„Kein Problem mit Frauen als Priester“

profil-Sommergespräch: Walter Rothensteiner RZB

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profil: Herr Doktor Rothensteiner, Karikaturisten zeichnen einen Bankdirektor immer im Nadelstreif mit Zigarre. Wie würden Sie ihn zeichnen?

Rothensteiner: Einfärbig tut es genauso, und Zigarre rauch ich nur in Ausnahmefällen. Diese Symbole und das ganze Zeremoniell – das hat sich eigentlich aufgehört, das können wir uns heute gar nicht mehr leisten.

profil: Ist es nicht langweilig, immer nur über Geld zu reden?

Rothensteiner: Sie werden es nicht glauben: Wir reden relativ wenig über Geld. Bei uns geht es eher um den Kontakt mit dem Aufsichtsrat oder um Personalentscheidungen. Und die Eigentümer müssen natürlich bei Laune gehalten werden. Mit Geld beschäftigen sich die Kollegen in den Fachbereichen.

profil: In den USA trägt jeder seinen Lohnzettel fast am Revers. Das würde bei uns niemandem einfallen. Warum haben die Österreicher so ein diskretes Verhältnis zum Geld?

Rothensteiner: Nicht nur die Österreicher, sondern auch die österreichischen Medien. Wenn ein Top Executive in den USA 50 Millionen Dollar an Optionen kassiert, dann steht in unseren Zeitungen: Der muss aber toll sein! Wenn einer in Österreich zwei Millionen Euro verdient, steht er in Verdacht, das auf kriminelle Weise erwirtschaftet zu haben.

profil: Jetzt sind wir beim Thema: Was verdient ein Bank-Generaldirektor? Vom Chef der Erste Bank heißt es, er beziehe bis zu fünf Millionen Euro im Jahr.

Rothensteiner: Das glaube ich nicht. Unsereiner liegt jedenfalls deutlich drunter. Aber niemand braucht sich deshalb Sorgen um mich zu machen.

profil: Zuletzt, 2005, stand in der Zeitung, Sie verdienten 850.000 im Jahr.

Rothensteiner: Ein bisschen mehr war es schon, aber nicht dramatisch. Im Übrigen entwickeln sich die Marktpreise in unseren Auslandsmärkten in ähnliche Dimensionen.

profil: Bezüge von mehreren Millionen Euro im Jahr haben doch mit der tatsächlichen Leistung nichts mehr zu tun.

Rothensteiner: In Österreich sind die Bezüge auch nicht so exorbitant, weil wir drei oder vier Großbanken haben und die Vorstandsvorsitzenden innerhalb dieser Gruppe kaum wechseln werden. Aber an den großen Finanzplätzen erreichen die Bezüge teilweise verrückte Dimensionen. Es gibt viele Londoner Investmentbanker, die mit 40 oder 45 aufhören, weil sie so viel verdient haben, dass sie sich anderen Dingen widmen können. Man sollte bei uns aufpassen, dass sich die Bezüge nicht in Dimensionen entwickeln, die man nicht mehr erklären kann.

profil: Gibt es eigentlich so etwas wie eine christliche Wirtschaftsethik?

Rothensteiner: Sicher, die Raiffeisen-Bewegung entstand ja aus diesem Denken. Bei uns wird bis heute nicht Hire & Fire gespielt, und wir sind auch nicht die, die schon beim ersten Luftzug dem Kunden sagen: Dich drehen wir zu. Das gehört zum christlich-ethischen Hintergrund. Darum kommen wir ja auch bei der Bevölkerung ganz gut an.

profil: Die RZB-Tochter Raiffeisen International macht riesige Geschäfte in Osteuropa und hat zehn Banken gekauft. Wo ist in solchen Deals die christlich-ethische Dimension?

Rothensteiner: Es ist doch nicht ex definitione unchristlich, wenn man eine Bank in Russland kauft. Es geht nur darum: Wie denken die Leute, die diese Banken dort führen, und wie gehen sie mit ihren Leuten und ihren Kunden um? Und es gibt auch das eine oder andere Geschäft, das man aus gutem Grund ganz einfach nicht macht.

profil: Die RZB macht zwei Drittel ihrer Gewinne in Osteuropa. Wenn ein Unternehmen so viel in Ländern verdient, in denen es so viele arme Leute gibt – erwächst da nicht auch eine soziale Verpflichtung?

Rothensteiner: Wir nehmen ja fast nichts von diesen Gewinnen heraus, sondern investieren sie sofort wieder im Land. Wir bauen neue Zweigstellen, wir stellen Leute an, wir finanzieren die lokale Wirtschaft. In Österreich schütten wir nicht einmal zehn Prozent von dem aus, was wir verdienen.

profil: Kann man privat ein christliches Leben führen?

Rothensteiner: Ich sage einmal: Der Versuch, danach zu leben, funktioniert im Prinzip.

profil: Viele Christen haben Probleme mit ihrer Kirche: mit dem Zölibat, mit der Rolle der Frau. Wie sehen Sie das?

Rothensteiner: Durchaus kritisch. Der Zölibat, zum Beispiel, leitet sich nicht aus der Bibel ab. Deshalb hielte ich es für gescheit, einmal darüber nachzudenken, ob das immer so sein muss. Zumindest für die Diskussion müsste man offen sein.

profil: Sollen Frauen auch Priesterämter übernehmen können?

Rothensteiner: Ich hätte kein Problem damit, aber ich werde leider nicht gefragt werden.

profil: Die Kirche denkt in langen Zeiträumen. Jetzt sind es aber auch schon wieder 45 Jahre seit dem letzten großen Reformschritt beim 2. Vatikanischen Konzil. Wäre nicht wieder einer an der Zeit?

Rothensteiner: Ich bin jedenfalls nicht glücklich, wenn es nun heißt, es werde wieder viel mehr lateinische Messen geben. Ob das das richtige Signal ist? Die katholische Kirche war in Europa jahrhundertelang praktisch auch die Gesetzgebung, sie war die Staatskirche. Marketing hatte sie nicht nötig. Seit einigen Jahrzehnten ist das anders. Aber wie Sie sagten: Die Kirche denkt in sehr, sehr langen Zeiträumen.

profil: Sie sind Jahrgang 1953, wie haben Sie das Jahr 1968 und seine Folgen erlebt?

Rothensteiner: Außer im Fernsehen den Herrn Dutschke zu sehen, habe ich eigentlich nicht viele Erinnerungen. Sankt Pölten war auch nicht wirklich der Nukleus der Veranstaltung.

profil: Und auf der Uni in Wien?

Rothensteiner: Da war ich eigentlich auch nie der Typ, der auf die Barrikaden gegangen und laut brüllend durch die Straßen gezogen ist.

profil: „Vietnam wird nie / Ami-Kolonie!“ hören Sie jetzt zum ersten Mal?

Rothensteiner: Höre ich zum ersten Mal. Ich kann mich aber erinnern, dass einmal im Studentenheim in der Pfeilgasse dem Hausverwalter in der Nacht die Tür zugemauert wurde, weil er Mädchenbesuche verboten hat. Ich persönlich war bei diesen Aktionen aber nie dabei.

profil: Sie haben sich immer als Anhänger der großen Koalitionen deklariert. Haben Sie in den letzten Wochen Ihre Meinung revidiert?

Rothensteiner: Auch da sollte man in längeren Zeiträumen denken. Ich bin einfach der Meinung, dass eher den Erwartungen der Wähler entsprochen werden kann, wenn 70 oder 80 Prozent hinter einer Regierung stehen.

profil: Hat die Regierung bisher Ihre Erwartungen erfüllt?

Rothensteiner: Na ja. Etwas seltsam ist: Bisher habe ich immer nur Koalitionen erlebt, in denen man hinter verschlossenen Türen gestritten und nach außen hin etwas gemacht hat.

profil: Und jetzt macht man hinter verschlossenen Türen nichts und streitet draußen?

Rothensteiner: Ich würde sagen: In den Sachthemen geht schon einiges weiter. Für unser Geschäft und für das wirtschaftliche Umfeld ist die Regierung im Prinzip in Ordnung. Die Töne rundherum sind halt ungewohnt.

profil: Wie gefallen Ihnen die handelnden Personen?

Rothensteiner: Ich glaube, die Personen sind nach bestem Wissen und Gewissen ausgewählt. Ob sie sich vertragen, ist eine andere Frage.

profil: Haben Sie eigentlich immer ÖVP gewählt?

Rothensteiner: In der Regel ja.

profil: Bis vor wenigen Jahren gab es den schwarzen Bankensektor mit dem Leitinstitut Raiffeisen und den roten Bankensektor mit der Bank Austria. Die Bank Austria ist verkauft. Was gilt für Raiffeisen?

Rothensteiner: Von unseren 55.000 RZB-Mitarbeitern sitzen nicht einmal 5000 in Österreich, 50.000 haben also überhaupt keinen Bezug zur österreichischen Politik und wissen gar nicht, wofür das Kürzel ÖVP steht. Außerdem ist das eine Generationenfrage: Uns allen ist heute klar, dass man eine Firma zuerst nach den Interessen der Firma führen muss. Dinge, die es vor 20 oder 25 Jahren gegeben hat – ein Politiker-Anruf und schon hatte jemand einen Job – gibt es nicht mehr. Ich brauche in der Bank die besten Leute. Ich weiß nicht, was unsere Mitarbeiter wählen.

profil: Es wird üblich, dass sehr reiche Menschen, wie Bill Gates oder George Soros, große Projekte sponsern. Raiffeisen ist im Kulturbereich ein wichtiger Sponsor. Besteht nicht die Gefahr, dass sich der Staat aus seiner Verantwortung zurückzieht?

Rothensteiner: Hat er schon getan. Bei vielen Museen und Theatern hat der Staat den Direktoren gesagt: Okay, das ist eure jährliche Basisabgeltung, mit der müsst ihr auskommen oder das Geld von woanders holen. Dann müssen die Leiter dieser Institutionen entweder gute Kontakte zu Sponsoren haben, oder sie schränken ihr Programm ein. Das kann auf Dauer nicht der richtige Weg sein. Bei uns Banken gibt es ja auch immer weniger Möglichkeiten. Die Bank Austria ist jetzt Teil eines internationalen Konzerns – die Italiener werden natürlich nicht im selben Maß die Sponsortätigkeit fortsetzen.

profil: Soll der Staat weiterhin für die Sozialpolitik zuständig sein, oder präferieren Sie auch da private Initiativen?

Rothensteiner: Wenn ein Staat zu den reichsten Ländern der Welt zählt, dann kann er es sich auch leisten, dass keine Menschen auf der Straße leben müssen. Aber die Diskussion, wer dafür zahlt, wird es immer geben.

profil: Halten Sie Österreich für „übersozialisiert“?

Rothensteiner: Dieser Staat hat sich in den vergangenen 50 Jahren ordentlich entwickelt, er hat viele Errungenschaften für die Bürger erwirtschaftet, die im einen oder anderen Fall vielleicht übertrieben sind. Aber jetzt, in einer Phase der Hochkonjunktur, in der es der Wirtschaft exzellent geht, wird man schwer sagen können: Jetzt machen wir den großen Sozialabbau.

profil: Wie gefällt Ihnen übrigens der neue Sozialminister Buchinger?

Rothensteiner: Er ist in vielen Fällen erfrischend. Ein Sozialminister hat ja die Aufgabe, ein bisschen lauter hineinzublasen. Ob er wirklich die Lohnverhandlungen präjudizieren musste – das muss er sich mit den Kollegen von der Gewerkschaft ausmachen.

profil: Sie meinen seine Forderung nach Lohnerhöhungen im Ausmaß von vier Prozent. Aber viele Leute haben ja wirklich nichts von den tollen Gewinnen Ihrer Bank und anderer großer Unternehmen.

Rothensteiner: Ja, aber erst unlängst wurde veröffentlicht, um wie viel mehr an Körperschaftsteuer wir heuer abliefern. Also ein Teil unseres guten Ergebnisses geht ohnehin an die Republik.

profil: Und das trotz des geringen Körperschaftsteuersatzes. Das zeigt, wie viel verdient wird.

Rothensteiner: Wir zahlen brav Steuer, wir zahlen Steuer wie noch nie, und wir verdienen auch gut. Und das meiste Geld lassen wir in den Ländern, in denen wir investiert haben, investieren dort weiter und beschäftigen Leute.

profil: Sollten die Arbeitsbeschränkungen für die Bürger der neuen EU-Staaten in Österreich früher als geplant liberalisiert werden?

Rothensteiner: Ja, weil man diesen Ländern nicht sagen kann: Jetzt seid ihr endlich EU-Mitglieder, aber eure Leute dürfen nicht bei uns herein. Ich erinnere mich noch an Haiders portugiesische Friseure, die Österreich überschwemmen werden. Ich habe bis heute keinen gesehen. Und wenn man weiß, dass Leute, die in Ostungarn arbeiten, nicht einmal nach Westungarn arbeiten gehen wollen, dann ist die Sorge, dass demnächst 100.000 Ungarn Österreich überschwemmen werden, absurd.

profil: Möglich wäre, dass ein paar tausend aus Bratislava oder aus Sopron kommen.

Rothensteiner: Gerade in Westungarn und der Slowakei herrscht Arbeitskräftemangel, weil die Autoindustrie dort groß eingestiegen ist. Und wie viele Österreicher gehen denn freiwillig ins Ausland, obwohl es dort gute Jobs gäbe? Ich sehe es ja bei uns: Von unseren 50.000 Leuten in Osteuropa sind 29 Österreicher.

profil: Zahlen Sie so schlecht?

Rothensteiner: Nein. Aber einen 25-Jährigen, den ich für Osteuropa kriegen könnte, den brauche ich nicht, 25-Jährige kriege ich in Budapest auch. Und einen 40-Jährigen, der schon Bankerfahrung hat, den kriege ich nicht, weil der Frau, Kinder, Haus und Auto hat und nicht übersiedeln will. Ich verstehe, dass man eine Bremse einzieht, aber so zu tun, als würde uns Osteuropa überlaufen, geht an der Wirklichkeit vorbei. Diese Länder haben sich schon sehr ordentlich entwickelt.

profil: Sie unterscheiden sich von vielen Ihrer Amtskollegen und von vielen Leuten bei Raiffeisen dadurch, dass Sie kein Jäger sind. Warum eigentlich?

Rothensteiner: Die Mehrheit bei uns sind keine Jäger, aber es gibt den effizienten Landesjägermeister Christian Konrad, der in durchaus positiver Weise verbreitet, dass die Jagd etwas Vernünftiges ist.

profil: Und er konnte Sie nicht davon überzeugen?

Rothensteiner: Ich war es immer gewohnt, dass ich nur fünf Minuten zum Arbeitsplatz hatte. Vor sieben aufzustehen ist für mich eine Qual. Und die Sportlichkeit, über Hänge hinaufzukraxeln und Gämsen nachzujagen, die hab ich auch nicht wirklich. Die Produkte der Jäger kriege ich ja trotzdem.

Interview: Herbert Lackner

Walter Rothensteiner, 54.
Der gebürtige Sankt Pöltener hat sein gesamtes Berufsleben im Raiffeisen-Reich zugebracht. Begonnen hatte der promovierte Handelswissenschafter 1975 bei der Raiffeisenlandesbank Niederösterreich-Wien, war Vorstand in verschiedenen Konzernbetrieben und ist seit 1995 Generaldirektor der Raiffeisen Zentralbank (RZB). Deren Tochter Raiffeisen International sorgt durch ihr Engagement in Osteuropa inzwischen für zwei Drittel der RZB-Erträge.