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Justiz: Vor dem Scherbengericht

Vor dem Scherbengericht

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Ein Statut gibt es schon. Einen Gerichtssaal auch: Im ehemaligen Museum für Geschenke an Saddam wurde extra dafür ein Raum umgebaut – samt Holzkäfig für den oder die Angeklagten. Viel mehr hat der neue irakische Sondergerichtshof für Verbrechen des Saddam-Regimes allerdings noch nicht zu bieten. Richter und Staatsanwälte müssen erst ernannt, Anklageschriften vorbereitet, eine Haftanstalt für die Delinquenten muss noch gebaut werden.

Nach Willen der USA und der irakischen Übergangsregierung soll sich Saddam Hussein schon bald vor diesem Gericht für seine Verbrechen am irakischen Volk verantworten müssen. Ob den Angeklagten unter den derzeitigen Bedingungen überhaupt ein fairer Prozess garantiert werden kann, ist freilich keineswegs gesichert. Manche Beobachter – und keineswegs bloß Sympathisanten des gestürzten Diktators – befürchten ein Scherbengericht mit persönlich motivierten Abrechnungen.

„Die Angeklagten erhalten faire Prozesse, unter Einhaltung internationaler Standards“, versicherte der Vorsitzende des provisorischen Regierungsrates, Abdulaziz al Hakim, bei der Präsentation des Statuts. Der Gerichtshof, vor dem sich außer Saddam hunderte hochrangige Funktionäre des Regimes verantworten sollen, arbeitet auf der Grundlage des irakischen Strafrechts, aus dem repressive Bestimmungen gestrichen wurden. Das Personal wird irakisch sein, bestenfalls werden internationale Experten als Beobachter zugelassen.

Menschenrechtsorganisationen wie „Human Rights Watch“ verweisen auf Mankos. Im heutigen Irak fehle es an der Expertise, um derart komplexe Gerichtsverfahren abzuwickeln. Neben den auch vom Völkerrecht geächteten Tatbeständen (Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit) soll das Tribunal – unter Berufung auf das irakische Strafrecht – auch eher dubiose Straftatbestände wie „Aggression gegen ein anderes arabisches Volk“ oder „Veruntreuung nationalen Eigentums“ ahnden. Befangenheitskriterien für die Richter und Ankläger fehlen. Auch bindet das Statut das Tribunal eng an den im Juli von den Amerikanern eingesetzten Regierungsrat. Alle Richter der zehn Senate und der Berufungskammer sowie alle Ankläger werden vom Regierungsrat vorgeschlagen und ernannt. Der relativ unabhängige Oberste Justizrat wird lediglich konsultiert. Ausländische Experten hatten für eine stärkere Rolle des Justizrates plädiert.

Richter unter Druck. Schon in den ersten Tagen nach der Verhaftung Saddams wurde klar, unter welchem enormen Druck die Richter bei einer zukünftigen Verhandlung stehen werden.

US-Präsident Bush machte keinen Hehl daraus, welches Urteil er sich wünscht. Bush nahm das Wort „Todesstrafe“ zwar nicht in den Mund, aber als er von der „ultimativen Strafe“ für „einen ekelerregenden Tyrannen“ sprach, wusste jeder, was damit gemeint war. Europäische Politiker und UN-Generalsekretär Kofi Annan protestierten, aber wie schon beim Krieg werden sie auch bei Saddams Schicksal nicht viel mitzureden haben. Seine Auslieferung an den neuen Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag lehnen die USA ab. Die Amerikaner haben den Gerichtshof nie anerkannt, da sie befürchten, dass ihre eigenen Militärs oder sogar Politiker angeklagt werden könnten.

Im Irak ist die Todesstrafe von den Amerikanern zwar suspendiert worden. Doch am 1. Juli 2004 soll die Souveränität von der US-Verwaltung auf eine irakische Übergangsregierung übergehen. Die kann die Todesstrafe dann wieder institutionalisieren: Iraker, die nicht (mehr) zu Saddam halten, brennen darauf, ihn am Galgen zu sehen.

Mitglieder des irakischen Regierungsrats sprechen heute schon von einem „Jahrhundertprozess“. Das Verfahren werde auch „sensitive Details“ über Politiker und Intellektuelle aus anderen arabischen Ländern enthüllen, die Saddam mehr oder weniger offen unterstützt hatten. „Wir haben genug Erfahrung, um diese Verfahren selbst durchzuführen“, versichert der Rechtswissenschafter Ahmed al Deraji. „Außerdem ist es gut, wenn die neuen Machthaber beweisen müssen, dass sie Gesetze und Menschenrechte respektieren. Die gelten auch für Saddam Hussein.“