Leitartikel: Georg Hoffmann-Ostenhof

It’s over

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Es waren natürlich nicht, wie vielfach behauptet, die „moral values“, die vor zwei Jahren George W. Bush den Verbleib im Weißen Haus sicherten. Da mag die Mobilisierung der rechten US-Christen arithmetisch entscheidende Prozentpunkte gebracht haben. Der wahre Grund dafür, dass Bush 2004 wiedergewählt wurde, war der Irak-Krieg. Und es ist auch der Krieg, der dem Präsidenten und seinen Republikanern bei den kommenden Kongresswahlen aller Voraussicht nach eine schwere Niederlage bescheren wird. „It’s the war, stupid“, könnte man den berühmten Slogan der Bill-Clinton-Kampagne – „It’s the economy, stupid“ – abwandeln.

Seit dem 11. September 2001 haben Bush und seine Kumpanen meisterhaft auf dem Klavier der patriotischen Gefühle gespielt: Inmitten eines Krieges wechselt man nicht den Oberbefehlshaber, da schart man sich hinter ihm und hinter der Fahne. 2004 funktionierte diese Taktik noch. Nun aber ist die Situation gekippt – aus einem sehr einfachen Grund: Laut Umfragen glauben nur noch 19 Prozent der US-Bürger, dass die USA am Golf erfolgreich sein werden.

Solange ein Sieg des Vaterlandes für möglich gehalten wird, akzeptieren die Menschen offenbar vieles: tausende tote US-Soldaten, Skandale wie Guantanamo und Abu Ghraib, Mega-Verschuldung des Staates, Abbau von individuellen Freiheiten und Bürgerrechten – alles wurde in Kauf genommen. Sobald es aber nun nur mehr darum geht, wie und wann man aus dem mörderischen Schlamassel am Golf wieder herausfindet (das diskutieren mittlerweile schon US-Generäle und Teile der Bush-Administration offen), schlägt die Stimmung total um: Da werden die Untaten der Regierenden nicht mehr schulterzuckend hingenommen.

Das Volk wendet sich gegen Bush und seine Partei – mit aller Wucht. Das vermelden die Umfrageinstitute. Sie verheißen den Bush-Republikanern bei den Kongresswahlen am 7. November eine Erdrutschniederlage.

Selbst wenn die Demokraten nur eine der beiden Kammern, das Repräsentantenhaus, erobern sollten und der Senat eine republikanische Mehrheit behält – der kommende Urnengang wird eines klar signalisieren: It’s over. Die Bush-Ära ist zu Ende. Der Albtraum ist vorbei.

Das Erwachen wird allerdings ein langsames sein. Zwar kann Bush in den verbleibenden zwei Jahren seiner Amtszeit nichts mehr durchsetzen: weder eine Privatisierung der Sozialversicherung noch weitere Steuersenkungen für die Superreichen. Die Demokraten werden mit ihren Initiativen aber auch nicht durchkommen: Das Weiße Haus hat die Veto-Macht.

In der Irak-Politik wird es auch keinen abrupten Schwenk geben können. So unbestritten inzwischen ist, dass Lügen, Fehlannahmen, schlechte Planung und falsche Strategie zu diesem vermeidbaren Krieg mit seinen furchtbaren Konsequenzen geführt haben, die Schuld am Desaster also bei Bush & Co liegt, so unklar ist freilich, wie der Irak-Krieg beendet werden kann. Das wissen auch die Demokraten nicht. Jeder vorgeschlagene Weg scheint noch tiefer in den Sumpf zu führen. Schneller Abzug der amerikanischen Truppen? Würde das nicht den Bürgerkrieg im religiös und ethnisch zerklüfteten Irak vollends außer Kontrolle geraten lassen? Teilung des Landes? Würde das nicht die Begehrlichkeiten der Nachbarn entfachen und die ganze Region weiter destabilisieren? Auch eine – von manchen vorgeschlagene, aber kaum realistische – Verstärkung der amerikanischen Präsenz würde wohl gleichfalls nicht das Fortschreiten des irakischen Bruderkriegs stoppen können. Kein Ausweg ist in Sicht.

Langfristig wäre eine Strategie der Pazifizierung am Golf schon vorstellbar. Statt die Nachbarn des Irak als Feinde zu betrachten und zu behandeln, müssten sie diplomatisch einbezogen werden. Auch die Syrer, die Perser, die Saudis und die Türken haben ein Interesse an einem stabilen Irak. Und so sehr man so manche der Regime verabscheuen mag, man müsste mit Teheran, Riad, Ankara und Damaskus reden, wenn es um die Zukunft des Landes an Euphrat und Tigris geht. Zusätzlich würde ein aktives und nicht einseitig Jerusalem unterstützendes Engagement bei der Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts günstigere Rahmenbedingungen für ein Kriegsende im Irak schaffen.

Zu all dem scheinen aber die Demokraten nicht bereit zu sein: Sie sind in ihrer großen Mehrheit noch der verheerenden Konzeption eines „Kriegs gegen den Terror“ verhaftet, den Bush ausgerufen hat. Aus Angst davor, als unpatriotische Weicheier angesehen zu werden, wollen viele Demokraten bisher den Republikanern in der Härte gegen Schurkenstaaten nicht nachstehen. Auch in der bedingungslosen Unterstützung der jeweiligen israelischen Regierung unterscheiden sie sich nicht grundsätzlich von den Republikanern.

Trotzdem wird man am 7. November wohl aufatmen können. Unmittelbar mag sich zwar nicht viel ändern, aber ein Anfang wäre gemacht. Nach sechs Jahren schwerer politischer Krankheit könnte der Heilungsprozess einsetzen und die amerikanische Politik in der dann anbrechenden Nach-Bush-Ära wieder in zivilisierte Bahnen gelenkt werden.