Jubiläum. 25 Jahre 'ImPulsTanz'

Der Boom und die Grabenkämpfe

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Das alljährliche Wiener Tanzfestival ImPulsTanz stellt alle Beteiligten auf eine harte Probe, nicht nur jene, die auf der Bühne die Gesetze der Schwerkraft elegant aus den Angeln heben. Viele Sprechbühnen, darunter auch das Burgtheater mit seinem ­unklimatisierten Zuschauerraum, haben während der Sommermonate geschlossen: Schiller und Schwitzen vertragen sich nicht. Tanzfans scheinen hingegen ein entspannteres Verhältnis zu Körperausdünstungen entwickelt zu haben.

Das renommierte Tanzfest (Budget: fünf Millionen Euro, davon rund 50 Prozent Eigendeckung) ist heute – neben dem Kino-festival Viennale und der Bühnenleistungsschau Wiener Festwochen – eine der kulturellen Großveranstaltungen der Stadt. 47 Kompanien werden dieses Jahr 84 Vorstellungen bestreiten, angeboten werden zudem 208 Workshops, Coaching-Projekte und Stipendienprogramme: Nach den EURO-Fans werden bis August junge Tänzerinnen und Tänzer aus aller Welt die Stadt überschwemmen – und dafür sorgen, dass ImPulsTanz das wohl bewegungsfreudigste Publikum vorzuweisen hat (Programm siehe Kasten). Vor 25 Jahren rief der ehemalige Betriebswirt und nunmehrige Intendant Karl Regensburger das Festival ins Leben (Workshops wurden bereits ab 1983 auf der Schmelz angeboten). ImPulsTanz ist bis heute eine Erfolgsgeschichte: Die Auslastungszahlen liegen jedes Jahr bei rund 98 Prozent.

„Das Festival hat seit Bestehen zwar internationale Trends präsentiert. Eigene Tendenzen wurden jedoch nie gesetzt. Eine experimentelle Öffnung war erst in den letzten Jahren zu beobachten“, kritisiert der in Wien lebende Tänzer und Performer Daniel Aschwanden die programmatische Ausrichtung der Tanzwochen. Zwar hat sich die Nachwuchsreihe „[8:tension]“ als experimentelles Spielfeld etabliert, daneben setzt Regensburger aber seit je auf ein breit gefächertes Best-of-Programm. „ImPuls steht für Tanz als Genuss, während das Tanzquartier für spröde, sperrige, diskursive Formen bürgt“, spitzt Choreografin Christine Gaigg den Sachverhalt zu. Wird mitunter Kritik laut, dass renommierte Stammgäste auch mit mittelmäßigen Arbeiten eingeladen würden, schlägt sich Intendant Regensburger – durchaus gegen sein Publikum – demonstrativ auf die Seite der Choreografen: „Ich zeige auch missglückte Arbeiten, wenn ich finde, dass dieser Auftritt für den Künstler wichtig ist.“

Es ist innerhalb der Branche ein offenes Geheimnis, dass Regensburger und Tanzquartier-Chefin Sigrid Gareis nicht gut aufeinander zu sprechen sind – beileibe nicht der einzige Unruheherd in einer boomenden Szene, die sich zwar ständig mit ihrem hohen Grad an Vernetzung brüs­tet, zugleich jedoch einiges Konfliktpotenzial aufweist. Manches davon mag seinen Ursprung darin haben, dass Tanz hierzulande noch immer in den Kinderschuhen steckt – zugleich aber auf eine durchaus komplexe regionale Entwicklungsgeschichte verweisen kann.

Einzelkämpfer. Professionelles Tanzgeschehen entwickelte sich in Österreich vergleichsweise spät – erst Mitte der siebziger Jahre war ein Wiedererwachen des freien Tanzes zu beobachten. An die reiche expressionistische Tradition der zwanziger Jahre, in der NS-Zeit verfemt, knüpfte man nach 1945 kaum an – damals stand repräsentatives klassisches Ballett hoch im Kurs. Es verwundert nicht, dass in einem Land, das sich traditionell als Musik- und Theatergroßmacht positioniert, der zeitgenössische Tanz lange als bloßes Anhängsel betrachtet wurde. Mit der Eröffnung des Tanzquartiers anno 2001 wurde zumindest ein wichtiger internationaler Trend nicht verschlafen: Damals wurden in ganz Europa ähnliche Häuser gegründet.

Das Tanzquartier (Budget 2008: rund 3,3 Millionen Euro) leitete in Folge einen längst notwendigen Normalisierungsprozess ein: Aus einer eher isoliert agierenden Einzelkämpferszene wurde eine auch international beachtete Tanzlandschaft mit künstlerisch höchst unterschiedlichen Handschriften. „Die heimische Szene kann durchaus international mitspielen“, sagt Michael Stolhofer, Leiter der innovativen Salzburger Sommerszene, die in den achtziger Jahren Trendsetter wie La La La Human Steps und Wim Vandekeybus erstmals in Österreich präsentierte: „Nach Brüssel und Berlin ist Wien mittlerweile eine der wichtigsten Tanzstädte in Europa.“ Thomas Frank und Haiko Pfost vom neuen Koproduktionshaus brut bestätigen den Boom: „Wir waren positiv überrascht, dass hier mit einem Tanzbegriff gearbeitet wird, der sehr weit und performativ ist, und uns war schnell klar, dass wir den künstlerisch innovativsten Teil der Wiener Szene nicht ausschließen wollen.“

Wie die jüngsten Programme von Tanzquartier und brut zeigen, sind die Grenzen der Tanzkunst hin zur Performance – bisweilen sogar zum Theater – fließend. Zurzeit zeichnet sich inmitten der Vielfalt eine neue Entwicklung ab: Nach Jahren der minimalistischen Konzeptkunst, die sich durchaus sperrig über Semiotik und Repräsentation den Kopf zerbrach, wird Bewegung wieder zum Thema. Die österreichische Choreografin Doris Uhlich, Jahrgang 1977, erforscht etwa den Bewegungskanon des klassischen Balletts mit zeitgemäßen – und durchaus theatralischen – Mitteln. Steht die Institution Tanzquartier einerseits für internationale Vernetzung, sorgte sie andererseits wiederholt für lokale Irritationen. Historisch gewachsene Streitpunkte sind jüngst, im Zuge der diskutierten Vertragsverlängerung von Intendantin Sigrid Gareis, erneut aufgebrochen. Der Hintergrund: In den neunziger Jahren setzten sich einige Pioniere der heimischen Szene – darunter Sebastian Prantl (Tanz Atelier Wien), Manfred Aichinger (Homunculus) oder Elio Gervasi (Tanz Company Gervasi) – für die Gründung eines „Tanzhauses“ ein. Man forderte einen Ort von der Szene für die Szene. Der damalige Wiener Kulturstadtrat Peter Marboe sprach sich jedoch gegen ein basisdemokratisch geführtes Modell aus, zugunsten einer Organisationsstruktur mit Intendantenposten. Gareis, die erste Leiterin des neu gegründeten Tanzquartiers, nahm ihren Job als Kuratorin ernst: Nicht jeder aus der heimischen Szene war in ihrem Programm automatisch vertreten – was anfangs gerade bei den einstigen Vorkämpfern, die nicht geladen wurden, für erheblichen Zwist sorgte.

Machtverhältnisse. Problematisch ist allerdings, dass sich hoch geförderte Choreografen wie Prantl (sein Tanz Atelier Wien erhielt von der Stadt Wien im Vorjahr 105.000 Euro) und Gruppen wie Homunculus (Subvention 2007: 123.000 Euro) nach wie vor als Opfer einer vermeintlich falschen kulturpolitischen Entscheidung hochstilisieren – und eine vollständige Verschiebung der Machtverhältnisse einfordern: Künstler statt Intendanten. Daniel Aschwanden sowie weitere namhafte Kunstschaffende warnen indes vor der „Gefahr des Heraufdämmerns einer neuen Biederkeit“, sollte die Kulturpolitik den Rückgriff auf die Lösung der Mitsprache aller Beteiligten erwägen.

Der Vertrag von Tanzquartier-Chefin Gareis wurde kürzlich nicht verlängert. 22 Bewerbungen für ihre Nachfolge sind inzwischen im ressortzuständigen Kultur­amt der Stadt Wien eingegangen – keine allzu beeindruckend hohe Zahl; dreimal so viele Interessenten reichten ihre Konzepte ein, als die Führungsposition des Tanzquartiers erstmals ausgeschrieben wurde. Auf Gareis’ Nachfolger wartet zwar ein international bestens platziertes Haus, das in Sachen Theorie einen hervorragenden Ruf genießt, aber eben auch einige strukturelle Probleme. Das Tanzquartier wird etwa als einzige Kulturinstitution der Stadt gleich zwei Gremien zur Evaluierung unterstellt: Kontrollfunktionen üben sowohl die zur Belebung der Szene von Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny ins Leben gerufene Theaterreform als auch ein eigenes Tanzkuratorium aus. Ein weiteres Problem ist nach wie vor virulent: Für einen lückenlosen Tanzbetrieb müssen die Museumsquartier-Spielorte Halle E und Halle G mit enormem Verwaltungsaufwand angemietet werden. Dazu die scheidende Intendantin: „Unter den derzeitigen Bedingungen kann man den Job niemandem richtig empfehlen, umso wichtiger ist eine starke Nachfolge.“