Io Silvio: Ehedrama der Berlusconis

"Io Silvio": Das Ehedrama der Berlusconis gerät zur nationalen Soap Opera

Ehekrieg gerät zur medialen Soap Opera

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Möglicherweise hat ja „la pompetta“ an allem Schuld. Denn wie ließe sich sonst erklären, dass ein Multimilliardär und Regierungschef mit 72 Jahren notorisch mit seiner Manneskraft hausieren geht („Drei Stunden Liebemachen schaffe ich mit links“) und der Notärztin im Erdbebengebiet erklärte, dass er sich gern einmal von ihr „beatmen“ ließe. Der Begriff „pompetta“ fiel erstmals im vergangenen Sommer in einem Abhörprotokoll, in dem zwei Regierungsdamen darüber spekulierten, mit welchem Druckmittel man Silvio Berlusconi zu Zugeständnissen bei Budgetverhandlungen zwingen könnte. Wäre der erste Gockel des Landes mit dem Verdacht, trauriger Träger einer solchen Penisprothese zu sein, öffentlich konfrontiert worden, hätte er schnell die üblichen Verdächtigen als Urheber des bösen Gerüchts in die Schlacht geworfen: die Kommunisten.

Denn die Kommunisten sind bei Silvio Berlusconi, 72, an ­allem schuld. Natürlich auch daran, dass seine Frau Veronica Lario (so der beibehaltene Künstlername), 52, nun der fixen Überzeugung ist, er „verkehre“ mit der 18-jährigen Noemi ­Letizia, der von blonder Aufgeschlossenheit geprägten Tochter eines neapolitanischen Regionalpolitikers, und deshalb die Scheidung will. Die Gattin sei leider in die von der linken Presse aufgestellte „Falle“ getappt, sagte Berlusconi in der angesehenen Politsendung „Porta a Porta“ im Staatsfernsehen Rai Uno am vergangenen Mittwoch: „Glauben Sie allen Ernstes, dass ich als Premierminister dieses Landes unter Begleitung von acht Polizeiautos zum Geburtstagsfest eines Mädchens in ein Restaurant fahre und mich dort mit der Küchencrew und der gesamten Familie fotografieren lasse, wenn ich irgendetwas zu verheimlichen hätte? Da müsste ich doch verrückt sein!“

Als Hintergrund wurden die im Berlusconi-Klatschblatt „Chi“ erschienenen entsprechenden Fotos als Beweise der Harmlosigkeit an die Wand projiziert, deren Authentizität das Wochenmagazin „L’Espresso“ jedoch anzweifelte. Gleichzeitig wurde dort der Leser-Wettbewerb „Prosten mit Noemi“ ausgeschrieben, zahlreiche Fotomontagen erwünscht. „Porta a Porta“ verbuchte nach der Silvio-Show einen historischen Marktanteil von 43 Prozent; die Pro-Berlusconi-Umfragewerte schnellten, so vermeldeten die regierungsnahen Blätter, von 74 auf 77 Prozent. „Die italienischen Männer fühlen offenbar mit Berlusconi“, seufzt ein Kommentator in der Tageszeitung „La Repubblica“. „Er streunt zwar, aber ist danach noch immer nach Hause gekommen. Er wird eben leider als sympathische Kanaille empfunden.“

Ganz Italien schwelgt jetzt wohlig erschauernd im Ehekrieg der ersten Familie. Während Veronica Lario, ehemalige Schauspielerin und Mutter von drei gemeinsamen Kindern, sich für das Rollenfach der eleganten Rachegöttin entschieden hat, die malerisch in Schwarz schweigt und sich in den „kryptokommunistischen“ (so der Gatte) Blättern ausschließlich von „Vertrauten“ zitieren lässt, tut Silvio Berlusconi, was er am besten beherrscht: Er veranstaltet einen Theaterdonner nach dem anderen. Das implantierte Haar streng nach hinten gegelt, betreibt der Selfmademan die Flucht nach vorn und setzt Empörung anstelle von Reue auf den Spielplan. Auch im französischen Fernsehen inszenierte sich das Showtalent zwei Tage nach dem „Porta a Porta“-Auftritt als Opfer „linker Intrigen“ und verlangte eine Entschuldigung seiner Frau für „diesen schweren Fehler“.

Dass Silvio Berlusconi, der im April 2008 zum dritten Mal zum Premierminister des „Stinkstiefels“ – wie er sein Land gern nennt, wenn er nicht am Machthebel sitzt – gewählt wurde, ver- und entrückt tickt, steht außer Zweifel. Allein in den letzten Monaten hat der Sohn eines Mailänder Bankbeamten, dessen Vermögen laut dem Wirtschaftsmagazin „Forbes“ auf zehn Milliarden Euro geschätzt wird, in den Disziplinen pathologischer Narzissmus, Größenwahn und schlechter Geschmack Unwiederbringliches geleistet. Jüngste Höhepunkte aus dem an Fettnäpfchen-Einlagen so reichen Epos „Io Silvio“: Beim NATO-Gipfel im April entstieg er telefonierend seiner Limousine und marschierte, ungerührt sein Telefonat fortsetzend, ans Rhein­ufer, während eine völlig verdutzte Angela Merkel vergeblich einer Begrüßung harrte. Beim G20-Gipfel in London brüskierte er die englische Königin, indem er Barack Obama über den Kopf der greisen Monarchin hinweg lautstark begrüßte.

In Kenntnis der Psyche des notorischen Potenzprotzes erscheint dieses Lümmelverhalten durchaus konsequent: Denn sowohl die Queen als auch die deutsche Kanzlerin entsprechen definitiv nicht dem üblichen Beuteschema des „Cavaliere“, das der Komiker Roberto Benigni einmal so beschrieb: „Dicke Möpse, dicke Lippen und viel Bewegungsraum im Oberstübchen.“ Für ihn präsentieren diese Koordinaten nicht nur die Voraussetzung für sein erotisches Interesse, sondern auch für eine politische Karriere: Mara Carfagna, Sechste des „Miss Italia“-Wettbewerbs, auf You­Tube ungeschürzt bei diversen Stangentänzen zu bewundern, machte er zu seiner „Gleichberechtigungsministerin“, deren erster politischer Akt der Bekämpfung der Straßenprostitution galt. Bei seinen Personalvorschlägen für das EU-Parlament musste der „Imperator“, so Signora Berlusconi, auf ihr Geheiß jedoch Abstriche leisten: Die Luder-Liga wurde stark dezimiert – allein die Schauspielerin Barbara Matera darf im Juni noch für einen Sitz in Straßburg antreten.

Dass Veronica Lario durch ihren Befreiungsschlag, der zu einer Kastration mit vielen Nullen, im Bestfall 4,5 Milliarden Euro, führen wird, zu einer Ikone des italienischen Feminismus avanciert, ist dennoch zu bezweifeln. Schließlich wusste die Tochter einer allein erziehenden Supermarktkassiererin ihre Karriere durch barbusige Auftritte im Mailänder Manzoni-Theater vor 30 Jahren durchaus zu beflügeln – der Besitzer des Etablissements hieß übrigens Silvio Berlusconi, damals noch verheiratet.

Trotz dreier gemeinsamer Kinder ließ sich Lario ein Jahrzehnt mit dem Maitressen-Status abfinden – erst 1990 wurde sie auf politischen Druck hin geehelicht. Die außerehelichen Cavaliere-Delikte ließ sie sich mit Colliers aus taubeneigroßen Saphiren und Villen in St. Moritz, Mailand und Sardinien aufwiegen – letztere veredelte Bersluconi, wie immer geschmackssicher, jüngst mit einem elektrischen Vulkan, der mittels Fernsteuerung zu Ausbrüchen bewegt werden kann. Seine Position, so die nicht unkomische Entschuldigung für seine „nicht zu leugnende Unruhe“, würde einen „so ­spielerischen Charakter wie den seinen manchmal zu kleinen Unregelmäßigkeiten verführen“.

Dass Macht „das verlässlichste Aphrodisiakum“ ist, wusste schon der frühere US-Außenminister Henry Kissinger, und schon damals war diese Erkenntnis ein paar tausend Jahre alt. Die Liste der Regierungschefs und Staatsoberhäupter, die Monogamie nicht als Bestandteil ihres politischen Programms sahen, ist nahezu so lang wie jene der dazugehörigen „First Ladies“, die sich mit den Auswärtsspielen ihrer Ehemänner in demütigender Duldsamkeit arrangiert haben: Jackie Kennedy, Hillary Clinton, Danielle Mitterrand, Edith Klestil. Allein Cécilia Sarkozy verweigerte das Rollenfach des Opfers, indem sie ihren um Wiedervereinigung winselnden Nicolas vor die Tür setzte. Der tragikomische Nebeneffekt der medialen Soap „Diese Berlusconis“ ist, dass der Schuft am Ende des Ehekriegs den meisten Applaus kassiert haben und das Gemetzel politisch unbeschadet überstehen wird. Ganz im Sinne von Hillary Clinton, die auf dem Höhepunkt des Impeachment-Verfahrens dem Volk die rhetorische Frage zuwarf: „Wollt ihr einen Heiligen, oder wollt ihr einen Präsidenten?"