Medien: 'Kapitän und Leichtmatrosen'

Kapitän und Leichtmatrosen: Entmachtung der Politik durch den hiesigen Boulevard

Entmachtung der Politik durch den Boulevard

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Claus Pándi, neuer Innenpolitik-Star der „Kronen Zeitung“, wird in seinen Kolumnen selten von Schwermut und Nachdenklichkeit geplagt. Vergangenen Montag wirkte er aber etwas bedrückt: „In der Politik ist Freundschaft ein trügerisches Wunschbild. Die Rivalität eine Notwendigkeit. Wo es keinen Gegner gibt, kommt es zu politischer Orientierungslosigkeit.“

War das ein letzter Gruß an Werner Faymann, der so unsanft aus dem Nest gefallen war? Waren die von Düsternis umhüllten Zeilen gar eine Klage gegen den alten Mann im Oberstübchen des Pressehauses, gegen „Onkel Hans“ Dichand, der vorvergangene Woche so unbarmherzig sein Verdikt – Neffe raus, Prölls rein! – verkündet hatte? Pándis Satz „Wahre Freundschaft findet sich nur bei nahen Verwandten“ sagt jedenfalls eines klipp und klar: Ein Wahlonkel gilt nicht.

Bemerkenswert, was ein etwas umständlich formuliertes Interview in einer Illu-Beilage auslöst, wenn es sich bei dem darin gar nicht wirklich Befragten um den Seniorchef von Österreichs größter Tageszeitung handelt. Kein politischer Zirkel, in dem der Quickstep des greisen Herrn in den Tagen danach nicht ausführlich besprochen wurde, kein Blatt (dieses hier nicht ausgenommen), das den Neffentausch nicht verblüfft kommentierte.
Mit Recht, denn zu konstatieren gibt es Frappierendes: Die Kräfteverhältnisse im ewigen Ringen zwischen Politik und Medien haben sich gründlich und wohl endgültig gedreht. Noch bis vor eineinhalb Jahrzehnten hielten sich die Großparteien ein halbes Dutzend Tageszeitungen. Heute dirigiert der Boulevard in einem halben Dutzend Mittelparteien.

Schnell ging das, und der Senior in der „Krone“, dessen Worte nun einer Exegese unterzogen werden, als sei er ein Evangelist, war tatsächlich der große Beschleuniger. Sein Blatt kampagnisiert seit Jahrzehnten, als sei es selbst Partei: gegen Kraftwerke und Baummörder, gegen Gentechnik und Grüne, Waldheim-Kritiker und Haider-Gegner, gegen den Semmering-Tunnel (in der Niederösterreich-Ausgabe), für den Semmering-Tunnel (in der Steiermark-Ausgabe), gegen die Brüssel-Bonzen und gegen Atomkraftwerke, vor allem wenn sie in Tschechien stehen. Die in der Schweiz – dort sollen jetzt gleich drei neue gebaut werden – sind ihm egal.
Im Abendrot seines Lebens möchte der 88-Jährige nur noch ganz oben mitmischen: dort, wo Regierungen gebildet werden und wo sie zerbröseln, wo Minister, Kanzler und gar Präsidenten gemacht werden. Jetzt verlangt der Nimmersatt gleich zwei Prölls auf einen Schlag und ist bloß zum lästigen Zugeständnis bereit, dass vorher noch „echte demokratische Wahlen“ stattfinden müssen.

Die Konzentration der „Krone“ auf ihre Rolle als „Leitmedium“ der besonderen Art ist erklärbar. Immerhin hat sich der Boulevard in den vergangenen Jahren etwas bevölkert, wobei aber nicht in jedem Fall von Konkurrenz gesprochen werden kann. Die U-Bahn-Zeitung „Heute“ etwa scheint sogar auf wundersame Weise mit Hans Dichand verwoben: Herausgegeben wird das in 350 Entnahmeboxen in Wien aufgelegte Gratisblatt von Dichands Schwiegertochter Eva, Chefredakteur ist ein ehemaliger „Krone“-Mann, Dichands Anwalt ist auch der Anwalt von „Heute“, und der Patriarch verwende bei Sitzungen, in denen es um „Krone“ und „Heute“ geht, überraschend oft das Fürwort „wir“, berichten Teilnehmer. Kürzlich wechselte die Wochenendbeilage „Live“ – das ist die mit Dichands Neffenweglegungs-Interview – ganz geschmeidig von „Heute“ zur „Krone“.

Wer die Besitzverhältnisse des mitunter etwas schrillen „Heute“ untersucht, stößt rasch an eine Feuermauer: Die Zeitung gehört einem AHVV-Verlag, der seinerseits zu 74 Prozent einer Fidelis Medien und Zeitschriftenverlags GmbH und zu 26 Prozent einer Periodika Privatstiftung zuzurechnen ist. Vorstand beider Firmen ist ein Wiener Wirtschaftstreuhänder, dem all das ganz sicher nicht gehört.

Beim zweiten Konkurrenzblatt der „Krone“, dem Tagblatt „Österreich“, sind die Vorder- und die Hintermänner identisch und alles andere als kamerascheu. Rund 120 Millionen Euro hat Herausgeber Wolfgang Fellner in den vergangenen zweieinhalb Jahren in das Blatt gepumpt, mehr als zwei Drittel davon aus Bankkrediten. Im ersten Jahr beliefen sich die Einnahmen aus Anzeigen auf etwa 19 Millionen Euro, so die Berechnungen der Konkurrenz. 70 Millionen Miese habe „Österreich“ damit im ersten Geschäftsjahr gebaut.

Auch bei der „Krone“ fließt nicht mehr pures Gold aus allen Hähnen. Wohl streift Hans Dichand weiterhin 713.000 Euro „Vorabgewinn“ pro Monat ein – den sichert ihm der Vertrag mit seinen Partnern von der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) zu. Mehr falle aber nicht mehr ab, wissen Kenner der „Krone“-Kassen, die WAZ gehe leer aus. Die Zeiten, in denen der Jahresgewinn jenseits der 30-Millionen-Euro-Marke lag, sind vorbei.

Aber der Boulevard hat Kapital, das sich in Zeiten wie diesen mit einigem Geschick und entsprechender Kaltschnäuzigkeit gewinnbringend einsetzen lässt: Er hat Leser, viele Leser. 2,9 Millionen greifen täglich zur „Krone“, „Österreich“ erreicht an einem Durchschnittstag 688.000 Leser. Eva Dichands „Heute“ wurde, weil Gratiszeitung, noch nicht in der Mediaanalyse ausgewiesen, hat aber in Wien fast schon dieselbe Reichweite wie die „Krone“, schätzen Medialeute auf der Basis unveröffentlichter Umfragen.
Damit lässt sich Politik machen, wie das Beispiel des Hans-Peter-Martin-Europa-Wahlkampfs zeigt: Fast 18 Prozent ohne Partei im Rücken – das ist Mitteleuroparekord.

Kein Wunder, dass viele „echte“ Politiker furchtstarr beobachten, wie sie in der „Krone“, „Österreich“ und „Heute“ „vorkommen“. So wie lange Zeit Werner Faymann („Seit alters ist’s der Weisen Sitte, / stets einzutreten für die Mitte. / Wie glücklich ist doch unser Staat! / In Werner Faymann wird sie Tat!“). Oder so wie Erhard Busek, Caspar Einem, Rudolf Scholten, Peter Pilz, Wolfgang Schüssel und Ursula Plassnik: als Staatsfeinde und Schädlinge.

Erhard Busek erzählte später, Hans Dichand habe ihm, dem damaligen ÖVP-Obmann, eine freundlichere Berichterstattung in Aussicht gestellt, wenn er „eine bestimmte Meinung in Asylanten- und Migrantenfragen“ einnehme. Ähnlich dürfte Dichands Gespräch mit der damaligen Außenministerin Ursula Plassnik im vergangenen Juli verlaufen sein. Nachdem sich Dichand, ganz und gar nicht im Stil eines ehrwürdigen Alten, in einem Einspalter über das Treffen lustig gemacht hatte, verriet die Außenministerin in einem offenen Brief den wahren Ablauf der Unterredung. Dichand habe sie mit den Worten empfangen: „Ich weiß, wie Sie Ihre Partei und die Regierung retten können.“ Nämlich: „Indem Sie für eine Volksabstimmung über den EU-Reformvertrag sind“, das Thema der damals laufenden „Krone“-Kampagne. Die Ministerin lehnte mit Verweis auf die Verfassungslage empört ab und war fortan Freiwild für die vom Zeitungszaren ausgeschickten Jäger. So läuft’s manchmal.

Harald Fidler, Medienredakteur des „Standard“, zitiert in seinem vor vier Jahren erschienenen Buch „Im Vorhof der Schlacht“ den „Krone“-Außenpolitiker Kurt Seinitz, der einmal von Bundespräsident Thomas Klestil wegen einer für ihn negativen Schlagzeile befragt wurde: „Ich hab Klestil gesagt: Das ist ein Ordnungsruf. Wenn sich der Tatbestand zum Positiven ändert, wird alles wieder normal.“

Wer solcherart sogar gegenüber dem Staatsoberhaupt die Muskeln rollen lässt, bekommt nicht so schnell Wünsche abgeschlagen – egal ob es sich um politisches oder um finanzielles Entgegenkommen handelt. Manchmal verwischen sich die Grenzen zwischen beiden bis zur Kenntlichkeit. Wiewohl die genauen Zahlen streng gehütet werden, sickerten in den vergangenen Monaten einige Daten durch. So etwa im vergangenen Herbst jene Aufsichtsratsprotokolle der ÖBB, aus denen hervorging, dass der damals zuständige Ressortchef Faymann im September 2007 höchstpersönlich Anzeigengeschäfte mit dem Boulevard abwickelte. Die „Krone“ wurde in dieser Tranche von den ÖBB auf Wunsch des Ministers mit 500.000 Euro bedacht, „Heute“ mit 492.000 und „Österreich“ mit 470.000 Euro. Die „Kleine Zeitung“, in puncto Auflage immerhin Nummer zwei in Österreich, musste sich mit 117.000 Euro bescheiden (profil berichtete).

Dass es bei der Vergabe politischen Geldes meist nicht wirklich um die Sache selbst geht, also um die Information, zeigen die Recherchen des grünen Abgeordneten Karl Öllinger, der die Minister immer wieder mit lästigen parlamentarischen Anfragen zu diesem Thema quält. So vergab just Unterrichts- und Kulturministerin Claudia Schmied im Vorjahr den Löwenanteil ihres Öffentlichkeitsbudgets an „Österreich“: 598.000 Euro ließ sie 2008 an Wolfgang Fellners grelles Blatt überweisen – vierzig Prozent der gesamten Info-Ausgaben des Bildungsministeriums. Auf Platz zwei folgte „Heute“, auch nicht eben eine Kulturzeitschrift, mit rund 390.000 Euro. Die „Presse“ widmet der Bildungspolitik ganze Blattteile, dennoch bekam sie mit 32.000 Euro Inseratengeld nicht einmal ein Zehntel von dem ab, was die U-Bahn-Zeitung einstreifte. Der „Kurier“ unterhält einen „Schüleranwalt“, was das Unterrichtsministerium offenbar nicht besonders interessiert. Darauf weisen die mageren 54.000 Euro an Anzeigenaufträgen hin (selbst die betrafen eine Museumsaktion).

Natürlich ziehen nicht nur sozialdemokratische Regierungsmitglieder bisweilen die Spendierhosen an, wenn’s zum Tanz auf den Boulevard geht. Im Vorjahr gab etwa das schwarze Landwirtschaftsministerium fast 4,7 Millionen Euro für Öffentlichkeitsarbeit aus, die zweithöchste Summe aller Ressorts. Welche Medien wie viel davon bekamen, wollte Minister Nikolaus Berlakovich in seiner Anfragebeantwortung an Öllinger diskreterweise nicht verraten. Der Grüne plant für kommende Woche eine neue Frageserie.

Fragen kostet nichts, bringt aber meist wenig. Franz Ferdinand Wolf, Kultur- und Mediensprecher der Wiener ÖVP im Landtag (und früherer profil-Herausgeber), wollte vergangenen Oktober von Vizebürgermeisterin Grete Laska (SPÖ) wissen, wie viel die einzelnen Stadträte für Öffentlichkeitsarbeit ausgeben. Antwort Laskas: „In Anbetracht des enormen Volumens und des damit verbundenen administrativen Aufwands“ sei die Beantwortung dieser Anfrage „unmöglich“. Also rechnete Wolf auf eigene Faust nach, zählte die Anzeigenseiten, multiplizierte sie mit dem geltenden Tarif und kam zum Schluss: Allein in den ersten fünf Monaten des Jahres 2009 erschienen in „Krone“ und „Heute“ Inserate des Rathauses und angeschlossener Betriebe im Wert von 6,5 Millionen Euro. Dass dieser Betrag zu hoch gegriffen sein dürfte, gibt selbst Wolf zu: „Bei dieser Buchungsdichte muss es saftige Mengenrabatte geben.“

So nehmen also die Dinge ihren Lauf: Es fließt das Geld, es wechseln die Neffen, nur Onkel Hans bleibt auf der Brücke, ein fliegender Holländer im Meer der Zeit. Er gibt den Kurs vor, die Leichtmatrosen setzen hurtig die Segel. Claus Pándi, der wendigste aller Hälse, hat die düsteren Gedanken verscheucht und besingt bereits täglich einen möglichen Bundespräsidenten Erwin Pröll, von dem sein Chef laut Interview neuerdings „geradezu träumt“.

Und Werner Faymann? Der ortet nach der Vertreibung aus dem Paradies neue Freunde. In einem Interview mit der „Tiroler Tageszeitung“ dankte der Kanzler vergangenen Freitag ungenannt bleibenden ORF-Redakteuren für die Unterstützung in „schweren Stunden des Wahlkampfs“. Gerade noch wollte er die gesamte ORF-Führung feuern. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.