Isabelle Huppert - die Furchtlose

Isabelle Huppert - die Furchtlose: In Venedig stellt sie ihre neue Arbeit vor

In Venedig stellt sie ihre neue Arbeit vor

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Es ist nicht ohne Ironie, dass ausgerechnet die fragile Gestalt dieser Schauspielerin, gerade 1,60 Meter groß, im Kino so ungeheure Wirkung erzielt. Isabelle Huppert ist längst zu einem Monument des europäischen Autorenfilms geworden. Seit fast vier Jahrzehnten arbeitet sie an der Verfeinerung ihrer darstellerischen Mittel, an der Ökonomie des Verhältnisses zwischen Aufwand und Eindruck; sie vermag ihre Partner mit einem kalten Blick, einer knappen Bewegung an die Wand zu spielen. Als ausgewiesene Spezialistin für abgründige Stoffe stellt sie ihr Gesicht wie eine Leinwand zur Verfügung, auf der sich buchstäblich alles abzeichnen kann. Es gibt gegenwärtig keine Schauspielerin, die sich besser dafür eignete, in Großaufnahme ins Bild gerückt zu werden. Ihre dunkle Stimme setzt sie ebenso kontrolliert ein wie ihren Körper und ihre Mimik. Streng reglementiert Isabelle Huppert auch in der Arbeit mit den Medien ihr Bild – weil sie weiß, dass die Selbstdarstellung der Kern ihres Berufs ist. Auch wenn sich ihr Narzissmus in Grenzen hält. Während ihrer Interviews lässt sie sich nicht fotografieren, und anschließenden Fotosessions stimmt sie ausschließlich unter der Voraussetzung zu, aus den Ergebnissen frei wählen zu können.

Im Kino scheint die hochproduktive Isabelle Huppert allgegenwärtig – fast 100 Filme verzeichnet ihre Filmografie bereits; das um sie kreisende Familienpsychodrama „Home“ ist soeben in Österreichs Kinos gestartet (siehe Kasten Filmkritik). Auch die derzeit laufenden Filmfestspiele in Venedig kommen ohne sie nicht aus: Mit der französischen Regisseurin Claire Denis reist sie dieser Tage zur Weltpremiere ihrer gemeinsamen Postkolonialstudie „White Material“ an. Und mit der deutschen Filmemacherin Ulrike Ottinger wird sie im kommenden Frühjahr die Vampirgroteske „Die Blutgräfin“ unter anderem in Wien drehen.

Isabelle Huppert ist zuletzt zu einer Art Handlungsreisenden in Sachen Kino geworden. „White Material“ hat sie in Kamerun gedreht, weitere Filme während der vergangenen Jahre entstanden in Bulgarien, Belgien, Kambodscha und Thailand. Diese Fernreisen seien „eher Zufall“ gewesen, sagte Huppert im profil-Gespräch anlässlich der letztjährigen Viennale. Sie genieße diese Reisen aber auch, weil sie an kulturellen Differenzen interessiert sei. „Einen Film zu machen ist immer eine Reise – egal, wo man ihn dreht.“

profil: In „White Material“ spielen Sie eine Frau in Afrika, die vor einem sich ausweitenden Bürgerkrieg nicht weicht. Sie bleibt stur, auch unter Lebensgefahr.
Huppert: Seltsamerweise habe ich jetzt hintereinander drei Rollen gespielt, die einander sehr ähnlich sind: drei Mutterrollen, drei Frauen, die fast neurotisch an ihr Land und ihre Kinder gebunden sind. Sie wollen nicht weg aus ihren Ländern. Die Regisseure sind allerdings sehr verschieden, genau wie die historischen und kulturellen Kontexte. Und zwei der drei Regisseure waren Frauen – Claire Denis mit „White Material“ und Ursula Meier mit „Home“. Mir gefiel das: diese drei Filme hintereinander zu drehen.

Wie sehr sie in ihrer Arbeit aus dem Persönlichen und Privaten schöpft, zeichnet sich ganz direkt in ihren Filmen ab. Mit ihrem Mann, dem Produzenten Ronald Chammah, hat sie drei Kinder, die heute zwischen zwölf und 25 Jahre alt sind. Die Berufserfahrung reicht bei Isabelle Huppert, geboren im März 1953 in Paris, bis in die sechziger Jahre zurück, auch wenn ihr das nicht anzusehen ist. Ihre Mutter, eine Englischlehrerin, ermutigte sie dazu, Schauspiel zu studieren. Schon als Teenager begann sie mit ihrer Bühnenausbildung – die Liebe zum Theater dauert bis heute an. Neben ihrer Filmarbeit brilliert Huppert in klassischen Stoffen ebenso wie in Gegenwartsdramen, hat in Werken von Sarah Kane („Psychose“), Heiner Müller („Quartett“) und zuletzt Yasmina Reza („Der Gott des Gemetzels“) gespielt. 1971 absolvierte sie ihr Filmdebüt, in einer Fernseharbeit namens „Le prussien“.

Hupperts Aufstieg im Kino vollzog sich rasant: Schon 1972 wirkte sie in einem Film des Starregisseurs Claude Sautet („César und Rosalie“) mit, und allein zwischen 1972 und 1974 trat sie in 13 Filmen auf. Im französischen Autorenfilm jener Zeit wirkte sie durchaus fremd: Ihre Konzentration und Reserviertheit widersprachen der Frivolität des europäischen Kinos nach 1968 völlig. Dass man dem introvertierten Mädchen aber auch Hauptrollen anvertrauen und davon noch profitieren konnte, sprach sich schnell herum. Spätestens als Claude Gorettas „Spitzenklöpplerin“ (1977) war Isabelle Huppert im Zentrum der cinephilen Welt angekommen: Mit Mitte 20 arbeitete sie bereits, als wäre das ganz selbstverständlich, mit Regisseuren wie Claude Chabrol („Violette Nozière“, 1978), André Téchiné („Die Schwestern Bronté“, 1979), Jean-Luc Godard („Sauve qui peut“, 1980) und Maurice Pialat („Loulou“, 1980). In Isabelle Huppert fanden all diese Filmemacher eine Partnerin, die sich nicht damit begnügte, im Kino gute Figur zu machen.

profil: Ihr Zugang zum Schauspielen ist dezidiert intellektuell. Die meisten Ihrer Kollegen sind da anders, suchen eher den emotionalen Zugang. Worauf wollen Sie hinaus: auf die perfekte Balance von Emotion und Intellekt?
Huppert: Ich wähle überhaupt keinen Zugang. Ich ziehe keine Grenze zwischen Gefühl und Verstand.

profil: Das sind nur zwei Seiten derselben Medaille?
Huppert: Ja, entweder versteht man die Dinge, oder man versteht sie nicht. Man kann etwas emotional vollkommen durchschauen – aber auch intellektuell. Es ist wahr, dass man sich als Schauspielerin zu den Dingen eher intuitiv in Beziehung setzt. Was aber ist das: Intuition? Man braucht den Umweg über die Sprache nicht, braucht keine abstrakten Konzepte, um die Dinge zu begreifen.

profil: Elfriede Jelinek hat gesagt, sie suche beim Schreiben einen Zustand, in dem es nicht mehr so sehr sie selbst sei, die schreibt, als dass „es durch sie schreibt“. Ist das beim Schauspiel, wie Sie es verstehen, ähnlich?
Huppert: Ja. Das interessiert mich sehr, denn es entspricht genau dem, was ich fühle, wenn ich ihre Bücher lese. Jelinek erfindet ihre eigene Sprache. Und da gibt es etwas sehr Physisches in ihrem Schreiben. Auch wenn es sehr konstruiert ist. Man hat das Gefühl, dass das Leben durch ihre Texte bricht, als käme es ganz direkt aus ihrem Körper – und eben nicht unbedingt aus dem Zerebralen. Das ist überaus faszinierend.

profil: Wie gelangen Sie in diesen Zustand jenseits Ihrer Kontrolle?
Huppert: Man bereitet sich darauf nicht vor, das kann man gar nicht. Es geht nur darum, völlig in Übereinstimmung mit dem zu sein, was man gerade spielt. Dann kommen die Dinge von selbst. Es kommt durch einen hindurch, wie Elfriede Jelinek sagt. Man kontrolliert es nicht.

profil: Wie kommt das denn zustande auf einem Filmset, wo unentwegt dutzende Menschen um einen herumstehen? Wo es manchmal extremen Zeitdruck gibt, dann wieder unglaubliche Langeweile und Wartephasen.
Huppert: Das ist schwer zu erklären, es ist weder leicht noch schwierig, in diesen Zustand zu kommen. Er ist …

profil: … eine Art Natur für Sie?
Huppert: Ich denke schon, ja. Wahrscheinlich. Das ist keine Last für Schauspieler. Wir wissen ja, dass wir mit technischen Kompromissen und mit einem Umfeld aus unzähligen Personen arbeiten müssen. Wenn man sich davon einschüchtern lässt, sollte man vermutlich etwas anderes als die Schauspielerei wählen. Das ist die Grundlage dessen, worum es geht beim Spielen.

Die Furchtlosigkeit ist eine Basis von Hupperts Arbeit. Sie ist dennoch nie ganz zufrieden mit deren Ergebnissen. Auf die Frage, ob sie sich gern selbst auf der Leinwand sieht, hat sie eine so simple wie unübliche Antwort parat: „Klar“, sagt sie, sonst nichts, mit unbewegtem Gesicht. Sie meint es ernst. Ihr Hang zur Selbstkritik ist mit ihrem Selbstbewusstsein leicht zu vereinen.

profil:
Sie haben zweimal mit Werner Schroeter gearbeitet, 1990 an der von Elfriede Jelinek verfassten Bachmann-Verfilmung „Malina“ und 2002 in „Deux“. Was mögen Sie so an ihm? Dass er ein Filmemacher ist, der Regeln bricht?
Huppert: Er verhilft einem dazu, seine eigenen Grenzen zu überschreiten. Außerdem involviert er einen emotional, aber zugleich auch sehr physisch in die Rollen, die man spielt. In Werners Filmen ist etwas sehr Barockes. Man geht da so körperlich ans Werk, als wäre man am Theater. Obwohl seine Filme nichts Theatralisches haben. Sie sind pures Kino, von extremer Tiefe.

profil: Sie sagten, es gehe Ihnen beim Schauspielen um psychische Zustände, nicht um Figuren. Können Sie das erklären?
Huppert: Ich spiele keine Charaktere, sondern Personen. Charaktere erscheinen mir beliebig. Ich wüsste nicht, was das sein sollte. Eine Figur ist nichts als Fiktion. Eine Person dagegen ist Teil der Wirklichkeit. Sie will ich spielen, keine geschriebenen Charaktere.

profil: Sie lieben es, sich ganz intim mit den Personen zu verbinden, die Sie spielen. Gibt es da noch Distanz?
Huppert: Es gibt diese Distanz, und es gibt sie auch nicht. Denn die Person, die ich darstelle, das bin natürlich ich. Das ist wie bei einer Bluttransfusion. Diese Person verwandelt sich in mich. Andererseits habe ich die Fähigkeit, eine totale Distanz herzustellen. Auch wenn das manchmal schwer zu verstehen und noch schwerer zu erklären ist. Das ist ein paradoxer Prozess. Er besteht daraus, dass man jemand anderen durch einen lässt – und doch ist das nicht wirklich man selbst. Das ist eben die Basis der Fiktion, eines Films. Man kontrolliert sie nicht, denn sie gehört einem ja nicht, sondern den Autoren, dem Regisseur. Aber um diese Person auf der Leinwand herzustellen, muss sie erst durch mich und aus mir heraus.

Eines der Zitate, die man Isabelle Huppert zuschreibt, handelt vom Irrsinn – und von der Methode, ihn zu erzeugen. Andere darzustellen sei „eine Art, seinen eigenen Wahnsinn durch- und auszuspielen“. Das ist wohl zu passend, um wahr zu sein: Huppert kann sich jedenfalls nicht recht erinnern, dies je gesagt zu haben: Sie wisse nicht einmal, was „verrückt“ eigentlich bedeuten solle. „Und ich habe keine Ahnung, wie es wäre, keine Schauspielerin zu sein.“

profil: Haben Sie denn das Gefühl, Sie müssten spielen? Ist das auch eine Art Sucht? Oder könnten Sie ganz gut auch für ein Jahr oder zwei ohne die Schauspielerei leben?
Huppert: Schwierige Frage. Ich denke schon, dass ich es brauche. Es hängt davon ab: Manchmal brauche ich das Spielen nicht so zwanghaft wie zu anderen Zeiten. Denn wenn man ein starkes Bedürfnis nach etwas hat, will man auch wissen, wie man es wieder los wird. Man wird angezogen und abgestoßen auch von Dingen, die man sehr gerne tut. Das ist manchmal Attraktion, manchmal Ekel. Seltsamerweise.

Attraktion und Ekel: Die Ambivalenz ist Isabelle Hupperts favorisiertes Spielfeld, das Schillern der Figuren, die sie darstellt, ist ihr Programm. In dem Film eines Österreichers gelang ihr 2001 ihre bislang wohl kühnste Performance: In Michael Hanekes Jelinek-Adaption „Die Klavierspielerin“ spielte sie mit geradezu gespenstischer Dringlichkeit eine sexuell neurotische Pädagogin, die in der naiven Zuneigung eines jungen Mannes (Benoît Magimel) echtes Begehren erkennt – und an diesem ihren Masochismus ausagieren will. Beim Filmfest in Cannes wurde sie für diese Tour de Force mit dem Darstellerinnenpreis ausgezeichnet. Nicht immer jedoch agiert sie so streng: Huppert ist eine der Lieblingsschauspielerinnen Claude Chabrols, der es immer wieder zuwege bringt, ihre Rigidität erfolgreich aufzubrechen. Achtmal hat sie mit ihm in den vergangenen drei Jahrzehnten gearbeitet, zuletzt in „Geheime Staatsaffären“ (2006).

profil: Mögen Sie es eigentlich, Komödien zu drehen?
Huppert: Natürlich! Wobei: Echte Komödien habe ich kaum je gedreht. Klar: François Ozons „Acht Frauen“ ist eine Komödie, aber auch dieser Film ist sehr komponiert, jede Figur ist konstruiert, steht für sich allein.

profil: Sind Chabrols Filme nicht meist Komödien?
Huppert: Nicht alle. „Madame Bovary“ ist nicht besonders lustig. Mein nächster Film aber wird eine echte Komödie sein – in der klassischen Tradition französischer Lustspiele.

profil: Ist das nicht schwieriger als andere Genres?
Huppert: Ich weiß noch nicht. Das ist auch für mich Neuland, ein unbekannter Stil. Meine anderen komischen Stoffe, etwa der Film „Zwei ungleiche Schwestern“: Das sind schon Lustspiele, aber es gibt darin auch Momente, in denen das Drama darunter sichtbar wird. Das sind semikomödiantische Rollen. Und dann dreht man oft Dramen, in denen komische Aspekte am Werk sind, untergründig mitlaufen. Besonders, wie Sie sagen, in Chabrols Arbeiten. Ich habe 1995 einen Film mit ihm gedreht, „La cérémonie“, das ist nicht wirklich eine Komödie, denn da ging es ja um Mörderinnen, aber meinen Part spielte ich so, als wäre es ein Lustspiel: Ich sprach extrem schnell, ging seltsam, bewegte mich „komisch“. Das Konstruktionsprinzip meiner Darstellung war die Komödie. Obwohl der Film wirklich finster ist.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.