Leitartikel: Georg Hoffmann-Ostenhof

Kalte Paranoia

Kalte Paranoia

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Man stelle sich vor, Georgien wäre bereits NATO-Mitglied. Nicht auszudenken! Wir hätten nicht einen kurzen, brutalen Sommerkrieg erlebt, sondern möglicherweise den Beginn einer großen direkten militärischen Konfrontation zwischen dem westlichen Militärbündnis und russischen Truppen.
Es ist den Europäern, allen voran den Deutschen und Franzosen, zu danken, dass sie immer wieder die amerikanischen Ambitionen, Georgien wie auch die Ukraine so schnell wie möglich ins westliche Militärbündnis zu holen, hintertrieben haben, zuletzt vor vier Monaten beim NATO-Gipfel in Bukarest, wo es ihnen gelang, das Thema mit eher vagen Versprechungen auf die lange Bank zu schieben.

Gewiss: Die Entwicklung Russlands ist zutiefst beunruhigend. Wladimir Putin und seine Getreuen haben die demokratischen Freiheiten im Inneren seines Reiches sukzessive erstickt und eine bemerkenswerte Skrupellosigkeit an den Tag gelegt, wenn es um nationale Interessen im russischen Hinterhof ging. So auch jetzt in Georgien. Der leicht derangierte georgische Präsident Michail Saakaschwili mag mit seinem verrückten Angriff auf die separatistischen Süd­osseten den Krieg angefangen haben. Die „Unangemessenheit“ der militärischen Antwort Moskaus auf die Provokation aus Tiflis zu verurteilen erscheint jedoch durchaus berechtigt.

Das Gerede von der Rückkehr des kalten Kriegs freilich ist nicht nur falsch, sondern auch gefährlich. Der Ölreichtum und das russische Nukleararsenal machen Moskau zu einem nicht unbedeutenden Global Player. Doch die Proportionen sollten gewahrt bleiben. Amerikas Bruttonationalprodukt ist zehnmal so groß wie jenes von Russland. Moskau investiert einen Bruchteil dessen in seine Armee, was die USA für Rüstung ausgeben. Vor allem aber: Russ­land stellt keine ideologische Macht mehr dar wie damals, als sich zwei Blöcke gegenüberstanden und die Sowjet­union als reale Alternative zu Demokratie und Marktwirtschaft auftrat. Der Westen ist in keiner Weise von Russland ­bedroht.

Der nun allerorten strapazierte Vergleich der russischen Panzer in Gori 2008 mit jenen in Prag vor genau vierzig Jahren – ein Vergleich, den auch US-Außenministerin Condoleezza Rice anstellt – mag sich angesichts der Ähnlichkeit der Bilder aufdrängen, ist aber verfehlt. Weder hat Moskau seine Truppen nach Georgien geschickt, weil dort Demokratie herrscht, noch hätschelt Washington Saakaschwili und päppelt ihn militärisch auf, weil dieser so freiheitsliebend wäre: Es geht um geopolitische Interessen, um Einflusssphären.

In den vergangenen Jahren haben die USA, gemeinsam mit der NATO, nicht unwesentlich zur unerfreulichen Entwicklung Russlands beigetragen. Den ehemaligen Satellitenstaaten Moskaus in Ost- und Mitteleuropa, vor allem Tschechien, Ungarn, Polen, durch die Aufnahme in das westliche Militärbündnis jene Sicherheit zu geben, nach der diese sich aus verständlichen Gründen sehnen, schien ein historischer Imperativ zu sein. Dass die NATO sich aber auch ehemalige Sowjetrepubliken wie die Ukraine und Georgien einverleiben will, kann von den Russen – und nicht nur von den Machthabern dort – nur als Provokation empfunden werden. Auch das Aufstellen von Raketenschilden in Polen und Tschechien – angeblich zur Abwehr iranischer Angriffe – ergibt militärstrategisch keinen Sinn. Dass sich unter diesen Bedingungen Moskau zusehends umzingelt fühlt, kann man verstehen. Den nun viel beschworenen neuen kalten Krieg führen die amerikanischen Falken bereits seit einigen Jahren. Zwar mögen sie Applaus von den neuen EU-Mitgliedern im Osten Europas bekommen – letztlich schafft diese Politik aber nicht mehr, sondern weniger Sicherheit.

Allem Anschein nach ist der russisch-georgische Krieg vorbei. Die Russen haben ihn gewonnen. Auch wenn man ihr Vorgehen verurteilt – den Realitäten muss Rechnung getragen werden. Eine davon ist: Die abtrünnigen Regionen Südossetien und Abchasien werden nie und nimmer wieder georgisch werden – und das nicht nur, weil es Moskau nicht zulässt: Die Menschen dort wollen partout nicht von Tiflis aus regiert werden. Das muss akzeptiert werden. Natürlich kann man die Ukrainer, die Georgier und andere ehemalige Sowjetvölker nicht in einem sicherheitspolitischen Vakuum lassen. Es muss verhindert werden, dass sie von den Russen in dieser oder jener Form wieder „heimgeholt“ werden – wobei gar nicht sicher ist, ob die das wirklich wollen. Aber müssen diese Länder deswegen gleich das Aufmarschgebiet von NATO-Soldaten werden? Gibt es nicht andere Sicherheitsarchitekturen, die weniger auf Konfrontation basieren und mehr von Kooperation bestimmt werden?

Wladimir Woronin, der Präsident von Moldawien, hat vergangenen März erklärt, er strebe eine Neutralitätserklärung an, die von Russland, der Ukraine, den USA, der EU und der OSZE unterzeichnet werden sollte. Wäre das nicht ein Modell für diese Zwischenzonen, für den Kaukasus und das östlichste Europa – Zonen, die ein gewaltiges Konfliktpotenzial in sich bergen?
Da wäre der Status der Neutralität jedenfalls weitaus sinnvoller als bei uns in Österreich.