Irak: USA ohne Profis

Mangel an Professionalität

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Du leistest großartige Arbeit. Die Nation schuldet dir Dank.“ Mit diesen Worten feierte George W. Bush den durch die Foltervorwürfe angeschlagenen Donald Rumsfeld – obwohl der berühmte Geheimbericht von General Antonio Taguba die Vorfälle in den irakischen Gefängnissen dem „Versagen der militärischen Führungsstrukturen“ zuschreibt. Aber was hat ein Verteidigungsminister schon mit militärischen Führungsstrukturen zu tun? Armeen sind bekanntlich ganz und gar nicht hierarchisch organisiert.

Wenn man von der Frage nach der moralischen Berechtigung des Irak-Krieges ausnahmsweise einmal völlig absieht, dann ist das Erschütternde an Rumsfelds Führung die mangelnde Professionalität. Denn ein amerikanischer Staatssekretär für „Verteidigung“ kann sich schwerlich darauf zurückziehen, den „Krieg“ gegen einen inferioren Gegner mit Bravour gewonnen zu haben – es gehört zu seinen selbstverständlichen Pflichten, den Frieden in den besetzten Gebieten mit ebenso großer Sorgfalt zu planen.

Rumsfelds sorgfältige Planung sah so aus, dass alle irakischen Strukturen, die imstande gewesen wären, die Ordnung aufrechtzuerhalten, zerschlagen statt an der Spitze erneuert wurden. Und dass US-Soldaten nicht nur keinerlei psychologische Schulung für ihren Umgang mit der Bevölkerung erhielten, sondern dass selbst jede Belehrung über den korrekten Umgang mit Gefangenen unterblieb.

Diese Belehrung ist dann offenbar durch den militärischen Nachrichtendienst und die CIA erfolgt. Auch bei deren Beurteilung möchte ich den moralischen Aspekt ausklammern und mich auf die Professionalität beschränken: Einer Führung von Nachrichtendiensten, die es für den erfolgreichsten Weg zur Gewinnung von Informationen in besetzten arabischen Gebieten hält, Gefangene sexuell zu demütigen, fehlt vor allem das Hirn.

Wer die Zeit dazu findet, sollte Henry Kissingers Urteil über die nationalen Nachrichtendienste in seinen Memoiren nachlesen: die teuerste Organisation der Welt – um überall dort zu versagen, wo Erfolg entscheidend wäre. Ich kann nicht umhin, meinen Standardwitz zu ihrer Charakterisierung zu wiederholen: In der Zeit des Kalten Krieges beschließen die US-Nachrichtendienste, einen Superspion nach Russland zu entsenden. Unter zehntausend Mitarbeitern wird mittels psychologischer, physischer und intellektueller Tests der beste Mann für diesen Job ausgesiebt. Dann lernt er ein Jahr lang bei Nabokov Russisch, beim Donkosakenchor singen und bei Nurejew russisch tanzen, ehe er mit dem Fallschirm neben einem kleinen russischen Dorf abgeworfen wird. Sofort geht er ins Gasthaus, um die Qualität seiner Tarnung zu prüfen. Und erlebt einen Schock: „Du bist aber kein Russe, gell?“, sagt das alte Weiblein, neben dem er sich niedergelassen hat, um sie in perfektem Russisch nach ihrer Gesundheit zu fragen. Der Superspion springt auf und singt ein paar russische Lieder so herrlich, dass jedes Gespräch verstummt. Nur das alte Weiblein findet noch Worte: „Du bist aber kein Russe, gell?“ Völlig verzweifelt springt der Amerikaner auf den Tisch und tanzt einen russischen Tanz nach dem anderen, bis er erschöpft an ihrer Seite niedersinkt.
„Du bist aber kein Russe, gell?“
Entgeistert gibt der Superspion jede Tarnung auf: „Gut, du hast Recht. Aber wie kannst du das wissen?“
Darauf die Alte freundlich: „Russen sind selten Neger.“

Nachrichtendienste in Zeiten des Krieges haben die Chance, Patrioten zu rekrutieren, die sich in den Dienst der Verteidigung ihres Vaterlandes stellen. Nachrichtendienste in Zeiten des (eigenen) Friedens laufen Gefahr, Karrieristen und Wichtigmacher anzuziehen und Fachidioten auszubilden: Selbst wenn die Methode, gefangene Irakis zu demütigen, tatsächlich geeignet wäre, ihnen Informationen zu entlocken, müsste jedem politischen Vorgesetzten klar sein, dass das unvermeidliche Bekanntwerden solcher Methoden den USA ungleich mehr Schaden zufügen muss, als die beste Information ihnen nützen könnte.

Womit wir wieder bei Donald Rumsfeld wären. Der Mann ist gefährlicher als unmoralisch: Er ist unfähig.

Dass Bush sich so bedingungslos hinter ihn stellt, ist eine Chance für die USA. Da unausbleiblich ist, dass Rumsfelds Irak-Organisation Tag für Tag neue Schwächen offenbart, werden die Medien den Ruf der Opposition nach seinem Rücktritt demnächst zum Orkan verstärken, und Bush wird in eine Doppelmühle geraten: entweder hinter Rumsfeld stehen bleiben und mit ihm ins Wanken kommen oder Rumsfeld fallen lassen und damit eingestehen, dass man den falschen Mann an die wichtigste Stelle gesetzt hat.

Beides kein ideales Vorspiel, die kommende Wahl gegen John Kerry zu gewinnen.

Gefährlicher als Kerry ist freilich Ralph Nader. Wenn der sympathische Konsumentenschützer neuerlich zwischen zehn und fünfzehn Prozent der Stimmen aus dem Lager denkfähiger Amerikaner für sich abschöpft, könnte nach Al Gore auch Kerry die Wahl gegen Bush noch verlieren. Es ist das ein Effekt des US-Wahlsystems, über den sich seine Verfechter den Kopf zerbrechen sollten: Je mehr intelligente, wählbare Kandidaten sich um die Präsidentschaft bewerben, desto größer die Chance eines Trottels, sie zu erringen.

Noch eine Amtsperiode von George W. Bush hält die Welt nicht aus – dazu ist die US-Armee zu stark. Sie wird auch weiter jeden Krieg gewinnen – und unter Bush nirgends Frieden zustande bringen.