Interview: „Musharraf steckt dahinter“

Publizist Tariq Ali über den Tod Benazir Bhuttos

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profil: Sie arbeiteten in den achtziger Jahren eng mit Benazir Bhutto zusammen. Welche Bedeutung hatte sie als Politikerin?
Tariq Ali: Als Benazir jung war, interessierte sie sich kaum für Politik. Sie sagte mir, dass sie immer Diplomatin werden wollte. Es war ihr Vater (Zulfikar Ali Bhutto, Anm.), der sie dazu drängte, in die Politik zu gehen. 1979, als Ali Bhutto unter dem von den USA unterstützten Militärdiktator General Zia ul-Haq hingerichtet wurde, forderte ihre Familie stärker denn je, dass sie Politikerin wird. Das war schwer für sie, immer wieder kam sie ins Gefängnis, sie und ihre Mutter wurden vom Regime erniedrigt. Man versuchte mit allen Mitteln, die Erinnerung an ihren Vater auszulöschen. In dieser Zeit verhielt sie sich ungemein mutig. Dann durfte sie ins Exil nach London gehen und übernahm dort die Führung der PPP (Pakistanische Volkspartei, Anm.).
profil: Lernten Sie Benazir Bhutto damals in London kennen?
Tariq Ali: Ich kannte sie schon vorher. Aber von diesem Zeitpunkt an trafen wir einander regelmäßig. Wir erarbeiteten gemeinsam Strategien, wie man die Diktatur in Pakistan beenden könnte. Wir waren uns einig, dass ein politischer Wechsel nur durch eine Massenbewegung möglich sei, nicht durch kleine Guerillabewegungen.
profil: 1986 kehrte Benazir nach Pakistan zurück. Es wurde eine triumphale Rückkehr.
Tariq Ali: Ich hatte ihr prophezeit, dass rund eine halbe Million Menschen sie willkommen heißen werde. Sie war unglaublich nervös und meinte, ich sei viel zu optimistisch. Sie bat mich, ihre erste Rede zu schreiben, nicht zuletzt, weil sie Urdu (neben Englisch die pakistanische Amtssprache, Anm.) nicht gut beherrschte. Die entscheidende Frage, die sie an diesem Tag an das Volk richtete, war: Soll Diktator Zia bleiben oder gehen? Sie war verunsichert und fragte mich: „Was, wenn die Leute antworten, dass Diktator Zia ul-Haq bleiben soll?“ Ich antwortete ihr: „Dann würden sie wohl kaum kommen, um dich willkommen zu heißen.“ Wir gingen die Rede die ganze Nacht gemeinsam durch. Der Erfolg war letztlich enorm. Es kam nicht eine halbe, sondern eine ganze Million Menschen, um Benazir zu feiern, weil sie versprach, die Diktatur zu bekämpfen.
profil: Der Diktator Zia ul-Haq kam zwei Jahre nach Benazirs Rückkehr bei einem Flugzeugabsturz um. Bei den darauffolgenden Wahlen gewann die PPP. Was veranlasste das Militär, das Volk zu den Urnen zu rufen?
Tariq Ali: Das Militär musste einfach Wahlen zulassen. Der Druck von unten war zu stark. Benazir wurde neue Premierministerin. Kurz nach ihrem Amtsantritt rief sie mich an. Sie hatte Angst. „Ich kann mich nicht frei bewegen, ich kann nichts aktiv tun“, sagte sie. Ich antwortete ihr, dass sie doch kleinere Dinge bewegen könnte: „Sag den Leuten die Wahrheit. Sag ihnen, dass du nicht viel tun kannst, weil man dich nicht lässt.“
profil: Wer blockierte sie?
Tariq Ali: Das Militär und die Staatsbürokratie, die zwei großen Mächte in Pakistan. Ich riet ihr, sie möge den Leuten versprechen, zumindest dafür zu sorgen, dass jedes Dorf fließendes Wasser und Strom bekommt und es in jedem Dorf eine Schule für Mädchen geben wird. Sie erwiderte, dass sie solche Versprechen nicht einhalten könnte. Darauf sagte ich: „Benazir, wenn das zu viel ist, hättest du nicht Politikerin werden sollen. Erkläre den Leuten, die auf dich zählen, zumindest, warum dir die Hände gebunden sind.“ Das tat sie nicht, wenig später wurde sie abgesetzt.
profil: Hatten Sie auch noch Kontakt, als sie das zweite Mal pakistanische Regierungschefin war, von 1993 bis 1996?
Tariq Ali: Ich traf sie in Islamabad wieder. Doch zu diesem Zeitpunkt war sie bereits in viele Korruptionsaffären verwickelt. Auf meine Vorhaltungen antwortete Sie mir völlig desillusioniert: „Was soll’s? Die ganze Welt ist heute korrupt. Politik funktioniert anders, Politiker machen Geld.“ Ich wandte mich daraufhin enttäuscht von ihr ab und habe sie nie wieder kontaktiert.
profil: Benazir war eine attraktive, in Oxford ausgebildete Frau mit westlichem Habitus. Warum ließ sie sich auf eine arrangierte Hochzeit ein?
Tariq Ali: Benazir hatte eine Liebesaffäre, in der sie aber nicht glücklich wurde. Ich möchte nicht genauer darauf eingehen. Sie dachte, dass sie als Politikerin nicht eine alleinstehende Frau bleiben könne. Die Saudis zum Beispiel mögen keine unverheirateten Frauen, die auf Staatsbesuch kommen. Auf diese Heirat ließ sie sich aus rein politischen Gründen ein.
profil: War nicht Benazirs Ehemann, Asif Ali Zardari, der eigentlich Korrupte der beiden?
Tariq Ali: Ja, aber sie akzeptierte das. Es ist leicht, mit dem Finger auf ihn zu zeigen, weil er es war, der Steuern hinterzog. Trotzdem ernannte Benazir ihn zum Minister für Investitionen. Sie rafften gemeinsam Geld, ihr Vermögen betrug nach allgemeinen Schätzungen zuletzt 1,5 Milliarden Dollar.
profil: Benazir Bhutto kehrte im Herbst 2007 aus dem Exil zurück und versuchte, mit Präsident Pervez Musharraf ein Abkommen zu treffen. Was hatte dieser Deal zu bedeuten?
Tariq Ali: Dieser Plan wurde in Washington ausgeheckt. Die USA dachten, dass sie Musharraf nicht ganz unter Kontrolle hatten. Deshalb wollten sie ihn mit einer Partei verbinden, die sie zu hundert Prozent in der Hand hatten. Benazirs Rückkehr wurde mit der Unterstützung Washingtons ausgehandelt. Das war die westliche Strategie. Es war jedoch naiv zu glauben, dass diese Verbindung funktionieren würde. Benazir und Musharraf hassten einander, das wusste jeder. Es ist nicht ganz klar, was die USA sich davon erwarteten. Benazir machte Washington alle möglichen Versprechungen – etwa ein härteres Vorgehen gegen die Taliban. Wir erinnern uns aber: Als sie Premierministerin wurde, war es einer ihrer größten Fehler, die Taliban in Afghanistan an die Macht kommen zu lassen. Die Taliban wurden vom pakistanischen Militär unterstützt. Das war Benazirs Entscheidung. Der Plan Washingtons, eine politische Heirat zwischen Musharraf und Benazir zu erzwingen, ist für mich absolut nicht nachvollziehbar.
profil: Und wer steckt Ihrer Meinung nach hinter ihrer Ermordung?
Tariq Ali: Als sie im Oktober 2007 zurückkam und man sofort versuchte, sie zu töten, war das die erste klare Warnung – aber nicht vonseiten der islamischen Fundamentalisten. Natürlich verbreiten die pakistanischen Medien das Gerücht, Islamisten steckten hinter dem Attentat. Doch Benazirs Pressesprecher erklärte später, dass Benazir gleich nach ihrer Ankunft in Pakistan einen Brief von den Fundamentalisten bekam, in dem stand, dass man kein Interesse habe, ihr irgendetwas anzutun. Auch nach dem tödlichen Attentat vom 27. Dezember wiesen die Fundamentalisten jede Verantwortung dafür von sich. Benazirs Pressesprecher glaubt, dass Musharraf und das Militär hinter dem Attentat stecken. Das ist übrigens auch die Position von Hillary Clinton und Joseph Biden, dem Vorsitzenden des US-Senatsausschusses für Außenpolitik: Beide haben sich auf Informationen der US-Geheimdienste berufen.
profil: Glauben Sie das auch?
Tariq Ali: Ja. Es war eine sehr präzis durchgeführte Militäroperation.
profil: Warum sollte Musharraf so etwas tun? Was nützt ihm das?
Tariq Ali: In Pakistan braucht es nicht viele Gründe, um ein Attentat zu verüben. Das Militär rund um Musharraf wusste: Benazir steht den Plänen der Generäle im Weg, sie wird von den Amerikanern unterstützt und hat ihre eigenen Vorstellungen davon, wie man Pakistan regieren soll. Warum also, dachte Musharraf, sollten wir irgendetwas mit ihr teilen?
profil: Im Westen ist man besorgt, die Islamisten könnten die Macht in Pakistan ergreifen – und dann hätten sie den Zugriff auf die Atombombe.
Tariq Ali: Das ist kompletter Schwachsinn. Einzig das pakistanische Militär und die US-Regierung profitieren von solchen Ängsten: Präsident Bush und seine Leute kolportieren dieses Szenario, um ihren „Krieg gegen den Terrorismus“ zu rechtfertigen. Musharraf hingegen nutzt die westliche Angst, um mehr Geld und mehr Waffen von den USA zu bekommen. Die Wahrheit ist aber: Die Islamisten genießen bei höchstens zehn bis 15 Prozent der Bevölkerung Rückhalt. Und das pakistanische Militär besteht aus einer halben Million Soldaten, seine Struktur ist streng hierarchisch, und die Generäle haben immer zusammengehalten. Die Vorstellung, dass ein paar islamistische Fundis den Nuklearstützpunkt betreten könnten, ist nichts anderes als ein schlechter Witz. Es handelt sich um eine der am besten bewachten Zonen in ganz Pakistan. In die kann niemand eindringen.
profil: Aber gibt es nicht islamistische Einflüsse innerhalb der Armee?
Tariq Ali: Mag sein, aber ganz sicher nicht in den höheren Rängen. Selbst wenn wir vom Worst-Case-Szenario ausgehen: Die Nuklearcodes kennen genau drei Menschen in Pakistan. Die Gefahr, von der die USA andauernd sprechen, ist real also nicht existent.
profil: Die PPP ist korrupt. Erscheint sie nicht dennoch als die einzige große moderne Formation in der pakistanischen Parteienlandschaft?
Tariq Ali: Nein, die Muslim League, die ebenfalls korrupt ist, kann auch als normale moderne Partei angesehen werden. Außerdem gibt es die zwei großen islamischen Parteien, die der regierenden AKP-Partei in der Türkei nicht unähnlich sind. Schließlich gibt es noch einige kleinere Parteien. Die PPP ist dennoch am mächtigsten – aber nur, weil sie von den USA finanziell unterstützt wird. Die Berichterstattung in vielen europäischen Medien darüber, wer Benazir war und wer die PPP ist, wirkt auf mich unglaublich naiv. Die PPP wird von einer Familie kontrolliert. Die Tatsache, dass Benazir bestimmte, dass im Fall ihres Todes ihr Sohn die Führung der Partei übernehmen und ihr Ehemann als Verwalter der PPP eingesetzt werden solle, ist absolut verachtenswert: eine verkommene feudal-mittelalterliche Politik. Die Wahrheit steht der Berichterstattung in den westlichen Medien diametral entgegen, wo behauptet wird, die PPP sei eine moderne, fortschrittliche Partei, und Benazir wäre die große Retterin der pakistanischen Demokratie gewesen. Das ist Unsinn.
profil: Die Wahlen wurden verschoben und finden nun am 18. Februar statt. Glauben Sie, dass die PPP erfolgreich sein wird?
Tariq Ali: Zumindest in den südlichen Provinzen, wo sie ihre traditionelle Machtbasis hat. Im Rest des Landes wird die PPP eher schwächer abschneiden. Wahrscheinlich wird sie durch Benazirs Tod sogar Stimmen verlieren. Auf jeden Fall wird dieser Urnengang eine geschobene Wahl sein. Das Militär, die Staatsverwaltung und die Geheimdienste werden entscheiden, wer wie hoch gewinnt.
profil: Mit Benazir Bhutto haben die USA einen wichtigen Verbündeten in der Region verloren. Auf wen wird Washington nun setzen?
Tariq Ali: Die USA haben nun ein großes Problem, weil sie niemanden mehr haben, auf den sie sich verlassen können. Historisch gesehen, hat sich Washington immer auf das pakistanische Militär gestützt. Der neue Militärchef General Kiani, der früher Chef des pakistanischen Geheimdienstes war, pflegt sehr gute Verbindungen zum Pentagon. Wenn die USA wirklich einen engen Verbündeten brauchen, dann werden sie ihn dazu drängen, für einige Zeit die Macht zu übernehmen. Aber das scheint vorläufig noch ein zu zynischer und destruktiver Schritt zu sein. Dennoch: Außer Musharraf und seinen Generälen haben die USA momentan niemanden.
profil: Wie sieht die Zukunft Pakistans Ihrer Meinung nach aus?
Tariq Ali: Sehr düster. Wir erleben einen fatalen Zyklus pakistanischer Politik: Das Militär übernimmt die Macht, die Menschen werden unzufrieden, es kommt zu einer Wahl, bei der zivile Parteien an die Macht kommen, die unglaublich korrupt sind und nichts für die Armen machen. Die Menschen sind irgendwann auch von den Parteien enttäuscht, das Militär ergreift erneut die Macht. Und so geht es immer weiter. Leider sehe ich momentan kein Entkommen aus diesem Teufelskreis. Meine Hoffnung war, dass sich die PPP nach Benazirs Tod vom Bhutto-Clan emanzipiert und einen neuen Parteichef wählt, der nicht zur Familie gehört, der dann die PPP als reformierte sozialdemokratische Partei neu aufbaut. Das passiert aber nicht. Stattdessen leitet Benazirs Witwer, einer der korruptesten Menschen des Landes, die Partei.
profil: Aber gibt es nicht innerhalb der PPP moderne, demokratische Fraktionen?
Tariq Ali: Ja, die gibt es, sie können sich aber gegenüber der Bhutto-Familie nicht durchsetzen. Diese Menschen warnten Benazir vor dem Deal mit den USA und wiesen sie darauf hin, dass er lebensgefährlich sein werde. Hätte sie diese Warnungen ernst genommen oder zumindest die Wahlen boykottiert, dann wäre es wahrscheinlich nicht zu diesem Attentat gekommen. Sobald sich die Emotionen gelegt haben und die Wahlen vorbei sind, werden sich diejenigen in der PPP, die noch eigenständig denken, etwas überlegen müssen: Entweder bleiben sie in dieser Familieninstitution, oder sie brechen aus und gründen eine neue Partei. Mein Rat an sie wäre, ihren eigenen Weg zu gehen.
profil: Sie sagen, dass die Wahl im Februar eine Farce sein wird. Was wäre notwendig, um Pakistan auf den Weg zur Demokratie zu bringen?
Tariq Ali: Musharraf müsste zurücktreten, und es müsste eine Regierung gebildet werden, die alle Parteien einbezieht. Diese Koalition müsste dann freie und faire Wahlen garantieren, danach übernähme eine neue Regierung die Macht. Außerdem müsste das Höchstgericht wieder installiert werden, und alle Richter, die Musharraf absetzen ließ, müssten wieder eingesetzt werden: Ihre erste Aufgabe wäre es dann, den Mord an Benazir Bhutto aufzuklären. Diese drei Maßnahmen wären unbedingt notwendig, sie hätten einen unglaublich positiven Effekt auf das Land. Das alles wird aber, wie es aussieht, nicht passieren.
profil: Zeugt die Bewegung für die unabhängige Richterschaft in diesem Herbst nicht von der Existenz einer lebendigen pakistanischen Zivilgesellschaft?
Tariq Ali: Das stimmt, aber sie ist schwach. Die Ausrufung des Ausnahmezustands von Musharraf hatte nur einen Grund: Es ging darum, die Richter abzusetzen und die unabhängigen Medien zu ersticken. Der Zivilgesellschaft werden ständig neue Hürden in den Weg gelegt. Die Massenbewegung, die für eine freie Justiz eintrat, hatte tatsächlich zunächst großen Erfolg. Musharraf wurde von Panik erfasst und befahl, die Bewegung zu unterdrücken. Dennoch wurde der Oberste Richter wieder eingesetzt, weshalb Musharraf dann den Notstand ausrief. Das Militär ist immer noch das größte Problem des Landes.

Interview: Georg Hoffmann-Ostenhof, Gunther Müller

Tariq Ali, 64,
ist ein pakistanischer Journalist, Autor und Filmemacher. Er ist Redaktionsmitglied der „New Left Review“ und schreibt regelmäßig für den „Guardian“ und die „London Review of Books“. Als Student an der Punjab University in Lahore organisierte Ali Demonstrationen gegen Pakistans Militärdiktatur. 1968 schloss er sich der International Marxist Group (IMG) an, trat aber 1980 nach internen Streitigkeiten wieder aus. In den achtziger Jahren lernte er Benazir Bhutto kennen, beriet sie und schrieb ihre Reden. Zu seinen bekanntesten Werken zählt das Sachbuch „Fundamentalismus im Kampf um die Weltordnung“. Darin vertritt er die These, dass sich heute zwei Fundamentalismen gegenüberstehen: der religiöse und der imperialistische.