Juliette Binoche

Interview: Juliette Binoche

Fühle mich selbst fremd

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profil: Filme wie „Jet Lag“ sind in Ihrem Werk doch eher die Ausnahme. Eine Komödie, die so leichtherzig, so sorglos daherkommt, scheint kaum zu der Art von Kino zu passen, für die Sie eigentlich bekannt sind.
Binoche: Was meinen Sie denn? Dass „Jet Lag“ Blödsinn ist?
profil: Nun ja, es ist zumindest ein sehr leichtgewichtiger, auch sehr kommerzieller Film. Sehen Sie das nicht so?
Binoche: Wissen Sie, für mich ist es eine Herausforderung, Comedy zu machen. Ich stufe da nicht ab, für mich ist die Komödie kein niedrigeres Genre als, sagen wir, das Drama. Die einzige Hierarchie, die ich in diesen Dingen anerkenne, ist die zwischen interessanten und weniger interessanten Projekten.
profil: Wie entscheiden Sie denn, ob Sie eine Rolle annehmen oder nicht? Geht es Ihnen vor allem um die Namen der Regisseure? Oder ist eher die Qualität des Drehbuchs entscheidend?
Binoche: Oh nein, das gehört schon zusammen. Aber ich liebe zum Beispiel „La bûche“, Danièle Thompsons Regiedebüt. Das ist ein sehr wahrer Film, ein Produkt gelebter Erfahrung. Darum ging es mir auch in „Jet Lag“: zu zeigen, welche Konflikte sich aus den Unterschieden zwischen Männern und Frauen ergeben können – und wie sehr sich ein Leben in nur 24 Stunden ändern kann. Außerdem fand ich es faszinierend, endlich mal in einer Komödie zu sein, einmal auch lächerlich sein zu können, Vinaigrette ins Gesicht geschüttet zu kriegen und solche Dinge. Das reizte mich – und dabei wollte ich doch auch die vielen tragischen Seiten dieser Figur mitspielen. Mich interessiert diese Frage: Wie ist es möglich, Leute zum Lachen zu bringen und sie dennoch auch zu berühren? Das scheint widersprüchlich. Die Filme von Capra und Lubitsch haben mir aber gezeigt, dass das geht. Und für mich ist das ein sehr hohes Niveau des Ausdrucks.
profil: Die Mischung aus Emotion und Albernheit ist es, die Sie fasziniert?
Binoche: Ja. Und als Schauspielerin in der Lage zu sein, diese herzustellen, war einfach etwas, das ich versuchen wollte. Ich hatte das ja nie zuvor gemacht.
profil: War nicht auch „A Couch in New York“, der Film, den Sie 1996 mit Chantal Akerman gedreht haben, der Versuch einer Komödie?
Binoche: Ja, vielleicht. Aber ich finde, der Film ging als Komödie daneben.
profil: Wessen Schuld war das?
Binoche: Ich weiß nicht: meine, Chantals, keine Ahnung. Das Thema des Films war wunderbar, wir haben nur leider keinen Rhythmus dafür gefunden. Es funktionierte nicht. Komödie ist eben alles andere als einfach.
profil: Zurück zu „Jet Lag“: Haben Sie sich von den Einspielergebnissen in Frankreich nicht mehr erwartet?
Binoche: Überhaupt nicht. Die waren doch gut. Vielleicht haben sich die Produzenten des Films mehr erwartet, aber das ist ihr Problem, nicht meines. Und wenn Jean Reno nun auch sagt, dass er enttäuscht sei von den Zahlen, dann mag das daran liegen, dass er es gewohnt ist, in Kassenschlagern zu spielen. Ich bin das nicht. Mir erscheinen die Ergebnisse sehr, sehr passabel. Es hängt eben davon ab, aus welcher Perspektive man darauf blickt. Ich meine, das ist ein intimer Film. Der einzige Special Effect, den Sie hier haben, ist die Vinaigrette.
profil: Ein französischer Special Effect, sozusagen.
Binoche: Das sagen Sie besser nicht laut, dafür würde man Sie hier in Paris hassen.
profil: Sie drehen viel im Ausland, sind keineswegs auf Frankreich beschränkt.
Binoche: Ich mag internationale Sets, ich liebe die Mischung von Sprachen und Temperamenten. Da fühle ich mich zu Hause. Als Schauspielerin habe ich die Sehnsucht zu teilen, mit anderen zusammen zu sein. Und das ist erstaunlich, denn mein Leben war eigentlich ganz anders, es handelte immer davon, individuell zu sein, als so genannter „Star“ herumzureisen. Ich fühle mich der angelsächsischen Art zu arbeiten näher, wo man sich selbst ständig infrage stellt, an sich weiterzuarbeiten versucht. In Frankreich ist man, wenn man einmal etwas erreicht hat, bemüht, daran festzuhalten, bis man stirbt. Man ist hier viel zynischer.
profil: Ein Film über die Idee des Multikulturellen ist „Code inconnu“, den Sie mit Michael Haneke gedreht haben. Sie arbeiten inzwischen bereits an einem weiteren Projekt mit ihm.
Binoche: Ja, an einem Film namens „Caché“, den wir vermutlich im kommenden Sommer drehen werden. Sein Thema ist die Schuld: Wie lebt man damit? Daniel Auteuil und ich spielen Hauptrollen, und nebenbei wird es auch um französische Geschichte, um Algerien gehen.
profil: Haneke legt Wert auf formale Strenge; seine Filme wirken dabei oft sehr kühl, in sich geschlossen. In gewisser Weise war „Code inconnu“ da ganz anders, viel offener. Wie haben Sie ihn, der ja auch als ein Schwieriger gilt, denn erlebt?
Binoche: Ich habe mich ihm sofort sehr nahe gefühlt. Ich mag es, wenn ein Regisseur auch einen gewissen Sinn für Humor mitbringt, das ist bei Haneke definitiv der Fall. Und dann verbindet uns natürlich auch ein Hang zum Philosophischen im Kino. Das sind große Themen, die wir da behandelt haben: Verrat, Liebe, all das.
profil: Sie arbeiten viel mehr im Ausland als in Ihrer Heimat. Sehen Sie sich eigentlich noch als französische Schauspielerin?
Binoche: Es ist lustig: Für Fremde wirke ich sehr französisch, für Franzosen dagegen sehr fremd. Ich fühle mich ja selbst fremd, wissen Sie? Ich habe mein Englisch perfektioniert, um reisen zu können, um herumzukommen, in fernen Ländern arbeiten zu können. Es gehörte immer zu meinen Träumen, über mich selbst hinauszugehen, meine Ängste zu überwinden.
profil: Sie malen auch, oder? Die Gemälde in Leos Carax’ „Les amants du Pont-Neuf“ stammten doch von Ihnen selbst. Haben Sie heute noch Zeit für die Malerei?
Binoche: Nicht mehr sehr oft, leider. Aber an die Arbeit mit Carax erinnere ich mich gern, das war fantastisch, wenn auch ein wenig gefährlich: Er legte Wert darauf, das Kino neu zu erfinden, brauchte dabei aber unglaublich viel Zeit – Jahre eigentlich –, was einen solchen Dreh nicht einfacher macht.
profil: 1985, in „Je vous salue, Marie“, einem Ihrer ersten Filme, haben Sie mit Jean-Luc Godard gearbeitet. Auch er gilt nicht als der Umgänglichste.
Binoche: Die Erfahrung war schon überwältigend. Ich kam direkt aus meinen Workshops, meiner Theaterklasse, wo sich Lehrer unentwegt bemüht hatten, mich weiterzubringen, mich zu einer Schauspielerin zu machen. Und plötzlich hatte ich da einen Regisseur, der Schauspieler überhaupt nicht mochte, der gar nicht nett zu mir war. Das war eine große Entdeckung für mich: dass es Regisseure geben konnte, die sich für Schauspieler nicht die Spur interessierten. Mir schien das völlig widersprüchlich. Brauchte er die nicht? Aber ich habe mit Erstaunen festgestellt, dass man kreativ sein konnte und sich dennoch mit gewaltiger Energie gegen seine Mitarbeiter stemmen konnte. Ich verstehe das jetzt, aber damals war das sehr verstörend.