Schräg nach links: Italien nach der Wahl

Italien: Schräg nach links

Parlament: Mehrheit der Linken ist denkbar dünn

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Was für ein seltsamer Sieg, was für eine seltsame Art, ihn zu feiern: Am Dienstagabend war in Rom von Jubelstimmung nicht viel zu spüren. Keine Menschenmassen auf den Straßen und Plätzen, kaum Freudenkundgebungen. Der letzte Abend der Ära Berlusconi verlief in der Stadt am Tiber fast so, als sei nichts geschehen.

Die Anhänger der Linken hatten sich bereits in der Nacht zuvor verausgabt. Bis drei Uhr früh zelebrierten sie einen Wahlsieg, der alles andere als sicher schien: weil sich die Auszählung der Stimmen immer weiter hinauszögerte und keinesfalls klar war, ob Romano Prodis Parteienbündnis Unione tatsächlich die Mehrheit in beiden Kammern des italienischen Parlaments erringen würde. In diesem Fall hätte der Herausforderer von Silvio Berlusconi nie und nimmer eine stabile Regierung zustande gebracht.

Und so feierten Prodis Anhänger gewissermaßen mit dem fröhlichen Mut der Verzweiflung. Als am Dienstag knapp vor 19 Uhr schließlich offiziell feststand, dass die Unione in beiden Häusern gewonnen hatte, lag eine gewisse Mattigkeit über Rom.

„Ich erwarte mir einen Anruf von Berlusconi“, erklärte Prodi. „Das tut man in einer Demokratie.“ Er wartete vorerst vergebens. Bockig wie ein kleines Kind weigerte sich der Unterlegene, die Niederlage einzugestehen. „Niemand kann schon behaupten, die Parlamentswahlen gewonnen zu haben. Die Resultate sind noch nicht definitiv“, ließ Berlusconi nach der Bekanntgabe des Endresultats wissen, raunte von „vielen Unregelmäßigkeiten“ und stellte eine Wahlanfechtung in den Raum. Es sei nicht auszuschließen, dass die Stimmen der Auslandsitaliener, die Prodi letztendlich zum Sieg verholfen haben, für ungültig erklärt werden müssten.

Der Spuk der Berlusconi-Jahre ist zwar vorbei, das Gespenst aber noch immer nicht ausgetrieben. Wohl nicht zuletzt deshalb blieb der Jubel bei den Anhängern Prodis vorderhand eher verhalten.

Dabei hätten sie allen Grund zur Freude: „Zum ersten Mal seit Kriegsende“, frohlockte Fausto Bertinotti, Chef der Rifondazione Comunista, „haben die Linken in beiden Kammern die Mehrheit, und das ist ein historischer Erfolg.“

Im Senat führt die Unione nun mit 158 Sitzen gegenüber 156 für Berlusconis Casa delle Libertà, ein Senator hat ein unabhängiges Mandat inne. Im Abgeordnetenhaus verfügt Prodis Bündnis, das 49,8 Prozent der Stimmen erhalten hat, aufgrund des Wahlrechts über 348 Sitze, Berlusconis Koalition erhält mit 49,7 Prozent der Stimmen nur 281 Mandate.

Ein Triumph sieht sicherlich anders aus. Der Überhang des Mitte-links-Bündnisses betrug gerade einmal wenige zehntausend Stimmen oder 0,07 Prozentpunkte, die Mehrheit im Senat ist denkbar dünn.

Düster. Entsprechend düster fiel auch die Mehrzahl der ersten Stellungnahmen aus: Italien, ein gespaltenes Land, politisch und geografisch auseinander dividiert und de facto unregierbar – vor allem von einer derart inhomogenen Koalition wie der Unione, der neben den gemäßigten, sozialdemokratischen Democratici di Sinistra auch die Kommunisten, die katholisch-liberale Sammelpartei Margherita, die Grünen, die Moralisten des ehemaligen Staatsanwalts Antonio Di Pietro und die antiklerikalen Liberal-Sozialisten angehören. Kann so ein Bündnis auf Dauer zusammenhalten, oder stehen dem Land nach einer Phase der Instabilität schon bald Neuwahlen bevor?

„Bei der Regierung Berlusconi fragte auch keiner nach deren Handlungsfähigkeit“, warf die „Frankfurter Rundschau“ am Mittwoch ein. Die Casa delle Libertà ist nicht weniger fragil – Berlusconis neoliberale Forza Italia neben der nationalkonservativen Alleanza Nazionale, die EU-orientierten Christdemokraten neben den erklärten Europagegnern der Lega Nord und noch dazu die Faschisten. Den Christdemokraten, seit Langem auf Distanz zu Berlusconi, werden zudem – zuletzt heftig dementierte – Gelüste nachgesagt, die Seiten zu wechseln und zur Unione überzulaufen. „Mit diesem Wahlergebnis kann man das Land fünf Jahre lang regieren. Natürlich wird man hart arbeiten müssen“, gab sich Prodi zuversichtlich.

Freilich, die Töne waren rau. Auch nach dem Urnengang. „Hau ab, Prodi!“, blaffte Berlusconis Pressesprecher Sandro Biondi in der Parteizentrale der Forza Italia in der Via dell’ Umiltà, der Straße der Bescheidenheit. „Hau ab und lass uns regieren, denn wir werden dich nicht regieren lassen.“

Berlusconis Partei ist immer noch Italiens stärkste politische Einzelformation, obwohl sie im Vergleich zu den Parlamentswahlen 2001 in der Abgeordnetenkammer von 29,1 auf 23,7 Prozent fiel.

Auch die Tatsache, dass Berlusconis Mitte-rechts-Bündnis trotz allem – der Korruptionsfälle im Umfeld des Ministerpräsidenten, seiner ungenierten Rechtsbeugung zum eigenen Vorteil und seiner bizarren Auftritte – nahezu die Hälfte der verfügbaren Stimmen bekommen hat, lässt sich nicht wegleugnen.

„Ich verstehe nicht, warum sich immer noch so viele Menschen für diesen Mann aussprechen“, wundert sich Ex-Staatsanwalt Di Pietro, der Anfang der neunziger Jahre mit seinen Ermittlungen einen der größten Korruptionsskandale der italienischen Nachkriegsgeschichte aufgedeckt hatte. Heuer kandidierte er im Bündnis der Unione mit einer eigenen Partei, Italia dei Valori. Sie kam in beiden Kammern des Parlaments nicht über drei Prozent hinaus.

„Berlusconi versteht es immer noch, die Massen zum Träumen zu bringen“, glaubt Charles Kupchan, Politologe an der Georgetown University in Washington, Berater von Bill Clinton und ausgewiesener Kenner der italienischen Politik. „Sicherlich liegt das an seiner Medienmacht“, so Kupchan, „denn Umfragen zeigen ja, dass Millionen von Italienern vor allem seine Fernsehsender schauen und seine Zeitungen lesen.“

Gerissen. Kupchan glaubt aber auch, dass „Berlusconi ankommt, weil er super gerissen wirkt, skrupellos und unerschrocken“. Gerissen – das ist in Italien ein Ausdruck ohne negativen Beigeschmack.

„Viele meiner Landsleute“, so die römische Kulturanthropologin Ida Magli, „finden einen Mann, der wie ein Condottiere, wie ein Heerführer der Renaissance, daherkommt, der reich und mächtig und mit allen Wassern gewaschen ist, ganz toll.“ Sie hoffen, meint Magli, „dass sich sein Reichtum auch in gewisser Weise auf sie übertragen wird“.

Genau das aber ist in den letzten fünf Jahren nicht geschehen. Alle Wirtschaftsdaten bestätigen das. „Es ist der Traum, an den viele seiner Wähler glauben, dass so ein Mann ihnen irgendwie helfen kann“, vermutet auch Literaturnobelpreisträger Dario Fo. „In Wirklichkeit ist das ein Albtraum, aber das wollen viele meiner Landsleute nicht begreifen.“

Doch andererseits schaffte es Berlusconi trotz seiner geballten Medienmacht – drei überregionalen Fernsehsendern, dem größten Nachrichtenmagazin und den Tageszeitungen, die im umsatzstärksten Verlagshaus des Landes erscheinen – nicht, Prodi zu übertrumpfen. Prodi, den als langweilig und trocken verrufenen „Professore“. Und das, obwohl sich Berlusconi knapp vor dem Urnengang noch ein neues Wahlrecht gegönnt hatte, von dem er zu profitieren hoffte.

„Unsere Strategie der Fakten und der Seriosität hat sich bewährt“, erklärte Wahlsieger Romano Prodi.

Reformen. Das sehen auch seine Koalitionspartner so. Vor allem Fausto Bertinotti. Seine Kommunisten konnten sich im Vergleich zu den Parlamentswahlen 2001 im Senat von 5,1 auf 7,4 Prozent verbessern. Auch im Parlament stieg die Rifondazione Comunista von fünf auf 5,8 Prozent. Das Olivenbaumbündnis aus den Linksdemokraten DS und der Margherita konnte in den Abgeordnetenkammern sein Ergebnis von 2001 halten (31,3 Prozent), „aber auch nicht verbessern, womit eigentlich alle gerechnet hatten“, kommentiert der Wahlforscher Renato Mannheimer.

Insgesamt stiegen die vereinten Mitte-links-Parteien von Prodis Koalition Unione im Parlament gegenüber 44,4 Prozent im Jahr 2001 auf 49,5 Prozent. „Italien schwenkt langsam, aber sicher nach links um“, prognostiziert der christdemokratische ehemalige Staatspräsident Oscar Luigi Scalfaro.

Aber der Weg zu einer Regierung der Unione wird kein Spaziergang. „Auch wenn Prodi mit seiner deutlichen Mandatsmehrheit im Parlament und seiner knappen Mehrheit im Senat in den nächsten Wochen von Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi zum Regierungschef bestimmt wird, bekommt er seine geplanten Reformen vielleicht nicht durch“, vermutet Wahlforscher Mannheimer. „Denn er muss mit einer scharfen Opposition im Senat rechnen. Wehe, dort stimmen nicht alle seine Senatoren für ihn, sondern einige enthalten sich ihrer Stimme.“ Dann werde Berlusconi „frohlocken und zuschlagen“.

Und Reizthemen, die für harte Auseinandersetzungen sorgen, enthält das Reformprogramm der Unione zuhauf. So plant Prodi unter anderem etwa den Abzug der italienischen Truppen aus dem Irak. Er will Berlusconis umstrittenes und unter Mafia-Verdacht geratenes Prestigeprojekt einer Brücke zwischen dem italienischen Festland und Sizilien aufgeben. Schwule und lesbische Beziehungen sollen rechtlich der Ehe gleichgestellt, die Besteuerung von Aktiengewinnen von bislang 12,5 auf 20 Prozent angehoben, die Erbschaftssteuer für Reiche wieder eingeführt werden. Gleichzeitig muss er sich an drastische Wirtschaftsreformen heranwagen, um das hohe Haushaltsdefizit in Angriff zu nehmen.

Bis die Unione mit der Umsetzung ihrer Vorhaben beginnen kann, wird es allerdings noch einige Wochen dauern. Es gilt als ausgeschlossen, dass Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi den Wahlsieger sofort mit einer Regierungsbildung beauftragen wird. „Hätte Prodis Koalition einen großen Sieg errungen, mit einem klaren Vorsprung gegenüber der Casa delle Libertà in beiden Kammern, dann wäre dies sicherlich geschehen“, meint Wahlforscher Mannheimer. So aber werde Ciampi warten. Lange warten. Mehr als 40 Tage.

Ciampis Präsidentschaft endet offiziell am 18. Mai. Am 28. April findet die erste Sitzung des neuen Parlaments statt. Am Tag darauf werden die beiden Kammerpräsidenten gewählt. Bis zum 5. Mai müssen sich die einzelnen parlamentarischen Gruppen gebildet haben, und ab dem 12. Mai kann ein neuer Staatspräsident gewählt werden. Erst dann wird es wahrscheinlich eine neue Regierung geben. Die zweite unter Prodis Führung.

Prodi wird das Amt des Ministerpräsidenten also vermutlich nicht vor Mitte Mai antreten. Damit bleibt Zeit genug, um eine konkrete Umsetzung der ersten Reformprojekte zu planen.

Unheil. Aber auch Berlusconi bleibt Zeit. „So kann der ausscheidende Premier noch viel Unheil anrichten“, befürchtet Walter Veltroni, linker Oberbürgermeister von Rom. „Ich würde mich nicht wundern“, so Piero Fassino, Sekretär der Linksdemokraten, „wenn Berlusconi die nächsten Wochen nutzen würde, um noch einige Gesetze zu erlassen, von denen er profitiert“. Zum Beispiel eine weitere Justizreform, dank der er auch nach dem Ende seiner Amtszeit als Ministerpräsident nicht von einem Gericht verurteilt werden kann.

„Wäre eine große Koalition nicht besser für Italien?“, fragt die Tageszeitung „La Repubblica“. Mit dieser Idee könnte sich mittlerweile auch Berlusconi anfreunden. „Ich glaube, dass wir uns an anderen europäischen Ländern wie Deutschland ein Beispiel nehmen und überprüfen sollten, ob wir die Kräfte vereinen und in Harmonie regieren können“, erklärte er.

Da trifft es sich gut, dass in Ischia derzeit gerade die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kurt. Seit Montag ist sie zusammen mit ihrem Mann auf der Ferieninsel bei Neapel. Es wäre doch einen Versuch wert, schlagen Stimmen aus dem politischen Umkreis des ehemaligen Staatspräsidenten Francesco Cossiga vor, sich mit der Kanzlerin in Kontakt zu setzen und sich einige Tipps zur Bildung einer großen Koalition zu holen.

Eine Idee, die Prodi bereits fast brüsk zurückgewiesen hat: „Wir haben uns den Wählern mit einem ganz bestimmten Bündnis gestellt, und das Wahlgesetz hat uns eine Anzahl von Sitzen in der Abgeordnetenkammer und im Senat zugewiesen, die uns erlaubt zu regieren.“

Von Thomas Migge, Rom, und Martin Staudinger