Arundhati Roy:

Interview: „Wir benutzen jede Waffe“

„Wir benutzen jede Waffe“. Die indische Autorin über ihren umstrittenen Aufruf zur Gewalt gegen die USA

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profil: Ihre Rede beim Weltsozialforum in Bombay hat für Verwirrung gesorgt. Bereuen Sie heute, den Satz „Wir müssen Teil des irakischen Widerstands werden“ gesagt zu haben?
Roy: Was soll an dem Satz verwirrend sein?
profil: Er wurde als Aufforderung zur Gewalt interpretiert.
Roy: Ich habe zum globalen Widerstand gegen die amerikanische Okkupation aufgerufen. Ich sagte, dass die Menschen ihre Regierungen davon abhalten sollen, Soldaten in den Irak zu schicken, und dass sie US-Unternehmen boykottieren sollen, die vom Krieg profitieren.
profil: Der Widerstand im Irak wird von fundamentalistischen Gruppen getragen, die US-Soldaten ebenso töten wie irakische Zivilisten. Die wollen Sie unterstützen?
Roy: Die meisten Morde wurden von der amerikanischen und der britischen Armee begangen. Wir können die Formen des irakischen Widerstands nicht kontrollieren. Aber wir müssen auf den Wirtschaftskrieg reagieren, der gegen den Irak geführt wird. Weil dieser Krieg auch gegen uns geführt wird.
profil: Wie wollen Sie Widerstand im Irak leisten?
Roy: Der Krieg wird nicht beendet, wenn wir Sonntagnachmittag durch Delhi marschieren. Es geht um ein weltweit agierendes System. Unternehmen, die vom Irak-Krieg profitieren, sind auch in anderen Ländern aktiv. Sie vernichten Arbeitsplätze, sie vergiften Trinkwasser, sie privatisieren die Macht. In der Provinz Kerala gibt es heute ein US-Unternehmen mit 3000 Arbeitern. Die Fabrik zerstört Wälder und Flüsse – den Lebensraum für 300.000 Menschen.
profil: Sie rufen dazu auf, zwei US-Unternehmen zugrunde zu richten. Mit dieser Methode vernichten Sie doch auch Arbeitsplätze?
Roy: Als Indiens Unabhängigkeitsbewegung den Import von britischen Textilien blockierte, traf das tausende Arbeiter der Fabriken in Manchester. Mahatma Gandhi besuchte diese Arbeiter sogar. Aber es ging um den Kampf für die Freiheit von Millionen.
profil: In Europa schicken italienische Anarchisten Briefbomben an Politiker. Beim Sozialforum in Bombay war die Rhetorik im Vergleich zu früheren Foren deutlich radikaler. Wird die Antiglobalisierungsbewegung gewalttätig?
Roy: Man darf die Wörter „radikal“ und „Gewalt“ nicht gleichsetzen. Als Frau weiß ich, dass Frauen schnell Opfer von Gewalt durch ihre eigenen Kampfgefährten werden. Deshalb bin ich gegen Gewalt: weil sie die Welt zerstört, für die wir kämpfen. Allerdings nehmen die Regierungen dieser Welt den gewaltlosen Protest nicht ernst. Damit fördern sie die Gewalt.
profil: Es ist schwer herauszufinden, wofür die Antiglobalisierungsbewegung steht. Es gibt keine gewählte Führung, kein Programm, nicht einmal gemeinsame Forderungen. Warum nicht?
Roy: Das Forum ist nur ein Platz für den Meinungsaustausch. Wir können keine gemeinsame Antwort auf die Probleme unserer Zeit bieten. Wir wollen, dass die Vielfalt unsere Welt prägt. Nicht Neid und Profit.
profil: Mit welcher Legitimität aber macht sich das Sozialforum zum Sprecher der Unterdrückten?
Roy: Wer hat denn die Weltbank, den Internationalen Währungsfonds oder die Welthandelsorganisation gewählt, die das Leben von Millionen kontrollieren und zerstören?
profil: Sie selbst gelten als Sprachrohr der Antiglobalisierungsbewegung. Wer hat Sie dazu gemacht?
Roy: Jeder, der so denkt, begeht einen schweren Fehler. Ich spreche für niemanden, außer für mich. Ich bin nicht die Führerin einer Massenbewegung. Ich bin Schriftstellerin. Nicht mehr und nicht weniger.
profil: Gerade die lose Struktur der Bewegung profitiert sehr von der Globalisierung. Wie könnten, zum Beispiel, die Mitglieder ohne Internet kommunizieren?
Roy: Globalisierung ist heute ein so ungenau verwendetes Wort. Ich bin für die Globalisierung des Rechts, für die Globalisierung des Atomwaffen-Sperrvertrages, für die Globalisierung der Kultur. Es ist völliger Unsinn zu verlangen, wir sollen auf das Internet verzichten. Natürlich benutzen wir das Internet. Wir werden jede Waffe benutzen, die wir bekommen. Aber interpretieren Sie das jetzt bloß nicht als Aufruf zur Gewalt.