Jacht-Affäre: In bester Gesellschaft

K.-H. Grasser: Chronik eines sozialen Aufstiegs

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Kamerascheu war der jüngste Finanzminister Europas noch nie – auch nicht zu Beginn seiner rasanten Karriere: Es gibt eine Aufnahme, die ihn im Alter von 25 Jahren – er war eben zum Landeshauptmann-Stellvertreter in Kärnten gewählt worden – in seiner Klagenfurter Junggesellenwohnung zeigt. Verträumt lächelnd liegt Grasser auf seinem Doppelbett, über ihm, an der Zimmerdecke, ist ein Solarium montiert.

Damals, als Grasser noch „Hinze“ gerufen wurde, war eine gewisse sportliche Bräune einfach unabdingbar, wenn man zu Jörg Haiders Entourage gehören wollte.

Der Wörthersee-Gesellschaft ist Karl-Heinz Grasser mittlerweile längst entwachsen. Heute bräunt er sich auf Jachten und Privatstränden. Seine Entourage ist der internationale Jetset, in den er durch seine Heirat mit der Kristallerbin Fiona Swarovski sozusagen eingeheiratet hat.

Das kann schon mal mit seiner politischen Verantwortung als Finanzminister kollidieren. Grassers Freundschaft zu Julius Meinl, auf dessen Jacht er im vorigen Sommer zwei Tage vor der kroatischen Küste kreuzte, gemeinsam mit dem Karibik-Spekulanten Wolfgang Flöttl, wurde mehrmals parlamentarisch unter die Lupe genommen.

Eine Anfrage der Grünen zu einer Russlandreise Grassers am 8. und 9. Juni 2004 ergab, dass Grasser den Bankier Meinl zu zwei Terminen in Moskau mitgenommen hatte – als „Experten“, wie der Minister vage ausführte.

Für die Einladung auf die Meinl-Jacht rechtfertigte sich Grasser vergangene Woche im ORF: „Wenn man zu einem Abendessen eingeladen wird, an die obere Adria nach Kroatien, macht man einen Kurzabstecher hin und denkt sich nicht viel dabei.“

Grassers Reisen. Der Sittenkodex der Beamten liest sich wesentlich strenger: „Trennen Sie Dienstliches und Privates“, heißt es dort. „Stellen Sie sich die Frage: Wird eine Gegenleistung erwartet? – Die Einladung zu einem Abendessen ist beispielsweise eine Situation, die Sie hellhörig machen sollte.“

Grassers Neigung, sich von Freunden, mit denen er auch häufig in Wiener Innenstadtlokalen zu sehen ist (dem gleichaltrigen Stanislaus Turnauer etwa, Constantia-Vorstand), zu illustren Events einladen zu lassen, war in den vergangenen Jahren Anlass für mindestens zwei Dutzend parlamentarische Anfragen der Opposition gewesen.

Das betraf insbesondere auch Grassers Reise in den Schweizer Nobelkurort St. Moritz am 19. und 20. März 2004, auf Einladung der Constantia Privatbank. Er sei gebeten worden, dort einen Vortrag zur Steuerreform 2004/2005 zu halten, verteidigte sich Grasser im Parlament. Mit von der Partie waren auch Grassers Doktorvater Helmut Kofler und Lothar Späth, der zu Beginn der neunziger Jahre als Ministerpräsident von Baden-Württemberg zurücktreten musste, weil er sich von einem Unternehmer auf eine Jacht hatte einladen lassen.

Seine Teilnahme beim Formel-1-Grand-Prix im Fürstentum Monaco im Mai 2002 begründete der Finanzminister mit einem wichtigen Gedankenaustausch mit seinem monegassischen Amtskollegen Franz Biancheri über „Zinspolitik und Geldwäsche“. Dieser Teil der Reise sei von der Republik bezahlt worden, das Beiprogramm habe der österreichische Industrielle Peter König getragen, sagte Grasser in einer ersten Stellungnahme. Später präzisierte er, er habe den Großteil der Kosten aus eigener Tasche bezahlt, König habe nur ein Mittagessen spendiert.

Seit Amtsantritt steht der Finanzminister unter dem Verdacht, er erweise seinen Freunden gern Gefälligkeiten, um dafür bei Gelegenheit auf sie zählen zu können. Die kleinen Affären und größeren Peinlichkeiten, die ihn seit Jahren begleiten, sind auch das Spiegelbild eines sozialen Aufstiegs.

Im ersten Jahr als Finanzminister der schwarz-blauen Koalition war Grasser noch darauf angewiesen, seinen Dienstreisen ins Ausland große Bedeutung zu verleihen. Nach einem Kurztrip in die Vereinigten Staaten im Herbst 2000 ließ er verbreiten, die Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik, die ihn dort empfingen, hätten sich eingehend nach seinen Nulldefizit-Plänen erkundigt. „Erstmals habe Österreich einen Finanzminister, der sich auf internationalem Parkett bewegen könne, verlautbarte Grasser nach seiner Rückkehr.

Werbeträger. Zweifellos profitierte Grasser anfangs auch von einem gewissen Überraschungseffekt. Unter Haiders Ziehsohn hatte man sich etwas anderes vorgestellt, jedenfalls keinen jungen Mann mit guten Manieren, der pikiert die Augenbrauen hochzog, wenn er auf Haider angesprochen wurde.

In Österreich blieb die Anerkennung jedoch vorerst aus. „Mehr Schein als Sein“ hieß es im Kreis von ÖVP-nahen Wirtschaftstreibenden. Grassers erstes Doppelbudget wurde von namhaften Experten wegen mangelnder Strukturreformen, Wirtschaftsfeindlichkeit und massiver Belastungen für den unteren Mittelstand kritisiert.

Der Glamour ließ ebenfalls auf sich warten. Seit seiner Zeit bei Magna war Grasser mit Frank Stronach und Magna-Manager Siegfried Wolf befreundet, mit denen er sich am Golfplatz traf. Einmal fiel er unangenehm auf, weil es während einer „Othello“-Premiere in der Staatsoper aus seiner Loge knallte: Er hatte mit Stronach und zwei Damen eine Flasche Champagner entkorkt. Die Schuld für den parvenühaften Auftritt schob Grasser später auf seinen Freund Frank. Ein anderes Mal schwänzte er den Rat der europäischen Finanzminister, um die Hochzeit von Freunden nicht zu verpassen, die allerdings für die Klatschpresse noch nichts hergab.

Im Herbst 2001 glaubte sich Grasser in der politischen Landschaft bereits so weit etabliert zu haben, dass er sich das – nach Listenpreis – teuerste Dienstauto der Regierungsmannschaft zulegte, einen Audi A8 3,3 TDI mit diversen Extras.

Er zeigte sich häufig in Kleidungsstücken des US-Designers Tommy Hilfiger. Die Geschäftsführung spendierte ihm vier neue Anzüge. Im Gegenzug hielt Grasser bei der Eröffnung einer neuen Hilfiger-Filiale die Festrede. Vor dem Parlament rechtfertigte sich Grasser mit seiner „Verantwortung als Minister, die Kauffreude der Staatsbürger zu stimulieren“. Die Verantwortung dürfte indes längerfristig angelegt gewesen sein. Anfang Dezember 2005 fand sich Grasser zur Eröffnung des neuen Hilfiger-Stores am Wiener Kohlmarkt ein.

Bei Pressekonferenzen oder im Parlament griff Grasser auch gern zum Energy Drink Red Bull, dem Erfolgsprodukt seines Freundes Dietrich Mateschitz.

Marke KHG. Zu Grassers persönlicher Werbelinie gehörte eine Zeit lang auch eine Anstecknadel mit den Initialen KHG. „Diese Marke KHG war ein Selbstläufer, das wollte ich eigentlich nie“, erklärte Grasser in einem Interview 2003. Das habe sich so ergeben, der Pin sei „angefordert“ worden.

Im vergangenen Jahr wurde der Selbstläufer übrigens kräftig angeheizt. Über das „Corporate Design Handbuch“ bot das Finanzministerium seinen Mitarbeitern Logozuckerln, Luftballons, Schokolade-Naps, T-Shirts und Baseballkappen. Auf die so genannte „Zuckerl“-Anfrage der Grünen erklärt der Minister, er wolle „auf die Menschen in diesem Land proaktiv zugehen“. Er und seine Mitarbeiter seien sich „des Umstandes bewusst, dass ihr Erscheinungsbild ein wesentlicher Bestandteil der soziokulturellen Identität Österreichs ist“. Bis Ende 2005 wurden 90 Kilogramm Erdbeer-Sahne-Toffees und 5000 Schokotäfelchen unter das Volk gebracht.

Im Herbst 2002 tourte Grasser – zum Ärger der Wirtschaftskammer – in einer Roadshow vor österreichischen Unternehmern durchs Land, verbreitete gute Laune und ließ das Publikum über Steuersenkungen abstimmen. Bei der Abrechnung der KMU-Tournee zeigte sich, dass der Kontakt mit einem Selbstständigen im Schnitt mit 380 Euro aus Steuergeldern hatte subventioniert werden müssen.

Der Nutznießer dieses Auftrags (2,3 Millionen Euro), so stellte sich später heraus, war ein alter Bekannter aus Kärntner Tagen, Peter Hochegger, Inhaber einer Werbeagentur. Allerdings war die Roadshow öffentlich ausgeschrieben worden.

Im dritten Jahr seiner Amtszeit wurde Grasser von seiner Kärntner Vergangenheit eingeholt. Er hatte sich mittlerweile der ÖVP zugewandt und musste sich zahlreichen Misstrauensanträgen stellen. Die Opposition wollte etwa wissen, warum sein Ministerium so viele externe Berater beschäftigte (es ging um eine Summe von 27 Millionen Euro) und warum sich etliche Bekannte von Grasser darunter fanden, zum Beispiel Grassers Doktorvater Helmut Kofler, den Grasser zum Aufsichtsratsvorsitzenden der Austria Wirtschaftsservice GmbH und zum Generalrat der Notenbank ernannte; oder Grassers

„Nennonkel“ Burckhard Graf, der in die Aufsichtsräte des Bundesrechenzentrums und der Bundespensionskasse berufen wurde und Grasser gelegentlich seinen Porsche Cayenne überließ, mit dem Grassers zeitweilige Verlobte Natalia Corrales-Diez im März 2005 verunfallte.

Am 12. Juni 2003 brach die Homepage-Affäre aus. Eher nebenbei gab Grasser im Parlament zu, dass seine persönliche Website „privat und über Sponsoren finanziert“ wurde. Insgesamt hatte die Industriellenvereinigung (IV) eine Summe von 283.000 Euro an einen „Verein zur Förderung der New Economy“ überwiesen. Der Verein, dem Grassers Kabinettsmitarbeiter und Beamte seines Hauses angehörten, ließ für das Geld eine Homepage entwickeln, die mit Baby- und Jugendfotos von Grasser warb. Von den Homepage-Aufträgen profitierten wiederum eine Firma, in der ein Schulfreund von Grasser im Vorstand saß, die bereits bekannte Agentur seines Freundes Hochegger und andere Freunde. Grasser erklärte in der Folge, er habe mit dieser Homepage nichts zu tun. Sein Staatssekretär Alfred Finz meinte hingegen, die umstrittene Homepage „diente ausschließlich der Werbung als Minister und nicht der Privatperson. Das ist das Wesentliche.“

Grassers Dialektik. Im Parlament hörte sich das aus Grassers Mund so an: „Sie fragten: Wer hat Recht? Ich sage Ihnen natürlich aus voller Überzeugung: Beide! (…) Ich habe Ihnen gesagt, die Homepage ist privat (…) ich habe aber nie gesagt: Es ist meine private Homepage.“ Versteuert wurden die Gelder der Homepage weder von der IV noch vom Verein oder von Grasser selbst. Im Jänner 2006 kritisierte der Rechnungshof, die Steuerprüfung sei nicht ausführlich genug und vor allem nicht unbeeinflusst von Grassers weisungsgebundenen Beamten vonstatten gegangen.

Das Jahr 2004 endete für Grasser ebenfalls mit einem peinlichen Zwischenspiel. Während der Tsunami-Katastrophe urlaubte er mit seiner damaligen Verlobten Natalia Corrales-Diez in einem Luxus-Resort auf den Malediven. Zur Rechtfertigung, warum er angesichts der Katastrophe seinen Urlaub nicht abgebrochen habe, sagte Grasser, er sei von der Regierung der Malediven zum Bleiben gedrängt worden und habe wichtige Gespräche geführt. Später erfuhr man, dass lediglich ein offizielles Treffen – eine Dreiviertelstunde vor seinem Abflug am Flughafen in Male – stattgefunden hatte. An eine Aufforderung zu bleiben konnten sich maledivische Regierungsstellen nicht erinnern. Außerdem waren der Minister und seine Begleiterin von Austrian Airlines, die sich zu 40 Prozent in Staatseigentum befinden, von Economy auf Business Class upgegradet worden, ohne Aufpreis, versteht sich.

Der Popularität Grassers hat das alles kaum geschadet.

Im Dezember 2003 stellte die Schriftstellerin Marlene Streeruwitz in profil interessante Überlegungen zum Phänomen Grasser an: „Wohin sollen Aufsteiger hierzulande aufsteigen?“, fragte sie. „Der Kaiser fehlt. Früher. Da hätte er Baron werden können. Finanzminister sind damals einfach baronisiert worden. Aber so?“

Grasser hat einen Ausweg gefunden: die Gesellschaft der Schönen und Reichen, in der er es allemal zum Baron bringen wird.

Von Christa Zöchling