Endspurt im italieni-schen Wahlkampf

Italien: Vorsicht: bissiger Alligator!

Skurrile Wahlkampftricks von Premier Berlusconi

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Silvio Berlusconi wird schuldig gesprochen – nach einem fünf Jahre dauernden Prozess, bei dem ihm mehrfach Korruption, Richterbestechung sowie Steuerhinterziehung nachgewiesen werden konnten. In diesen fünf langen Jahren hat der skrupellose Medienzar nichts unterlassen, um seine Richter in Mailand zu diskreditieren und als Kommunisten zu verunglimpfen, die nur aus politischen Gründen seinen Kopf wollten.

Das Urteil lautet auf sieben Jahre Haft. Berlusconi schweigt. Seine Verteidiger kündigen Berufung an. Der Verurteilte verlässt den Gerichtssaal, dreht sich noch einmal um und wirft der Staatsanwältin einen Blick voller Hass und Verachtung zu.

Dann schreitet er aus dem Gerichtsgebäude, geht eine breite Treppe hinunter und steigt in die wartende schwarze Limousine, die langsam anrollt. Eine aufgebrachte Menschenmenge läuft zum Gerichtsgebäude hinauf. Sie wirft Molotow-Cocktails und schickt sich an, Berlusconis Richter zu lynchen.

Der Kaiman. Mit dieser makabren Szene lässt Italiens Starregisseur Nanni Moretti seinen heftig umstrittenen neuen Film „Il Caimano“ enden, den er nach der besonders aggressiven Alligatorenart Kaiman benannt hat. Morettis Finale spiegelt auf fast schon klaustrophobische Weise das Klima in Italien vor den Parlamentswahlen am 9. und 10. April wider. „Ich wollte diese Stimmung vor den Wahlen auf die Spitze treiben“, erklärt der Regisseur. „Die Luft im Land ist kaum zu atmen, sie ist vergiftet und verpestet.“

Straßenkämpfe stehen den Italienern beim Showdown zwischen Ministerpräsident Silvio Berlusconi und Oppositionsführer Romano Prodi wohl nicht bevor. Doch der Wahlkampf „wirkt wie die tragikomische Simulierung eines Bürgerkriegs“, schreibt die konservative Tageszeitung „Corriere della Sera“. Vor allem das Berlusconi-Lager belegt Italien mit einem verbalen Sperrfeuer – und die Geschosse sind oft reichlich skurril.

Silvio Berlusconi hat Morettis Provokation dankbar aufgenommen und in seinen Wahlkampf integriert. „Meine Herrschaften, ich bin der Kaiman!“, ruft er zähnefletschend seinen jubelnden Anhängern bei einem Wahlkampfauftritt vergangene Woche zu. „Meine Gegner sagen, wenn ich den Mund öffne, weiß man nie, ob ich lachen oder einen Kommunisten fressen will.“ Und er versteigt sich zu einem Satz, der ihm eine Protestnote des chinesischen Außenamts einhandeln wird: In China hätten die Kommunisten zu Maos Zeiten zwar keine Kinder gegessen, sie aber gekocht, um damit ihre Felder zu düngen.

Schon zuvor hätte man dem italienischen Wahlkampf erfrischenden Unterhaltungswert zugestehen können, ginge es nicht um die Zukunft eines der politisch wie wirtschaftlich gewichtigsten Staaten Europas. Mit clownesken Auftritten und gezielten Provokationen konzentriert der bald 70-jährige Berlusconi geschickt die Aufmerksamkeit der Medien auf sich – umso mehr, als die meisten ohnehin von ihm kontrolliert werden. Einmal verspricht er einem Fernsehpfarrer, bis zur Wahl keinen Sex mehr zu haben. Ein anderes Mal verunglimpft er Oppositionsführer Romano Prodi als „Mortadella-Wurst“ und „armen Teufel“, während er sich selbst als „Napoleon“ und „Jesus Christus der Politik“ sieht.

Schreckgespenst. Ein Plastikschwert schwingend, inszeniert Berlusconi seinen Kampf konsequent als Abwehrschlacht gegen das Schreckgespenst des Kommunismus und knüpft damit an die große inneritalienische Auseinandersetzung zwischen Konservativen und Kommunisten nach dem Zweiten Weltkrieg an. „Glaubt nicht den Kommunisten, dass sie zu Sozialdemokraten geworden sind“, wiederholt der Regierungschef immer und immer wieder. „Sie sind und bleiben Kommunisten und bedrohen den freien Menschen und die freie Gesellschaft.“

Seine Partner im rechten Wahlbündnis „Casa delle Libertà“ („Haus der Freiheiten“) springen Berlusconi zur Seite: Reformminister Carlo Giovannardi von der Lega Nord beschwört für den Fall, dass die Linke gewinnt, den „Sieg der schwulen Familien“ herauf, „die Einführung der Euthanasie und Eugenik wie in den Niederlanden und den freien Drogenkonsum“. Senatspräsident Marcello Pera, ein Christdemokrat und Alliierter des Vatikans, sieht den Islam auf dem Vormarsch, „wenn wir Katholiken ihn nicht rechtzeitig bremsen“. Den Linken traut er das nicht zu: „Die liefern uns doch den Mullahs aus, und die machen aus dem Petersdom dann eine Moschee!“

„Berlusconi hat den Wahlkampf auf ein chronisches Schlagen mit Worten unterhalb der Gürtellinie reduziert“, klagt der Schriftsteller und Semiotikprofessor Umberto Eco.

In den Umfragen liegt der Ministerpräsident seit Monaten beständig hinter

Prodi und dessen 11-Parteien-Bündnis „Unione“ – und der Abstand wird trotz Berlusconis Attacken eher größer als kleiner (siehe Grafik). Manche Beobachter sehen in den immer schrägeren Auftritten des Tycoons nur noch Nervosität und Verzweiflung – etwa, wenn er bei unangenehmen Interview-Fragen aus dem Fernsehstudio stürmt.

Nach fortschreitender Paranoia klang es auch, als Berlusconi ausgerechnet den Unternehmerverband Confindustria – theoretisch sein ureigenster Verbündeter – von Kommunisten unterwandert wähnte. Die Wirtschaftsbosse hatten dem Ministerpräsidenten wegen seiner unerfüllten Reformversprechen das Vertrauen entzogen. Unternehmer, die die Linke unterstützen, müssten wohl „viele Leichen im Keller haben“, schimpfte Berlusconi vor den Industriellen. Er erntete dafür Buhrufe, und „Tod’s“-Edelschuhproduzent Diego della Valle vermutete ihn „am Rande eines nervlichen Zusammenbruchs“.

Während die „Casa delle Libertà“ lärmt und schreit, versucht Prodis „Unione“ gegen die „Hasstiraden der Rechten“, so der „Corriere della Sera“, anzuargumentieren. Romano Prodi, der pummelige Wirtschaftsprofessor und ehemalige EU-Kommissionspräsident, setzt Berlusconi Nüchternheit entgegen. Bei seinen Wahlkampfauftritten verzichtet er auf Pompöses und Fanfaren, sitzt stattdessen auf einer kleinen Bühne und lauscht den Fragen der Zuhörer. Prodi kultiviert das Image des Langweilers geradezu – wohl in der Hoffnung, dass sich Berlusconis Spiegelfechtereien gegen den Kommunismus von selbst als Farce entlarven.

Zu soft? Nicht allen in Prodis Lager behagt das. „Prodi reagiert viel zu soft auf die ständigen Provokationen“, moniert Emma Bonino, Ex-EU-Kommissarin und Spitzenpolitikerin der streng laizistischen Radikalen Partei, die Teil der Links-Union ist. „Wir müssen endlich mit der Hand auf den Tisch schlagen und laut ausrufen: Halt die Klappe, Berlusconi!“ Und Wahlforscher Renato Mannheimer kommentiert: „Prodi und Co sind davon überzeugt, dass man auf die rhetorischen Tiefschläge der Regierungspolitiker mit konkreten Aussagen reagieren müsse“ – eine Wahlkampfstrategie, „die nach hinten losgehen könnte, denn vielen Italienern gefällt der aggressive Berlusconi“, vermutet Mannheimer.

Das erste direkte Duell der beiden Kontrahenten hat bereits stattgefunden. 27 Prozent aller Fernsehzuschauer sahen beim Staatssender RAI, wie Berlusconis Positivpropaganda über seine Errungenschaften auf Prodis ruhige Analyse prallte. „Italiens Realität sieht erschreckend düster aus“, erklärte der Oppositionsführer. „Eine neue Regierung muss erst einmal grundlegende Reformen durchführen, denn derzeit versinkt das Land immer tiefer im Schlamm der Untätigkeit.“

Tatsächlich ist Italiens Wirtschaft in den fünf Jahren nach Berlusconis Amtsantritt 2001 in eine Krise geraten. Das Wirtschaftswachstum liegt bei null, die Industrieproduktion schrumpfte in fünf der sechs vergangenen Jahre. In puncto Wettbewerbsfähigkeit liegt Italien laut World Economic Forum mittlerweile hinter Spanien, Griechenland und Portugal und nur knapp vor Botswana. Die Staatsschulden liegen bei fast 110 Prozent der Wirtschaftsleistung, versprochene Investitionen in die Infrastruktur – darunter eine gigantische Brücke zwischen Sizilien und dem Festland – sind ausgeblieben.

Nur Berlusconi selbst machte gute Geschäfte. In nur elf Jahren – 1994 war er bereits für ein Jahr Ministerpräsident – hat sich der Wert seiner Unternehmen, zu denen Fernsehsender, Tageszeitungen, Zeitschriften und Buchverlage sowie Versicherungsgesellschaften und Kinos gehören, von drei auf rund neun Milliarden Euro verdreifacht. Die von Finanzminister Giulio Tremonti während Berlusconis erster Amtszeit ausgearbeiteten Steuerreformen und das jüngere Amnestiegesetz für Steuersünder sollen dem Berlusconi-Clan mehrere hundert Millionen Euro an Steuerersparnis gebracht haben.

Prodi-Sieg. Prodi gewann das TV-Duell, das zeigten alle Umfragen. „Schlecht, schlecht, schlecht“, murmelte Berlusconi laut einem anwesenden Journalisten, als er das Studio verließ. Im Moment der Schwäche fielen seine Alliierten über ihn her. „Eine versäumte Gelegenheit“, kritisierte Ferdinando Casini, Führer der Christdemokraten. Und Außenminister Gianfranco Fini von der rechten Alleanza Nazionale attackierte Berlusconi für sein Schönreden der Lage.

Aber auch Prodis Mitte-links-Lager ist alles andere als geeint. Elf Parteien tummeln sich unter seinem Banner, von moderaten Konservativen über die dominanten Linksdemokraten bis zu Kommunisten, die Anschläge auf italienische Soldaten im Irak für legitim halten. Romano Prodi selbst gehört keiner Partei an – was ihm das Regieren nach einem Wahlsieg erschweren könnte.

Trick. Prodis Sieg ist keinesfall sicher. Denn Berlusconi hat vor der Auflösung des Parlaments Ende Jänner noch einmal tief in die Trickkiste gegriffen und das Wahlrecht ändern lassen. Von der Rückkehr zum Verhältniswahlrecht, das Italiens Regierungen bis 1993 so chronisch instabil machte, profitiert das vergleichsweise geeinte Mitte-rechts-Bündnis unter der Führung von Berlusconis Forza Italia.

Außerdem hat der Regierungschef eine Schlussoffensive gestartet. Dieser Tage schickt Berlusconi schicke junge Männer in dunklen Anzügen ins Land. Stets zu zweit, überbringen sie dem Volk eine zeitschriftenähnliche Wahlbroschüre, in der Italien als rosiges Traumland vorgestellt wird, mit glücklichen Alten, deren Pensionen erhöht wurden, und mit jugendlichen Arbeitslosen, die gleich massenweise Ausbildungsplätze finden. „Ein Lügenblatt“, faucht Kommunistenchef Fausto Bertinotti.

Ob es wirkt, wird sich erst bei Wahlschluss weisen – denn bis dahin dürfen keine Umfragen mehr veröffentlicht werden. Und dann wird man auch wissen, ob man den Biss des gealterten Kaimans überhaupt noch fürchten muss.

Von Sebastian Heinzel und Thomas Migge, Rom