Keine koordinierte Rettung in Sicht

Krise spaltet Frankreich & Deutschland

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Angeblich haben sich die Russen und Amerikaner zu Zeiten des Kalten Krieges täglich Grüße über das „rote Telefon“ geschickt. Damit stellten sie sicher, dass die Verbindung im Krisenfall klappt. Denn mit schneller Verständigung, so die Idee dahinter, kann man eine Situation in den Griff bekommen, bevor sie eskaliert. Was mit der Atombombe im Kalten Krieg funktioniert hat, klappt mit der Finanzkrise offenbar nicht so leicht. Dabei ist die Verbindung sicherlich kein Problem. Ganz im Gegenteil: Die europäischen Staatschefs gaben in der vergangenen Woche den Telefonhörer nur selten aus der Hand. Kaum hatte der britische Premier Gordon Brown bei der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel aufgelegt, war auch schon der Franzose Nicolas Sarkozy am Apparat. Doch trotz all der Geschäftigkeit hat die viel beschworene Koordination bisher nur spärliche Ergebnisse gezeitigt.

Während die USA, in deren Immobiliensektor die Krise ihren Ausgang nahm, bereits ein umfangreiches, wenngleich nicht unumstrittenes Rettungspaket auf Schiene gebracht haben, schaffen es die europäischen Regierungen selbst im Angesicht der Krise nicht, an einem Strang zu ziehen. Die Folgen sind gravierend: Einerseits verliert die EU an politischer Glaubwürdigkeit, andererseits erhöht das unkoordinierte Vorgehen die Unsicherheit – und trägt somit zur Verschärfung der Krise bei. „Man kann über die Führung der USA sagen, was man will – immerhin haben sie eine“, blickt das australische Wirtschaftsblatt „Business Spectator“ nach Europa. Und die britische „Daily Mail“ verspottet die europäischen Politiker gar als „kopflose Hühner“. Auch Finanzexperten schütteln den Kopf über das europäische Vorgehen. „Wir haben bereits sieben Rettungspakete geschnürt, in die neun Länder involviert waren, denen vier unterschiedliche Strategien zugrunde lagen“, sagt Norbert Walter, Chefökonom der Deutschen Bank, lakonisch.

Zuerst war Irland mit einer Garantie für die Sparer vorgeprescht. Deutschland folgte dem Beispiel später, dann auch Österreich, schließlich hoben die EU-Finanzminister die Einlagensicherung an. Großbritannien und Island verstaatlichten wankende Banken, Deutschland gab eine Garantie für die angeschlagene Hypo Real Estate, und Spanien kündigte an, seinen Banken faule Papiere abzukaufen. Die Nachrichten über derartige Rettungsaktionen überschlugen sich zwar in der vergangenen Woche, brachten den Märkten aber keineswegs Erholung. Eine erste Quittung für ihr Verhalten hatten die Staatschefs bereits zu Beginn der vergangenen Woche bekommen: Nach dem Scheitern des Koordinationsversuchs des französischen Präsidenten am Wochenende waren die Börsen zu Handelsbeginn regelrecht in den Keller gerasselt.

Egoismen. „Es ist bedauerlich, dass einzelne Länder hier vorgeprescht sind, statt eine gemeinsame Lösung auszuarbeiten“, sagt der ehemalige österreichische Finanzminister Ferdinand Lacina. Gleichzeitig zeigt er Verständnis für die nationalen Wege, da es dem Steuerzahler schwer zu erklären sei, warum er für Verluste geradestehen soll, die durch Banken in anderen Ländern verursacht würden. Doch diese Angst vor dem Steuerzahler könnte die Wirtschaft teuer zu stehen kommen. „Es bedarf eines systematischen europäischen Ansatzes, ansonsten wird die Unsicherheit erhöht, der Wettbewerb verzerrt und letztendlich der einheitliche Binnenmarkt zerstört“, sagt Ökonom Walter. Seiner Vorstellung nach sollte nicht nur die Europäische Zentralbank (EZB) wie bisher für Liquidität auf dem Geldmarkt sorgen, sondern auch ein gemeinsamer Umgang mit den faulen Krediten und den insolventen Finanzinstituten gefunden werden. Das EU-Parlament diskutiert bereits seit geraumer Zeit über die Verbesserung der Zusammenarbeit der nationalen Finanzmarktaufsichten. Die Umsetzung lässt freilich auf sich warten. Stefan Schulmeister, Ökonom am Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo), schlägt zudem vor, die Maastricht-Kriterien zu lockern, die EU-Mitglieder auf bestimmte Budgetziele festlegen. Dafür sei ein Schlupfloch vorgesehen: Wenn eine Wirtschaftskrise drohe, könnten die Staaten höhere Defizite machen. Schulmeister fürchtet jedoch, dass die Europäer erneut zu langsam handeln: „Schon im Jahr 2000 nahm die damalige Krise in den USA ihren Ausgang, hatte aber in Europa weit gravierendere Auswirkungen. In Europa wird immer erst gehandelt, wenn die Krise schon da ist. Das verschärft das Problem.“

Die zur Schau gestellte Handlungsschwäche ist nicht nur ein wirtschaftliches Problem. EU-Experten sehen darin auch einen gravierenden politischen Imageverlust. „Schon in der Balkankrise hat Europa einen erbärmlichen Eindruck mit seinem Stimmengewirr gemacht. Das wiederholt sich jetzt“, meint Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl. Er sucht die Schuld an dem Chaos jedoch nicht bei den EU-Institutionen, sondern bei den einzelnen Regierungen. „Solange nationale Egoismen eine Einigung in so wichtigen Fragen versperren, kann Europa weltpolitisch keine Bedeutung haben“, so Leitl. Der Innsbrucker Politikwissenschafter Fritz Plasser schlägt in die gleiche Kerbe. Die europäischen Politiker drängten zu sehr auf ihre nationalen Pfründen. „Was wir vergangene Woche erlebt haben, war alles andere als eine Sternstunde europäischer Handlungsfähigkeit. Auf diese Art und Weise wird die EU-Skepsis noch weiter zunehmen“, so Plasser.

Immerhin verdichteten sich vergangene Woche die Zeichen, dass es doch noch zu einer Einigung kommen könnte. Zum EU-Gipfel kommenden Donnerstag werden nicht nur Staats- und Regierungschefs sowie Außenminister geladen, sondern außertourlich auch die Finanzminister. In Brüssel wird schon offen spekuliert, ob der Gipfel nicht vielleicht doch ein Rettungspaket verabschieden könnte. Dafür spricht, dass sowohl der britische Premier Gordon Brown als auch der Italiener Silvio Berlusconi von der Linie der nationalen Lösungen abgekehrt sind. Bis Redaktionsschluss sträubte sich noch Deutschland als größte EU-Volkswirtschaft gegen ein europaweites Rettungspaket. Selbst wenn sich alle an einen Tisch setzten – angesichts der schon eingeschlagenen, höchst unterschiedlichen Strategien dürfte es sehr schwierig werden, eine Einigung zu finden. Der Vorschlag von US-Finanzminister Henry Paulson für eine Weltfinanzkonferenz erscheint da etwas überambitioniert.

Von Andrea Rexer; Mitarbeit: Otmar Lahodynsky und Eva Linsinger