzichten?
Gusenbauer: Es nützt ja keinem.
profil: Das klingt so, als ob Sie von sich selbst überzeugt sind.
Gusenbauer: Ich bin davon überzeugt, am richtigen Platz zu sein und das Richtige im Interesse Österreichs zu tun.