Allen: „Ich bin nicht talentiert genug“

Interview: „Ich bin nicht talentiert genug“

Interview: Regisseur und Schauspieler Woody Allen

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Irgendwie hat man den Eindruck, dass Woody Allen, bürgerlich Allen Stewart Konigsberg, schon in ausgebeulten Cordhosen und einem labbrigen Pullover auf die Welt gekommen sein muss, 1935 in der Bronx. Da sitzt er im Londoner Nobelhotel Dorchester, und die vor der Tür der Interviewsuite winselnden Fotografen werden von dienstbaren PR-Geistern weggescheucht. Keine Fotos. Alles, nur keine Fotos. Allen ist ein wenig verkühlt, fühlt sich nicht ganz wohl. Könnte man die Klimaanlage ein wenig runterdrehen?

Soon-Yi, seine Ehefrau seit 1997, 35, weilt ein paar Zimmer weiter. Der Skandal von 1992, der ans Tageslicht brachte, dass der Schutzheilige aller Intellektuellen ein Verhältnis mit der Adoptivtochter seiner damaligen Lebensgefährtin Mia Farrow unterhielt, ist im kollektiven Archiv der Verdrängung gelandet. Allens kreative Aura vermochte es, das Ereignis rückwirkend zur Marginalie zu degradieren. In dem Dokumentarfilm „Wild Man Blues“ (1996) gab der damals 69-jährige Allen, ansonsten berühmt für eine ausgeprägte Öffentlichkeitsphobie, ganz unverblümt Einblicke in seine Beziehung zu der halb so alten Koreanerin, die ihr Selbstverständnis zwischen Krankenpflegerin und Muse gefunden haben dürfte.

Als Allen sich fröstelnd seinen Altherren-Pullover übergezogen hat, wechselt er ins Genre verschüchterter Jovialität und streckt einem matt die Hand entgegen: „Hi, ich bin Woody Allen. Danke, dass Sie da sind.“

profil: Sie sehen in Ihren Filmen und auch jetzt wie jemand aus, der eigentlich viel lieber anderswo sein würde.
Allen: Oje, wirke ich so? Aber Sie haben Recht: Ich reise höchst ungern. Am liebsten bin ich in New York und führe mein normales Schreiberleben. Und da bewege ich mich im Idealfall nur ein paar Blocks von meiner Wohnung weg. Ich reise nur, weil meine Frau es will. Ich tue eigentlich alles, was sie sagt.
profil: Entspricht das Ihrem neuen Verständnis von Romantik? In Ihrem Film „Melinda and Melinda“ ist die Liebe zwar auch ein Schlachtfeld schmerzhafter Desillusionierungen, aber am Ende siegt die Romantik oder wenigstens der Glaube daran.
Allen: Ich bin ein romantischer Mensch. Wie meine Frau. Eine glückliche Beziehung ist doch wie eine Oase, die uns von der Tragik des Seins schützt und ablenkt. Die Liebe ist wie ein Fred-Astaire-Film: Man geht hinein und vergisst für kurze Zeit all das Tragische, das das Leben ausmacht.
profil: Was ist tragisch? George W. Bush?
Allen: Ich bitte Sie: Das ist doch alles lächerlich, verglichen mit der wahren Tragödie unserer Existenz. Wer ist George W. Bush? Den werden wir sowieso wieder los. Was hat der Irak-Krieg für eine Bedeutung angesichts des Untergangs des Universums? Genau keine. Selbst wenn es nur Frieden gäbe und sich alle liebten, änderte das nichts an der Tatsache, dass diese Welt schrecklich ist. Wie wir aus den Erkenntnissen der Quantenphysik wissen, wird unser Universum sich auflösen. Shakespeares Stücke, Beethovens Werke – alles, alles wird weg sein. Und allein die Tatsache, dass wir aus purem Zufall hier sind und unsere Existenz keinen wie immer gearteten Sinn macht, ist so deprimierend, dass man sich entweder nur umbringen oder darüber scherzen kann.
profil: Glücklicherweise haben Sie sich für den Humor entschieden – obwohl Sie, kokett oder parodistisch, in Ihrem Werk immer wieder das Image der zerquälten Künstlerexistenz beschwören.
Allen: Das entspricht auch meinem Berufsbild. Ich wollte seit meinem fünften Lebensjahr ein Tragödienschreiber werden. Meine Eltern haben mich nicht geschlagen, bei uns zu Hause war immer geheizt, und es gab zu essen. Dennoch befiel mich irgendwann diese Melancholie. Wahrscheinlich hing das mit dem Moment zusammen, in dem mir meine Sterblichkeit bewusst wurde.
profil: Ist es die Ironie Ihres Lebens, dass Ihre großen Erfolge immer im komischen Genre zu finden waren, während Ihre Bemühungen um Ernsthaftigkeit, wie in „September“, „Interiors“ und „Another Woman“, nie auf besondere Resonanz stießen?
Allen: Ja, durchaus. Unlängst wurde mein durch und durch tragisches Stück „Second Hand Memory“ an einem Off-Broadway-Theater aufgeführt. Die Leute haben trotzdem gelacht, und die Kritiker haben sich beschwert, dass die Scherze zu flach seien, obwohl es gar keine gab. Wahrscheinlich müsste ich Plakate mit der Aufschrift „Achtung – Woody Allen, garantiert humorfrei“ drucken lassen, um diesen schrecklichen Missverständnissen vorzubeugen.
profil: In „Wild Man Blues“, dem Dokumentarfilm über Ihre Konzerttournee als Klarinettist, beschreiben Sie den Grundzustand Ihres Lebensgefühls als „chronische Unzufriedenheit“.
Allen: Ja, das ist eine echte Last. Als junger Gagschreiber beim Fernsehen habe ich mir nichts sehnlicher gewünscht als das Lachen der Leute. Jetzt, wo ich es haben kann, interessiert es mich schon nicht mehr. Ich leide darunter, dass mir keine Filme wie Vittorio de Sicas „Fahrraddiebe“ oder Ingmar Bergmans „Siebentes Siegel“ gelungen sind. Wenn ich in Europa bin, leide ich darunter, nicht in New York zu sein. Ich will in New York sein, weil ich dort um vier Uhr morgens eine Won-ton-Suppe essen kann, wenn mir danach ist. Mir ist sowieso nie danach, aber ich leide trotzdem, wenn es nicht möglich ist.
profil: Hilft Ihnen die Psychoanalyse, diese Leiden zu lindern?
Allen: Ich habe die Hoffnung längst aufgegeben, dass mich die Psychoanalyse zu einem lebensfrohen, glücklichen und zufriedenen Menschen macht. Ich besuche einmal die Woche einen Therapeuten. Das ist für mich wie das wöchentliche Spiel mit einem Tennisprofi. Ich brauche den Gedankenaustausch mit einem Unbeteiligten, der nichts mit meiner Arbeit zu tun hat.
profil: Leiden Sie auch beim Schreiben?
Allen: Wenn ich Komödien schreibe, nein. Da brauche ich mich nicht sonderlich anzustrengen. Ich leide jedoch, wenn ich mich im tragischen Genre versuche. Denn dort liegen meine Grenzen. Da bin ich als Schreiber nicht talentiert genug. Soll ich mich jetzt erschießen?
profil: Das klingt sehr kokett.
Allen: Nein, ich meine das wirklich ernst, obwohl es für Sie wahrscheinlich komisch klingt. Da sehen Sie, wie nahe das Tragische und das Komische beieinander liegen.
profil: In „Melinda and Melinda“ verpacken Sie zwei Filme in einen, indem sie dieselbe Geschichte sowohl als Komödie wie auch als Tragödie erzählen. Wäre es für Sie tragisch, wenn das Publikum die komische Variante mehr goutierte?
Allen: Das ist mir eigentlich egal. Ich wollte etwas dabei lernen. Mir ist wichtig, dass das Publikum den Film mag. Aber ich erliege nicht der Illusion, dass es über die Genredifferenzierung nachzugrübeln beginnt. Der erste Satz nach einem Kinobesuch lautet sowieso immer: „Wohin gehen wir essen?“
profil: Es scheint, dass Sie über die Jahre beim Schreiben Ihrer Frauenfiguren leidenschaftlicher geworden sind.
Allen: Das freut mich. Ich finde, dass Frauen am Ende des Tages die interessanteren Menschen sind. Sie können frei mit ihren Emotionen umgehen. Deswegen füllen sie den Raum, und die Männer stehen an der Wand. Ihnen wurde, im Gegensatz zu uns Männern, nicht eingeredet, dass sie alles unter Kontrolle haben müssen, dass sie stoisch und tapfer zu sein haben. Früher habe ich Frauen immer aus männlicher Sicht gestaltet. Deswegen sind sie mir auch nicht gelungen.
profil: Das sagt der Mann, der dem Kino „Annie Hall“ geschenkt hat?
Allen: Das Kino hat „Annie Hall“ Diane Keaton zu verdanken. Durch das Zusammenleben mit dieser herrlichen, warmherzigen Person habe ich gelernt, das Leben aus ihren Augen zu betrachten. Beim Schreiben der Männer versage ich noch immer, weil ich mich leider mit der Tatsache abfinden muss, dass ich nicht Tschechow bin. Tschechow ist auch in der Lage, einen emotional verschütteten Control-Freak interessant zu gestalten.
profil: Täuscht der Eindruck, oder ist das Klischee der Filmfigur Woody Allen tatsächlich nahezu ident mit dem realen Woody Allen?
Allen: Das liegt daran, dass ich kein besonders guter Schauspieler bin. Aber die Geschichten, die ich erzähle, sind frei erfunden und haben mit meiner Biografie gar nichts zu tun.
profil: Sind Sie Hypochonder?
Allen: Ja. Ich fürchte mich vor Krankheiten, um mich von der Tatsache meiner eigenen Sterblichkeit abzulenken.
profil: Stimmt es, dass Sie lange Schwierigkeiten hatten, Ihre Schuhbänder richtig zu binden?
Allen: Ich bin in praktischen Dingen ein kompletter Versager. Ich schreibe zum Beispiel immer noch auf einer mechanischen Schreibmaschine, einer alten Olympic. Ich habe sie mir gekauft, als ich 16 war. Alles, was ich jemals geschrieben habe, ist auf dieser Schreibmaschine entstanden. Lange Zeit war ich nicht in der Lage, das Farbband zu wechseln. Da habe ich Leute nach Hause eingeladen und sie ganz beiläufig gebeten, mir das Band auszuwechseln, während ich vorgab, mit etwas anderem beschäftigt zu sein. Es gibt eben sehr verschiedene Formen von Intelligenz.
profil: In Ihren Filmen fehlt jeglicher politische Kommentar. Sie selbst nehmen aber immer wieder politisch Stellung. Ihre Kritik an Scharons Regierungspolitik hat in Israel einiges Bestürzen ausgelöst.
Allen: Ich bin sehr für den Staat Israel, und ich habe oft für ihn gespendet. Aber angesichts der Tatsache, dass unter dieser Regierung Soldaten in Häuser einfallen und Hände von Menschen brechen, damit diese keine Steine mehr werfen können, kann ich meinen Mund nicht halten – obwohl das meiner Frau sicherlich lieber wäre. Der Staat Israel war ein nobles Experiment, doch ist man dort von der Straße der Noblesse abgekommen. Damit nehme ich nicht die Palästinenser in Schutz, die die Juden nach allem, was sie durchgemacht hatten, durchaus mit einer netten Geste willkommen heißen hätten können. Arafat war ein armseliger Führer, aber Scharon ist es auch. Irgendwie kommen mir beide Lager vor wie heruntergekommene Footballteams, die ständig nur verlieren. Der eine Coach ist tot, vom neuen wissen wir noch zu wenig. Aber der israelische Coach gehört ausgetauscht, denn so viel ist sicher: Er wird an seinen Anforderungen nicht wachsen. Da gehört ein Kaliber wie Perez oder Rabin her.
profil: Sie werden im Dezember 70. Wollen Sie irgendwann mit dem Filmemachen aufhören und nur mehr schreiben?
Allen: Die Frage ist vielmehr, ob das Filmemachen mit mir aufhört. Sehen Sie: Meine Filme bringen, wenn überhaupt, nicht sonderlich viel Geld. Ich bin in Hollywood keine heiße Adresse. In Hollywood wurden immer vorrangig schlechte Filme gemacht, aber seit sich dort herumgesprochen hat, dass man 200 Millionen Dollar in die Hand nehmen und 500 Millionen daraus machen kann, ist es ganz aus. Die Filme verkommen immer mehr zu Demonstrationen der neuesten Errungenschaften technischer Effekte; der Inhalt ist völlig egal. Ein Film wie „Sideways“ ist da nur ein winziger Hoffnungsfunke. Man kann nur beten, dass die 200-Millionen-Dollar-Filme Flops werden, damit die Investoren wieder zu schreien beginnen: „Hey, wo sind eigentlich diese verdammten Geschichtenerzähler geblieben?“

Interview: Angelika Hager