Ist Bush schon gescheitert?

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Wenn man die aktuellen Meldungen zugrunde legt, ist Bushs Irak-Politik bereits gescheitert: Aufstände nicht nur der – ihrer Führungsrolle beraubten – sunnitischen Minderheit, sondern auch der Schiiten, die den USA das Ende ihrer Unterdrückung verdanken; amerikanische Soldaten durch Tage in jene blutigen Straßenkämpfe verwickelt, die sie bei ihrem Einmarsch so überraschend vermeiden konnten; die neu aufgestellten Sicherheitskräfte der Übergangsregierung weder fähig noch willens, auf der Seite der Staatsgewalt einzugreifen; die Mitarbeiter der Firmen, die den Irak in ein blühendes Land verwandeln sollten, scharenweise auf der Heimreise; und sämtliche mit den USA verbündeten Regierungen unter immer größerem Druck, ihre Truppen heimzuholen, um Anschläge à la Madrid zu vermeiden.

Wer täglich CNN – also US-amerikanisches Fernsehen – konsumiert, muss den Feldzug im Irak für endgültig verloren halten. Trotzdem gibt es, mit sehr viel weniger Publizität, auch andere Informationen. So brachte der TV-Kanal arte die Reportage eines französischen Fernsehteams, das mehrere Wochen durch den Irak reiste und das Bild einer zwar sehr schwierigen, aber durchaus nicht so hoffnungslosen Situation zeichnete.

Vor allem die wirtschaftliche Lage habe sich allenthalben verbessert, auch wenn keine Region – nicht einmal mehr die fernen kurdischen Gebiete – vom Terror radikaler Moslems verschont bleibe. Im Großen und Ganzen aber sorgten kurdische Milizen in ihrem Herrschaftsbereich für Ruhe und Ordnung, ohne dass nichtkurdische Minderheiten allzu harsch unterdrückt würden. Zwar versucht die kurdische Führung, jene umstrittenen, erdölreichen Gebiete, in denen Saddam Hussein Araber angesiedelt hat, jetzt ihrerseits durch die Ansiedlung von immer mehr Kurden zu „kurdisieren“, aber das könnte in seinen Folgen eigentlich einer vernünftigen regionalen Wirtschaftspolitik entsprechen: Der arabische Irak hat Erdöl genug – Kurdistan könnte an den hinzugewonnenen Ölquellen wirtschaftlich gesunden.

Auch in der zweiten von ihnen untersuchten Region – Basra und seinem schiitischen Umland – konstatierten die französischen TV-Journalisten wirtschaftlichen Fortschritt und nach wie vor Genugtuung über Saddam Husseins Sturz. Nicht zuletzt, weil die britischen Besatzer ihre Sache sehr viel besser als die Amerikaner machen: Sie verschanzen sich weit weniger (müssen sich freilich auch weniger verschanzen) und zollen Kultur und Gesellschaft des Irak offenbar jenen Respekt, den Gerd Bacher an den Amerikanern so sehr vermisst. Trotzdem wird Ruhe und Ordnung nicht von ihnen und auch nicht von der Übergangsregierung, sondern von schiitischen Milizen gewährleistet, die ihre Waffen sicher nicht freiwillig abgeben werden. Auch ihre Forderung nach einem eindeutig muslimischen Staat, nach der Verschleierung der Frauen, dem Verbot von Alkohol und der Geltung der Scharia, wird durch keine neue Verfassung zu brechen sein. Trotzdem bleibt vorstellbar, dass auch hier, im Rahmen einer Art regionalen und religiösen Autonomie, irgendwann eine gewisse Stabilität erreichbar ist.

Dritte und letzte Station der Reportage war Bagdad. Statt der jeweils letzten Explosion wurde das tägliche Leben gefilmt: der überbordende Autoverkehr, die wieder von Waren überquellenden Läden, der Run der handybewehrten Menschen auf die unter Saddam verbotenen Parabolantennen, mit denen man ausländische Sender empfangen kann. Aber auch die Schlangen vor den Tankstellen des Landes mit den zweitgrößten Ölreserven der Welt.

Die interviewten Mitglieder des Mittelstandes anerkennen die wirtschaftliche Erholung, kritisieren aber ihre Langsamkeit, sie zeigen sich unverändert erfreut über Saddams Sturz, aber verstört über den Verlust an Sicherheit. Ein Vater erzählt, dass seine Kinder kaum mehr alleine das Haus verlassen; trotzdem freut sich seine Tochter auf ihr Studium.

Die amerikanischen Bombardements, so sieht man, haben wirklich nur einige wenige Ziele – Ministerien, Kasernen, Rüstungsbetriebe – zerstört, die Stadt als Ganzes ist intakt geblieben, und der Terror vermag sie nicht zu lähmen.

Nur dass es natürlich nach wie vor auch jene Elendsviertel gibt, aus denen Muktada al-Sadr seinen Anhang rekrutiert. Nicht nur, weil er genial zu hetzen vermag, sondern auch, weil fast nur radikale muslimische Organisationen Hilfe für die Armen organisieren. Hier wird eines der dramatischsten Versäumnisse Bushs sichtbar: Im Nachkriegsösterreich haben die USA Corned Beef verteilt, Care-Pakete versendet und den Marshall-Plan in Gang gesetzt – im Irak haben sie vor allem die Ölquellen besetzt. Als die Franzosen dort recherchieren wollen – erfragen, wohin das Öl geliefert werde und wer daran verdiene –, erhalten sie keine Dreherlaubnis.

Obwohl die französische Reportage, nicht nur durch diesen Schluss, eher unvoreingenommen wirkt, kann das nicht ganz so düstere Bild des gegenwärtigen Irak, das sie vermittelt, dennoch letztlich falsch sein. Misstrauen gegenüber Berichten aus fernen, fremden Ländern ist immer am Platz: Journalisten, die die Landessprache nicht können, beurteilen denkbar komplexe Phänomene, denen sie nicht selten vierzehn Tage zuvor zum ersten Mal begegnet sind.

Nur sollte man dieses Misstrauen allen Informationen entgegenbringen: auch den zurzeit durchwegs niederschmetternden Schlüssen, die aus den täglichen Horrormeldungen gezogen werden.

Noch ist Bushs Irak-Politik nicht völlig gescheitert – auch wenn ihr Scheitern zweifellos näher liegt als ihr Erfolg.