„Länger arbeiten fürs gleiche Geld“

Interview: „Länger arbeiten fürs gleiche Geld“

Roland Berger, Doyen der Unternehmensberater

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profil: Ist Deutschland tatsächlich so links, wie es das Ergebnis der Bundestagswahlen widerzuspiegeln scheint?
Berger: Nein. Im Gegenteil, Deutschland hat immer eine strukturelle Mehrheit leicht rechts von der Mitte gehabt.
profil: Jetzt ist es eine Mehrheit links der Mitte.
Berger: Nein, die Begriffe links und rechts passen nicht mehr in die komplexe politische Landschaft von heute. Die Grünen kann man nicht ohne weiteres als „links“ bezeichnen und Gerhard Schröder schon gar nicht. Teile der CDU/CSU hingegen schon! Ich glaube, die wesentliche Erkenntnis aus dieser Wahl ist vielmehr, dass die Deutschen radikale Reformen ablehnen. Sie haben ja sowohl Gerhard Schröder als Reformkanzler, der er nun zweifellos war, abgewählt als auch Angela Merkel, die weiter gehende Reformen versprochen hat, nicht gewählt. Sie haben sich also deutlich gegen Reformen ausgesprochen.
profil: Führende Exponenten der Wirtschaft haben auf das Ergebnis sehr enttäuscht reagiert …
Berger: Erstens haben sie eine Koalition zwischen Union und Liberalen erwartet, wovon sie sich mit Recht den am weitesten gehenden Erneuerungsprozess in Deutschland versprochen haben. Zweitens ist die Wirtschaft vor allem an klaren Verhältnissen und deutlichen Mehrheiten interessiert. Und genau solche Mehrheiten haben wir jetzt nicht. Stattdessen gibt es nun drei bis vier mögliche Optionen für eine Regierung unter zwei oder vielleicht sogar mehr unterschiedlichen Personalkonstellationen, was den Kanzler anbelangt.
profil: Was bedeutet …
Berger: … dass wir wahrscheinlich erst einmal vier bis sechs Wochen völligen Stillstand haben und auch danach einige Zeit brauchen werden, bis sich eine wie auch immer geartete Koalition, die aus relativ vielen Gegensätzen und relativ wenigen Gemeinsamkeiten bestehen wird, zusammenfindet und vernünftige Arbeit leisten kann. Und von einer solchen Koalition ist vermutlich kurzfristig kein großer Schritt nach vorne zu erwarten.
profil: Was wäre denn nach diesem Wahlergebnis aus Sicht der Wirtschaft die vernünftigste Koalition?
Berger: Ich könnte mir vorstellen, dass die Wirtschaft eine Koalition aus Union, Liberalen und Grünen favorisiert.
profil: Die „Financial Times“ plädiert ebenfalls für eine solche Jamaika- oder „Schwampel“-Koalition …
Berger: Ich hielte eine solche Kombination für relativ vernünftig und auch nicht unwahrscheinlich, weil so die wenigsten Beteiligten ihr Gesicht verlieren würden: Die Union stand ohnehin für eine Koalition mit den Liberalen. Die Liberalen haben sich gegen eine Ampelkoalition mit der SPD ausgesprochen, aber nicht gegen eine mit der CDU. Die Grünen haben sich nicht klar festgelegt. Außerdem haben die Grünen auch in puncto Wirtschaftsreformen in der rot-grünen Regierung eher fortschrittlich agiert und waren in mancher Hinsicht bereit, radikalere Reformen mitzutragen als die Sozialdemokraten.
profil: Nachteile hätte eine solche Koalition gar keine?
Berger: Das Handikap einer solchen Koalition läge wohl eher darin, dass sie die technologische Innovationsfähigkeit des Landes bremsen könnte. Die Grünen stehen immerhin für ein Anti-Gentechnik-Gesetz …
profil: … und für den Ausstieg aus der Atomenergie …
Berger: Das sowieso. Und möglicherweise entdecken die Grünen auch noch bei der Nanotechnologie vermeintliche Gefahrenpotenziale. Diese technologische Innovationsfeindlichkeit könnte der wunde Punkt sein – plus eine überzogene Umweltpolitik. Trotzdem glaube ich, dass die „Schwampel“ unter Angela Merkel eine mögliche Lösung für Deutschland darstellen könnte. Im Moment scheinen die Sondierungsgespräche zwischen CDU und Grünen freilich erst einmal auf Eis gelegt.
profil: Und eine Ampelkoalition aus SPD, Liberalen und Grünen?
Berger: Da die FDP eindeutig bekundet hat, dafür nicht zur Verfügung zu stehen, halte ich diese für eher unwahrscheinlich. Aber auch eine solche Koalition müsste nicht zwangsläufig Stillstand bedeuten: Die Liberalen würden es Schröder sicher erleichtern, Reformen gegenüber seinen Sozialdemokraten durchzusetzen, und die Grünen sind ja per se recht reformfreundlich.
profil: Und eine große Koalition wäre keine praktikable Alternative?
Berger: Doch, schon, aber ich sehe noch nicht, wie man sich angesichts der unterschiedlichen Standpunkte in wesentlichen Fragen einigermaßen rasch zusammenfinden kann. Denn das wäre höchstwahrscheinlich eine Koalition ohne Gerhard Schröder, ohne Angela Merkel. Verzichten beide auf die Kanzlerschaft, könnte ich mir eine große Koalition allerdings gut vorstellen. Die fände sich entweder zu echten Reformen bereit, was gut wäre für Deutschland. Oder es würde nach einem Jahr wieder Neuwahlen geben.
profil: Wer wären mögliche Nachfolger für Schröder und Merkel?
Berger: Der ehemalige nordrhein-westfälische Ministerpräsident Peer Steinbrück gilt in der SPD als Exponent für eine große Koalition und steht für wirtschaftsfreundliche Reformen. Er verfügt allerdings, ähnlich wie Schröder, in der Partei nur über einen wenig verlässlichen Rückhalt.
profil: Und wer wäre eine Alternative zu Angela Merkel?
Berger: Der hessische Ministerpräsident Roland Koch zählt zu den fähigsten Leuten, die die Union zu bieten hat. Er steht wie Steinbrück für fortschrittliche Politik und für eine Erneuerung unseres Landes, ohne dabei die Bürger zu überfordern. Er hat im Land und international ein gewisses Standing und klare Visionen und Vorstellungen, innen- wie außenpolitisch. Er ist ein hervorragender Politiker und würde mit Sicherheit einen exzellenten Bundeskanzler abgeben. Warum nicht mit einem Vizekanzler Steinbrück? Und auf diesem Weg könnte Koch an die Macht gelangen, ohne sich im Mediengetöse eines „normalen“ Wahlkampfs behaupten zu müssen.
profil: Was sind die wichtigsten Aufgaben, die eine neue Regierung – wie auch immer sie zusammengesetzt sein mag – jetzt angehen muss?
Berger: Ich glaube, dass man der Bevölkerung nach ihrem klaren Bekenntnis, gravierende Veränderungen abzulehnen, zunächst den Ernst der Situation vermitteln muss. Zweitens muss man ihr erklären, wo es wie hingehen muss, damit Deutschland überhaupt wieder in der Champions League mitspielen kann.
profil: Und in welche Richtung muss es da gehen?
Berger: Zunächst müssen wir den Arbeitsmarkt flexibilisieren, inklusive Aufweichung des Tarifmonopols, Legalisierung von betrieblichen Tarifvereinbarungen, Liberalisierung des Kündigungsschutzes, Abbau der hohen Lohnzusatzkosten und damit der Lohnkosten insgesamt, auch durch längere Arbeitszeiten bei gleichem Lohn.
profil: Dass in Deutschland länger beziehungsweise mehr gearbeitet werden muss, steht für Sie außer Zweifel?
Berger: Ja! Der Schlüssel für unsere Zukunft liegt aber vor allem in einer Innovationsoffensive unserer Wirtschaft und einem deutlich schnelleren Strukturwandel von der klassischen Industriegesellschaft zur anspruchsvollen wachstums- und beschäftigungsintensiven Dienstleistungs- und Hochtechnologiegesellschaft. Diese Entwicklung muss von intensiveren Forschungsaktivitäten und einer Reform des Bildungswesens flankiert werden.
profil: Das wären aber bloß längerfristig wirksame Maßnahmen.
Berger: Richtig, das ist ein längerfristiger Prozess.
profil: Und rascher wirksame Schritte?
Berger: Wenn wir in Deutschland keine weiteren Arbeitsplätze verlieren wollen und wenn unser Sozialstaat finanziell nicht kollabieren soll – unsere sozialen Sicherungssysteme stehen ja schon kurz vor dem Bankrott –, dann ist die relative Senkung unserer Arbeitskosten gegenüber dem Rest der Welt unabdingbar. Das heißt, länger arbeiten fürs gleiche Geld und die Lohnzusatzkosten senken. Das sichert alte und schafft neue Arbeitsplätze.
profil: Was aber die angeschlagenen sozialen Sicherungssysteme noch nicht notwendigerweise wieder auf eine solide finanzielle Basis stellt.
Berger: Da sind zweifellos weitere Maßnahmen notwendig: mehr Kapitaldeckung bei der Rente, mehr Eigenbeteiligung bei den Gesundheitskosten und deren Finanzierung durch eine individuelle und von den Arbeitskosten entkoppelte Gesundheitsprämie, wie sie die Union vorgeschlagen hat. Oder das steuerlich noch stärker abgefederte Konzept der von Bundeskanzler Schröder eingesetzten Rürup-Kommission …
profil: … in der Sie ja Mitglied waren.
Berger: Richtig. Weiters brauchen wir eine kapitalgedeckte Pflegeversicherung. Dann kann die Arbeitslosenversicherung bleiben, wie sie ist, und muss nur von versicherungsfremden Leistungen, die erheblich sind, entlastet werden. Dann bräuchte man auch die Mehrwertsteuer nicht, wie von der CDU gewünscht, erhöhen. Durch diese Maßnahmen könnten wir unsere Lohnkosten ohne Einschnitte in den Sozialstaat um 15 bis 20 Prozent senken. Wir bewegen uns tendenziell ohnehin bereits in die Richtung einer steuerfinanzierten Grundsicherung für die Sozialleistungen.
profil: Auch das würde aber bis zur Umsetzung einige Zeit brauchen.
Berger: Das ist sicherlich nicht von heute auf morgen machbar, sondern eher ein Zweijahresprogramm mit einer Dekade Umsetzungsdauer. Während ein echter Bürokratieabbau die Wirtschaft kurzfristig erheblich erleichtern würde. Die Deutsche Industrie- und Handelskammer hat errechnet, dass Bürokratie die deutschen Unternehmen mit 46 Milliarden Euro belastet. Diese Kosten zu drücken würde ein Durchatmen ermöglichen und gleichzeitig die Staatsquote vermindern. Außerdem muss weiter privatisiert werden! 100.000 Unternehmen in Deutschland gehören noch dem Staat, auch große Anteile der Deutschen Telekom und der Post. Zudem sollte die private Finanzierung von Infrastrukturinvestitionen, wie das anderswo zunehmend geschieht, vorangetrieben werden: Dadurch stünde diese Infrastruktur schneller zur Verfügung, brächte den Bürgern mehr Lebensqualität und würde die Produktivität der Wirtschaft erheblich und schnell verbessern.
profil: Bisher haben Sie noch kein Wort über Steuersenkungen verloren.
Berger: Die sind notwendig, aber etwas weniger drängend. Die Steuerquote ist in Deutschland nicht das Problem. Sie beträgt nur 21,9 Prozent und liegt damit um acht Prozentpunkte niedriger als etwa im wachstumsstarken England. Unser Problem liegt im Mix von direkten und indirekten Steuern. Problematisch sind aber vor allem die Sozialabgaben, die Kosten des Sozialstaates, die 33 Prozent unserer Wirtschaftsleistung verschlingen. Geht man diese Themen zuerst an, gewinnt der Staat wieder mehr Bewegungsfreiheit, weil das den Haushalt entlastet. Denn relativ schnell müssen wir ja imstande sein, die Maastricht-Kriterien einzuhalten und wieder einen ausgeglichenen Haushalt abzuliefern.
profil: Wie könnte beziehungsweise sollte eine vernünftige Steuerreform aussehen?
Berger: Einfach, transparent und gerecht – so sollte das Steuersystem aussehen! Niedrigere Steuersätze auf eine breitere Bemessungsgrundlage ohne Ausnahmen. Leistung weniger und den Konsum stärker besteuern. Mehr indirekt und weniger direkt besteuern: Das macht ein modernes Steuersystem aus.
profil: Also sollten vor allem die Einkommen- und Unternehmenssteuern gesenkt werden?
Berger: Wir müssen die Steuern für Unternehmen senken ebenso wie die privaten Einkommen- und Lohnsteuern, während wir die indirekten Steuern durchaus anheben können. Das hat zum Beispiel in Schweden sehr gut funktioniert. Wenn die direkten Steuern niedriger ausfallen, sind auch die Probleme der Schattenwirtschaft leichter zu bewältigen. Um die Langfristprobleme unserer Wirtschaftsstruktur in den Griff zu kriegen, müssen wir auch die Kapitalressourcen neu allozieren.
profil: Konkret bedeutet das?
Berger: Mehr Investitionen in Forschung und Bildung. Wir sollten 3,5 statt 2,5 Prozent des Bruttosozialprodukts in Forschung und Entwicklung investieren, um international wieder aufzuschließen, und in Bildung 7,5 statt 5,3 Prozent.
profil: Österreich wird in jüngster Zeit, nicht zuletzt auch im zu Ende gegangenen deutschen Wahlkampf, mittlerweile recht häufig als positives Beispiel oder gar Vorbild für Deutschland bezeichnet. Ist dieses Lob gerechtfertigt?
Berger: Im Bereich der Bildung wohl weniger, auch nicht in Forschung und Entwicklung. Aber Österreich hat mit seiner Steuer- und Pensionsreform wichtige und richtige Maßnahmen umgesetzt. Die Arbeitslosenquote ist bedeutend niedriger, das BIP pro Kopf erheblich höher als in Deutschland. In Österreich haben sich gerade im letzten Jahrzehnt privatwirtschaftliche unternehmerische Aktivitäten entwickelt, die großen österreichischen Familienunternehmen haben Akzente gesetzt, die Privatisierung war erfolgreich. Österreich hat also durchaus Vorbildcharakter, denn das Land stand vor ähnlichen Aufgaben, wie Deutschland sie heute zu bewältigen hat. Aber auch andere kleine Länder in Europa haben sich beispielhaft reformiert, allen voran Finnland, aber auch Schweden, Holland und Irland. Von den großen ist wirtschaftlich betrachtet eigentlich nur Großbritannien fortschrittlich.
profil: Aber haben nicht all diese Länder den Vorteil, nicht die finanzielle Bürde einer überaus kostspieligen Wiedervereinigung tragen zu müssen?
Berger: Für unsere Budgetsituation wie für unser Wirtschaftswachstum ist die Wiedervereinigung in der Tat ein Problem. Wir haben zwischen 1991 und 2004 jährlich 4,4 Prozent des westdeutschen Bruttosozialprodukts nach Ostdeutschland transferiert, überwiegend über die sozialen Sicherungssysteme. Daher gingen 75 Prozent dieser Transfers in den Konsum, waren also keine Zukunftsinvestitionen. Die Tatsache, dass unsere sozialen Sicherungssysteme heute vor dem Bankrott stehen, wenn der Staat sie nicht immer wieder auffängt, ist sicherlich zu einem großen Teil der Wiedervereinigung anzulasten.
profil: Sie interpretieren das Wahlergebnis, so wie viele andere auch, als Ausdruck des Widerstands der Bevölkerung gegen einschneidende Reformen und Veränderungen. Warum sind die Deutschen so reformscheu?
Berger: Unsere Bevölkerung ist aus meiner Sicht immer noch recht verwöhnt, wohlhabend und offensichtlich mehr daran interessiert, den Status quo zu bewahren. Sie riskiert offenbar ungern kurzfristige Besitzstandsverluste, auch wenn diese die Aussicht auf eine glänzende Zukunft erst eröffnen. Darüber hinaus haben die Politik, aber auch Wirtschaftsführer und Medien die Bevölkerung nicht hinreichend aufgeklärt über den Ernst der Lage, beispielsweise unsere schleichende Verarmung. 1994 war Deutschland unter den 15 alten EU-Mitgliedern die Nummer vier, was das Bruttosozialprodukt pro Kopf zu Kaufkraftparitäten anbelangt, heute Nummer zwölf. Nur die Bevölkerung in Spanien, Portugal und Griechenland ist ärmer. Wären solche Tatsachen den Leuten bewusster, würden sie weitere Reformen vielleicht eher akzeptieren.
profil: Das ist eine recht kritische und harte Bestandsaufnahme der Situation, die Sie da vornehmen. Burkhard Schwenker, Ihr Nachfolger an der operativen Spitze des Unternehmens Roland Berger, hat im November vergangenen Jahres im „manager magazin“ allerdings gemeint, statt „Mut und Optimismus zu verbreiten“, redeten viele „den Standort schlechter, als er ist“.
Berger: Die Strategien, die ich genannt habe, sind ja vorwärts gerichtet. Wenn wir an den anderen Rand der Schlucht gelangen wollen, müssen wir erst das Tal durchschreiten. Solange die Menschen das nicht verstehen, werden sie nicht bereit sein, die Mühen des Abstiegs und des Wiederaufstiegs in Kauf zu nehmen. Das heißt, es geht nicht darum, Optimismus per se zu verbreiten, das meinte auch Herr Schwenker nicht. Es geht vielmehr darum, der Bevölkerung klar zu machen, dass Veränderungen notwendig sind und wie sie dann von den Anstrengungen, von Verzicht und Reformen profitieren wird: nämlich dadurch, dass Deutschland und seine Bürger wieder ganz vorne mitspielen, was den wirtschaftlichen Wohlstand betrifft.
profil: Im Wahlkampf hat die SPD recht linke Töne geäußert und teilweise sehr kapitalismuskritische Aussagen getätigt. Die vermutlich am meisten zitierte war jene von Franz Müntefering, in der er internationale Finanzinvestoren als „Heuschrecken“ bezeichnet hat, die über Deutschland und deutsche Unternehmen herfallen.
Berger: Müntefering hatte diese Kritik vor dem nordrhein-westfälischen Wahlkampf angebracht, um diese entscheidende Wahl noch einmal zu wenden. Offensichtlich hat seine Äußerung aber nicht verfangen, denn die rot-grüne Koalition hat in Nordrhein-Westfalen verloren. Und zwar so massiv, dass Neuwahlen auf Bundesebene ausgeschrieben wurden, weil Schröder eine Legitimation für seine Reformen suchte. Danach verschwanden die „Heuschrecken“ aus der Diskussion. Zu beantworten aber bleiben zwei grundlegende Fragen: Wie kann in einer globalisierten Welt mobiles Kapital mit der notwendigen sozialen Verantwortung eines nationalstaatlichen Gebildes in Übereinstimmung gebracht werden? Und was ist eigentlich die Rolle von Unternehmen? Haben Unternehmen wirklich nur die Aufgabe, Gewinne zu erzielen und den Kapitalmarktanforderungen zu genügen, oder haben sie darüber hinaus auch eine gesellschaftliche Verantwortung?
profil: Ihren Worten ist zu entnehmen, dass Sie eine solche weiter reichende Verantwortung befürworten.
Berger: Ja, sicher. Hier gibt es einen Kulturunterschied zwischen der angelsächsischen Welt, in der das Shareholder-Value-Prinzip vorherrscht, und dem traditionellen deutschen Modell der so genannten Stakeholder-Orientierung, die maßgeblich die Interessen von Mitarbeitern, Kunden, Gesellschaft und Umwelt einbezieht. Der Diskurs zwischen diesen beiden Positionen muss meiner Meinung nach stattfinden – offensiv und transparent. Es gilt Antworten zu finden, sowohl auf politischer als auch auf wirtschaftlicher Ebene. Nur dann werden die Menschen das System der Marktwirtschaft weiter mittragen.

Interview: Stefan Janny