„Ich bin eine Solistin“

Isabella Rossellini: „Ich bin eine Solistin“

Interview. Berlinale-Gast Isabella Rossellini über den Witz der Tiere und ihre Unlust, einen Liebesfilm zu machen

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Interview: Stefan Grissemann

profil: Sie treten in „Mammas“, Ihrer jüngsten Regiearbeit, in absurden Tierkostümen auf – als Wespe, Spinne, Hamster, Wabenkröte und Brutvogel, sogar als Buntbarsch. Sie analysieren dabei ironisch das Konzept der Mütterlichkeit in der Fauna. Welche Lehren zieht das Menschentier daraus?
Rossellini: Zum Beispiel den Umstand, dass im Tierreich tatsächlich alles möglich ist. Ich besuche seit einiger Zeit Biologievorlesungen, studiere tierisches Verhalten. So stieß ich auf eine Reihe von Büchern, die den Mutter­instinkt unter Tieren analysierten. Die Autorinnen suchten nach einem gemeinsamen Nenner, um an die Essenz von Mutterschaft und Weiblichkeit zu kommen. Das Problem war nur: Sie fanden keinen. Denn die Verhaltensmuster der Muttertiere klafften so weit auseinander, dass Gemeinsamkeiten nicht auszumachen waren.

profil: Kam Charles Darwin da nicht zu ganz anderen Ergebnissen?
Rossellini: Nun, Darwin untersuchte die Wurzeln des Altruismus unter Tieren. Er vermutete, dass die Pionierinnen des Uneigennutzes jene Muttertiere seien, die ihr Leben für die eigenen Nachkommen opferten. Die feministische Biologie meint heute, Darwin könnte in dieser Frage zu sehr von der viktorianischen Kultur geprägt gewesen sein, die ja davon überzeugt war, dass Frauen zur Selbstaufopferung tendierten. Tatsächlich lässt sich feststellen, dass viele Tierweibchen zu höheren Managementqualitäten neigen. Oft eliminieren sie einige ihrer Nachkommen, um den anderen Babys das Überleben zu sichern – oder besser noch: Sie fressen ein paar der Neugeborenen, um sich die Jagd in der Wildnis zu ersparen. Bis heute meinen viele, die dieses grausame Verhalten an Ratten oder Hamstern erleben, dass dies ein Ergebnis der Gefangenschaft, eine Verhaltensperversion sei. Die neue Biologie revidiert dies: Es ist gutes Management! Ökonomisches Denken!

profil: Aufgrund solcher Erkenntnisse konzipierten Sie „Mammas“?
Rossellini: Ja! Ich finde solche Forschungsergebnisse sehr amüsant. Mir geht es um die Verbindung von wissenschaftlicher Präzision und komischer Wirkung.

profil: Sie arbeiten seit 2006 als Regisseurin, aber fast nur an Filmen, die kaum länger als zwei Minuten dauern. Was fasziniert Sie so an der kurzen Form?
Rossellini: Der Erfolg von „Green ­Porno“ 2008 setzte diese Entwicklung in Gang. Man bat mich um immer neue Kurzfilmprojekte. Immerhin habe ich 2011 einen längeren Film für den Discovery Channel gedreht, eine 60-minütige Doku namens „Animals Distract Me“. Aber ich scheue 100-köpfige Film-Crews. Ich könnte nicht so vielen Menschen gleichzeitig Anweisungen geben. Ich kann mit acht oder neun Leuten arbeiten. Mehr sollten es nicht sein.

profil: Warum nicht? Weil Sie so wenig autoritär sind?
Rossellini: Auch deshalb, ja. Ich schreibe und inszeniere meine Filme nicht nur, ich trete in ihnen ja auch auf. Das ist schon schwierig genug. Plötzlich 100 verschiedene Meinungen am Set zur Verfügung zu haben, das stelle ich mir grauenhaft vor. Ich wüsste nicht, wie ich das lernen sollte.

profil: Sie erscheinen eigentlich recht stressresistent: Sie spielen in den Filmen anderer, machen Theater und Fernsehen, drehen eigene Werke, ­schreiben Bücher, geben Interviews und versprühen dabei noch beste Laune. Wie geht das?
Rossellini: Ich mag es zu arbeiten. Aber so viel Arbeit ist das alles nicht. Ich spiele ja oft auch nur Nebenrollen, denn das sind leider die Parts, die man als Frau mit 60 eben kriegt. Also bin ich häufig gerade mal zwei Wochen mit einem Film beschäftigt.

profil: Sie haben in den letzten Jahren mehrere Hauptrollen in den Filmen des Kanadiers Guy Maddin gespielt. Fühlen Sie sich ihm auch durch die Neigung zum Skurrilen verbunden?
Rossellini: Klar. Da verstehen wir uns perfekt. Unlängst veranstaltete man in Frankreich eine Maddin-Retrospektive, und die wollten unbedingt mein „Green Porno“-Projekt dabeihaben – obwohl Guy damit überhaupt nichts zu tun hatte. Sie meinten nur, das sei doch derselbe Geist wie jener Maddins. Mir war’s recht.

profil: Ihre Kurzfilme sind entschieden analoge Angelegenheiten: jedes Kostüm eigens genäht, jede Oberfläche bemalt. Die digitale Technologie hätte das wohl etwas einfacher gemacht.
Rossellini: Mag sein. Guy und ich mögen eine Art von Kino, der man das Handwerk noch ansieht. Bei mir kann man jeden Trick durchschauen. Man sieht sogar die Schnüre, die meine Flügel zum Flattern bringen.

profil: Das erinnert sehr an die Trickfilme des frühesten Kinos.
Rossellini: Ja, an Georges Méliès vor allem. Aber jeder Film fordert seinen eigenen Stil. Meine Filme sind mit mir, meinem Körper und meiner Stimme verbunden. Ließe ich jemand anderen Special Effects machen, wäre das nicht mehr mein Film. Man lernt also entweder, wie ein Dirigent zu arbeiten, der jeden Teil seines Orchesters im Blick hat – oder man ist eben Solist. Ich bin eine Solistin.

profil: Was reizt Sie so sehr an Tieren, dass seit sieben Jahren jeder Ihrer Filme um sie kreist?
Rossellini: Ich lebe auf einer Biofarm, mit unzähligen Tieren, die mich unendlich amüsieren und mein Interesse an Biologie geweckt haben. Was sollte ich sonst machen? Einen konventionellen Liebesfilm?

profil: Er müsste ja nicht konventionell sein.
Rossellini: Ja, sicher. Vielleicht mache ich das auch, eines Tages. Aber von einer Regiekarriere dieser Art träume ich eigentlich nicht. Ich habe „Green Porno“ nicht gedreht, um danach einen Bestseller zu verfilmen.

profil: Haben Sie unter all den Werken, in denen Sie gespielt haben, einen Lieblingsfilm?
Rossellini: David Lynch war wohl mein bester Regisseur, ich müsste also „Blue Velvet“ sagen. Guy Maddin ist so originell wie Lynch, aber nicht so populär. David schaffte es, Avantgarde und Popularität zu verbinden. Ich liebte es auch, mit John Schlesinger zu arbeiten. Er kam vom Theater, arbeitete sehr altmodisch, das mochte ich sehr.

profil: Sie sind die Tochter der Schauspielerin Ingrid Bergman und des Regisseurs Roberto Rossellini. Wer hat Sie als Künstlerin mehr geprägt, Ihr Vater oder Ihre Mutter?

Rossellini: Beide, denke ich. Die Regie-Experimente, an denen ich heute arbeite, gehen wohl eher auf meinen Vater zurück; die Arbeit als Model, im Glamour-Geschäft, war näher an den Dingen, die auch meine Mutter beschäftigten. Jetzt erst verbindet sich das in mir. Leider starben ja beide, als ich noch recht jung war. Sie erlebten meine Karriere nicht mehr, sahen meine Arbeit nie, nicht einmal meine Modeljobs. Eigentlich ist das sehr traurig.

Zur Person
Isabella Rossellini, 60, wurde in den frühen 1980er-Jahren als ­Model, als Schauspielerin erst 1986 mit ihrer Rolle in David Lynchs „Blue Velvet“ berühmt. Seither gilt die gebürtige Italienerin, Tochter des Filmstars Ingrid Bergman und des legendären Regisseurs Roberto Rossellini, als Spezialistin für komische, oft auch bizarre Kino-, TV- und Theaterrollen. Seit 2006 inszeniert Isabella Rossellini auch selbst: Ihre jüngste Kurzfilmserie, „Mammas“, läuft ­dieser Tage im Programm der Berlinale.