Im Bauch des Londoner O2-Centre, des ursprünglich für die britische Millenniums-Ausstellung gebauten futuristischen Kuppelbaus in einem windverwehten Winkel von Greenwich, herrschte am Montag vergangener Woche schon Stunden vor Beginn des Ahmet-Ertegün-Tribute-Konzerts reges Getümmel. Mehr als eine Million Menschen (wenn auch nicht 20 oder gar 120 Millionen, wie mancherorts kolportiert) hatte um Tickets für die Wohltätigkeitsveranstaltung zugunsten der Foundation Ertegüns, des 2006 verstorbenen Mitgründers von Atlantic Records, angesucht, nachdem die Kunde von der Wiedervereinigung seiner erfolgreichsten Schützlinge, Led Zeppelin, an die Öffentlichkeit gedrungen war. Während sich die aus allen Erdteilen angereisten glücklichen Gewinner der Lotterie um die 180 Euro teuren Karten zu geordneten Warteschlangen formierten, setzte eine endlose Prozession fetter Limousinen britische Pop-Größen aller Generationen von Paul McCartney, Mick Jagger und Dave Gilmour bis zu Oasis und den Arctic Monkeys vor den Schiebetüren des VIP-Eingangs ab.
Doch der Promi-Auflauf interessierte niemanden mehr, als pünktlich um neun die Herren John Paul Jones, Robert Plant, Jimmy Page und Jason Bonham (der Sohn des verstorbenen Original-Schlagzeugers John) die Bühne betraten. Die über die ganze Bühnenbreite gedehnte Videoleinwand zeigte einen Fernsehbericht aus dem Jahr 1973 über die Led-Zeppelin-Show in Tampa, Florida, die damals mit 49.000 Menschen den Zuschauerrekord der Beatles pulverisiert hatte. Wenn Sie an diesem Abend in Tampa beim Konzert gewesen sein sollten, hätte das dort so geklungen, sagte der Fernsehsprecher, und auf dieses Stichwort ließen Led Zeppelin ihren ersten Song Good Times, Bad Times vom Stapel. Bloß klang das keineswegs wie damals: Alles viel zu leise, die Gitarre blechern, der Bass wummernd, hin und wieder störte ungewolltes Feedback aus den Monitoren und Plant legte die Gesangsmelodie sicherheitshalber ein Register tiefer an. Ein unausgesprochener Hauch von Enttäuschung hing in der Luft zum letzten Mal an diesem Abend, denn nach einer bereits wesentlich runderen Version von Ramble On hatte die Band mit Black Dog ihren Groove gefunden. In den Slide-Gitarre-Passagen von In My Time of Dying fabrizierte Jimmy Page ein infernalisches Scheppern, und sein silbernes Haar klebte schweißnass an der Stirn.
Das sichtbare Altern eines Rockstars ist längst kein Makel mehr. Tatsächlich ist der Kurswert der Marke Led Zeppelin mit der Dauer ihrer physischen Abwesenheit seit dem Tod ihres Schlagzeugers vor 27 Jahren nur weiter gestiegen. Schuld daran ist nicht bloß eine Reihe hervorragend vermarkteter Remasters, Videos und DVDs, sondern vor allem die Verjährung der Punk-Revolte, die mit Rock-Megalomanen ihres Zuschnitts einst so hart abgerechnet hatte.
Niedlich. Aus dem abgeklärten, entideologisierten Blickwinkel der vom sexistischen Standardvokabular des Gangsta-Rap abgestumpften Gegenwart wirken einst viel diskutierte Zeilen wie Soul of a woman was created below aus Dazed and Confused inzwischen fast schon niedlich, ganz zu schweigen von der geradezu femininen Geschmeidigkeit des barbrüstigen Macho-Appeals eines Robert Plant. Die bösen Geschichten von im Drogennebel misshandelten Groupies haben sich in den Annalen der Rock-Geschichte in blumige Grotesken verwandelt, und der musikalische Nachlass lebt ohnehin in wurzelbewussten Rockbands wie den White Stripes weiter. Was bleibt, ist mehr denn je die Sehnsucht nach dem Geruch des Originals. Und den lieferten die neuen Led Zeppelin in Fülle, von der Live-Premiere von For Your Life über das funkige Trampled Underfoot, Nobodys Fault But Mine und No Quarter bis zu einer monumentalen Version von Since Ive Been Loving You.
Wie einst der Vater malträtierte Jason Bonham den eleganten Blues mit brutalen Trommelschlägen. Die Band hatte ihre Lautstärke bereits verdoppelt, als John Paul Jones zum chromatischen Riff von Dazed and Confused ansetzte. Jimmy Page malte dazu mit dem Geigenbogen düstere Feedbackwolken in den Laser-Nebel. Der einst so prätentiöse Virtuosengestus erschien plötzlich als liebenswerter Anachronismus erst recht, als bei Stairway to Heaven die alte weinrote Doppelhals-Gitarre zum Einsatz kam. Auf dem Videoschirm spiegelten sich die beiden Gitarrenhälse nach alter Rorschachtest-Manier ein Zitat aus dem Konzertfilm The Song Remains the Same (1976), vor dessen Titelnummer Plant mit ausgebreiteten Armen ein herzhaftes Hey Ahmet, we did it! in die Menge rief. Robert Plant, der ja vor der Show wenig Lust zur Bewerbung seiner untoten Ex-Band zeigte, war sichtlich in Fahrt gekommen.
Nach dem (ersten) Finale mit Kashmir begleitete Zugabengebrüll den Abgang der Band. Sie ließ sich nicht lange bitten und spielte, worauf jeder im Saal schon wartete: Whole Lotta Love. Plants Stimme stieß bereits hörbar an die Grenzen ihrer Kondition, aber nachdem die 18.000 Zuseher Led Zeppelin zu einer zweiten Zugabe genötigt hatten, trug ihn das Adrenalin noch durch eine ausgelassene Version des Songs Rock n Roll. Besser hätte der Abend nicht laufen können.
Von Robert Rotifer, London