M. Albright

Interview: „Wir hatten Saddam unter Kontrolle“

„Wir hatten Saddam unter Kontrolle“

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profil: In Ihrem Buch schreiben Sie, dass Sie als erste weibliche US-Außenministerin im Ausland nie ein Problem hatten, respektiert zu werden, denn Sie landeten immer an Bord eines Jumbo-Jets mit der riesigen Aufschrift „United States of America“. Wie werden Sie heute empfangen?
Albright: Ein bisschen anders. Ich muss durch den Security-Check, und während ich die Arme ausbreite, werde ich dann um ein Autogramm gebeten. Aber das ist ganz nett. Manchmal werde ich auch angestarrt wie eine wandelnde Statue. Oder man begrüßt mich mit den Worten: „Oh, Frau Thatcher!“
profil: Das freut Sie wohl weniger.
Albright: Stimmt.
profil: Das Image der USA ist in weiten Teilen Europas seit einiger Zeit auf einem Tiefpunkt. Spüren Sie das?
Albright: Ich werde außergewöhnlich freundlich empfangen, das war als Außenministerin nicht immer so. Aber ich habe gute Beziehungen zu vielen europäischen Staaten aufgebaut, zudem bin ich in Europa geboren. Ich bin die Verkörperung der transatlantischen Beziehungen.
profil: Die Clinton-Regierung wurde hier als viel europäischer empfunden als die aktuelle Bush-Administration.
Albright: Man vergisst immer, dass es die Regierung unter George Bush senior war, die bei der Wiedervereinigung Deutschlands mithalf. Wir bauten auf dieser Politik auf und bemühten uns um die NATO-Erweiterung, die Unterstützung der EU-Integration, und unser Ziel am Balkan etwa war nicht nur, ethnische Säuberungen zu beenden, sondern wir sahen Jugoslawien als den fehlenden Teil im Puzzle eines geeinten, freien Europa. Aber wir hatten genügend Probleme mit den Europäern. Manchmal bat ich im UN-Sicherheitsrat einen Europäer um Hilfe, und er sagte: „Tut mir leid, die EU hat dazu noch keine Position.“ Später wiederholte ich meine Bitte, und derselbe Europäer sagte: „Tut mir leid, ich kann Ihnen wieder nicht helfen, denn jetzt haben wir in der EU eine Position.“ Aber ich sah Europa immer als Partner. Das war ein unterschiedlicher Zugang.
profil: Aber war die Politik der Clinton-Regierung wirklich so fundamental anders? Der Kosovo-Krieg war nicht vom Sicherheitsrat gebilligt, der Irak wurde 1998 auch bombardiert …
Albright: Ich glaube, da gibt es einen wesentlichen Unterschied. Ich sagte, dass die USA eine unverzichtbare Macht seien, und dafür wurde ich kritisiert. Aber ich sagte nie, dass sie es allein seien. Ich glaube, die USA sind eine Ausnahme, aber zugleich sehe ich die USA nicht außerhalb des internationalen Systems. Zum Kosovo: Es ist richtig, dass wir das UN-Prozedere vermieden, aber wir hatten 19 NATO-Partner, die uns unterstützten. Das war harte Arbeit. Und sofort nach der Intervention traten wir vor die UN, um eine Resolution zu bekommen, die eine Struktur des Kosovo festlegte.
profil: Im Irak befürworteten Sie zu Ihrer Zeit als Außenministerin einen Regimewechsel.
Albright: Richtig. Ich verstand auch die Beweggründe für den Krieg. Saddam Hussein verkörpert alles, was George W. Bush ihm vorgeworfen hat. Wir wollten zwar auch einen Regimewechsel, aber nicht durch eine Invasion. Ich verstand nicht, warum Bush nicht den diplomatischen Sieg genutzt hat, die UN-Waffeninspektoren zurück in den Irak senden zu können und weiterarbeiten zu lassen. Kurz: Ich verstand das „Warum?“ des Krieges, aber ich verstand nicht das „Warum jetzt?“ und ebenso wenig das „Was dann?“. Es ist eine hypothetische Frage, aber ich glaube nicht, dass wir einen Bodenkrieg gegen den Irak begonnen hätten. Viele Leute glauben auch, dass es eine schwierige Entscheidung für Bush war, Afghanistan anzugreifen – in Wahrheit war es die einfachste Entscheidung, die ein Präsident treffen konnte.
profil: Außerdem war der Krieg gut geführt.
Albright: Absolut. Aber was danach kam, war alles andere als gut gemacht. Wir hätten in ganz Afghanistan für Sicherheit sorgen müssen, nicht bloß in Kabul. Wir hätten uns auf Afghanistan konzentrieren müssen. Stattdessen hat man den Irak angegriffen, der keine unmittelbare Gefahr darstellte. Wir hatten Saddam unter Kontrolle.
profil: Die Vision der so genannten Neokonservativen in den USA besteht in einer permanenten Demokratisierung des Nahen Ostens. Ist diese interventionistische, moralistische Strategie dem demokratischen Weltbild nicht näher als eine herkömmliche republikanische?
Albright: Ich glaube, dem liegt eine Missdeutung der Demokratisierungspolitik Präsident Woodrow Wilsons zugrunde. Wilson wollte die Möglichkeit zur Selbstbestimmung schaffen, nicht eine Selbstbestimmung mittels Invasion. Man kann Demokratie nicht durch Gewalt erzwingen. Präsident Clinton bat mich einmal, ein Buch zu lesen: „The Peace to End All Peace“ von David Fromkin. Darin wird beschrieben, wie der Nahe Osten nach dem Ersten Weltkrieg von den Briten und Franzosen geplant wurde und was passierte, nachdem sie wieder abgezogen waren. Ich glaube an Demokratisierung, wir sollten Demokratie überall fördern und Staaten zu demokratischen Reformen anhalten. Aber das ist etwas völlig anderes, als im Irak einzumarschieren und zu sagen: „Die Zeit ist für euch gekommen, Demokraten zu sein!“
profil: Waren kritische Stimmen wie die Ihre laut genug?
Albright: Es ist nicht einfach. Ich bin eine sehr patriotische Amerikanerin. Ich stellte viele Fragen, und ich schrieb, was ich dachte. Aber ich wollte unsere Soldaten unterstützen. Ich glaube, Europäer verstehen das Ausmaß des Traumas des 11. September für die Amerikaner immer noch nicht. Ich selbst habe den Zweiten Weltkrieg erlebt, ich kenne Luftschutzbunker, aber die meisten Amerikaner hatten nie zuvor gesehen, wie ein getroffenes Gebäude einstürzt.
profil: Konnten Sie nachvollziehen, weshalb die britische Regierung, deren Mitglieder Sie gut kennen, so eisern an Bushs Seite stand?
Albright: Es ist extrem schwierig, die Gedanken anderer Politiker zu analysieren. Ich habe wahnsinnig gern mit Tony Blair zusammengearbeitet. Er glaubte wohl an die Notwendigkeit, dass Großbritannien an der Seite der USA stehen solle.
profil: Treffen Sie manchmal noch ausländische Regierungspolitiker aus Ihrer Amtszeit?
Albright: Die Außenminister meiner Amtszeit stehen miteinander in Kontakt, wir haben sogar eine Gruppe gebildet: Hu-
bert Védrine, Lamberto Dini, Robin
Cook ... Ich treffe auch amtierende Außenminister, wenn sie nach Washington kommen.
profil: Nächstes Jahr wird der US-Präsident neu gewählt, die Umfragewerte von George W. Bush sinken. Haben die Demokraten eine Chance? Ex-NATO-Chef Wesley Clarke etwa, mit dem Sie im Kosovo-Krieg zusammenarbeiteten?
Albright: Dieses Mal wird jedenfalls die Außenpolitik eine gewisse Rolle spielen, üblicherweise entscheidet ja doch immer die „economy, stupid“. Wesley Clarke ist ein beruflicher und persönlicher Freund, sehr intelligent, mit guten Führungsqualitäten. Aber ich habe bisher noch keine Empfehlung für einen Kandidaten abgegeben.
profil: Und Hillary Clinton?
Albright: Ich habe keine Ahnung, was sie vorhat. Aber ich wäre glücklich, wenn eine Frau – und besonders Hillary – Präsidentin würde. Sie ist wunderbar.
profil: Hätten die Demokraten eine bessere Idee, wie es in Israel und Palästina weitergehen soll?
Albright: Wir hatten zu meiner Zeit ein großes Nahost-Team unter der Führung von Dennis Ross, der diesen Job jahrelang gemacht hat. Er kannte jedes Detail, verbrachte viel Zeit in der Region. Ich war oft dort, Präsident Clinton ebenso. Wir spielten eine aktivere Rolle.
profil: Müsste die US-Regierung mehr Druck auf Israel ausüben?
Albright: Israel muss in der Lage sein, sich zu verteidigen. Es befindet sich in einer sehr unfreundlichen Umgebung. Aber ich finde etwa den „Sicherheitszaun“ eine Tragödie. Ich habe ein Foto in der Zeitung gesehen, das einen Teil dieser Mauer zeigte, auf dem im Stil einer optischen Täuschung eine Landschaft aufgemalt war. Es war wie ein Symbol dessen, was hier schief läuft. Wäre ich dazu heute in der Lage, würde ich auf Gespräche drängen, um zu den Prinzipien zurückzukommen, die bereits auf dem Tisch gelegen waren.