„Ich will die Welt retten“

Interview: „Ich will die Welt retten“

Genom-Entschlüssler Venter über künstliches Lebens

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profil: Sie haben im Vorjahr mit Ihrem eigenen Geld drei neue Stiftungen gegründet, die sich alle mit Genomforschung befassen. Dies geschah kurz nachdem Sie als Chef des Unternehmens Celera gefeuert wurden. Wie empfinden Sie die Rückkehr ins akademische Umfeld?
Venter: Ich fühle mich zu Hause. Ich habe schließlich nur dreieinhalb von insgesamt dreißig Jahren meiner wissenschaftlichen Karriere in der Privatwirtschaft verbracht. Und auch das mit den Stiftungen ist nicht ganz neu. Bevor ich zu Celera ging, hatte ich 1992 bereits die Stiftung TIGR, The Institute for Genomic Research, gegründet, in die das Geld aus meiner Zusammenarbeit mit dem Pharmaunternehmen Human Genome Sciences geflossen war. Das Zentrum wird von meiner Frau geleitet und ist bis heute ein großer Erfolg.
profil: Wären Sie nicht gerne bei Celera geblieben?
Venter: Unsinn. Der Grund, warum ich gefeuert wurde, war, dass ich ohnehin vorhatte, das Unternehmen zu verlassen. Ich hatte nie vor, länger als vier Jahre zu bleiben. Meine Aufgabe war schließlich erledigt: Das Humangenom war sequenziert. Das verkrafteten die Leute wohl nicht. Und dann hieß es: Du kannst nicht kündigen, wir feuern dich.
profil: Aber warum haben Sie die Privatwirtschaft verlassen? Dort stehen der Forschung schließlich große finanzielle Ressourcen zur Verfügung.
Venter: Sicher, aber nicht für die Grundlagenforschung, die mich vor allem interessiert. Das hat, recht besehen, auch zur Gründung von Celera geführt. Ich wollte das menschliche Erbgut kartieren. Das internationale Humangenomprojekt ging damals schleppend voran. Als Celera gegründet wurde, waren gerade drei Prozent unseres Erbguts sequenziert. Das ganze Projekt hätte noch ewig gedauert. Es musste also schneller vorangehen – aber nicht, um mein Ego zu befriedigen, sondern um die Genomdaten rascher zu entziffern, die medizinischen Fortschritt ermöglichen. Dieses Verdienst gestehen uns sogar unsere schlimmsten Kritiker zu. Ich will aber nicht ausschließen, dass ich mich nicht eines Tages wieder an die Privatwirtschaft wenden könnte.
profil: Gerade klang es noch so, als hätten Sie die Nase voll davon.
Venter: Der Nachteil an privaten Unternehmen ist, dass Investoren Gewinn se-hen wollen. Bei Celera gelang es mir, den Laden profitabel zu machen, indem wir Gendaten verkauften. Das Geschäft mit „Bio-Content“ habe ich überhaupt erst erfunden. Aber die Gewinnspanne war ihnen nicht groß genug. Die Firma wurde an der Börse plötzlich mit vierzehn Milliarden Dollar bewertet. Da wollten die Aktionäre entsprechende Gewinne sehen.
profil: Sie sind nicht verbittert?
Venter: Nein, ganz und gar nicht. Die betreiben jetzt pharmazeutische Forschung, und ich kümmere mich wieder um die Grundlagenforschung. Ich bin aber nicht naiv und scheinheilig genug, zu behaupten, ich würde auf ewig nur reine Wissenschaft betreiben wollen. Manche Dinge müssen, um sich durchzusetzen, kommerzielle Komponenten haben. Das muss nichts Schlechtes sein. Jedenfalls ist Kommerz nicht so schlimm wie die Heuchelei in der Wissenschaft. Deshalb werde ich mich, wenn sich unsere Erkenntnisse eines Tages in vermarktbare Produkte verwandeln lassen, natürlich nach Partnern in der Wirtschaft umsehen.
profil: Sie haben sich für Ihre Forschung das durchaus umstrittene und jedenfalls noch in einiger Ferne liegende Ziel gesetzt, künstliches Leben zu schaffen.
Venter: Das ist richtig. Nur so können wir verstehen, was die unverzichtbaren genetischen Bausteine des Lebens sind und nach welchen Gesetzen sie operieren. Daran arbeitet das vor einem Jahr gegründete Institute for Biological Energy Alternatives, geleitet von meinem Freund und Kollegen Hamilton Smith, der übrigens 1978 den Medizinnobelpreis erhalten hat. Dort arbeiten wir beispielsweise mit Mikroben und knipsen experimentell der Reihe nach jedes Gen aus, um zu sehen, welche Gene unbedingt benötigt werden und welche nicht. Wir vergleichen die Mikroben auch mit verwandten Organismen, um lebens-erhaltende Gene zu entdecken, und wir entwickeln völlig neue Analysemethoden. Ob unsere Entdeckungen zutreffen, werden wir sehen, wenn wir ein synthetisches Chromosom zum Leben erwecken wollen.
profil: Ethisch scheint das doch bedenklich. Offensichtlich geben Sie sich nicht mehr damit zufrieden, Gottes Handschrift nur zu lesen, Sie wollen sogar in seine Fußstapfen treten.
Venter: Als dieses Thema erstmals im Raum stand, war uns bewusst, dass es kontrovers ist. Deshalb haben wir ein unabhängiges Ethikkomitee beauftragt, das eineinhalb Jahre lang alle moralischen Aspekte beleuchtete und Vertreter aller Weltreligionen zu Rate zog. Letztendlich gab es keinerlei Bedenken. Der andere Einwand ist natürlich, dass Terroristen die Ergebnisse unserer Arbeiten missbrauchen könnten, um irgendwelche gefährlichen Erreger zu produzieren. Aber zum einen sorgen wir dafür, dass unsere Publikationen keine diesbezüglich kritischen Informationen enthalten. Gleichzeitig halte ich es für unwahrscheinlich, dass eine Terrorgruppe ein Forschungsinstitut für mehrere Millionen Dollar aufbaut, so wie wir hier, wenn sie in irgendeinem Hinterhof Milzbranderreger oder andere Mikroben finden können.
profil: Ihr neues Institut erforscht, wie der Name verrät, biologische Energiealternativen. Das klingt nicht primär nach Genforschung. Was können wir uns darunter vorstellen?
Venter: Der Plan ist, aus Organismen mit einem Minimalgenom Mikroben zu schaffen, die verschiedenste Aufgaben wahrnehmen. Wir interessieren uns vor allem für solche Mikroben, die das Treibhausgas Kohlendioxid aus der Atmosphäre filtern oder die Wasserstoff produzieren.
profil: Sie wollen also auch noch die Energieprobleme der Welt lösen? Man könnte meinen, Sie halten sich für Superman.
Venter: Richtig, ich will die Welt retten. Wir sind aber meilenweit von unserem eigentlichen Ziel entfernt, nämlich einen funktionierenden Bioreaktor zu bauen. Wir betreiben Grundlagenforschung. Wenn wir Pech haben, klappt es nicht. Haben wir Glück, finden wir einen Lösungsweg. Das kann in Monaten gelöst sein, oder es kann Jahrzehnte dauern. 80 Prozent aller Kohlendioxid-Emissionen kommen heute aus der Verbrennung von fossilen Brennstoffen, und die Menge steigt. Wir müssen also die Kohlendioxid-Emissionen reduzieren und nach Möglichkeit aus der Atmosphäre wieder einfangen. Das ist kein privates Steckenpferd. Das US-Energieministerium unterstützt diese Arbeit mit neun Millionen Dollar.
profil: Dazu brauchen Sie doch kein künstliches Leben zu schaffen. Sie könnten versuchen, existierende Mikroorganismen zu manipulieren.
Venter: Das ist nicht ganz falsch. Unsere Arbeit an einem synthetisierten Genom geht Hand in Hand mit Analysen von Mikroben, die über einen besonders auffälligen Stoffwechsel verfügen. Ein Beispiel dafür ist die Meeresmikrobe Methanococcus jannaschii, die wir bereits in den neunziger Jahren sequenziert haben. Sie nimmt Kohlendioxid auf und verwandelt es in die Wasserstoffverbindung Methan.
profil: Könnte diese Mikrobe der Grundstein für Ihr Konzept eines Bioreaktors sein?
Venter: Nein. Mit existierenden Mikroorganismen kommt man letztlich nicht weit. Forscher versuchen seit Jahrzehnten, mit Mikroorganismen Kohlendioxid zu binden und Wasserstoff zu erzeugen, aber es gelingt nicht in lohnenswerter Größenordnung. Um den Effizienzgrad zu erhöhen, müssen wir zuerst die Zellmaschinerie besser verstehen. Und deshalb arbeiten wir unter anderem an einer künstlichen Zelle. Außerdem verfügen die Organismen in der Natur über tausende Gene, die weder der Kohlendioxid-Bindung noch der Wasserstoffproduktion dienen, sondern ihrem Überleben in der Natur. Auf die legen wir keinen Wert. Werden solche Mikroben versehentlich freigesetzt, wollen wir sichergehen, dass sie in der freien Natur nicht überleben können. Auch das verlangt nach einem Minimalgenom.
profil: Haben Sie Vorstellungen, welche Dimensionen ein funktionsfähiger Bioreaktor haben könnte?
Venter: Nach der Stoffwechselrate existierender Organismen bräuchte man wahrscheinlich einen ganzen Ozean. Aber wenn wir die Prozesse tausendfach beschleunigen, könnten wir Kohlendioxid erheblich schneller einfangen. Manche Bioprozesse hat man bereits zehntausendfach beschleunigt. Ich würde in etwa die Größe eines Swimmingpools anpeilen.
profil: Sie hegen die Hoffnung, es könnte da draußen vielleicht ohnedies Mikroben geben, die solche Wundertaten leisten, nur kennen wir sie noch nicht.
Venter: Wir kennen nur 99,9 Prozent aller Arten der Welt. Der Grund liegt nicht zuletzt darin, dass sich der Großteil der Meeresmikroben im Labor nicht kultivieren lässt. Deshalb sequenzieren wir jetzt komplette mikrobielle Ökosysteme. Wir haben gerade in der Sargasso-See, unweit von Bermuda, angefangen. Später wollen wir auch analysieren, was sich alles im Umfeld der Vulkanquellen im Yellowstone-Park herumtreibt.
profil: Aber auch Sie können diese Mikroorganismen nicht im Labor kultivieren.
Venter: Wir umgehen dieses Problem. Statt die Arten einzeln aus der See zu fischen, was im Übrigen ohnehin nicht viel helfen würde, untersuchen wir die komplette DNS einer Probe, die wir aus dem Ozean nehmen. Bedenken Sie: Am Strand enthält ein Milliliter Oberflächenwasser typischerweise eine Million Bakterien und zehn Millionen Viren. In der Sargasso-See ist die Vielfalt geringer, weil es dort weniger Nährstoffe gibt. Die Probe sequenzieren wir quer durch. Der Computer hilft uns dann, aus diesem Datenchaos das Erbgut einzelner Spezies zu rekonstruieren. Auf lange Sicht wollen wir beschreiben, wie die Arten aussehen und funktionieren.
profil: Sie haben sich in jedem Fall wieder einmal viel vorgenommen.
Venter: Das ist richtig. Vor fünf Jahren hätte Ihnen jeder Forscher gesagt, so etwas sei völlig unmöglich – und die Lösung ist sicher nicht trivial. Das Projekt übersteigt die Komplexität des humanen Genoms bei weitem. Ich finde selbst, dass ich noch nie so etwas Aufregendes gemacht habe. In der Sargasso-See entdecken wir hunderttausende neuer Gene, und die sind interessant. Viele Bakterien dort betreiben Fotosynthese. Sie gewinnen ihre Energie aus Sonnenlicht, um es in Zucker zu verwandeln, Wasserstoff ist ein Abfallprodukt. Unsere Idee ist, die Bakterien so zu modifizieren, dass sie bei der Fotosynthese nur Wasserstoff produzieren.
profil: Bei diesem Mammutprojekt setzen Sie ein neues Sequenzierzentrum ein, das Sie vor sieben Wochen eröffnet haben.
Venter: Ja, dieses Sequenzierzentrum, das derzeit noch ganz prosaisch Joint Technology Center heißt, ist derzeit das größte seiner Art. Die Technologie ist, wie wir ja wissen, ganz entscheidend für die Fortschritte der Forschung. Deshalb wird das einen gewichtigen Effekt haben. Wir sind in der Lage, stündlich 10.000 Mikrobengenome zu sequenzieren. Dieses Zentrum arbeitet auch für das Center for the Advancement of Genomics, das TCAG. Für letzteres Institut wollen wir auch die Genome von 1000 Menschen sequenzieren.
profil: Wozu? Das Humangenom ist doch bereits kartiert.
Venter: Sicher, aber das sagt Ihnen doch nichts über die Eigenschaften etlicher Gene. Die erkennen Sie erst durch den genetischen Vergleich von Individuen. Das ist unerlässlich im Hinblick auf die genetischen Komponenten von Krankheiten. Wir arbeiten unter anderem mit dem Medical Center der Duke University zusammen, um anhand von Krankengeschichten und Gendaten von Patienten Korrelationen zu finden, die uns helfen werden, Risikofaktoren für Krankheiten zu erkennen, den Leiden vorzubeugen und sie zu behandeln.
profil: Wie weit ist diese Zusammenarbeit bereits gediehen?
Venter: Wir fangen gerade an. Wir haben vorerst Infektions-, Blut-, Herz- und Gefäßkrankheiten ins Auge gefasst. Aber das ist erst ein Anfang, um die Gesundheitsvorsorge überhaupt zu ändern. Künftig sollen Menschen für 1000 Dollar ihr persönliches, auf CD-ROM gebranntes Genom in der Hand halten, und Ärzte können sich nach diesen Informationen richten. Derzeit ist die Lage katastrophal. In den USA leben etliche Bürger unter 65 Jahren ohne Krankenversicherung. Es ist aber wichtig, bereits in einem frühen Stadium medizinische Hilfe zu erhalten: einerseits für die Menschen selbst und andererseits, um die explodierenden Kosten im Gesundheitssektor einzudämmen.
profil: Ein besonderes Thema in dem Zusammenhang hat aufgrund von Diskussionsbeiträgen von Ihnen kürzlich für heftige Debatten gesorgt. Mangels der von Ihnen vorgeschlagenen, individuellen Genkarten verwenden manche Ärzte in den USA derzeit den Begriff Rasse als ein Kriterium, wenn sie Medikamente verschreiben. Afroamerikaner reagieren beispielsweise angeblich häufig empfindlicher auf Stimmungsaufheller wie Prozac als Weiße.
Venter: Das ist grober Unfug. Zunächst weiß man gar nicht, ob sich solche Reaktionen sozialen Umständen, etwa Essgewohnheiten, verdanken oder tatsächlich der genetischen Ausstattung. Und selbst wenn dem so sein sollte: Es gibt sicherlich Häufigkeitsverteilungen genetischer Merkmale, aber von einer Statistik lässt sich nie auf ein Individuum schließen. Da können einem Arzt kapitale Fehler passieren. Es ist doch bekannt, dass die genetischen Unterschiede innerhalb einer ethnischen Gruppe größer sein können als etwa zwischen Chinesen und Europäern. Rasse basiert nicht auf wissenschaftlicher Erkenntnis, sondern auf sozialen Konzepten. Damit zu argumentieren ist schlecht verstandene Medizin. Und es ist zugleich ein Argument dafür, dass wir so schnell wie möglich eine auf individuellen Gendaten basierte Medizin brauchen.
profil: Sie sind ja bereits in den Genuss eines solchen Einblicks gekommen. In die Blaupause des menschlichen Erbguts, die Celera erstellte, ist Ihr eigenes Erbgut eingeflossen. Was haben Sie da gesehen?
Venter: Zuerst wird einem erst einmal klar, dass der genetische Bauplan allein wenig über ein Individuum aussagt. Auch nicht über mich. Er gibt aber gewisse Risikofaktoren. Mein Bauplan hat mir verraten, dass ich Probleme mit meinem Fettstoffwechsel habe, deshalb nehme ich inzwischen ein Mittel zur Senkung des Blutfetts. Ich neige vielleicht auch ein wenig zu Alzheimer. Man kann seine Veranlagung natürlich auch abschätzen, indem man sich seine Familiengeschichte ansieht. Mein Vater starb mit 59 Jahren an plötzlichem Herztod.
profil: Kritiker haben Ihnen vorgeworfen, Ihr eigenes Genom bei der Kartierung zu verwenden sei ein egomanischer Akt. Das Humangenom sollte anonym und repräsentativ für die Menschheit sein.
Venter: Das hat in der Tat viele aufgeregt. Aber ich habe mein Erbgut aus rein wissenschaftlicher Neugier gespendet. Jeder will doch seinen genetischen Code kennen. Wer etwas anderes sagt, der lügt. Wir Wissenschafter propagieren doch auch, dass eines Tages jeder seinen genetischen Bauplan kennen soll. Warum sollten wir dann von unserem eigenen Code die Finger lassen? Außerdem konnte ich so zeigen, dass man sich vor diesen Informationen nicht zu fürchten braucht.
profil: Vielfach wird bereits vermutet, dass Ihnen bald der Nobelpreis verliehen werden könnte. Ihre Kritiker sind inzwischen stiller geworden. Vermissen Sie die einstigen Auseinandersetzungen und den harten Wettbewerb?
Venter: Ich habe den Wettbewerb nie um seiner selbst willen gesucht, übrigens auch nicht, um den Nobelpreis zu gewinnen. Kein Preis kommt der Erfahrung gleich, dieses Projekt vorangetrieben zu haben. Wenn, dann hat der Wettstreit nur einen Zweck gehabt: wissenschaftliche Erkenntnis. Ohne ihn hätte die Kartierung des menschlichen Genoms viel länger gedauert. Die Schlammschlacht, die dann allerdings losbrach, vermisse ich nicht. Rückblickend bedaure ich das. Heute genieße ich die internationalen Kooperationen. Ein wenig Wettstreit wäre allerdings vielleicht gar nicht schlecht. Ich muss auch nicht den großen Preis gewinnen. Wenn ein österreichischer Forscher den Durchbruch bei der mikrobiellen Bindung von Kohlendioxid und der Produktion von Wasserstoff schafft, ist mir das nur recht.