„Kärnten ist das Griechenland von Österreich“

Streitgespräch. Die Finanzstaats­sekretäre Lopatka und Schieder über die Finanztransaktionssteuer

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Interview: Otmar Lahodynsky, Eva Linsinger

profil:
Sie sind als Finanzstaatssekretäre auch Finanzprofis. Wo haben Sie privat Ihr Geld veranlagt?
Lopatka: Wie immer auf dem Sparbuch.
Schieder: Veranlagung ist bei mir der falsche Begriff. Ich habe das Geld am Konto und auf einer Sparkarte. Das ist es.

profil: Besitzen Sie Aktien?
Lopatka: Ich habe keine und auch nie welche besessen.
Schieder: Ich hatte vor längerer Zeit einmal Aktien einer österreichischen Bank. Seit Jahren habe ich aber keine mehr.

profil: Sie wären also beide persönlich von einer Finanztransaktionssteuer nicht be­troffen.
Lopatka, Schieder: Das ist richtig.

profil: Wovor müssen sich österreichische Anleger fürchten?
Schieder: Eine Finanztransaktionssteuer ist ein wichtiges Instrument für einen gerechten Beitrag der Finanzmärkte zur Überwindung der Krise. Niemand muss Angst haben, nicht einmal ein Großanleger: Wenn er dauernd Aktien kauft und verkauft, wird er mehr zu dieser Steuer beitragen. Wenn er Aktien über einen längeren Zeitraum hinweg hält, bezahlt er weniger.
Lopatka: Das gefällt mir, was Kollege Schieder sagt – weil es sich von dem unterscheidet, was ich zuletzt aus der SPÖ gehört habe. Er hat soeben eine sinnvolle europaweit einzuführende Steuer beschrieben.
Schieder: Der Vorschlag der SPÖ ist eindeutig. Am allerbesten wäre eine interna­tionale Finanztransaktions­-steuer, am zweitbesten eine europaweite. Aber Österreich muss im Notfall auch zu einem nationalen Alleingang bereit sein. Das wäre dann eine „Börsenumsatzsteuer neu“.
Lopatka: Dann würden die Aktienverkäufe nicht mehr bei uns stattfinden, sondern anderswo. Bratislava ist nicht weit weg. Wir haben rundherum Börsen, die nur darauf warten, dass Österreich den Aktienkauf steuerlich zusätzlich belastet. Sogar auf Ihrer SPÖ-Klubtagung hat Ihnen Wirtschaftsprofessor Aiginger gesagt, dass ein Land allein sicher nicht genug ist.

profil: Dem widerspricht Ihr Parteikollege, Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl, der sich eine Finanztransaktionssteuer nur in Österreich vorstellen kann.
Lopatka: Es hat mir noch niemand erklären können, wie ein Land allein gegen Spekulanten wirksam vorgehen kann.

profil: Vielleicht kann es Herr Schieder.
Schieder: Wir leben in einer Wirtschaftskrise, die von einer Krise am Finanzmarkt ausgelöst wurde. Seit zwei Jahren fordern alle stärkere Regulierung, Steuern auf Spekulationen und so weiter. Leider ist auf diesem Gebiet bis heute viel zu wenig passiert. Wenn die EU dazu nicht bereit ist, müssen wir notfalls national handeln. Die Abgabe ist dann zwar leicht anders, aber geht in die gleiche Richtung: Dieser Mythos vom scheuen Reh des Kapitals, der jetzt gern von der ÖVP verbreitet wird …
Lopatka: Das ist kein Mythos, sondern Fakt.
Schieder: Investitionsentscheidungen hängen doch von vielen Kriterien ab, von der Qualität des Arbeitskräfteangebots, von der Bildung bis hin zur sozialen Sicherheit und Lebensqualität. Wenn all diese Kriterien stimmen, schreckt eine Börsenumsatzsteuer niemanden ab. Dazu kommt, dass österreichische Konzerne ganz bewusst an der Börse in Wien notiert sein und nicht nach Bratislava oder sonst wohin flüchten wollen.
Lopatka: Wenn Europa es schafft, diese Steuer einzuführen …

profil: Das wird doch seit Jahrzehnten diskutiert. Glauben Sie wirklich noch daran?
Lopatka: Inzwischen schon. Wenn Sie mich im April danach gefragt hätten, dann hätte ich Nein gesagt. Denn ich habe heute noch die negativen Wortmeldungen vieler EU-Kollegen im Ohr. Nun aber tritt Jean-­Claude Juncker im Namen der Euro-Gruppe für die Finanztransaktionssteuer ein. Selbst in Deutschland findet ein Umdenken statt. Es ist jetzt viel in Bewegung. Ich gebe NGOs wie Attac Recht: Jetzt muss man die Gunst der Stunde nutzen. Wenn es in Europa gelingt, wird auch der Druck auf US-Präsident Obama wachsen, der bisher wenig von seinen Ankündigungen umgesetzt hat.

profil: Wie lange wollen Sie Europa noch Zeit geben, die Pläne umzusetzen?
Schieder: Der Zeithorizont ist klar. Wenn sich die G20-Staaten beim Gipfel im Juni darauf einigen, dann muss am Ende der Sommerpause feststehen, welche Art von Finanztransaktionssteuer in Europa kommt.

profil: Und wenn nicht, führt sie nur Österreich ein?
Schieder: Ja, gemäß Nobelpreisträger Joseph Stiglitz, der diese Steuer am liebsten international einführen will. Aber er sagt auch, dass es nicht schaden kann, wenn einzelne Länder vorangehen.

profil: Herr Lopatka, was schlagen Sie vor, wenn die europäische Steuer doch nicht kommt?
Lopatka: Dann gehe ich davon aus, dass wir neben der Bankenabgabe nicht auch noch eine Börsenumsatzsteuer einführen werden. Christoph Leitl sieht diese übrigens als Ersatz für die Bankenabgabe, was gerne verschwiegen wird. Das ist der Unterschied zur SPÖ.
Schieder: Und auch zum Internationalen Währungsfonds. Die Chancen für eine europaweite Steuer stehen besser denn je, wir müssen jetzt dieses Mondfenster nützen. Deswegen schlagen wir gemeinsam mit der deutschen SPD ein europaweites Volksbegehren dazu vor. Denn das Problem brennt vielen Bürgern unter den Nägeln.

profil: Die Finanztransaktionssteuer gibt es noch nicht, aber sie ist schon x-mal wieder ausgegeben: fürs Budget, fürs Klima, für die Pflege, die Entwicklungshilfe und so weiter. Da werden doch viel zu hohe Erwartungen daran geknüpft.
Schieder: Mit einer EU-weiten Steuer könnten laut Wirtschaftsforschungsinstitut bei einem mittleren Satz von 0,05 Prozent 190 Milliarden Euro hereinkommen, das wäre mehr als das gesamte EU-Budget. Österreichs Anteil wären davon 1,3 Milliarden Euro.

profil: Und was wäre bei einer rein natio­nalen Börsenumsatzsteuer an Erträgen ­drinnen?
Lopatka: Wir hatten früher in Österreich eine Börsenumsatzsteuer, und da ist weit weniger hereingekommen, als sich Kollege Schieder erträumt. Bei einer Steuer von 0,15 Prozent erwarten wir, wenn man den monatlichen Umsatz der Wiener Börse heranzieht, ein jährliches Steueraufkommen von 137 Millionen Euro.
Schieder: Da sind Sie viel zu pessimistisch. Nehmen wir nur die letzten drei Jahre, also ein Boomjahr, ein Mischjahr und ein Krisenjahr: Da hatten wir 150 Milliarden Euro durchschnittliches Handelsvolumen an der Wiener Börse. Wenn ich ein Viertelprozent Steuer bezahle, dann komme ich auf 350 Millionen Euro Einnahmen für den Staatshaushalt. Das ist für die Konsolidierung des Staatshaushalts ein Einnahmenvolumen, auf das ich nicht leichtfertig verzichten will.
Lopatka: Das wäre eine zusätzliche Schwächung des Börsenstandorts Wien. Und unsere Börse ist ohnedies spät gestartet. Sieben österreichische Unternehmen tätigen ordentliche Umsätze: die Erste, Raiffeisen, OMV, Voest, Verbund, Vienna Insurance Group und Telekom. Die sollten wir auch im Interesse der damit verbundenen Arbeitsplätze nicht schädigen.
Schieder: Die letzten zwei Jahre haben gezeigt: Die größte Gefahr für unsere Volkswirtschaften sind unregulierte Finanzmärkte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die vorhin zitierten Unternehmen abwandern.
Lopatka: Sie nicht, aber der Handel.
Schieder: Schauen Sie: Dieses große Kapitalmarktbelebungspaket von Karl-Heinz Grasser – heute wissen wir, dass vieles Schall und Rauch oder ein gutes Geschäft für seine Freunde war – hat den Kapitalmarkt nicht in die Höhe gepusht. Die Entwicklung hängt von den wirklichen Werten der Unternehmungen ab.

profil: Aber das Grundproblem ist doch: Mit einer Börsenumsatzsteuer oder Finanztransaktionssteuer dämmt man ja Spekulation nicht ein, weil der kleine Aktionär dieselbe Steuer zahlt wie ein echter Zocker.
Schieder: Wenn ein Österreicher Aktien besitzt, dann zahlt er die Steuer in der Regel nur einmal, also beim Kauf. Wer oft kauft und verkauft, der bezahlt öfter und soll es auch tun, weil er auf Kursschwankungen spekuliert. Aber natürlich ist die Finanztransaktionssteuer nur ein Baustein. Es geht um eine Gesamtregulierung der Finanzmärkte, da gehören Finanzmarktaufsicht, Rating-Agenturen und vieles andere dazu.
Lopatka: Wir brauchen ein Bündel von Maßnahmen. Konkrete Vorstellungen gibt es bereits über die Kontrolle der Hedgefonds. Und es dauert eben längere Zeit, bis man eine Idee auf europäischer Ebene durchsetzt. Aber innerhalb Österreichs sind sich alle sechs Parteien – da nehme ich jetzt die Kärntner Abspaltung des BZÖ dazu – über die europäische Finanztransaktionssteuer einig.

profil:
Man kann sich leicht einig sein über etwas, was vermutlich ohnehin nie kommen wird. Genauso könnte man eine 6-Parteien-Resolution über schönes Wetter machen.
Schieder: Wenn ich so aus dem Fenster sehe, sind wir der Finanztransaktionssteuer vielleicht näher als dem schönen Wetter.
Lopatka: Wir sind auf einem guten Weg. In Europa ist innerhalb der letzten Tage viel passiert.

profil: Derzeit beträgt in Österreich die so genannte Spekulationsfrist ein Jahr, danach werden Kursgewinne bei Aktien nicht mehr besteuert. Soll im Zuge des Sparpakets diese Frist fallen?
Schieder: Ja, Vermögenszuwächse sollten generell besteuert werden.
Lopatka: Das ist im Sinne einer gesamten Steuergerechtigkeit durchaus vertretbar. Aber man muss immer mitdenken: Was heißt das für den Wirtschaftsstandort und für die Arbeitsplätze.

profil: Beim Budget zeichnet sich ein Grundkonflikt ab: Die ÖVP will die so genannten Ökosteuern, die SPÖ Vermögenssteuern. Und jeder ist vom Konzept des Koalitionspartners nicht wahnsinnig begeistert.
Schieder: Die Konsolidierung des Staatshaushalts begeistert niemanden wahnsinnig, sondern ist eine notwendige Voraussetzung. Zwischen ÖVP und SPÖ gibt es Auf­fassungsunterschiede – zum Glück. Das macht aus einer Regierung zwei Parteien. Aber politische Verantwortung bedeutet, dass zum Schluss etwas herauskommt, was sowohl dem Regierungsziel gerecht wird als auch der sozialen Symmetrie.
Lopatka: Sozial gerecht ja, aber es soll auch wirtschaftlich vernünftig sein. Die Budget­erstellung wird sicher das schwierigste Unterfangen der Bundesregierung. Mich stört allerdings von beiden Parteien, dass wir jetzt fast nur noch darüber diskutieren, welche Steuern erhöht werden sollen – und viel zu wenig darüber, wie wir auf der Ausgabenseite einsparen.

profil: Das mag daran liegen, dass Sie im ­Finanzrahmen den Bundesländern keinen Sparbeitrag abverlangen.
Schieder: Wir als Bund haben nicht hineingeschrieben, was wir uns von den Ländern vorstellen. Aber Sie können sich sicher sein, dass wir den Ländern und Gemeinden nichts schenken werden.
Lopatka: Die Länder waren bisher immer bereit, ihren Beitrag zu leisten. Es werden sicher schwierige Verhandlungen sein, weil sich in einigen Bundesländern mittlerweile die Finanzlage dramatisch verschlechtert hat, wenn ich etwa an die Steiermark oder Kärnten denke.

profil: Es gibt Förderungen für Kärntner ­Anzüge. So eng kann die Finanzlage nicht sein, wenn man sich solche Unsinnigkeiten leistet.
Lopatka: Aber manche Länder haben durch solche Unsinnigkeiten ihre finanziellen Möglichkeiten massiv überzogen und sitzen nun auf beträchtlichen Schulden. Kärnten ist das Griechenland von ­Österreich.

profil: Der gelernte Öster­reicher hat den Verdacht,
dass beides kommen wird – höhere Energiepreise und Steuererhöhungen. Wird die Regierung auch das 13. und 14. Monatsgehalt höher besteuern?
Schieder: Ich kann mir nicht vorstellen, dass das sinnvoll ist.
Lopatka: Wir sind bei Lohn und Einkommen ohnehin ein Hochsteuerland, und es wäre falsch, diese Steuern weiter zu erhöhen. Wir halten eine Ökologisierung des Steuersystems für sinnvoll, weil das mehr ist als bloß plumpe Geldbeschaffung.
Schieder: Eine Ökologisierung kann aber nur mit einem sozialen Ausgleich funktionieren, für Menschen, die auf das Auto angewiesen sind – etwa für Pendler.

profil: Bei der Euro-Rettung wurde vereinbart, dass die EU-Kommission stärkere Kontrolle über die nationalen Budgets bekommt. Werden Sie also Ihre Sparpläne in Brüssel vor einem Beschluss vorlegen?
Lopatka: Das gilt für Länder wie Griechenland. Wenn absehbar ist, dass sie von ihren Konsolidierungszielen weit entfernt sind, dann soll die EU-Kommission das auf­zeigen, bevor das nationale Parlament das Budget beschließt. Das ist notwendig, weil manche Staaten weit über ihre Verhältnisse gelebt haben.
Schieder: Wie die Kontrolle der EU-Kommission genau ausschaut, muss man erst ausformulieren. Wir werden aber auch darüber reden müssen, wie sich Europa stärker wirtschaftspolitisch koordiniert. Die Koordination in der Krisenreaktion war gut, und diese positiven Erfahrungen muss man jetzt in eine vernünftige Wachstumsstrategie transferieren.

profil: Es wurden 750 Milliarden Euro in die Rettung des Euro gebuttert. Jetzt rufen manche dazu auf, auch einen persönlichen Beitrag zu leisten und etwa nach Griechenland auf Urlaub zu fahren. Folgen Sie diesen Aufrufen?
Lopatka: Diese Appelle machen durchaus Sinn. Ich habe mich noch nicht entschieden, wo ich Urlaub mache, aber mir gefallen Portugal, Spanien oder Griechenland als Ferien­destination sehr gut – und wenn das auch noch ein Beitrag zur Stabilisierung ist, umso besser. Jedenfalls bin ich ein paar Tage in Kärnten.
Schieder: Ich werde heuer meinen Urlaub in Wien machen. Der entscheidende Punkt zur Stabilisierung ist sicher der gemeinsame Euro-Schutzschirm. Aber ich werde weiter meinen Bedarf an ungesättigten Fettsäuren mit griechischem Olivenöl decken.