Interview

Interview: „Ich habe von der SPÖ viel verlangt“

„Ich habe von der SPÖ viel verlangt“

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profil: Herr Dr. Vranitzky, fast auf den Tag genau sieben Jahre nach Ihrem Ausscheiden aus der Politik erscheinen Ihre politischen Memoiren. Was hat Sie dazu gedrängt?
Vranitzky: Mich hat nichts gedrängt, viele Freunde haben gedrängt. Nach einigen Gesprächen habe ich Gefallen daran gefunden.
profil: Hat sich auch Bitternis in die Erinnerung gemischt?
Vranitzky: Wenig. Es waren ja sehr bewegte Jahre, in denen Österreich und seine europäische Umgebung gründlich verändert worden sind. Dazu konnte ich einen Beitrag leisten. Insgesamt war das eine Zeit, auf die mich noch heute auf der Straße Leute in guter Erinnerung ansprechen.
profil: In Ihrem Buch blitzt schlechtes Gewissen durch, wenn Sie sinngemäß schreiben: Eigentlich ist die Politik eine ständige Hetzjagd, oft muss man improvisieren oder gar pfuschen.
Vranitzky: Es ist teilweise schlechtes Gewissen, teilweise aber auch Kritik am System. Man kann als Politiker etwa ständig lesen und hören: Geht doch mehr hinaus zur Bevölkerung. Aus der Parteiorganisation tönt einem entgegen: Komm häufiger zu uns, geh hinaus in die Bundesländer, komm zu unserem Sportverein, zu unserem Volksfest, zu unserer Wanderung. Das sind berechtigte und gar nicht unangenehme Forderungen, sie sind aber im 24-Stunden-Tag nicht alle unterzubringen. Es kommen ja noch jede Menge unerwarteter Ereignisse hinzu. Ich sage das nicht lamentierend. Aber dann werden eben Entscheidungen oft in großer Eile getroffen.
profil: Es gab auch Niederlagen. Etwa bei den Wahlen von 1994.
Vranitzky: Wenige Monate vor diesem für SPÖ und ÖVP schlimmen Wahlausgang gab es das so sicher gewonnene EU-Referendum. Wir haben uns in Sicherheit gewogen – ein sträflicher Irrtum. Ich habe mir nachher Videos von meinen Fernsehdiskussionen angeschaut und mich selber nicht erkannt. Ich war passiv und wenig kämpferisch, ich war mir selbst zu fad. Das System verzeiht so etwas nicht.
profil: Haben Sie sich manchmal gedacht: Warum tue ich mir das alles an? Wäre ich doch bloß Länderbank-Generaldirektor geblieben?
Vranitzky: Nein, das wäre ein weinerlicher Zugang. Als ich Finanzminister wurde, habe ich mir gesagt: Für eine gewisse Zeit machst du das, und dann gehst du wieder in die Wirtschaft. Je länger ich dabei war, als desto unmöglicher hat sich die Erfüllung dieses Gedankens herausgestellt. Es ist zu Recht verpönt, dass ein Minister oder gar ein Bundeskanzler eine Rückfahrkarte in eine Wirtschaftsposition hat.
profil: Wie etwa Karl-Heinz Grasser bei Magna.
Vranitzky: Zum Beispiel. Ich halte das für absolut unverträglich mit der politischen Verantwortung.
profil: Aus dem Buch spricht auch Distanz zu vielen in der eigenen Partei: Herbert Salcher, Hans Mayr, Helmut Zilk, Michael Häupl. Manche ÖVP-Politiker wie etwa Josef Riegler oder Erhard Busek werden dagegen höchst lobend erwähnt.
Vranitzky: Ich wollte nicht den Eindruck erwecken, dass immer alles Liebe, Waschtrog und eitel Wonne gewesen ist. Das hätte mir ohnehin niemand abgenommen. Es gibt natürlich persönliche Rivalitäten in der Politik, es gibt Eitelkeiten, es gibt Intrigen.
profil: Es gab immer Gerüchte, dass Sie zu Heinz Fischer ein sehr distanziertes Verhältnis hätten. Wie war es wirklich?
Vranitzky: Als ich in die Bundesregierung eintrat, war Heinz Fischer schon viele Jahre in der Politik. Vielleicht gab es deshalb meinerseits eine gewisse Unsicherheit. Im Lauf der Jahre ist das Verhältnis – aus meiner Sicht jedenfalls – sehr harmonisch geworden. Mir ist seine Art, Stil und Format in der Politik beizubehalten, sehr wichtig. Er ist keiner, dem es um den boulvardesken Sager geht. Das ist mir sympathisch.
profil: Es gibt diese berühmte Anekdote: Heinz Fischer sagt, wir brauchen Visionen. Franz Vranitzky antwortet, wer Visionen hat, braucht einen Arzt. Wie hat sich das tatsächlich zugetragen?
Vranitzky: Zwei profil-Journalisten – Hubertus Czernin und Christoph Kotanko – haben geschrieben, ich sei einer, von dem der Satz stammen könnte: Wer Visionen hat, braucht einen Arzt. Ich habe den Satz nie gesagt, bin ihn aber nie mehr losgeworden. Jahre später bin ich draufgekommen, dass der Satz von Helmut Schmidt stammt. Ich hatte fast Schuldgefühle entwickelt, ihn gestohlen zu haben, obwohl ich ihn gar nicht gesagt habe.
profil: Die Bundespräsidentschaft hat Sie nie gereizt?
Vranitzky: Nein. Ich bin zweimal damit konfrontiert worden: 1992 kam Anton Benya mit diesem Ansinnen. Später haben mich viele darauf angesprochen, ob ich nicht 2004 antreten wolle. Meine Antwort war nein. Wenn jemand aus der aktiven Politik Abschied genommen hat, dann sollte er das auch beibehalten. Außerdem war ich immer mit operativen oder exekutiven Angelegenheiten befasst. Ich könnte mir eine hauptsächlich repräsentative Funktion nicht gut vorstellen.
profil: Hatten Sie bei der Anfrage Benyas das Gefühl: Da will mich jemand loswerden?
Vranitzky: Ich konnte es nicht ganz verbergen und verberge es bis heute nicht. Nur war es nicht Anton Benya, der mich loswerden wollte, Benya hat sich nur zum Sprachrohr anderer Leute gemacht.
profil: Eine Intrige? Von wem?
Vranitzky: Darüber kann ich nur mutmaßen, weil man es mir nicht gesagt hat, aber ich bin fest davon überzeugt. Letztlich war mein Eindruck, dass diese Vorsprache Benya selbst nicht ganz recht war. Er hat sich hier offensichtlich einer Zusage entledigt.
profil: Bei der Darstellung Ihres Verhältnisses zu Hannes Androsch klingt viel Bitterkeit durch. Hat Sie das Zerwürfnis persönlich so stark getroffen?
Vranitzky: Ich möchte eigentlich diesen paar Absätzen, die ich im Buch geschrieben habe, nichts mehr hinzufügen.
profil: Ist da nichts mehr zu kitten?
Vranitzky: Wo einsetzbare Energien nicht mehr auf fruchtbaren Boden fallen können, soll man sie auch nicht investieren.
profil: Ist die Politik ein Freundschaftskiller?
Vranitzky: Kann sein. Es gibt in der Politik viele Anlässe, wo Freundschaften auseinander gehen können, nicht selten durch das Zutun Dritter. Es gibt aber auch unendlich viele Möglichkeiten, dauernde Freundschaften zu begründen. Ich wähne mich in der glücklichen Lage, in der Politik mehr Freundschaften begründet als verloren zu haben.
profil: Wen zum Beispiel?
Vranitzky: Ich habe mit dem Großteil der Nationalratsabgeordneten ein sehr inniges Verhältnis aufgebaut, das in vielen Fällen bis heute anhält. Das sind ja Menschen, die ich erst mit dem Eintritt in die aktive Politik kennen gelernt habe. Ich habe auch damit zu kämpfen gehabt, dass mir sehr nahe stehende Menschen verloren zu gehen drohten. Zum Beispiel der frühere SPÖ-Bundesgeschäftsführer Günther Sallaberger, der unter sehr üblen Umständen aus der Politik ausgeschieden ist: Es wurden ihm finanzielle Unregelmäßigkeiten vorgeworfen. Diese Vorwürfe haben selbstverständlich nicht gehalten, aber es war doch ein sehr schmerzhafter Verlust einer Freundschaft. Sie ist heute wieder hergestellt.
profil: Sie sind als Bundeskanzler mit dem damaligen Wirtschaftsminister Wolfgang Schüssel nicht schlecht ausgekommen. Trügt diese Erinnerung?
Vranitzky: Schüssel hatte einen relativ pragmatischen Zugang zu wirtschaftspolitischen Angelegenheiten, er hatte eine leichtfüßige Wortwahl. Er ist nicht in weit hergeholten Überlegungen hängen geblieben, das hat der Zusammenarbeit anfangs ganz gut getan.
profil: Das hat sich geändert, als er 1995 die Koalition aufkündigte und Neuwahlen herbeiführte?
Vranitzky: Aus meiner Sicht ist immer noch nicht restlos aufgeklärt, warum er damals fast aus heiterem Himmel nicht mehr zur Koalition gestanden ist. Es heißt, dass er Meinungsumfragen hatte, die ihm einen großen politischen Aufschwung verheißen haben. Es gab auch Leute, die sagten, er habe es satt gehabt, immer Zweiter zu sein. Nach der von ihm losgetretenen Wahl 1995 ist er halt noch deutlicher Zweiter geblieben, als er vorher schon war.
profil: Jetzt ist er Kanzler einer Regierung, deren Performance zwar nicht berauschend ist ...
Vranitzky: Nicht berauschend? Diese Regierung ist fällig ...
profil: Dennoch schafft es die SPÖ nicht, diese „Fälligkeit“ einzulösen.
Vranitzky: Ich halte es für möglich, dass gerade das derzeitige Verhalten der ÖVP bei den Bürgern größeres Umdenken hervorruft, als das in den ersten vier Jahren dieser Regierung der Fall war. Es wird deutlich, dass nicht mehr nach einer bestmöglichen Steuer-, Sozial- und Gesundheitsreform gesucht wird, sondern dass es nur um eine „nicht sozialistische Reform“ geht, wie das ÖVP-Klubobmann Molterer dieser Tage im Zusammenhang mit der Steuerreform ausdrückte.
profil: Haben Sie sich mit dem „Fall Grasser“ beschäftigt?
Vranitzky: Ich halte diese Homepage für nicht so relevant wie sein grundsätzliches politisches Versagen. Dass er nun schon vier Jahre lang weder konjunkturpolitisch noch wachstumspolitisch etwas in die Waagschale werfen kann, dass er in der Strukturpolitik total abgemeldet ist – daran wird das Land noch zu kauen haben, wenn Grasser längst weg ist.
profil: Beim Schreiben waren Sie viel in der Vergangenheit unterwegs gewesen. Welche Gefühle sind in Ihnen aufgestiegen?
Vranitzky: Ich habe natürlich viel in alten Schriften und alten Reden gekramt und bin dabei auf das in der SPÖ noch vor zehn Jahren ziemlich stark vorhandene Vertrauen in das öffentliche Eigentum an den Produktionsmitteln, also die verstaatlichte Industrie, gestoßen. Dabei ist mir klar geworden, wie viel Umdenken ich dieser Partei abverlangt habe. Ich sehe das als ein wesentliches Stück meiner politischen Lebensgeschichte.
profil: Jetzt haben wir gar nicht über Haider gesprochen.
Vranitzky: Und das ist mir gar nicht abgegangen.