David Cameron verschreibt den Briten einen harten Sparkurs

Jungmännerwirtschaft

Großbritannien. Der Konservativen-Chef surft trotzdem auf einer Popularitätswelle

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Von Robert Misik

Die Gastgeber staunten nicht schlecht, als David Cameron Ende Juli zu seinem Antrittsbesuch als britischer Premier in Washington einflog. Ein US-Präsident reist stets standesgemäß mit seiner Boeing-Maschine mit der Aufschrift „Air Force One“, doch der Gast aus London kam ohne großen Repräsentationsaufwand. Mitten unter Geschäftsreisenden und Touristen in Badelatschen machte sich der neue Regierungschef in einer Linienmaschine der British Airways auf den Weg über den Großen Teich.

Das ist vielleicht etwas unbequem, dafür hat der Premier 200.000 Pfund (rund 240.000 Euro) eingespart. Der Regierungschef macht vor, wie haushalten geht – eine gute Presse ist damit garantiert.

Gerade einmal drei Monate ist Cameron nun im Amt, und die Kommentatoren reiben sich die Augen. Der bubenhafte, schlaksige Konservativen-Chef, den viele für ein politisches Leichtgewicht hielten, hat einen ziemlich guten Lauf. Er strotzt vor Charme und Selbstbewusstsein, sagt gerade Sätze wie ein normaler Mensch, ohne Spin-Doktoren-Wortkaskaden; die Sympathien fliegen ihm zu. Und das, obwohl er den Briten ein brutales Sparprogramm zumutet. „Das Milchgesicht Cameron hat sich mit erstaunlicher Geschwindigkeit in eine Figur mit Premierminister-Qualität verwandelt“, so der PR-Berater David Marsh.

Die meisten Regierungsbehörden müssen ihre Budgets um ein Drittel zusammenkürzen, teilweise werden bis zu 40 Prozent weggesäbelt. Im öffentlichen Dienst soll es einen Lohnstopp geben, die Mehrwertsteuer um 2,5 Prozent erhöht werden, das Innenministerium muss 20.000 Polizistenstellen streichen. Behinderte werden zur Gesundheitsprüfung einbestellt, um ihre Bedürftigkeit testen zu lassen. Im Finanzministerium wurden die Schokoladenkekse zum Afternoon Tea abgeschafft, und das „Office of Information“ wandte sich mit einer Information an seine eigenen Mitarbeiter. 287 Jobs – beinahe jede zweite Stelle – werden gestrichen. „Kein Land steht schlechter da als wir“, sagte Cameron im Kreis der G20-Regierungschefs. Darüber ließe sich zwar streiten, aber mit einem Haushaltsdefizit von mehr als zehn Prozent hat der Premier gute Argumente für seinen Sparkurs.

Politische Zwillinge.
Cameron hat auf paradoxe Weise seine Schwäche zu einer Stärke gemacht – fast wie ein Judoka. Weil die Konservativen die absolute Mehrheit bei den Unterhauswahlen deutlich verfehlten, musste der 43-jährige Parteichef eine Koalitionsregierung bilden – was wegen des Mehrheitswahlrechts, das die großen Parteien privilegiert, in Großbritannien praktisch nie vorkommt. Erstmals seit 1974 hatte die stärkste Partei keine Regierungsmehrheit. Cameron musste mit den Liberaldemokraten von Nick Clegg koalieren. In nur fünf dramatischen Tagen – während denen die Liberalen auch noch parallel mit Wahlverlierer Gordon Brown und New Labour verhandelten – wurden im Eilverfahren Regierungsprogramm und Ämter ausgeknobelt. Seither gelten Cameron und Clegg, die einander verblüffend ähnlich sehen, als politische Zwillinge. „Gäbe es nicht den Begriff der Koalition“, ulkte ein Kommentator, „man hätte ihn für diese beiden 43-Jährigen erfinden müssen.“

Vor allem Cameron profitiert von der Liaison.
Denn der Premier, der erst vor knapp fünf Jahren zum Tory-Chef gekürt worden war, ist ein pragmatischer Modernisierer an der Spitze einer im Kern immer noch stockkonservativen Rechtspartei. Die hartleibigen Ultras in seiner Truppe kann er durch die Koalition mit den progressiven Liberalen geschickt neutralisieren. Cameron gibt als Koalitionspremier den Mann der Mitte. Steuererleichterungen für die Reichen etwa, wie sie sich Fans der Ex-Ministerpräsidentin Margaret Thatcher erträumten, stehen auch nicht auf der Agenda der Regierung. Die Einkommensteuer für Spitzenverdiener wird nicht gesenkt – der Spitzensteuersatz soll sogar von 40 auf 50 Prozent erhöht werden. In Umfragen liegen die Konservativen bei 40 Prozent, nicht nur der Premier hat hohe Popularitätswerte, auch der Sparmeister der Regierung – Finanzminister George Osborne – hat 60 Prozent der Briten auf seiner Seite.

„Cameron hatte einen eindrucksvollen Start, aber es ist nicht mehr als ein Start“, kommentiert der „Guardian“. Noch sind die Wähler vom entschlossenen Sparwillen der Regierung beeindruckt. Schließlich wurde die New-Labour-Regierung nach 13 Jahren an der Macht nicht zuletzt deshalb abgewählt, weil ihr die Bürger nicht zutrauten, die Budgetdefizite von bis zu zwölf Prozent in den Griff zu kriegen, die nach der Finanzkrise gleichsam explodiert waren. Doch die britische Wirtschaft wird nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds auch dieses Jahr nur um 1,2 Prozent wachsen. Experten fürchten, das harte Sparpaket könnte das Land in eine neue Rezession stürzen. Aber selbst wenn es nicht so schlimm kommt: Mit den Sympathie-Höhenflügen der Regierung könnte es schnell vorbei sein, wenn viele Bürger die Kosten des Sparkurses spüren. „Die Bürger unterstützen unser Programm der fiskalischen Verantwortlichkeit“, meinte unlängst ein Minister hinter vorgehaltener Hand. „Aber sie werden gleichzeitig die Konsequenzen hassen.“

Thatcherismus ade.
Mit leisen Tönen versucht Premier Cameron, den Bürgern den Sparkurs schmackhaft zu machen, zu beteuern, dass seine Regierung den Leuten nicht nur etwas wegnimmt, sondern auch etwas gibt. Aber allzu vollmundige Parolen von „Mehr privat, weniger Staat“ würden angesichts des Desasters, das unter diesem Motto in den vergangenen Jahren angerichtet wurde, nicht besonders gut ankommen. So wird der Sparkurs, der Regierungsbehörden und den Sozialverwaltungen aufoktroyiert wird, als eine Art Verwaltungsreform verkauft, welche die „Überzentralisierung“ bekämpft – „die Macht“ werde „von der Regierung an die Kommunen und die Menschen zurückgegeben“. Man spare nicht einfach, man habe ein Gesellschaftsmodell vor Augen, eine „Great Society“ – so Premier Cameron unlängt pathetisch –, in der die Bürger nicht auf den Staat vertrauen, sondern sich gegenseitig helfen, mit einer starken Zivilgesellschaft. Philanthropie, soziales Handeln – der „progressive Konservativismus“, den Cameron heraufbeschwört, ist mit mehr als einer Prise Sozialromantik gewürzt. Klar, das ist PR, um die drastischen Einsparungen im öffentlichen Sektor zu behübschen. Aber Camerons Rhetorik zeigt auch, wie weit sich der neue Tory-Premier von dem Konservativismus der Thatcher-Ära entfernt hat. Cameron will eine „großartige Gesellschaft“. Thatcher hatte noch behauptet, die „Gesellschaft“ gebe es nicht, nur einzelne Individuen, die in Konkurrenz zueinander stünden.

Ausruhen darf sich Cameron auf seinen Zustimmungsraten schon aus einem Grund nicht: Sie gehen vor allem auf Kosten seines Koalitionspartners. Die Liberaldemokraten hatten bei den Wahlen – gemessen an ihren Erwartungen – enttäuschende 23 Prozent der Stimmen geholt und sind seither in den Umfragen auf rund 17 Prozent abgestürzt. Die oppositionelle New Labour Party, die gegenwärtig nicht einmal über einen Vorsitzenden verfügt, hat auf 38 Prozent aufgeholt und liegt nur zwei Prozentpunkte hinter den Torys.

Ganz verwunderlich ist das nicht:
Die Partei von Nick Clegg ist keine wirtschaftsliberale Partei vom Zuschnitt der deutschen FDP, sondern eine eher sozialliberale Nonkonformistentruppe. Ihr Wählerreservoir besteht nicht unwesentlich aus idealistischen Postmodernisten, vergleichbar jenem der österreichischen Grünen. Diese Wähler verübeln der Partei die Koalition mit den Konservativen, lieber hätten sie ein Bündnis mit der Labour Party gesehen. Vier von zehn liberaldemokratischen Wählern bereuen ihr Votum mittlerweile.

Mittelwegsgefährten.
Aber auch in dieser Hinsicht könnte gelten: Die Schwäche der Regierung verwandelt sich in eine Stärke. Bei vorzeitigen Neuwahlen wäre den Torys keine Mehrheit sicher, für die Liberaldemokraten könnten sie dagegen in einem Desaster enden. Das dürfte die beiden Koalitionsparteien aneinanderschmieden. Cameron, der am linken Flügel der Konservativen steht, und Clegg, der eher den rechten Flügel der Linksliberalen repräsentiert, werden in trauter Eintracht als Mittelwegsgefährten versuchen, fünf Jahre durchzuregieren. Schon das ist ein erstaunliches Novum in der britischen Politik. Während es in koalitionsgeübten Ländern wie Deutschland oder Österreich in den Regierungen dauernd knirscht und knarrt, trübt kein Zank das Londoner Jungmännerbündnis.

Schnell brutale Einschnitte vornehmen, den Schwung der ersten Monate nützen, denn schwierig wird es noch früh genug: So könnte man die Agenda der Regierung zusammenfassen. Selbst bei den Liberaldemokraten sieht man den Absturz in den Umfragen noch einigermaßen locker. „Sie denken, wir sind jetzt unpopulär? Na, dann warten Sie erst mal darauf, was in einem Jahr sein wird“, scherzte unlängst Energieminister Chris Huhne.