Jubiläum: Baustelle in progress

Zehn Jahre nach der EU-Volksabstimmung

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Die frühere SPÖ-Europa-Staatssekretärin Brigitte Ederer fühlte sich nicht wohl in ihrer Haut. Da saß die nunmehrige Siemens-Vorstandsdirektorin am vergangenen Freitag als Teilnehmerin einer ÖVP-Veranstaltung zum 10. Jahrestag der EU-Volksabstimmung im Wiener Siemens-Forum und musste sich gleich zu Beginn böse Attacken von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel gegen die SPÖ anhören. Seine Kritik betraf genau die Losungen, mit denen Ederers Lebensgefährte Hannes Swoboda zurzeit als SPÖ-Spitzenkandidat für die Europawahlen landesweit um Stimmen wirbt.

Vor allem die Behauptung der Roten, die EU wolle heimische Wasserressourcen privatisieren, ärgerte den Kanzler. „Da wollen manche bewusst Angst einflößen“, grollte Schüssel und verwies darauf, dass kein anderer als er selbst im EU-Vertrag von Nizza das Einstimmigkeitsprinzip für die „Daseinsvorsorge“ wie Gesundheit und Wasser durchgesetzt habe. Ohne Zustimmung Österreichs laufe gar nichts. „So wie man den Scheichs die Ölquellen nicht wegnehmen kann“, so würden die Österreicher ihr „nasses Gold“ beschützen.

Ederer, die Ende Februar 1994 gemeinsam mit ihren Regierungskollegen Alois Mock (Äußeres), Ferdinand Lacina (Finanzen), Viktor Klima (Verkehr), Wolfgang Schüssel (Wirtschaft) und Franz Fischler (Landwirtschaft) in der Schlussrunde drei Tage lang rund um die Uhr den Beitrittsvertrag ausgehandelt hatte, blieb gelassen. „Wir haben alles richtig gemacht“, beteuerte sie. Zur EU-Mitgliedschaft habe es keine Alternative gegeben. „Wenn wir damals nicht beigetreten wären, hätten wir uns jetzt mit den Reformstaaten hinten anstellen müssen. Da hätten die Österreicher erst recht gejammert.“

Zehn Jahre nach der EU-Volksabstimmung, bei der zwei Drittel für den EU-Beitritt stimmten, zählen die Österreicher heute zu den größten Europa-Skeptikern. Laut jüngster Eurobarometer-Umfrage sind 29 Prozent der Österreicher der Meinung, dass die EU-Mitgliedschaft eine „schlechte Sache“ sei (siehe Grafik). Nur die Briten und Dänen sind ähnlich pessimistisch eingestellt.

„Es gibt eine diffuse Europaverdrossenheit“, ortet Erhard Busek, der vor zehn Jahren bei der Feier nach dem Referendum im Überschwang der Gefühle gemeinsam mit den SPÖ-Genossen die „Internationale“ sang.

Schweizer Problem. Schuld an der miesen Stimmung seien Politiker, die allzu oft die Schuld für unangenehme Entscheidungen der EU anlasteten. „Sie vergessen dabei gern, dass sie alles in Brüssel mitentschieden haben“, so Busek. „Das ist so, wie früher Landtagswahlen gegen Wien gewonnen wurden. Jetzt schimpft man halt auf Brüssel.“

Ohne EU-Mitgliedschaft hätte Österreich niemals die ökonomischen Vorteile der Osterweiterung so gut lukrieren können, meint Busek. „Und wir hätten das Problem der Schweizer, die mühsam jede Teilnahme an EU-Projekten ausverhandeln müssen.“

EU-Kommissar Franz Fischler zeigte bei der ÖVP-Veranstaltung auf, dass die Schweiz oder Norwegen heute für die Teilnahme am EU-Binnenmarkt „einen hohen Preis zahlen müssen“: durch hohe Nettozahlungen ins EU-Budget und durch nachträgliche Übernahme von EU-Gesetzen ohne Mitsprache.

Fischler forderte, das parteiübergreifende Vertreten von österreichischen Interessen zu bewahren. „Österreich ist in Brüssel immer nur dann stark, wenn es mit einer Stimme spricht.“

Derzeit jedoch gibt es viele Stimmen, und sie sprechen alle gegeneinander. SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer wirft der Regierung vor, „substanzielle Dinge“ verschlafen zu haben. „Seit 2000 hat Österreich ein unterdurchschnittliches Wirtschaftswachstum, den steilsten Anstieg der Arbeitslosigkeit und den niedrigsten Reallohnzuwachs in der EU, weil Schüssel den falschen neoliberalen Kurs verfolgt.“

In der Transitfrage habe sich die schwarz-blaue Regierung schon wegen des ständigen Auswechselns von Verkehrsministern nicht durchsetzen können. Und bei der Wasser-Privatisierung seien die SPÖ-Warnungen durchaus berechtigt: Im EU-Parlament würden konservative Abgeordnete die Liberalisierung der Wasserversorgung und der Spitäler befürworten.

Der freiheitliche Klubobmann Herbert Scheibner wirft ÖVP und SPÖ heute vor, den EU-Beitritt schlecht ausverhandelt zu haben. „Es wurde damals viel zu schnell überall nachgegeben. Wir hätten die Neutralität und den Transitvertrag als permanente Lösung durchsetzen müssen.“

Der grüne Spitzenkandidat Johannes Voggenhuber, der 1994 gegen den EU-Beitritt gestimmt hat, ist heute überzeugter Europäer. Er wirft Schüssel vor, in der Debatte über die neue EU-Verfassung halbherzig vorgegangen zu sein: „Anstatt das demokratische Prinzip zu stärken, kämpft Schüssel lieber um einen Kommissar pro Land.“

Aus heutiger Sicht sei der EU-Beitritt Österreichs aber die richtige Entscheidung gewesen, räumt Voggenhuber ein. „Wir Grüne hatten damals die Illusion, die EU von außen verändern zu können.“

Marathon. Österreichs Weg in die EU war kurvig und mühsam. Wie man europäische Politik macht, mussten heimische Politiker erst lernen. Der wesentliche Bestandteil von erfolgreichem EU-Lobbying, das rechtzeitige Schmieden von Allianzen mit gleichgesinnten Regierungen, wurde oft missachtet.

Dies galt bereits für die Beitrittsverhandlungen. Ende Februar 1994 kam es zu drei Tage dauernden Marathon-Verhandlungen in Brüssel unter griechischem EU-Vorsitz. Bei den für Österreich so wichtigen Themen Landwirtschaft, Transit, Zweitwohnsitze spießte es sich gewaltig. Vor allem beim Transit wurde den künftigen EU-Partnern nicht rechtzeitig erklärt, warum die Verkehrsfrage oberste Priorität hatte.

Außenminister Alois Mock – gesundheitlich angeschlagen – drohte sogar mit Abreise aus Brüssel. In einer nächtlichen Pressekonferenz klagte er über „böse Geister“ in der EU. Doch schließlich kam es zur Einigung. Landwirtschaftsminister Franz Fischler verzichtete auf Übergangsfristen und stimmte dem sofortigen Beitritt ins niedrige EU-Preissystem zu. Dass es heute den heimischen Bauern insgesamt besser geht, liege auch daran, dass Österreich immerhin fast ein Zehntel der EU-Gelder für die Entwicklung ländlicher Gebiete kassiere, erklärt Fischler heute.

Verkehrsminister Viktor Klima musste den 1991 ausgehandelten Transitvertrag retten. Erst ein Anruf von Bundeskanzler Franz Vranitzky beim französischen Staatspräsidenten François Mitterrand verhinderte das französische Veto. Dafür schluckte Klima die Reduktion der Laufzeit von zehn auf neun Jahre.

Bei den Zweitwohnsitzen schlug Staatssekretärin Brigitte Ederer eine fünfjährige Übergangsfrist heraus. Honoriert wurde ihr Einsatz nicht: Die ÖVP verhinderte, dass Ederer zur Unterzeichnung des Beitrittsvertrags auf Korfu mitfuhr.

Blutschokolade. Mit dem positiven Schwung der „Helden von Brüssel“ ging die SPÖ/ÖVP-Regierung in die Kampagne für die Volksabstimmung. Nur FPÖ und Grüne lehnten einen EU-Beitritt ab. Der damalige FPÖ-Chef Jörg Haider zog alle Register: So warnte er vor angeblich aus Tierblut hergestellter Schokolade und vor einem spanischen Joghurt, in dem Schildläuse enthalten seien. Nach dem EU-Beitritt würden – so Haider – Horden von portugiesischen Bauarbeitern nach Österreich strömen.

Am 12. Juni 1994 stimmten trotzdem 66,5 Prozent der Österreicher für den EU-Beitritt. So viel Zustimmung schaffte später weder Schweden noch Finnland. Die Norweger lehnten den Beitritt sogar mit knapper Mehrheit ab.

Als neues Mitglied organisierte Österreich 1998 eine etwas mut- und inhaltslose EU-Präsidentschaft und fiel in Brüssel eher durch Einzelkämpfertum als durch Initiativen auf.

Einen schweren Dämpfer stellten die Sanktionen gegen die schwarz-blaue Regierung im Jahr 2000 dar. Die erzielten wirtschaftlichen Vorteile rückten zeitweise in den Hintergrund. „Wirtschaftlich gesehen, zählt Österreich zu den klaren Gewinnern in der EU“, jubelt Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl. „Allein unsere Exporte sind seit 1995 um das Doppelte gestiegen.“

ÖGB-Chef Fritz Verzetnitsch sieht die Bilanz ebenfalls positiv. Über 70.000 neue Arbeitsplätze seien seit 1995 in Österreich entstanden. Nur der Anstieg der Arbeitslosigkeit bereitet ihm Sorgen, obwohl Österreich im EU-Vergleich mit 4,4 Prozent derzeit die niedrigste Quote aufweist.

Erhard Busek, heute Koordinator des Balkan-Stabilitätspaktes, bleibt optimistisch. Vor allem jüngere Leute hätten erkannt, dass die „Baustelle Europa“ aktiv mitgestaltet werden könne. „Als ich 1989 Wissenschaftsminister wurde, studierte nur ein Prozent unserer Studenten im Ausland. Heute sind es dank EU-Förderprogrammen schon 20 Prozent.“