Kampf dem ewigen Winter

Kampf dem ewigen Winter

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Was darf sich die Kultur alles leisten? Eine völlig unnötige zusätzliche Musicalbühne, wie sie für das Wiener Etablissement Ronacher um mehr als 30 Millionen Euro vorgesehen ist? Andernorts hingegen kritische Stellungnahmen zu gesellschaftlichen, politischen Entwicklungen, die amtliche Würdenträger gern als Nestbeschmutzung oder Vernaderung punzieren? Behutsame, aber wachsame Untersuchungen, wie weit es im Ernstfall um die persönliche Meinungsfreiheit jedes Einzelnen bestellt ist? Darf sie, personalisiert durch Thomas Bernhard, die Besinnungs- und Gesinnungslosigkeit einer Nation höhnisch verdammen; darf sie, personalisiert durch Michael Moore, den mächtigsten Präsidenten der Welt dessen unbegrenzter Einfalt öffentlich preisgeben; darf sie, personalisiert durch Wolf Haas, die katholische Kirche und die Salzburger Festspiele in peinlichste Verlegenheiten bringen?

Theoretisch darf sie das, praktisch soll sie irgendwie nebelhaft edel, hilfreich und gut sein.

Kann Kultur das leisten? Sie kann es, und nicht einmal nebelhaft, wenn sich Künstler daranmachen, unter Beweis zu stellen, dass es möglich ist, mit künstlerischen Mitteln so viel Aufmerksamkeit zu erregen, dass Menschen menschlich werden.

Ein kleiner Haufen junger Künstler unternimmt dieses Wagnis am kommenden Samstag, dem 2. Oktober, im fünften Wiener Gemeindebezirk auf und rings um den Siebenbrunnenplatz. Von zehn Uhr vormittags bis zum Abend wird ein kunterbuntes Programm gezeigt. Hinter den vielen theatralischen und zauberhaften Dingen, die den staunenden Kindern und Eltern offeriert werden, steht ein anderes Programm. Das Programm des lächelnden Kampfs gegen den ewigen Winter in verhärteten, verkarsteten Seelen.

Florian Staffelmayer und Matthias Ortner haben den Verein „Feel the Flow“ gegründet; sie haben sich, mittlerweile um etliche Begeisterte bereichert, zur Aufgabe gestellt, „die Umwelt zu sensibilisieren“. Sie gehen dabei nicht mit schockierenden Aktionen vor, sie wollen weder entrüsten noch brüskieren – sie wollen verführen.

Leute können da zum Beispiel „Schauspieltechnik für den Alltag“ erproben, gesunde Körperhaltung und die richtige Atemtechnik erlernen, „um so zu einer entspannten, frei klingenden Sprechstimme zu kommen“, es wird den Besuchern zweimal am Tag der erfrischende Zyklus „Eltern in Bewegung & Kinder in Betreuung“ angeboten, damit die Großen wie die Kleinen jeweils was anderes kennen lernen können, es wird Theater gespielt, Texte werden vorgelesen, es wird getanzt und gesungen.

Und das alles, weil der gelernte Betriebswirtschaftler „Flo“ Staffelmayer, der derzeit an seiner Schauspielausbildung arbeitet, sich selbst den Floh ins Ohr gesetzt hat, Schwächeren zu helfen. Seine nicht eben ermüdlichen Bemühungen dienen dem Zweck, im Zuge ganztägiger Performances Geld aufzureißen. Die Leute mit frechem Charme ohne viel Federlesens anzubetteln. Von diesem Geld sehen seine Hawara und er keinen Cent, aber eben das macht ihnen ja das legal-diebische Vergnügen. Denn sie geben es sehr gezielt weiter.

Die Nutznießer des Erschnorrten sind die karitativen Vereine „die möwe“, „ZARA“ und das „Wiener Hilfswerk“.

„die möwe“ ist eine Organisation, die sich um physisch und psychisch misshandelte, sexuell missbrauchte Kinder kümmert und sie und deren Eltern berät. „ZARA“ ist ein Verein, der sich gegen rassistische Diskriminierung engagiert. Das „Wiener Hilfswerk“ ist eine Schutzorganisation für Bedürftige, das unter anderem das Seniorenwohnheim für ehemals obdachlose Frauen betreut.

Höhepunkt und symbolische Synthese des Festes ist die Aufführung des mittelalterlichen Gauklerstücks „Drachenzahn“: Eine kleine entschlossene Truppe bricht auf in eine Jahrhunderte zurückliegende Fantasywelt, um diese vor dem ewigen Winter zu retten, wobei es natürlich ebenso pointiert wie allegorisch zugeht.
Das Spektakel wird immerhin auch von politischen Sympathisantinnen unterstützt, den Nationalratsabgeordneten Ingrid Turkovic-Wendl und Silvia Fuhrmann, Oberösterreichs Landeshauptmann Josef Pühringer hat die Patronanz übernommen zusammen mit Martina Fasslabend, der Präsidentin der „möwe“ – aber was diesen Menschen als kulturell-sozialer Mix als wertvoll erscheint, ist fürs Bundeskanzleramt nicht gut genug.

Als Flo Staffelmayer am vergangenen Donnerstag dort anrief und um ein paar tausend Euro Förderungsgeld bat, wurde er von der Abteilung II belehrt, dass so was, was er da machen wolle, von Amts wegen als nicht relevant und nicht als Kunst angesehen werde und die Veranstaltung daher nicht förderungswürdig sei.

Es ist ja auch wahr: Kunst hat in diesem Land in dafür eigens vorgesehenen heil’gen Hallen stattzufinden – sonst könnten ja am End noch Berührungsängste abgebaut werden.

Es könnte vielleicht gar eine humane Kultur der Mitmenschlichkeit entstehen.