Interview: „Ich habe noch andere Wolfs“

ORF: Werner Mück über die Rede Armin Wolfs

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profil: Herr Chefredakteur, einer Ihrer Redakteure, Armin Wolf, hat einen Stein ins Wasser geworfen, und es wurde ein Tsunami daraus. Wenn eine einzige Rede solche Wirkung hat, muss der Untergrund recht brüchig sein.
Mück: Ich glaube, dass es kein Tsunami ist. Die Wirkung liegt auch nicht nur darin, was Armin Wolf gesagt hat, sondern wann er es gesagt hat – nämlich vor einem Wahlkampf und vor der Neubestellung der Geschäftsführung des ORF. Den ORF zu kritisieren ist immer eine zugkräftige Nummer, und wenn man es mit der Politik verquickt – dann erst recht.
profil: Generaldirektorin Monika Lindner hat Wolfs Aussagen eine „Brandrede“ genannt. Teilen Sie diese Einschätzung?
Mück: Vieles an seiner Rede verstehe ich, aber es gibt einiges, was ich nicht teile. Etwa die Beurteilung, dass es früher ein Gleichgewicht des Schreckens gegeben habe: Es war ein Ungleichgewicht an Einflussnahme vonseiten der SPÖ. Ich teile auch nicht die Meinung, dass jetzt nur noch der Schrecken geblieben sei. Wenn es Versuche an Einflussnahme gibt, dann stehen sie in keinem Verhältnis zu dem, was diese Redaktionen davor erlebt haben.
profil: Das sehen die Betroffenen offenbar anders. Redakteurssprecherin Danielle Spera fordert in profil, dass die Geschäftsführung bei Beschwerden von Politikern hinter der Redaktion steht und nicht hinter den Politikern.
Mück: Ich weiß nicht, worauf sich Kollegin Spera bezieht, ich weiß aber, dass die Methoden, die von der SPÖ-Kanzlerpartei einst angewendet wurden, heute völlig undenkbar wären. Es gibt keinen Redakteur, der direkt bedroht wird; dem von Redaktionsfremden Vorschriften gemacht werden, was er zu tun und zu lassen hat; der praktisch bis zum Schneidetisch verfolgt wird. Es gibt auch niemanden, der auf Interventionen hin irgendwelche Interviews machen muss, wie es damals zu oft der Fall war.
profil: Sie teilen wahrscheinlich auch nicht Armin Wolfs Ansicht, es sei im ORF „extrem viel Macht in der Hand einer Person“, nämlich in Ihrer.
Mück: Aus seiner Sicht mag Wolf Recht haben, er wünscht sich einen schwachen Chefredakteur und übersieht, dass solche Strukturen uns einst den Vorwurf der Klima-Festspiele eingetragen haben. Es hat nicht nur Nachteile, wenn ein Chefredakteur einen großen Bereich zu vertreten hat, weil er damit auch wesentlich mehr Gewicht hat, wenn es um Sendeplätze, Geld und Personal geht. Das wissen die Kollegen ja sehr wohl zu schätzen.
profil: Die mit honorigen Persönlichkeiten besetzte Plattform SOS ORF protestiert. SPÖ, BZÖ, Grüne und FPÖ wollen eine Sondersitzung des Stiftungsrates. Der ehemalige „Kleine Zeitung“-Chef Fritz Csoklich klagt in profil über „mittelmäßige Begabungen“ mit großer Machtfülle. Aber Sie sagen, in Wahrheit sei alles in Ordnung. Liegen vielleicht Sie falsch?
Mück: Ich sage gar nicht, dass alles in Ordnung ist. Ich halte lediglich die Strukturdebatte für vordergründig. Außer Haus führt doch mit Ausnahme der SPÖ niemand eine Strukturdebatte – und die SPÖ stört nur der ihrer Meinung nach zu mächtige Chefredakteur. Der Plattform SOS ORF zum Beispiel geht es um viel mehr, um das Programmverständnis des ORF. Das halte ich für eine sehr wichtige Debatte, und deswegen hatte die Rede Armin Wolfs auch positive Folgen.
profil: Warum haben Sie dann ORF-Mitarbeiter zu sich bestellt, die nach der Rede aufgestanden sind und geklatscht haben?
Mück: Das zählt zu den üblen Vernaderungen: Es ist niemand herbestellt worden. Selbstverständlich redet ein Chefredakteur tags darauf in der Redaktion mit Leuten, die das miterlebt haben. Wenn ich in den News-Room hinuntergehe und mit zwei, drei Kollegen rede – ist das eine Vorladung? Hier wurde niemand vorgeladen oder zur Rede gestellt, rechtfertigen musste sich auch niemand. Und Konsequenzen gibt es keine, andernfalls hätte ich die Redakteursversammlung kaum überlebt.
profil: Müsste der ORF-Chefredakteur jetzt nicht die Gunst der Stunde nützen und die konsequenteste Forderung erheben: jene, dass die Politik endlich ihre Finger vom ORF lässt?
Mück: Wir Journalisten rufen das seit eh und je.
profil: Erfolglos.
Mück: Nicht ganz erfolglos. Die Politiker sind heute ein bisserl weiter weg als früher.
profil: Weil sich die politischen Gruppierungen im ORF-Stiftungsrat nicht mehr Fraktionen, sondern „Freundeskreise“ nennen? Das ist doch lächerliche Kosmetik.
Mück: Sie werden verstehen, dass ich unsere Gremien, insbesondere den Stiftungsrat, nicht kommentiere.
profil: Die ÖVP hat 2001 lustigerweise behauptet, durch das neue Rundfunkgesetz werde der ORF entpolitisiert. Sehen Sie das auch so?
Mück: Man würde mich nicht ernst nehmen, wenn ich jetzt behaupte, es gäbe keinen Einfluss der Politik auf den ORF. Selbstverständlich gibt es den. Schließlich werden unsere Rahmenbedingungen – das ORF-Gesetz – von Politikern festgelegt. Jeder weiß, wie sich der Stiftungsrat zusammensetzt, es gibt Parteienvertreter, es gibt Regierungsvertreter.
profil: Muss man sich als ORF-Journalist also damit abfinden, dass die jeweils herrschende Partei anschafft?
Mück: Erstens nein. Zweitens findet das so nicht statt. Und drittens sehe ich die Lösung all dieser Dinge in naher Zukunft. Ich bin davon überzeugt, dass die Probleme dieses Unternehmens in diesem immer kompetitiveren Markt zwangsläufig dazu führen werden, dass es keine politische Partei geben wird, die dafür ernsthaft zur Mitverantwortung gezogen werden will. Wir werden vermutlich bald die Flucht der politischen Parteien aus dem ORF erleben, weil das Risiko der Mitverantwortung zu groß wird. Man privatisiert ja auch andere Unternehmen in Österreich nicht deshalb, weil man keinen Einfluss haben will, sondern weil man erkennt, dass der Einfluss hinderlich ist.
profil: Im Fall des ORF brechen die Quoten und damit die Werbeeinnahmen weg.
Mück: Die Quoten brechen nicht weg, die „ZiB 1“ legt sogar leicht zu. Das finanzielle Hauptproblem des Fernsehens liegt darin, dass die Programmschöpfung immer teurer wird, weil die Produktions- und Rechtekosten dramatisch zunehmen, sodass kleine Sender wie der ORF mit einem Vollprogramm sich schon fragen müssen, wie sie das finanzieren sollen. Auf dem Markt kann man es nicht verdienen, und die Gebührendecke ist auch nicht endlos lang.
profil: Verkünden Sie damit das Ende des öffentlich-rechtlichen Fernsehens?
Mück: Im Gegenteil: Die entscheidende Frage ist, wie wir einen öffentlich-rechtlichen ORF intelligent, effizient und sparsam aufstellen. So, dass er wettbewerbstauglich ist, aber gleichzeitig die Qualitätserfordernisse erfüllt. Da wird keine Partei mitmischen wollen, weil das ein Feld ist, auf dem man – wenn man nichts davon versteht – nur verlieren kann.
profil: Dem halten wir einen der Lieblingssätze Ihres Mentors Gerd Bacher entgegen: Den Politikern war es immer egal, wie es dem ORF geht, ihnen war immer nur wichtig, wie es ihnen im ORF geht.
Mück: Da hat er sicher Recht, aber auch für Politiker wird es enger. Ich kenne keinen Politiker, der sich hinstellt und den Österreichern eine saftige Gebührenerhöhung ankündigen möchte. Ich kenne auch keinen, der uns Werbegeld beschaffen könnte. Ich bin davon überzeugt, dass sich die Politik schon deshalb zögerlich zurückziehen wird. Das geht nicht von heute auf morgen.
profil: Im Brief der Redakteure an den Stiftungsrat heißt es: „Eine zentralistische Führung lässt leicht Schlagseite aufkommen.“ Damit sind doch offenbar Sie gemeint. Oder?
Mück: Die Gefahr besteht immer, aber es wird mit diesem Satz ja nicht behauptet, dass es so sei.
profil: Die Redaktion hat offenbar durchaus das Gefühl, dass es so ist.
Mück: Ich war ja bei dieser Versammlung. Meine Antwort war: Ich kann 15 Sendungsverantwortliche hinstellen, die rein zufällig aus ein und demselben gesellschaftspolitischen Feld kommen. Und dann werden Sie schauen, wie es mit der Pluralität ausschaut. Die Struktur allein ist es nicht, es sind immer die Personen.
profil: Letztlich kocht es sich darauf zusammen, dass viele ORF-Mitarbeiter und große Teile des Publikums das Gefühl beschleicht, die ÖVP habe derzeit ziemlich stark ihre Pfoten im Programm.
Mück: Diese Kritik gibt es, aber es gibt auch eine andere Sicht der Dinge. Wenn eine Partei, ich meine die SPÖ, das ständig trommelt, dann wird ein bissl was hängen bleiben. Das heißt noch lange nicht, dass es so ist.
profil: Es trommelt doch nicht nur die SPÖ. Der ehemalige ÖVP-Klubobmann Heinrich Neisser schreibt in einem neuen Buch: „Noch nie in der Geschichte der Zweiten Republik wurde der medienpolitische Machtanspruch so ungeniert artikuliert wie unter der Wende-Regierung. Der ORF wird als Besitz betrachtet, Politiker fühlen sich als Hausherren.“
Mück: Muss er deshalb Recht haben?
profil: Neisser ist jedenfalls sicher kein Sozialdemokrat.
Mück: Aber er hat keine validen Informationen, wie es im ORF derzeit aussieht. Er ist weit weg von der Realität. Ich sitze jetzt seit 35 Jahren im ORF. Und ich sage: Es ist bei uns bei Weitem nicht so schlecht, wie behauptet wird.
profil: Warum haben dann laut Umfragen so viele Zuseher das Gefühl, die ORF-Information sei ÖVP-lastig?
Mück: Das liegt sicher zum Teil an der Kampagne der SPÖ, hat aber noch einen tieferen Hintergrund: Nahezu 30 Jahre lang gab es eine rot-schwarze Regierungsbank und ein dementsprechendes Spiegelbild im Fernsehen. An das neue Bild hat man sich noch nicht gewöhnt.
profil: Das Verhältnis zwischen Ihnen als ORF-Chefredakteur und der SPÖ ist katastrophal. Ist das überhaupt noch zu einem vernünftigen Arbeitsverhältnis reparierbar?
Mück: Ich bin nicht auf dem Kriegspfad, sondern handle aus Notwehr. Wenn ich mich erinnere, welche Auseinandersetzungen Gerd Bacher und Franz Kreuzer mit der SPÖ geführt haben, bin ich absolut zuversichtlich, dass auch dieser Konflikt nicht endlos andauert.
profil: Zwischen dem Ausbruch des Konflikts zwischen SPÖ und Bacher und der Reparatur des Verhältnisses lagen zwölf Jahre. So viel Zeit haben Sie nicht.
Mück: Gerd Bacher war Generalintendant und hatte ein ganz anderes Gewicht als ich. Es ist eine Frage des Formats der Streitparteien, einen Konflikt auch beizulegen.
profil: Was würden Sie denn im ORF ändern, hätten Sie die seinerzeitige Machtfülle Bachers?
Mück: Das ist eine virtuelle Frage. Als Chefredakteur sehe ich ein Programmschema, das sich überlebt hat. Ich bin sicher, dass dieses Schema meinen Pensionstermin im Sommer 2007 nicht überleben wird. Ich bin der festen Überzeugung, dass das Informationsprofil des ORF gestärkt werden muss. Dieses Profil hat gelitten, weil es seit 15 Jahren weit gehend unverändert blieb. Wir brauchen aufgrund des veränderten Publikumsverhaltens eine andere Angebotspalette. Zum Beispiel Informationsangebote für junges Publikum, das sich nicht die „ZiB“ anschaut. Es wäre doch völlig sinnlos, die „ZiB“ auf jugendlich zu schminken. Man wird auch über den Gesamtauftritt der Information nachdenken müssen. Ich denke, die nächste Geschäftsführung wird das machen.
profil: Sie reden ständig von der Pension.
Mück: Nicht nur, ich rede viel über die Zukunft des ORF, weil mich das fasziniert. Ob ich daran mitwirken werde, liegt in der Hand der Generaldirektorin.
profil: Sie gehen davon aus, dass es eine Generaldirektorin geben wird?
Mück: Ich gehe davon aus.
profil: Haben Sie einen Vorschlag, als was Sie gerne vorgeschlagen werden würden?
Mück: Nicht ich, sondern Generaldirektorin Monika Lindner schlägt vor.
profil: Aber Lust, im zukünftigen ORF für die Information verantwortlich zu sein, haben Sie schon?
Mück: Mich interessiert die Zukunft enorm, aus welcher Perspektive ich sie erlebe, werde ich zeitgerecht erfahren.
profil: Halten Sie es für möglich, dass am Ende des Tages doch ein ORF-Generaldirektor Mück herauskommt?
Mück: Das halte ich für ausgeschlossen. Das steht überhaupt nicht zur Debatte.
profil: Sie bewerben sich auch nicht?
Mück: Nein.
profil: Was haben Sie eigentlich aus der dreistündigen Protestversammlung der „ZiB“-Redaktion für die Zukunft mitgenommen?
Mück: Mir hat sehr gefallen, dass die Kolleginnen und Kollegen dort sehr offen gesagt haben, was ihnen nicht passt. Es war der Beweis, dass sich diese Redaktion sehr wohl artikulieren kann, dass sie keinen Mentor braucht, der ihre Ängste formuliert. Und mir hat gefallen, dass wir nicht im Streit auseinander gegangen sind und auch morgen friktionsfrei miteinander arbeiten können.
profil: Auch mit Armin Wolf?
Mück: Mit der Ich-AG Armin Wolf ist es nie friktionsfrei, aber das gehört dazu. Ein Teil unserer Bezüge ist auch Schmerzensgeld für Arbeitsleid, wir verdienen es uns beide redlich.
profil: Sie kriegen mehr. Haben Sie größere Schmerzen?
Mück: Ich kenne seinen Schmerzpegel nicht, aber ich habe noch andere Wolfs.

Interview: Herbert Lackner,
Christian Rainer