Jon Hall: „Microsoft muss umsteigen“

Interview: „Microsoft muss umsteigen“

Interview über die Vorzüge frei erhältlicher Software

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profil: Mr. Hall, wie erklären Sie einem Laien, warum er Linux statt Windows verwenden soll?
Hall: Ein Argument lautet: Es gab eine Menge Softwareunternehmen, von denen sich niemand vorstellen konnte, dass sie verschwinden würden, aber sie sind heute alle weg. Und jedes Mal wurden auch einige Programme aufgelassen. Wenn Sie eines davon verwendet haben, müssen Sie sich um ein anderes umschauen. Mit Open Source dagegen, wo die Codes offen gelegt sind und jeder sie anschauen kann, können Sie sagen: Na und? Ich habe den Code. Wenn etwas passiert, kann ich es richten lassen. Für eine Regierung etwa ist das äußerst wichtig. Wenn ein Land im Krieg ist, und plötzlich taucht ein Problem mit seinen Fluggeräten auf, und die Firma, die die Software hergestellt hat, existiert nicht mehr, ist das keine gute Position.
profil: Für Durchschnittsanwender ist das aber kaum relevant.
Hall: Open Source ist flexibler. Bei proprietärer Software wie jener von Microsoft, bei der die Quellcodes geheim sind und für die Lizenzgebühr verlangt wird, gibt es vorgefertigte Pakete. Diese zwingen Organisationen, so zu arbeiten, wie es die Software vorsieht, statt umgekehrt. Open-Source-Software dagegen kann genau an die speziellen Bedürfnisse eines Unternehmens angepasst oder auch erweitert werden. Das ist wichtig, denn die Kosten dafür, etwas nicht tun zu können, machen vielleicht den größten Teil der Softwarekosten aus.
profil: Aber ein individuelles Paket schnüren oder Software neu schreiben zu lassen kommt auch nicht billig.
Hall: Aber bei Microsoft muss man für ein Office-Paket bezahlen, obwohl man sich so etwas doch einfach gratis herunterladen könnte. Angenommen, man möchte eine Software ändern, dann gibt es in der Open-Source-Community vielleicht jemanden, der diese Veränderung auch möchte und sie macht. Dann braucht man gar nichts dafür zu bezahlen. Oder man engagiert jemanden dafür. Jedenfalls hat man die Möglichkeit, bei Microsoft hat man sie nicht.
profil: Es heißt aber auch, Open Source biete im Moment noch nicht so viele Anwendungsmöglichkeiten, wie sie anderswo zu bekommen sind.
Hall: Ich glaube, dass Linux heute für die Office-Anforderungen bereit ist. Ich stimme aber zu, dass es im Moment noch über weniger Anwendungen verfügt, aber das ist nur eine Frage der Zeit. Die Leute werden weiterhin bestimmte Applikationen haben wollen, und dann werden sie schreiben, was sie benötigen.
profil: Microsoft meint, Open-Source-Entwickler programmierten bloß das, was ihnen selbst Spaß macht, und nicht, was die Leute eigentlich brauchen.
Hall: Gut, dann denken wir an ein spezielles Programm, das Zahnärzte benötigen. Microsoft stellt das auch nicht her, weil ihnen der Markt dafür zu klein ist. Genau in solchen Bereichen entwickeln aber Open-Source-Leute ihre Software, weil sie sie brauchen. Mit der Zeit entstehen für die grundlegenden Funktionalitäten Bibliotheken mit verfügbarer Software. Die Aufgaben, für die etwas neu geschrieben werden muss, werden auf diese Weise weniger und weniger.
profil: Vor fünf Jahren sagten Sie, Sie hätten ein Problem damit, dass nichts, was mit Informatik zu tun hat, an Microsoft vorbeikomme. Hat sich daran inzwischen etwas merklich verändert?
Hall: Ja. Viele Leute verwenden heute offene Software wie Linux-Betriebssysteme, Open-Source-Datenbanken und Open Office. Open Source brachte Wettbewerb und ermöglicht es, die besten Leute der Welt zu finden.
profil: Glauben Sie, dass Linux Microsoft irgendwann überholen könnte?
Hall: Ja. Bei neuen Projekten werden die Leute schon bald Open Source wählen. Schließlich müssen sie bei kommerzieller Software für jede Kopie zahlen, Open-Source-Software dagegen kann man so oft einsetzen, wie man will, ohne dass dies mehr kosten würde. Ich glaube, dass Microsoft auf Open Source wird umsteigen müssen.
profil: Sie erwarten tatsächlich, dass Microsoft vollständig zu Open Source übergehen wird? Warum sollten sie das tun?
Hall: Nicht völlig. Es gibt bei Software einen Punkt, an dem das Open-Source-Modell zusammenbricht. Aber auch das proprietäre Modell, wo die Softwarecodes geheim sind, bricht irgendwo zusammen. Software ist wie eine Pyramide geschrieben. Am unteren Teil sind grundlegende Dinge wie Betriebssysteme, die jeder braucht. Wenn viele Leute ähnliche Software brauchen, sind sie bereit, zusammenzuarbeiten, damit alle bessere Software haben. Hier wird es irgendwann keine Software mit geschlossenen Codes mehr geben. Aber das dauert noch.
profil: Und wo soll es geschlossene Codes, also das bisher übliche Microsoft-Prinzip, dann weiterhin geben?
Hall: Ganz an der Spitze der Pyramide, wenn es zum Beispiel nur zwei Leute auf der Welt gibt, die eine bestimmte Software brauchen. Es ist unwahrscheinlich, dass sie diese öffentlich machen, weil sie nicht wollen, dass die Konkurrenz sie nützt.
profil: Wie ist es eigentlich um Stabilität und Sicherheit bestellt? Viele Leute halten Open Source für besser, weil der Code offen ist und jeder ihn kontrollieren kann. Andere meinen genau das Gegenteil: Closed-Source-Software sei sicherer, weil man die Lücken nicht sehen kann.
Hall: So einfach kann man das nicht sagen. Aber schauen wir zum Beispiel die Stabilität an: Die US-Navy hat in ihrem Regelwerk festgeschrieben, dass das Serversystem von Microsoft zumindest alle dreißig Tage neu gestartet werden muss, um all die bösen Dinge loszuwerden, die in der Zwischenzeit passiert sind. Bei Linux ist das nicht nötig.
profil: Wer behauptet das?
Hall: Die US-Navy. Sie verwendet sowohl Windows als auch Linux. Manche Linux-Systeme laufen jahrelang, ohne jemals zusammengebrochen zu sein. Die Gründe liegen in einer Reihe von Sicherheitstechniken, bei denen Microsoft einfach nicht gut ist.
profil: Was ist mit dem Argument, die Offenheit der Codes biete beispielsweise einen Angriffspunkt für Terroristen? Wenn jeder den Code anschauen kann, kann ihn jeder auch für schädliche Zwecke verwenden.
Hall: Aber wie viele Lücken hat man bei Microsoft gefunden? Und wenn man sie findet, wie schnell bekommt man dann von Microsoft die Korrektur? Es gibt eine große Lücke in Office 97. Microsoft weiß das, aber sie lehnen ab, diese zu reparieren, weil sie Office 97 nicht mehr unterstützen. Ihre Lösung: Die Kunden sollen auf Office 2000 hochrüsten. Aber einige Anwender wollen das nicht, weil sie dann eine neue Kopie des Betriebssystems kaufen müssten. Hätten sie Open Source, könnten sie einfach die Sicherheitslücke reparieren lassen.
profil: Was ist nun Ihre Antwort auf die Frage, was sicherer ist?
Hall: Die Argumente beider Seiten haben ein Körnchen Wahrheit in sich. Aber niemand kann deswegen sagen, dass eines der beiden besser sei. Es stimmt: In der gesamten Open-Source-Software gibt es viele Stellen, die unsicher sein könnten, genauso wie bei Microsoft. Alles, was man sagen kann, ist, dass man mit Open Source die Kontrolle hat, dass ein entdecktes Problem repariert wird. Mit Closed-Source-Software ist diese Kontrolle in den Händen der Hersteller.
profil: Können Sie ein Szenario nennen, was dadurch passieren könnte?
Hall: Nehmen wir an, George Bush ginge zu Bill Gates und sagte: Mr. Gates, um der Sicherheit unserer Nation willen möchte ich, dass Sie einen Trojaner in den Code für Österreich einbauen. Denn diese Österreicher sind alte Europäer, sie haben alte Ideen, und ich traue ihnen nicht. Mr. Gates, entweder Sie tun, worum Herr Bush Sie bittet, oder Sie wandern ins Gefängnis. Bei Open Source könntet ihr Österreicher eure besten Studenten den Code anschauen lassen. Wem werdet ihr also trauen? Den vielen Studenten eures Landes oder zwei Leuten eines Staates, der nicht einmal seinen eigenen Präsidenten ordentlich wählen kann?
profil: Für viele Leute spielen im Zusammenhang mit frei erhältlicher Software auch soziale Ideen eine Rolle: dass etwa auch arme Länder Zugang zu Software haben. Nun ist aber rund um Open Source inzwischen viel Kommerz entstanden. Könnte die Grundidee verschwinden?
Hall: Das glaube ich nicht. Es gibt heute auch Universitäten, die ihre gesamten Materialien frei übers Web zur Verfügung stellen, denn sie wissen, was sie gut können, nämlich Studenten ausbilden. Und Softwarefirmen sagen sich: Wenn wir das Design allen Leuten rund um die Welt öffnen, können wir viel mehr Ideen bekommen, um Dinge zu produzieren, für die Leute letztlich bereit sind zu zahlen. Ich glaube, dass die Ideen rund um frei erhältliche Software auch im Rest der Wirtschaft an Bedeutung gewinnen werden.

Jon Hall, 54, gilt als Galionsfigur der Open-Source-Bewegung und ist Präsident von Linux International, einer Non-Profit-Organisation, die sich für die Verbreitung von Linux einsetzt. Hall ist seit 1969 in der Computerindustrie tätig und fungierte als Softwareentwickler, Systemadministrator, Produkt- und Marketingmanager sowie als Lehrender. Seinen Spitznamen „Maddog“ haben ihm Studenten verliehen. Anlässlich der Open-Source-Konferenz OS04 war Hall auf Einladung des Grazer Internetclusters kürzlich in Österreich.