Frank Furedi: „Jeder will gesund sein“

Interview: „Jeder will gesund sein“

Der Soziologe über die Moral von Rauchverboten

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profil: Im Juli nächsten Jahres werden in Großbritannien Rauchverbote in Gaststätten und Restaurants eingeführt. Wird Ihre Lebensqualität dadurch steigen?
Furedi: Nicht unbedingt. Auch wenn es mir persönlich lieber ist, beim Essen nicht zugenebelt zu werden. Das Problem besteht darin, dass immer mehr Elemente des individuellen Lebens unter staatliche Kontrolle gestellt werden. Der Raum für spontanes, also normales menschliches Verhalten wird dadurch eingeschränkt. Deshalb bin ich gegen Rauchverbote.
profil: Die Befürworter solcher Verbote haben aber gute Argumente: 5,4 Millionen Menschen sterben weltweit jährlich am Rauchen.
Furedi: Ich behaupte keineswegs, dass es eine gute Idee ist zu rauchen. Aber wir tun viele Dinge, die unsere Gesundheit gefährden. Ich persönlich fahre Ski und betreibe andere riskante Sportarten. Als liberaler Mensch, und als solchen sehe ich mich, hat man die Tatsache zu akzeptieren, dass eine Menge Menschen auch schlechte Entscheidungen trifft.
profil: Man soll die Menschen nicht zu ihrem Glück zwingen?
Furedi: So ist es. Natürlich kommt man dabei um die Frage nicht herum, inwieweit diese Entscheidungen für andere Menschen gefährlich sein können. Diese Frage muss in jedem Fall geklärt werden.
profil: Viele Lebensbereiche unterliegen einer zunehmenden Liberalisierung. In Gesundheitsfragen hingegen scheint die staatliche Interventionslust zu steigen. Welche Gründe hat das?
Furedi: Viele der gegenwärtigen Gesundheitskampagnen sind nichts anderes als ein Versuch, trotz der Tendenz zur Liberalisierung unser individuelles Leben auch weiterhin zu regulieren. Gleichzeitig werden dabei neue moralische Normen aufgestellt. Unsere moralische Entscheidungskraft ist heute nur noch sehr schwach ausgeprägt. Daher treten gesundheitliche Fragen an die Stelle von moralischen.
profil: Können Sie ein Beispiel nennen?
Furedi: Es ist heute nicht mehr möglich, Teenagern mit moralischen Argumenten davon abzuhalten, Sex zu haben. Aber es ist möglich, ihnen klarzumachen, dass Sex schlecht für ihre Gesundheit ist – sie könnten sich ja eine Infektion holen. Weil wir nicht mehr einwandfrei zwischen richtig und falsch beziehungsweise gut und böse unterscheiden können, orientieren wir uns an gesundheitlichen Leitlinien.
profil: Es geht in der Raucherdebatte also gar nicht um die Gesundheit?
Furedi: Unser ethisches Empfinden ist sehr primitiv. Es ist viel bequemer, Leitlinien für ein richtiges Leben nach gesundheitlichen Bedingungen festzulegen. Schließlich will jeder gesund sein. Und deshalb werden diese Regeln auch eher befolgt, aus Angst, krank zu werden. Gesundheit wird damit aber auch zu einem Mittel für die oberen Schichten, ihre moralische Autorität zu behaupten. Wer gesund isst, nicht raucht und ins Fitnessstudio geht – und das trifft fast ausschließlich auf die oberen Schichten zu –, ist heute auch moralisch ein besserer Mensch. Umgekehrt gilt: Wer schlechtes Essen isst, ist ein schlechter Mensch.
profil: Und zudem noch verantwortlich für Defizite im Gesundheitssystem.
Furedi: So ist es – im Unterschied zu Menschen, die sich beim Skifahren verletzen.
profil: Warum wird Alkoholmissbrauch in diesem Zusammenhang kaum thematisiert? Er ist kaum weniger schädlich als Nikotin oder Fast Food.
Furedi: Das hat mehrere Gründe. Zum einen ist Alkohol in allen Schichten gleichermaßen präsent. Zum anderen ist die medizinische Faktenlage viel ambivalenter. Viele Ärzte behaupten, dass Alkohol in Maßen auch gesund sein kann, während kein Arzt so weit gehen würde, seinen Patienten zu Zigaretten oder Cheesburger in Maßen zu raten. Das macht es schwierig, das Thema mit der gleichen Vehemenz anzugehen. Drittens ist man sich gerade in Amerika der fatalen Auswirkungen der Prohibition noch sehr deutlich bewusst.
profil: Was wäre Ihr Vorschlag zur Raucherdebatte? Soll jeder rauchen dürfen, wo und wie viel er will?
Furedi: Wenn man, wie ich es tue, davon ausgeht, dass jedes Individuum und jede Organisation das Recht hat, eigene Entscheidungen zu treffen, dann sollte das auch hier gelten: Wenn ein Gastwirt entscheidet, dass in seinem Restaurant geraucht werden darf, dann muss das akzeptiert werden. Wer keinen Rauch beim Essen verträgt, geht in ein anderes Restaurant. Das alles soll uns aber nicht davon abhalten, unseren Kindern beizubringen, dass Rauchen schädlich ist. Ich halte es für legitim, den Menschen die Wahrheit zu sagen: dass die Entscheidung fürs Rauchen eine schlechte ist. Treffen muss sie aber jeder selber.

Interview: Sebastian Hofer