Justizministerin: „Bin ein Stilbruch“

Interview: „Ich bin ein Stilbruch“

Karin Miklautsch über ihr sozial-liberales Weltbild

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profil: Frau Minister, lernen Sie schon Hochdeutsch?
Miklautsch: Nein. Der Kärntner Dialekt wird mir zwar immer wieder über die Medien vorgehalten, aber ich bin Kärntnerin und stehe zu meiner sprachlichen Färbung.
profil: Sie haben kurz nach Amtsantritt im ORF gesagt: „Ich kann ganz gut mit dem rechtsstaatlichen Gedankengut.“ Das klingt so, als wäre der Rechtsstaat etwas, das man sich im Supermarkt der Gedankengüter aussuchen kann – und nicht ein Verfassungsprinzip.
Miklautsch: Glauben Sie mir, ich bin Juristin mit ganzem Herzen. Ich bin mit dem System des Rechtsstaats aufgewachsen, und das ist für mich eines der obersten Prinzipien. Meine Formulierung war auf die anfängliche Aufregung zurückzuführen. Ich bin bis dato nicht in der Öffentlichkeit gestanden, und ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass mir am Anfang alles leicht gefallen ist.
profil: Susanne Riess-Passer hatte kurz vor ihrem Amtsantritt gemeint, die Schuhe als Vizekanzlerin wären ihr eine Nummer zu groß. Haben Sie sich Ähnliches gedacht?
Miklautsch: Ich bin mit großem Respekt und großer Demut in dieses Amt gegangen. Es wäre vermessen zu sagen, in meiner Karriereplanung wäre die Justizministerin vorgesehen gewesen. Als ich gefragt wurde, ob ich dieses Amt übernehmen will, habe ich natürlich überlegt, ob ich dem auch gewachsen bin. Ich bin zum Schluss gekommen, ja, ich bin dem gewachsen.
profil: Was bringen Sie in dieses Amt ein?
Miklautsch: Ich bin nicht jemand, der von hinten herausunkt und alles besser weiß. Ich bin ein Mensch, der gern selbst gestaltet. Aber mir ist bewusst, dass ich ein Stilbruch hier im Ministerium bin – nicht nur weil ich die erste Frau bin, die hier sitzt. Das ist ein wichtiger Punkt: So oft wird man als Frau ja nicht gefragt, ob man eine so verantwortungsvolle Position übernehmen will. Und viele Frauen trauen sich das dann auch nicht zu.
profil: Sie haben sich gedacht, ein Mann würde Ja sagen. Und dann wird einmal eine Frau gefragt …
Miklautsch: … dann traut sie sich nicht, genau. Ich wollte keine sein, die kneift.
profil: Waren Sie nicht überrascht, als Sie gefragt wurden, das Justizressort zu übernehmen?
Miklautsch: Ja, natürlich, meine Knie haben gezittert. Ich war fassungslos.
profil: Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts market halten Sie nur 22 Prozent der Österreicher für ausreichend qualifiziert.
Miklautsch: Ich will keine Vorschusslorbeeren. Politisch war ich ein „no-name“. Aber ich möchte dieses Vorurteil durch Ergebnisse entkräften.
profil: Sie sind das einzige Regierungsmitglied, das über keine politische Erfahrung verfügt. Wie wollen Sie im koalitionären Ränkespiel bestehen?
Miklautsch: Ich bin eingebunden in eine Regierungsmannschaft. Und wir haben alle das gleiche Ziel: unser Programm umzusetzen.
profil: Ihr Vorgänger Dieter Böhmdorfer hatte oft das Gefühl, von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel übervorteilt zu werden. Geht es Ihnen auch schon so?
Miklautsch: Das kann ich jetzt noch nicht sagen. Ich suche aktiv das Gespräch mit dem Kanzler, da er ja auch für die Bewilligung unserer Planstellen zuständig ist.
profil: Sie sind nicht so konfrontativ wie Böhmdorfer?
Miklautsch: Er hat eine sehr erfolgreiche Justizpolitik gemacht. Aber ich bin als Mensch ganz anders veranlagt. Er war Anwalt, ich komme aus der Verwaltung. Ich will mit allen eine gute Gesprächsbasis und Auseinandersetzung dann, wenn es notwendig ist.
profil: Haben Sie bei der EU-Wahl FPÖ gewählt?
Miklautsch: Das ist privat. Ich bin jedenfalls eine begeisterte Europäerin.
profil: Haben Sie bisher meist FPÖ gewählt oder auch andere Parteien?
Miklautsch: Wir haben ein Wahlgeheimnis.
profil: Sie wurden von der FPÖ für das Amt der Justizministerin nominiert. Würden Sie sich als Freiheitliche bezeichnen?
Miklautsch: Ich würde mich als sozial und liberal bezeichnen. Die FPÖ deckt dies sicherlich ab.
profil: Das Soziale möglicherweise, das Liberale eher nicht.
Miklautsch: Ich bin parteiunabhängig und ein eigenständiger Mensch.
profil: Als Sie Ihr Amt angetreten haben, meinte der ehemalige ÖVP-Justizsprecher Michael Graff, die Beamtenschaft würde angesicht einer unerfahrenen Ministerin „toben“. Ist seine Prognose eingetreten?
Miklautsch: Nein, ich erfahre vollste Unterstützung. Es gibt überhaupt kein Problem.
profil: Macht es Sie unsicher, dass Sie Ihren Beamten fachlich ausgeliefert sind?
Miklautsch: Nein. Ich höre mir die Erfahrungen der Ministerialbeamten, der Richter, der Staatsanwälte und der Mitglieder des OGH an. Ich bin keine, die sich nur auf eine Meinung verlässt.
profil: Sie haben beim erstmaligen Betreten Ihres Ministerbüros gleich eine dicke Mappe mit offenen Vorhaben in die Hand gedrückt bekommen. Was ist aus Ihrer Sicht der härteste Brocken?
Miklautsch: Der Strafvollzug. Die gesteigerte Kriminalitätsrate ist wirklich ein akutes, großes Problem.
profil: Und die Budgetverhandlungen? Bis 2006 müssen zehn Prozent Ihrer Ressortkosten eingespart werden. Bis jetzt waren es drei Prozent, es fehlen also noch sieben Prozent.
Miklautsch: Wir sind leider in vielen Bereichen von außen abhängig. Im Bereich der Exekutive im Innenressort wurden, was ich sehr begrüße, die Ermittlungsmethoden umgestellt und das Personal aufgestockt. Dadurch gibt es mehr Aufgriffe. Das bedeutet für uns mehr Belastung für die Staatsanwälte, für die Richter und für den Strafvollzug. Wir brauchen also mehr Planstellen, wenn wir – zum Beispiel – einen geordneten Strafvollzug mit menschenwürdigen Haftbedingungen und Möglichkeiten einer Resozialisierung sicherstellen wollen.
profil: Werden Sie dem Finanzminister und dem Bundeskanzler diese Planstellen entreißen können? Vor allem in den Gefängnissen scheint es derzeit ja zu brodeln.
Miklautsch: Es wird in den Verhandlungen auf die Argumente ankommen. Und es ist keine Übertreibung, dass es in den Gefängnissen brodelt. Ich war selbst in der Justizanstalt Josefstadt. Die Justizwachebeamten dort geben ihr Letztes. Es ist eine Frechheit, dass ein ganzer Berufsstand jetzt durch Einzelfälle in Misskredit gerät.
profil: Ihr Vorgänger Böhmdorfer wollte ein zweites Straflandesgericht in Wien errichten. Sie könnten dieses Prestigeprojekt, das in der Justiz umstritten ist, stoppen. Werden Sie das tun?
Miklautsch: Das hängt davon ab, wie sich die Häftlingszahlen entwickeln werden. Nach der derzeitigen Tendenz zu schließen, werden wir das zweite Straflandesgericht bauen.
profil: Besteht nicht die Gefahr, dass man die Häftlingszahlen weiter in die Höhe treibt, wenn man ein neues Gefängnis baut, anstatt die Alternativen zum Strafvollzug auszuschöpfen?
Miklautsch: Wir haben kein Interesse daran, die Häftlingszahlen zu erhöhen. Ein neues Gefängnis allein ist sicher keine Lösung. Aber man muss sich vor Augen führen, dass die Haftbedingungen in den bestehenden Anstalten – aufgrund des Personalmangels und der Räumlichkeiten – unerträglich sind. Wir können fast nur mehr verwahren statt betreuen. Das hat weit reichende Konsequenzen, etwa für die Rückfallquote.
profil: Dennoch: Sollte man nicht, bevor man neue Hafträume schafft, Instrumente wie die bedingte Entlassung ausschöpfen?
Miklautsch: Das klingt so toll. Es kann aber nicht im Interesse der Bevölkerung sein, dass Straftäter unbetreut in die Freiheit entlassen werden. Die sind ja nicht umsonst verurteilt worden. Derzeit besteht ohnehin in 40 Prozent der Fälle die Möglichkeit einer bedingten Entlassung. Mein Ziel wäre, dass kein ehemaliger Insasse wieder kommt. Dazu brauchen wir mehr als nur bedingte Entlassungen.
profil: Könnte man statt dem zweiten Landesgericht nicht wieder einen eigenen Jugendgerichtshof schaffen?
Miklautsch: Ich sehe die Vorteile nicht. Die Situation hat sich für die Jugendlichen in der Justizanstalt Josefstadt im Vergleich zum früheren Jugendgerichtshof verbessert. Dort waren die Zustände wirklich schlimm.
profil: Das sehen viele anders. Unter anderem ist nun die Trennung zwischen Jugendlichen und Erwachsenen nicht vollständig gewährleistet.
Miklautsch: Das stimmt nicht, davon habe ich mich selbst überzeugt.
profil: Sie haben als Ministerin gegenüber den Staatsanwälten ein Weisungsrecht. Werden Sie davon Gebrauch machen?
Miklautsch: Nur sehr restriktiv.
profil: Würden Sie auf ein Individualstrafverfahren Einfluss nehmen?
Miklautsch: Nein.
profil: Wie stehen Sie zur Unabhängigkeit der Richter?
Miklautsch: Sie sollen unabhängig bleiben, keine Frage.
profil: Sollten sie sich auch selbst verwalten, wie zum Beispiel in Italien?
Miklautsch: Ich sehe dafür derzeit die Vorteile nicht.
profil: Vor zweieinhalb Jahren erkannte der Verfassungsgerichtshof, dass in Kärnten zusätzliche zweisprachige Ortstafeln aufzustellen sind. Bis heute ignoriert Landeshauptmann Jörg Haider dieses Erkenntnis. Finden Sie das in Ordnung?
Miklautsch: Es steht mir nicht zu, höchstgerichtliche Entscheidungen zu kommentieren. In der Ortstafelfrage sind der Bundeskanzler und der Hauptausschuss des Nationalrats zuständig. Für mich als Kärntnerin, die ihre Wurzeln väterlicherseits auch in Slowenien hat, ist wichtig, dass die Grenzen zu Slowenien gefallen sind. Und es ist wichtiger, dass die Kinder die slowenische Sprache erlernen, als die Aufstellung von Ortstafeln zu betreiben.
profil: Es geht um eine grundsätzliche Frage: Kann es sich ein Politiker aussuchen, ob er ein Verfassungsgerichtshoferkenntnis umsetzt oder nicht?
Miklautsch: Das ist eine Entscheidung, die der Herr Landeshauptmann mit dem Herrn Bundeskanzler zu treffen hat, und dafür hat er auch die Verantwortung zu übernehmen. Grundsätzlich gilt das rechtsstaatliche Prinzip für alle.
profil: Wir würden gerne noch Ihr Weltbild etwas ausleuchten. Sind Sie gläubig?
Miklautsch: Ja.
profil: Eine praktizierende Katholikin, die die Messe besucht?
Miklautsch: Nein.
profil: Soll Gott in die Verfassung?
Miklautsch: Nein. Ich glaube, dass es in Österreich weiterhin das Prinzip der Religionsfreiheit geben soll. Es ist nicht sinnvoll, unseren Glauben in der Verfassung einzuzementieren.
profil: In einigen europäischen Ländern wurde über ein Kopftuchverbot in öffentlichen Gebäuden diskutiert. Wie stehen Sie dazu?
Miklautsch: Ich kenne die Debatte gut, weil ich selbst drei Monate in Belgien gelebt habe, wo der Anteil der Moslem-Frauen höher ist als hier. Ich habe relativ wenig Verständnis für diese Diskussion gehabt. Ich will nicht regeln, ob jemand ein Kopftuch tragen darf oder nicht. Mir ist die Freiheit des Einzelnen wichtiger. Wenn man Kopftücher verbietet, ist die nächste Frage, ob jemand ein Kreuz tragen darf. Da bin ich grundsätzlich liberal eingestellt.
profil: Man könnte das Kopftuch auch als Symbol der Unterdrückung moslemischer Frauen sehen.
Miklautsch: Ob sie ein Kopftuch tragen oder nicht, müssen die Frauen selbst entscheiden. Wie kommen wir dazu, sie zu bevormunden?
profil: Warum sind Sie so sicher, dass sich die Frauen frei entscheiden können?
Miklautsch: Meine Lebensdevise ist: Jeder soll so leben, wie er will. Im Rahmen des Rechtsstaates natürlich. Ich maße mir nicht an, nur weil ich nicht freiwillig mit einem Kopftuch herumlaufen würde, Frauen, die das machen, zu verurteilen. Ich habe Achtung vor dem Anderssein.
profil: Sind Sie für eine Legalisierung weicher Drogen?
Miklautsch: Ich halte nichts von einer Freigabe, weil ich glaube, dass der Konsum weicher Drogen zu einer Einfahrtschneise für härtere Drogen werden kann.
profil: Studien zufolge probiert ein erheblicher Anteil von Jugendlichen Cannabis einfach einmal aus, ohne später an harten Drogen hängen zu bleiben.
Miklautsch: Ich will Jugendliche nicht kriminalisieren, aber man muss den Drogenkonsum auch nicht fördern.
profil: Zum Thema Fristenlösung: Im November 2003 hat Sozialminister Haupt angekündigt, die Frist für die Abtreibung behinderter Föten von neun auf drei Monate senken zu wollen. Gleichzeitig erörtern Experten die Frage, welche Untersuchungen an befruchteten Eiern gemacht werden dürfen.
Miklautsch: Das sind wirklich heikle und hochpolitische Fragen.
profil: Deshalb stellen wir sie. Viele Frauenorganisationen befürchten, im Zuge einer solchen Debatte könnte gleich die ganze Fristenlösung hinterfragt werden.
Miklautsch: Der Kern der Fristenlösung muss auf jeden Fall bleiben. Ich finde, dass die derzeitige Regelung okay ist und es jeder Frau vorbehalten bleiben soll, ob sie davon Gebrauch macht oder nicht. Wie die Detailfragen geklärt werden, ist offen. Die Debatte wird geführt werden, da bin ich mir ganz sicher.
profil: Sie haben angekündigt, sich für Frauen einsetzen zu wollen. Es gibt in der Justiz eine undurchlässige gläserne Decke. Es gibt keine Oberlandesgerichtspräsidentin, keine Präsidentin eines Gerichtshofs …
Miklautsch: Stimmt nicht, eine haben wir, am Landesgericht Innsbruck.
profil: Wird es mehr Frauen in Spitzenpositionen geben, wenn Sie zwei Jahre Ministerin gewesen sein werden?
Miklautsch: Das hängt von der Qualifikation der Bewerberinnen ab.
profil: Die wird nicht schlechter sein als die der Männer.
Miklautsch: Da bin ich mir auch sicher. Ich hoffe, dass mein Aufstieg ins Justizministerium für Frauen ein ermutigendes Beispiel ist.
profil: Machtbastionen werden nicht freiwillig geräumt. Braucht es nicht ein stärkeres Signal, dass Sie es ernst meinen?
Miklautsch: Ich meine es wirklich ernst. Glauben Sie mir.